Diana Richardson

Diana Richardson – Bewusstsein verändert alles

Warum es so wichtig ist, Sex zu einer bewussten Erfahrung zu machen

Unsere Prägungen und Konzepte beeinflussen, wie wir Sex leben. Dass es Alternativen zu konventionellem Sex gibt, weiß Diana Richardson. Wir sprachen mit ihr über bewussten Sex, orgasmische Erfahrung und den Druck, der von Männern und Frauen abfällt, wenn das Ziel von Sex nicht im Orgasmus gesucht wird.

Tattva Viveka: Diana, du bist Sexualtherapeutin und Expertin für das Thema Sexualität und Slow Sex. Wie bist du dazu gekommen, Sex zu unterrichten?

Diana Richardson: Ich beschäftige mich seit über 25 Jahren mit Sexualerziehung. Das ist aus meinen eigenen Erfahrungen heraus entstanden. Ich hatte nie die Absicht, Menschen zu unterrichten oder Bücher zu schreiben. Ich hätte zum Beispiel nie erwartet, dass ich von euch interviewt werden würde. Ich bin selbst sehr berührt, dass die Informationen, die ich mit den Menschen geteilt habe, bei ihnen Anklang gefunden haben. Ich muss dazu sagen: Dieses Wissen ist nicht meine Entdeckung. Diese Informationen gibt es seit 2.000 Jahren. Aber ich habe sie in meine Erfahrung integriert und war dann in der Lage, sie auf eine recht einfache praktische Weise zu übersetzen, sodass andere Menschen sie übernehmen und befolgen können. Im Laufe der Jahre haben die Resonanz und das Feedback immer weiter zugenommen, zum Beispiel mit den Paar-Retreats und den Buchlesungen. In diesem Sinne ist es also eine Bestätigung, dass etwas bei den Menschen ankommt. Und was ich unterrichte, hilft Paaren und jeder Beziehung.

Im Grunde ist Sex per se unschuldig.

TV: Was ist deiner Meinung nach die natürliche Unschuld der Sexualität?

Diana: Im Grunde ist Sex per se unschuldig. Er ist gottgegeben, die ganze Natur ist an der Fortpflanzung beteiligt. Das ist also im Grunde das Fundament. Aber der Verstand hat Einzug bei den Menschen gehalten. Und das hat die Unschuld zerstört. Anstatt einer natürlichen, organischen Sprache des Körpers, sind wir sehr stark von Ideen geprägt und beeinflusst worden. Heute hat die Pornografie einen großen Einfluss auf die Unschuld der Menschen. Aber es ist eine Unschuld, die wiedergewonnen werden kann. Und eine weitere Ebene, auf der die Unschuld wirklich beeinträchtigt wird, ist ein hohes Maß an sexueller Grenzüberschreitung, vor allem wenn Kinder jung sind. Das gilt natürlich für Jungen, aber noch viel mehr für Mädchen. Wenn so etwas passiert, hinterlässt es Spuren von Leid, Trauma und unausgesprochene Gefühle, die sich auf das ganze Leben eines Menschen auswirken. Mit der richtigen Art von Input aber kann die Unschuld zurückgewonnen werden. In unseren Paar-Retreats gibt es einen Tag, an dem mein Partner Michael und ich über verschiedene Schlüssel sprechen, die helfen, unschuldiger zu werden. Wir nennen das das Durchdringen der eigenen Unschuld. Und ehrlich gesagt, ist es für jeden von uns so einfach, diese wiederzufinden. Denn ob wir nun traumatische Erfahrungen gemacht haben oder nicht, die meisten, 99,9 Prozent, von uns sind auf die gleiche Weise geprägt worden. Es ist eher der Verstand, der jetzt dominiert, wie wir Sex haben, als unsere Fähigkeit, auf den Körper zu hören und ihm auf eine natürliche, spielerische Weise zu folgen.

TV: Was würdest du sagen, ist das Ziel von Sex?

Diana: Nun, offensichtlich ist das Ziel von Sex die Fortpflanzung. Aber als Menschen können wir das zur Seite schieben, denn wir können wählen, wann wir Sex haben wollen. Bei Tieren geschieht das alles durch Hormone, Jahreszeiten, Gerüche und so weiter. Bei Tieren ist also wirklich kein Verstand beteiligt. Sie folgen einfach. Aber wir Menschen können uns entscheiden, unabhängig von der Fortpflanzung, Sex zu haben. Damit befinden wir uns also auf einer anderen Ebene oder in einer anderen Kategorie. Und ich würde sagen, dass das Ziel von Sex das Problem ist. Alles bei konventionellem Sex dreht sich um das Ziel, um das Erreichen dieser Gipfelerfahrung, die wir Orgasmus oder Ejakulation nennen. Es ist ein schwieriger Teil der Prägung, dass es beim Sex genau darum geht. Viele Frauen kommen jedoch nicht zum Höhepunkt, und viele Männer kommen zu früh zum Höhepunkt. Auch eine vorzeitige Ejakulation ist weitverbreitet. Wenn solche Dinge passieren, die dem widersprechen, was von uns in Bezug auf unsere Prägung erwartet wird, führt das zu einer Menge Selbstzweifel und mangelndem Selbstwertgefühl.

Diana Richardson

Wenn wir also solche Ziele verfolgen, machen sie uns unruhig. Wenn wir ein Ziel haben und uns darauf konzentrieren, etwas zu erreichen, sind wir nicht wirklich präsent. Wir sind immer einen kleinen Schritt voraus. Wenn wir nicht ans Ankommen denken, steigern wir die Intensität immer noch ein bisschen mehr und mehr. Das Ergebnis dieser Art von Sex ist, dass wir nach dem Höhepunkt und der Ejakulation oder der Entladung eine Trennung, ein Gefühl der Unverbundenheit erleben. Und das ist tatsächlich hormonell so festgelegt. Aber auf der Ebene des Bewusstseins wird jeder von uns bemerkt haben, dass man zunächst total involviert ist, dann kommt und die Energie plötzlich schnell wieder abfällt – und dann oft auch ein Gefühl der Abwesenheit erlebt. Männer und Frauen verlieren auf unterschiedliche Weise viel Energie. Und dieses Gefühl der Nähe ist plötzlich weg. Dann dauert es eine Weile, bis die Verbindung wiederhergestellt ist. Bei der Art von Sex, die ich vorschlage und mit anderen teile, geht es hingegen um Liebe und Bindung. Wenn wir uns also mehr vom Ziel entfernen, was, wie ich schon sagte, das Problem ist, ist die Idee eine Art und Weise, bei der wir im gegenwärtigen Moment Liebe machen. Und wenn das geschieht, muss es keinen Höhepunkt geben. Man kann einfach in die Realität zurückgleiten oder einen Höhepunkt hinauszögern. Aber zumindest kann man eine oder zwei oder drei Stunden Liebe machen und sich entscheiden, ob man einen Höhepunkt haben will oder nicht. Aber das Ergebnis ist, dass man sich danach wirklich gut fühlt. Du fühlst dich energiegeladen, du fühlst dich glücklich, dein Herz ist offen, du bist mit deinem Partner verbunden. Das ist also das Ergebnis einer entspannteren Art und Weise von Sex. Und das kann kein Ziel sein, es ist eher so, dass wir uns mehr im Hier und Jetzt befinden müssen, und dann kommt alles andere von alleine.

Die Grundvoraussetzung ist Bewusstsein.

TV: Wie funktioniert »Slow Sex« genau? Bedeutet das, bewusster zu sein, nicht zu viel zu tun und langsam vorzugehen?

Diana: Es gibt in der Tat eine Vorbedingung für Langsamkeit, und diese ist Bewusstsein. Ich habe ein Buch mit dem Titel »Slow Sex« geschrieben, und es gibt eine DVD mit dem Titel »Slow Sex«, die nicht unbedingt so heißt, weil wir sie so nennen würden. Aber es hört sich gut an und ist einprägsam, die Leute können sich leichter darauf einlassen, aber die Grundvoraussetzung ist Bewusstsein. Ihr seht, wenn ich sage, wir gehen langsam vor, dann ist das wie eine Technik. Und dann macht man diese Technik richtig oder falsch, und es entsteht eine Art von Spaltung. Aber es geht darum, immer bewusster zu werden. Wenn wir konventionellen Sex betrachten, sind wir ziemlich mechanisch. Er läuft in Routinen, in Mustern ab und wir wollen immer wieder das Gleiche. Aber wenn wir anfangen, das Bewusstsein einzubringen, verlangsamen wir uns auf ganz natürlich Weise. Es ist also eine ganz andere Ebene des Engagements. Und das Interessante ist, wenn man langsamer wird, ist man sensibler, man fühlt mehr. Ich bin mir sicher, dass die meisten von uns bemerkt haben, dass wir beim konventionellen Sex, je näher wir dem Höhepunkt kommen, desto angespannter werden, desto weniger können wir fühlen, und dann wollen wir aber mehr fühlen. Bewusstsein ist einfach grundlegend. Und tatsächlich kann das Gewahrsein, das du in jede Aktivität einbringst, sie transformieren. Es geht wirklich um Bewusstheit und darum, bestimmte Muster aufzubrechen oder zu verlernen, die wir unabsichtlich durch Prägung oder sexuelle Konditionierung in der Gesellschaft erhalten haben. Es ist also nicht so, dass das, was wir tun, falsch ist, es hat nur Konsequenzen in dem Sinne, dass die Menschen in Routinen verfallen, dass sie sich gegenseitig langweilen, dass es eine Menge Unzufriedenheit beim Sex gibt. Es ist wie eine Umerziehung. Und das geschieht langsam. Es ist nicht so, dass man von einem Tag auf den anderen in dem einen Rahmen ist und am nächsten dann in einem anderen Rahmen. Das ist eher ein langsamer Übergang, bei dem man mehr und mehr Bewusstsein einbringt.

Es geht darum, Bewusstsein in die täglichen Aktivitäten zu bringen, auch in das Liebemachen.

TV: Das heißt, der normale, konventionelle Sex ist sehr stark mental, von Konzepten und Ideen gesteuert, und bei diesem Bewusstseins-Sex geht es mehr um das Gefühl. Würdest du sagen, dass der Körper dabei die Führung übernimmt?

Diana: Absolut! Der Körper ist die Brücke. Denn der Körper ist das Einzige, was in der Gegenwart existiert. Alles andere ist rückwärts oder vorwärts gerichtet. Der Geist ist Zukunft oder Vergangenheit. Der Körper ist die Brücke. Deshalb ist es so wichtig, das Bewusstsein im Körper zu haben. Und das ist wirklich ein grundlegender Teil dessen, was ich in meinen Büchern und auch im Unterricht zu vermitteln versuche. Ich zeige den Menschen einfach, wie sie ihren Körper bewusster wahrnehmen können. Denn es gibt ein hohes Maß an Unbewusstheit in uns. In unserer gesamten Erziehung geht es immer nur um den Verstand und um ein paar Stunden pro Woche für Sport, der meist wettbewerbsorientiert ist. Aber niemand lehrt uns wirklich, wie man mit Anmut, mit Bewusstsein läuft, wie man mit Bewusstsein isst, was bedeutet, dass man langsamer wird. Wie man gut sitzt, wie man gut steht, wie man entspannt auf die Toilette geht. Im Allgemeinen sind wir also ziemlich unbewusst in unserem Körper. Und alles, was wir tun, ist ziemlich unbedeutend. Es geht darum, Bewusstsein in die täglichen Aktivitäten zu bringen, auch in das Liebemachen. Und wenn du anfängst, dem Körper wieder Vertrauen zu schenken, dann führt der Körper dich. Du lässt den Körper entscheiden, anstatt zu sagen: Halleluja, dies oder das sollte passieren. Beim konventionellen Sex geht es definitiv um Empfindungen und Intensität. Wenn du aber zum Körper kommst, musst du anfangen, an deinen Sinnen und deiner Sensibilität zu arbeiten anstatt an Intensität und Empfindung. Auf diese Weise geht es definitiv darum, sich auf den Körper einzustimmen und dem Körper das Vertrauen zurückzugeben.

Männer empfinden eine Menge Druck, wenn es um die Erektion geht.

TV: Wenn wir also über den Körper und die Rückkehr des Bewusstseins in den Körper sprechen, welche Rolle spielt dabei die Sinnlichkeit?

Diana: Nun, wenn wir in die Sinne kommen, werden wir sinnlich, und ich denke, es ist wichtig, zwischen Erotik und dem Versuch, Menschen zu stimulieren, zu unterscheiden, anstatt wirklich einfach nur in den Sinnen zu sein und die Liebkosung zu spüren und die Liebkosung aufzunehmen. Sinnlichkeit hat also oft einen sexuellen Beiklang. Auch das Wort Erotik gehört nicht wirklich zu meinem Wortschatz, aber es beinhaltet immer einen gewissen Reiz, eine gewisse Absicht, ein bisschen Sexualität. Das kommt alles aus dem Kopf. Und wir versuchen, uns gegenseitig zu stimulieren, uns anzutörnen. Es ist also eine ganz andere Art, die ganze Sache wahrzunehmen, und das ist wichtig, denn viele Menschen können mit konventionellem Sex nichts anfangen. Sinnlichkeit, wenn sie unschuldig ist, ist wunderschön. Aber oft berühren wir die Genitalien des anderen mit einer bestimmten Intention. Wenn beispielsweise eine Frau den Penis eines Mannes berührt, dann mit der Absicht, eine Erektion zu erzeugen, anstatt ihn einfach nur zu lieben, zu halten und Wärme zu senden. Männer empfinden eine Menge Druck, wenn es um die Erektion geht. Es ist eine große Belastung für Männer, die irgendwie als ein fester Bestandteil von Sex betrachtet wird. Und als Frauen versuchen wir, das zu unterstützen, wir versuchen, provokativ zu sein, um die Erektion zu erhalten. Wenn wir also unsere Art und Weise ändern, Sex zu haben, bedeutet das auch, dass Sex möglich ist, ohne in den Körper einzudringen oder ohne volle Erektion in den Körper einzudringen. Es stehen also sehr viele Türen offen. Und wenn Männer Frauen berühren, geht es oft um Stimulation, um den Versuch, sie anzutörnen.

Es kommt nicht darauf an, was man tut, sondern wie man es tut.

Sinnlichkeit ist essenziell. Aber bei Sinnlichkeit geht es mehr darum, was man tut. Und im Fall von Bewusstheit geht es gerade nicht darum, was man tut, sondern wie man etwas tut. Das ist also immer wieder unsere grundlegende Lehre: Es kommt nicht darauf an, was man tut, sondern wie man es tut. Aufgrund unseres Verstandes denken wir oft, dass es richtig oder falsch ist, dies oder das zu tun. In vielerlei Hinsicht sind die Elemente im Sex jedoch die gleichen. Aber wenn wir Bewusstheit hineinbringen, verändert das die Konstellation völlig. Wenn man etwas mit Bewusstheit tut, dann wird es durch diese Bewusstheit transformiert. Und dieses Gewahrsein an sich erzeugt Liebe. Wenn also ein Paar beginnt, körperlich und sexuell bewusster miteinander umzugehen, entsteht Liebe. Und das ist nicht nur Theorie, ich habe es oft genug in meinen Paar-Retreats in über 25 Jahren gesehen. Die Leute kommen, nachdem sie 30, 40 Jahre zusammen waren, und sie finden diesen Funken wieder. Aber es ist etwas, das aus dem eigenen Inneren kommt. Es ist, als würde man sich selbst auf eine tiefere Weise übertreffen. Und dadurch, dass man sich selbst näherkommt, gibt es natürlich eine Alchemie, durch die man sich mit der anderen Person verbinden kann. Es ist also eigentlich ein sehr einfacher Ansatz, das Bewusstsein in die Sexualität hineinzubringen, und das war‘s. Aber wir müssen uns noch viel abgewöhnen, denn die Menschen sind ziemlich darauf fixiert, wie sie es mögen und was sie wollen und was sie erwarten. Aber wenn die Menschen sich selbst eine Chance geben und experimentieren, dann können sie eine andere Welt erleben.

TV: Würdest du sagen, wenn wir die Art und Weise ändern, wie wir Liebe machen, nimmt das den Druck weg, den wir in der normalen, konventionellen Sexualität erleben?

Diana: Auf jeden Fall! Und das ist sehr wichtig. Ich habe bereits erwähnt, dass Männer unter einem enormen Druck stehen, wenn es um die Erektion und die Aufrechterhaltung der Erektion geht. Und auch Frauen stehen unter Druck. Wir neigen dazu, unseren Körper unter Druck zu setzen, ohne auf ihn zu hören, und erwarten bestimmte Dinge von ihm, aber es ist einfach eine Tatsache, dass sich das weibliche System langsamer erwärmt als das männliche System. Frauen brauchen also mehr Zeit. Aber es existiert dieser Druck bei der Erektion, ihn hineinzustecken, sobald der Mann bereit ist. Frauen wissen, dass sie mehr Zeit haben möchten, da können wir jede Frau fragen. Natürlich gibt es immer Ausnahmen, weil jeder Mensch das anders erlebt. Aber alle Frauen würden sagen, ich hätte so gerne ein bisschen mehr Zeit, bis ich mich bereit fühle. Diese Art und Weise, Sex zu haben, löst also wirklich eine Menge Probleme, die im Sexualleben der Menschen vorhanden sind. Aber sie bringen diese Probleme nie mit der Art und Weise in Verbindung, auf die sie Sex haben. Sie sehen es lediglich als ein Problem, bringen es aber nicht damit in Verbindung, dass, wenn sie eine andere Art und Weise ausprobieren würden, sich dieses Problem in Luft auflösen würde. Daher gehen wir, wenn die Leute zu uns kommen, nicht auf ihre Probleme ein. Wir bieten ihnen einfach eine ganz neue Art und Weise an. Und dann verschwinden die Probleme, denn sie entstehen durch die konventionelle, mit Druck belastete Art und Weise. Beide Geschlechter, Männer und Frauen, erfahren auf diese Weise definitiv viel mehr Entspannung, was dazu führt, dass sie mehr in ihre Körper gehen und sich einfach mehr Zeit geben können.

TV: Wenn es nichts zu erreichen gibt, dann ist das schon sehr entlastend und entspannend.

Diana: Ganz genau. Männer sind sehr darauf bedacht, dass sie der Frau einen Orgasmus verschaffen, bevor sie selbst einen Orgasmus haben. Frauen sind auch darauf bedacht, dass sie einen Orgasmus haben, bevor der Mann ejakuliert. Wenn man also sagt, dass der Orgasmus nicht wichtig ist, dass er eher eine Wahlmöglichkeit ist, dass er nicht der wesentliche Bestandteil von Sex ist, dann ist das sehr entspannend. Und das ist eigentlich das, was wir wollen: in einem entspannten Zustand sein. Denn, wenn man sich entspannt, hat man einen besseren körperlichen Zugang. Man kann sich mehr in den Körper hineinfühlen. Und es ist mehr ein Austausch, als wenn man nur einer Spur folgt.

TV: Das ist dann also eine tiefe Verbindung, die von innen kommt. Und der Körper führt dabei. Aber was ist die Rolle der Seele? Oder der beiden Seelen, die sich treffen?

Diana: Ich denke, man überlässt die Seelen einfach sich selbst. Man kommt einfach in den Körper und von dort aus regeln sich die Dinge. Wir neigen dazu, die Dinge ein bisschen kompliziert zu machen. Wenn wir wissen, wie wir Zugang zum Körper finden, und uns auf uns selbst einstimmen, dann öffnen sich Dinge auf verschiedenen Ebenen. Ich neige dazu, die Seele einfach sich selbst zu überlassen. Wir sprechen dann von einem anderen Konzept. Daran ist nichts falsch, aber es ist so einfach für uns, die Dinge zu komplizieren.

TV: Aber ist nicht dieser Seelenbereich in uns das Wichtigste, um einer Person zu begegnen und eine Verbindung herzustellen?

Diana: Da hast du völlig recht. Ich würde es aber eher den Teil des Seins nennen. Es geht darum, wie wir Zugang zum Wesen, zu dieser wesentlichen Qualität in jedem von uns finden. Und da kommt der Körper ins Spiel. Der Körper ist die Brücke zur Gegenwart. Der Körper ist auch die Brücke zum Sein. Und wenn du Körperbewusstsein hast, kannst du dich in deinem Körper entspannen, du bekommst Zugang zum Sein. Man lernt einfach, man selbst zu sein und sich von innen heraus zu fühlen. Und dann dehnen sich andere Qualitäten aus und entfalten sich.

TV: Das erinnert mich ein bisschen an diese Verschmelzung mit dem anderen.

Diana: Ja. Und auch dabei ist der erste Schritt, mit sich selbst zu verschmelzen. Und das ist nicht kompliziert. Die Leute denken, es sei schwierig. Gebt mir ein paar Tage mit Menschen, wenn sie physisch anwesend sind. Man kann den Leuten zeigen, dass es viele kleine Schritte gibt. In gewisser Weise ist es also ganz einfach. Viele von uns haben intuitiv diese Gefühle, aber wir trauen ihnen nicht genug und folgen der Intuition und den Impulsen des Körpers irgendwie nicht. Ja, es ist wie ein Verschmelzen im Inneren und dann ein Verschmelzen dazwischen und dann ein Verschmelzen darüber hinaus, ohne Ziel. Es ist einfach so, dass du in die Gegenwart kommst und dann geschehen diese Dinge aus dieser Gegenwart heraus. Man kann also nicht einfach sagen: Okay, lass uns zusammen verschmelzen!

TV: Besitzen Männer und Frauen eine vorherrschende Polarität?

Diana: Das ist eine komplexe Frage und ich kann jetzt nicht in allen Einzelheiten darauf eingehen, aber das Wichtigste ist, dass jedes Individuum männliche und weibliche Qualitäten hat. Das ist durch Chromosomenstudien und das 2.000 Jahre alte Tantra-Verständnis bewiesen, sodass jedes Individuum die Fähigkeit hat, Energie in sich zirkulieren zu lassen. Aber global gesehen ist die männliche Energie eine fließende, dynamische Energie, und mit dynamisch meine ich nicht aktiv, sondern nur die intrinsische Fähigkeit, auszufließen, und die weibliche ist rezeptiv und absorbierend und ich meine nicht passiv. Es sind zwei ähnliche Kräfte, die zwischen den Körpern wirken, wenn die Menschen darauf eingestimmt sind. Sie sind sozusagen komplementäre Kräfte. Wenn also die beiden Individuen sich verbinden und in den Körper kommen, geschehen diese Dinge auf ganz natürliche Weise. Die Frau hat diese Fähigkeit, zu empfangen, und der Mann diese Fähigkeit, zu fließen. Aber wichtig ist, dass wir beide Qualitäten haben. Nichts ist also schwarz oder weiß. Aber weil wir diese beiden Pole haben, können wir auch Energie in uns zirkulieren lassen.

Diana Richardson
loving silhouettes in sunset (series C)

Es kommen auch zunehmend diese Themen der Geschlechterfluidität und gleichgeschlechtlicher Paare auf. Meine Erfahrung ist jedoch heterosexuell. Und ich bin nicht gegen etwas, es ist einfach meine Erfahrung. Aber ich werde immer öfter gefragt, wie sich all diese Lehren auf andere Orientierungen und Situationen anwenden lassen. Ich habe Frauen unterrichtet, ich biete Frauen-Retreats und Single-Retreats an. Ich habe 1993 mit einigen schwulen Paaren in Mexiko Retreats durchgeführt. Und ganz ehrlich, für mich ist es ziemlich klar: Bewusstsein verändert alles. Wenn man sich in einer männlich-weiblichen Verbindung befindet, also in dem, was man als Cis-Geschlecht bezeichnet, mit dem man geboren wird, dann sprechen wir viel über genitale Verbindungen. Menschen mit anderen Orientierungen müssen Anpassungen vornehmen, die Lehre den Situationen anpassen. Und sie sollten auch erforschen und beginnen, uns zu informieren. Die Arbeit muss von diesen Menschen kommen. Sie müssen uns informieren, denn sie nutzen unsere Informationen und manchmal gibt es Kritik, dass was wir lehren nicht zu ihnen passt. Meine Grundaussage ist jedoch, dass zwei Menschen, die im Bewusstsein zusammenkommen, Liebe erzeugen können. Natürlich müssen sie Anpassungen vornehmen. Aber ich freue mich darauf, dass diese Menschen erforschen und ein Werk schaffen, das verfügbar ist.

TV: Ja, es wäre interessant, was sie darüber erzählen würden, wie sie das erleben.

Diana: Nun, ich habe ein Buch für Frauen geschrieben und darin gibt es ein Kapitel über gleichgeschlechtliche Beziehungen, denn ich habe einige Rückmeldungen erhalten, Briefe von Frauen, die einige der Prinzipien übernommen haben, die in meinem Frauenbuch, oder eigentlich in allen meinen Büchern, enthalten sind. Und sie sagen, dass es einen solchen Unterschied in Hinblick auf das Niveau gemacht hat. Es hat die ganze Sache einfach aufgewertet. Und diese Gruppe von schwulen Männern in Mexiko: Sie waren alle einfach hin und weg. Und das war nur ein Wochenende. Das Bewusstsein hat die Sache sofort verändert. Also, ja, es wäre interessant, mehr von diesen Leuten zu erfahren.

TV: Wir haben gesagt, dass es im Slow Sex nicht dieses Ziel wie den Orgasmus gibt, aber wir können ihn trotzdem haben, nehme ich an. Was ist der Unterschied zwischen gewöhnlichen Orgasmen und Orgasmen im Slow Sex?

Diana: Wir können immer einen Orgasmus haben, aber wenn wir präsenter, mehr mit unserem Körper verbunden und mehr in der Entspannung sind, wird das die Erfahrung verbessern. Wenn wir anfangen, den gegenwärtigen Moment zu erforschen, kann daraus das entstehen, was wir orgasmische Erfahrungen nennen. Eine orgasmische Erfahrung ist etwas völlig anderes als ein Orgasmus. Ein Orgasmus ist kurz, ein paar Sekunden, und dann ist er vorbei, während man bei einer orgasmischen Erfahrung quasi verschmilzt. Damit kommen wir zurück zu dem Verschmelzen. Man verschmilzt mit sich selbst und verliert die physischen Grenzen, man wird einfach eins und geht in die Zeitlosigkeit über. Und das ist eine Erfahrung, die einen ein Leben lang begleitet. Viele von uns haben diese Erfahrungen in der Natur, ganz natürlich. Aber in der Regel ist man immer auf sich allein gestellt. Das ist das Potenzial des Körpers. Wir haben dieses eingebaute Design, dass sich Energie ausdehnen kann, aber aufgrund von Konventionen komprimieren wir unsere Energie. Aber wenn wir uns entspannen, kann sich die Energie ausdehnen und uns über unsere physischen Grenzen hinaustragen. Das ist es, was wir die orgasmische Erfahrung nennen. Aber wie gesagt, das kann man nicht als Ziel setzen. Du kannst nicht daran arbeiten. Du kannst nur mehr präsent sein. Und nur wenn du im gegenwärtigen Moment vollkommen glücklich bist, kann eine solche Erfahrung geschehen. Es ist ein echter Segen, aber wir können ihn nicht jedes Mal erwarten. Du wirst vom Göttlichen berührt. Es ist eine ganz andere Art, die Dinge wahrzunehmen. Wenn man mehr Bewusstheit mitbringt, mehr Verbundenheit, wie Augenkontakt, Atem und so weiter, dann wird das zu einer besseren Erfahrung.

Es ist also wirklich wichtig, dass es nicht um Regeln geht. Du darfst dies nicht tun, du darfst jenes nicht tun. Das spaltet die Menschen, und wir sind alle gespalten genug. Es geht nur darum, wie wir bewusster sein können. Keinen konventionellen Orgasmus zu haben, ist eine Wahl, es geht nicht darum, dass das der einzige Weg ist. Aber ich möchte sagen, und das ist sehr wichtig, dass wir, wenn wir über das Ausbleiben der Ejakulation sprechen, nicht von Ejakulationskontrolle sprechen. Das ist etwas, was sehr oft gemacht wird. Man baut die Erregung wiederholt auf und drückt sie dann nach unten. Aber das hinterlässt einen solchen Stau und oft Schmerzen im männlichen Körper, dass es nicht gesund ist. Wenn also ein Mann kommen will, kann man sich mit den Augen verbinden, sagen, dass man kommen will, und es einfach zulassen. Aber es geht nicht darum, zu unterdrücken, es geht eher darum, die sexuelle Temperatur zu senken, damit man länger durchhält. Im Grunde ist unsere Vorstellung von Sex, je heißer, desto besser. Aber die Hitze führt zu all den Problemen, vor allem bei der männlichen vorzeitigen Ejakulation. Auch bei Frauen, wenn wir einen Orgasmus erzwingen, bauen wir eine Spannung auf, die auch den Mann dazu bringt, zu kommen. Wenn ein Orgasmus bei Frauen aber einfach passiert, also aufsteigt und sich im Körper ausbreitet, ohne etwas dafür zu tun, dann ist das sehr schön. Und dann wird diese Art von Orgasmus dem Mann auch keine Ejakulation abverlangen. Der Mann bleibt einfach dabei, reitet die Welle und ihr könnt weiter Liebe machen.

TV: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es zwei Arten von Orgasmus gibt: einen, der Energie kostet, und einen, der Energie oder ein Gefühl von Glück und Zentriertheit gibt. Und ich denke, wenn er Energie kostet, dann wird er missbraucht. Das ist dann diese konventionelle Art von Sex.

Diana: Ja, das ist richtig.

Das Interview führten Stefanie Aue und Ronald Engert.

Diana Richardson

Zur Interviewten:

Diana Richardson gilt heute als eine der führenden Autoritäten auf dem Gebiet der menschlichen Sexualität. Sie hat acht Bücher darüber geschrieben, wie ein Mensch auf praktische Weise ein erfüllteres Sex- und Liebesleben erleben kann.

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