Die Verbindung von Kunst, Magie und Heilen
Kunst gehört zu unseren ältesten spirituellen und heilerischen Wurzeln. Sie war und ist die Sprache der SchamanInnen, der Medizinmänner und -frauen, der HeilerInnen. Wir können uns an die alte Verbindung von Kunst, Magie und Heilen erinnern und sie zu einer Vision werden lassen, in der es um das Gestalten von Wirklichkeiten geht, um unsere Schöpfungskraft. Dann betten sich die Künste, die Kreativität in ein größeres Feld ein, dann wird es wieder eine ganzheitliche Verbindung, und dies braucht es gerade jetzt in diesen mächtigen Umbruchzeiten.
Menschen sind gestaltende, kreative, sich ausdrückende Wesen. Das waren sie immer schon. Der kreative Ausdruck ist unsere Muttersprache. Sich kreativ auszudrücken, ist zutiefst heilsam. Dabei geht es nie darum, dass unsere Stimme optimal ist, dass wir den Kriterien von irgendjemandem entsprechen oder unsere Bilder für den Kunstmarkt verwertbar sind. Heilsam ist es, wenn wir uns ausdrücken, das alleine ist es. Von unserem kreativen Ausdruck, von unserem alten Mutterland ist im Laufe unseres Lebens viel enteignet oder beschämt worden. Das ist schmerzhaft und ein großer Verlust für uns und für die Gesellschaft. Gerade in diesen herausfordernden Wandelzeiten braucht es die Kreativität von allen, deine und meine, die unserer Nachbarn und die all derjenigen, denen wir Kreativität erst mal gar nicht zuschreiben würden.
»Der kreative Ausdruck ist unsere Muttersprache. Sich kreativ auszudrücken, ist zutiefst heilsam.«
Wenn wir uns ermächtigen und gegenseitig ermutigen, uns unser altes Mutterland der Kreativität, des künstlerischen Ausdrucks wieder anzueignen und unsere kreative Muttersprache ganz zu uns zu nehmen, dann ist das ein großes Geschenk an die Gemeinschaft. Wie erfüllend ist es, wenn wir immer tiefer in den ganzheitlichen Ausdruck hineinwachsen, in die eigene Kraft, mit der wir unser unverwechselbares Sein ausdrücken. Wir bringen so viele Gaben mit, die sich danach sehnen, gelebt zu werden. Unsere kreativen Schatzkammern sind voll, auch wenn wir nicht gelernt haben, daran zu glauben. Es ist ein aufregendes Abenteuer, wenn wir bereit sind, uns auf unser ganzes Ausdrucksrepertoire einzulassen und es auszuschöpfen. Vielleicht durfte jemand musizieren, weil es als vielversprechend eingestuft worden ist, aber der Tanz wurde ihr abgesprochen. Bei anderen war es das geförderte Singen und die Beschämung der Bilder. Wir sind jahrzehntelang trainiert worden, zu werten, auf und ab, zu vergleichen, zu benoten. Das ist in unserem Kollektiv so und daraus erwächst eine kollektive Wunde. Bei mir wurde das Singen beschämt. Zweifel an meiner Stimme kamen auf und dann die Gewissheit, dass ich es nicht kann. Es gab immer dieses »im Vergleich zu …«. So habe ich lange Zeit kaum gesungen, es anderen überlassen und es in die hinterste Schublade weggepackt. Meiner Stimme wieder zu vertrauen, hat damit begonnen, dass ich für einen Stein und eine Katze gesungen habe. Sie haben mir geholfen, meine Stimme freizugeben und mir die Magie meiner Gesänge zurückzuholen.
Die Wiederentdeckung der uns innewohnenden Kreativität
Bei schamanischer Kunst betreten wir ein Feld mit völlig anderen Kriterien und Ausrichtungen als das uns angelernte und vertraute Kunstfeld. Am ehesten wussten wir noch als Kinder davon. Als Kind habe ich stundenlang tiefe, seltsame Töne von mir gegeben und riesige Flächen mit Zeichenteppichen überzogen, mich in Trance gesungen und alles knarzend benannt. Bewegung, Klang, Bild – alles war noch miteinander verknüpft. Viele Menschen finden ähnliche Beispiele aus ihren Kindertagen, die von diesem heilen Ausdruck erzählen. Was hat uns damals Freude bereitet? Wie war unser kreativer Ausdruck? Es ist eine Spurensuche, die uns zu wichtigen Schatzkammern führen kann.
Wir können Reisende und Forschende sein, die sich aufmachen, etwas wiederzuentdecken – neue Impulse in den Ländern der Kunst, freie Räume, zerbröckelnde Formdiktaturen, unsere Wahrheit, unseren authentischen, ganzheitlichen Ausdruck, unsere ganz eigene Lebensform. Wenn wir uns die Enteignung von Kreativität bewusst machen und sie anerkennen, betreten wir bereits einen Heilraum. Wir haben vieles vergessen, was erinnert werden will, zum Beispiel, dass Kreativität kein Gnadengeschenk ist, sondern dass es uns zusteht, ein kreatives Leben zu führen, nach unseren Visionen.
Viel ist in den Bildungsstätten passiert, in denen wir vereinbarte Codes erlernen mussten, in denen Intellekt gefragt war samt dem rationalen Zwang. Es ist ein langer Weg, konditioniert im jahrzehntelangen Schul- und Ausbildungswesen und in einem jahrhundertelangen abendländischen Infofeld. Aber wie die Kraft des Wassers, die irgendwann die größten Felsen ausspült und unterhöhlt, wird das stetige, sanfte Herausgehen aus dem Bewerten etwas bewirken. So wird es immer weniger, sich und andere zu beurteilen und uns zu vergleichen. Dann geht die Türe ins Feld schamanischer Kunst wieder auf. In dem Moment, wo wir Kunst als einen heilerisch-magischen Akt verstehen, beginnen wir, uns von Bewertungsschemen in Bezug auf Kreativität zu befreien.
»Kreativität gehört zu den kostbarsten Ressourcen von uns Menschen.«
Kreativität gehört zu den kostbarsten Ressourcen von uns Menschen. Wie unglaublich selbstschädigend ist es für eine Gesellschaft, sie zu schwächen? Kreativität ist allerdings auch extrem machtvoll und so wird es klarer, warum viele Machthabende nicht an zu großer freier Kreativität interessiert sind. Was würde denn passieren, wenn wir uns alle enteigneten Facetten unserer Kreativität wieder aneignen würden? Oder warum sollten wir alle unsere kreative Kraft nutzen? Weil es uns Menschen großzügig, froh, mutig und mitfühlend werden lässt.
Magie – eine Gestaltungskraft
Ursprünglich gehörten Kunst, Magie und Heilen zusammen. Alle Kunstrichtungen flossen zusammen, waren mit Ritual, Heilen, dem Leben und mit Spiritualität verbunden. Erst viel später kam es zu einer Trennung bis hin zum Gegensatz von Kunst/Kreativität vs. Magie vs. Heilen. Wir kennen die Trennungen überall, es gibt sie zwischen den Bereichen Kunst, Wissenschaft, Politik, Spiritualität, zwischen Kunst und Leben. Trennungen kennzeichnen die patriarchale Weise zu denken, zu leben und Gesellschaft zu organisieren. Trennung und Abgrenzung sind heutzutage in unserer Kultur und Gesellschaft viel vertrauter als Verbindung, als das Miteinander. Es ist höchste Zeit, in ein gelebtes Wir zu gehen und ein ganzheitliches, schöpferisches Narrativ für ein gutes Morgen zu kreieren.
»In der Magie weben wir Netze, wir stellen Verbindungen her, wir formen und verändern Bewusstsein und damit verändern wir Wirklichkeiten.«
Magie ist eine mächtige Gestaltungskraft. Sie zeigt uns, dass wir unsere Wirklichkeit enorm mitgestalten, dass wir SchöpferInnen unseres Lebens sind. Mit dieser Gestaltungskraft begreifen wir auch unser soziales Umfeld als gestaltbaren Raum. Über die Magie kommunizieren wir mit allem, mit den Elementen, den Steinen, Tieren und Pflanzen, mit den Zellen unseres Körpers, mit den Sternen. Gerade Kommunikation ist so wichtig, um einander zu verstehen, um unsere Geschichten zu heiligen, um uns zu verbinden, mit der Erde, mit unseren Körpern, mit all den uns umgebenden Feldern. Kommunikation fände ich eines der wichtigsten Fächer in Schulen. Die Basis für Tiefenkommunikation, für Magie und auch für unsere Schöpfungskraft ist das Verständnis, dass alles miteinander verbunden ist. In der Magie weben wir Netze, wir stellen Verbindungen her, wir formen und verändern Bewusstsein und damit verändern wir Wirklichkeiten. So lassen wir auch unsere Visionen Wirklichkeit werden. Kommunizieren heißt zuhören können, offen sein, Begegnung zulassen. In der Kunst, denke ich, geht es viel ums Erspüren, Erlauschen und dem dann eine Form geben. Die Fähigkeit zur Kommunikation gehört zur Magie, zur Kunst, zum Heilen.
Die Wahrheit erlauschen
Still werden, lauschen, in die Zeit hinein, in die Nacht, in die Winde, in die Weite des Universums. Horchen, loosen, luusen, das alte Orakel-Lauschen. So vernehmen wir die Antworten. Mir selbst zuhören, dem Leben zuhören, den Bäumen, dem Wind, den Tieren, den Vorbeiziehenden in den Straßen. Was kann ich wahrnehmen, wenn ich still werde und lausche? Nicht mehr sprechen, feinste Geräusche wahrnehmen. Was höre ich an Weisheit, an Verrücktheit, an Trost, an Mutmachendem, an Fragen und Antworten? Die Wahrheit auf allen Ebenen hören, in vielfältiger Weise und durch Zuhören immer mehr verstehen, von mir, von der Welt, von allem, was geschieht, was Leben ist. Die Wahrheit erlauschen. Der Stille und der Stimme des Herzens Zeit schenken. Das ist eine wunderbare Medizin, und sie ist selten geworden in unserer Gesellschaft, in der es nie still ist. Wenn wir Antworten suchen, brauchen wir das Lauschen. Vielleicht ist es sogar schmerzhaft, manch eine Wahrheit zu hören, vielleicht soll genau das vermieden werden. Es ist gut, an diesem Punkt hellwach zu sein.
Was sagen die Stimmen der Ahnen? Was erzählt unser Körper? Hören wir die unausgesprochenen Gedanken? Können wir mit dem Herzen hören? In der Stille kann ich nicht gesagte Wünsche und unausgesprochene Ängste hören und das, was zwischen den Worten gesagt wird. Die Sprache von Tieren, Pflanzen, Steinen, Ahnen, Spirits können wir verstehen, weil wir zuhören können. Wichtige Fragen sind: Wie kann ich auf meine Weise in die Stille eintreten? Was sind gute Zugänge zur Stille? Vielleicht die Meditation, das Unterwegssein in der Natur, eine Echolotung ins Land hinein, um die Mythen zu erlauschen, sich in den kreativen Ausdruck begeben und fließen lassen, was kommen mag. Jede Türe, die uns in den Raum des Lauschens bringt, ist eine gute Türe. Und unsere Fähigkeit zu hören ist heilsam, sie lässt das Mitgefühl für uns und andere wachsen. Es gibt die Gabe der Hellhörigkeit in uns allen, genauso wie die der Kreativität, wir können sie uns wieder bewusst machen. Unser kreativer künstlerischer Ausdruck wird zum magischen Akt, wenn wir lebendig pulsierende Verbindungen eingehen und uns dem Lebenstanz hingeben. Das Lauschen ist ein wichtiger Teil davon.
»Magische Sprache ist Symbolsprache, magisches Handeln ist rituelles Handeln.«
Im Ritual mit Tanz, Gesängen, Zaubersprüchen, Symbolen, Kraftgegenständen wird etwas in die Welt gesetzt, gewandelt, verbunden, gerufen, manifestiert. Magie ist zutiefst mit Kunst verbunden. Sie bedient sich einer bildhaft-magischen Sprache, einer poetischen Sprache. Sie benutzt Symbole und Metaphern. Sie arbeitet mit Strukturen, Formen und Bildern. Sie hat eine Bildsprache, eine Ritualsprache. Magie geht an und über Grenzen. Dort braucht sie die Sprache der Künste, wenn sie die unsichtbaren Welten konkret werden lassen will. Magische Sprache ist Symbolsprache, magisches Handeln ist rituelles Handeln. So wird die nicht alltägliche Wirklichkeit sichtbar und erlebbar.
Die Wurzelweisheit von Magie und von den Künsten ist ein sehr genaues, tiefes Wissen um kosmische Zusammenhänge. Es ist das Verständnis von Rhythmen, wie sie wirken, wie Natur, Universum, Leben in ihren natürlichen Rhythmen schwingen. Je mehr wir uns auf das Leben einlassen und uns ihm intensiv hingeben, desto mehr treten wir in Beziehung zu den Wesen und Kräften, die mit uns dieses Leben teilen. So wird die Kommunikation immer feiner, immer tiefer.
An dem Punkt stellt sich mir die Frage, ob ich mich wirklich auf das Leben einlasse. Ob ich ganz da bin. Ob ich mich vom Leben in der Tiefe berühren lasse. Denn nur so werde ich mich ganzheitlich und wahrhaftig ausdrücken können und meine ganz eigene künstlerische Sprache sprechen. Wie tauche ich wieder in den Rhythmus des Lebens ein, gerade wenn es wie abgeschnitten ist oder ich keinen Zugang zu meinem kreativen Potenzial finde? Ich kann hinausgehen und von der Natur lernen. Sie ist die große Rhythmenlehrerin und Heilerin. Alles in der Natur kennt lebensdienliche Rhythmen und Zyklen. Sie inspiriert die KünstlerIn in uns, sie führt uns zu lebendiger Kreativität, denn sie ist die kreativste Kraft, die wir auf dieser Erde erleben, die größte Künstlerin. Im Spiegel der Natur können wir unsere eigenen natürlichen Rhythmen erforschen. Sie zu kennen und ihnen zu folgen, sie zu ehren und zu hüten, ist sehr heilsam. Je unruhiger die Gewässer sind, desto wichtiger ist es, am Wind der eigenen Gezeiten und Pulsationen und Rhythmen zu segeln.
Das magische Tun in der Kunst
Am Beispiel von Bildern können wir ausloten, wie Kunst zum magischen Akt wird. Zuerst einmal ist es wichtig, wahrzunehmen, wenn sich eine Wertung über unser Gestalten legt. Bestenfalls gebe ich keine Energie hinein, weder indem ich die Abwertung leugne noch indem ich ihr glaube. Wie in der buddhistischen Praxis des Tonglen kann ich sie sehen, anerkennen, sie in mein Herz nehmen und wieder ausatmen. Wichtig ist auch, uns von Kriterien zu lösen, die nicht hilfreich sind, die nicht unsere sind. »Schön« ist so eines. Es ist nichtssagend, und dann wäre die Frage: »Sagt wer?« Wenn Kunst und Magie verbunden sind, wenn wir im Feld der heilenden Künste sind, dann braucht es andere Kriterien wie »stimmig, heilsam, kräftigend, berührend …«.
Vielleicht haben wir eine Idee, was wir malen oder zeichnen wollen. Im magischen Tun folgen wir dieser Idee, solange die Wege dafür offen sind. Wenn sich auf einmal alles sperrt und es nicht mehr stimmig ist, dann tun wir gut daran, dem zu vertrauen, was sich zeigt. Da geht es wieder darum, den natürlichen Rhythmen zu folgen. Wenn wir ihnen folgen, sind wir ganz nah an unserer Menschheitswurzel, dem Nomadischen. Die Natur lehrt uns, dem zu folgen, was auf natürliche Weise kommt – den wilden Herden, den Monden, dem Frühling – es ist sanft und weise und es sichert unser Überleben. Wenn wir uns dem natürlichen Wachstum hingeben, zeigen sich uns gute Wege. Dann werden wir um Zeiten der Stille wissen und um die Zeiten, in denen es gut ist, etwas kreativ und heilsam in die Welt zu bringen. Es wird auch leichter, wenn wir unser Wollen loslassen können. Zum Beispiel den Plan, eine Ente zu zeichnen. Was, wenn es immer so etwas wie ein Geisterfuchs wird? Im Schamanischen würden wir das Geistertier fragen, wer es ist, was es uns sagen möchte, warum es gekommen ist. Wir können unser Bild bereisen, die Landschaft darin erkunden, mit den Wesenheiten kommunizieren oder fragen, wie wir weitermachen sollen, was es noch braucht. Manch ein Bild möchte eine Nacht unter den Sternen sein, ein anderes Flusswasser spüren. Ein Bild begleitet uns sichtbar an der Wand einmal durchs Jahr oder eines ist nur dafür gemacht, ins Feuer zu gehen. Vielleicht geht damit eine alte Geschichte, die endlich ihren Frieden findet. Es gibt Bilder, die mächtige Erinnerbilder sind, Ermächtigungsbilder oder Samenbilder.
»Magie und unser kreativer Ausdruck haben immer etwas damit zu tun, in die eigene Mächtigkeit zu gehen.«
Der Tanz erzählt uns wiederum viel über Rhythmen. Welche tanze ich? Was sind meine ureigenen? Unser Tanz wird umso kraftvoller und schöner, je weniger wir durch äußere Impulse bewegt werden, sondern je mehr wir unseren eigenen Rhythmen folgen. Dann wird unser unverwechselbares Eigensein, unsere besondere kreative Weise sichtbar. Dann werden wir unsere Lieder, unseren Tanz, unsere Bilder, unsere Gedichte und unsere Geschichten ehren können, weil sie wahrhaftig sind, weil sie unser Leben ausdrücken. Magie und unser kreativer Ausdruck haben immer etwas damit zu tun, in die eigene Mächtigkeit zu gehen. Sich dazu ermächtigen, Mythen zu erfinden, ein Buch zu schreiben, Nein zu sagen oder Ja, das eigene Leben nach der eigenen Wahrheit zu leben, den eigenen Visionen zu vertrauen. Unsere Zeit braucht genau das so notwendig – unseren Mut, unsere Beherztheit, unsere Kraft und unsere Kreativität. Holen wir sie uns wieder zurück und leuchten wir in unserem eigenen Ausdruck und Sein.
Magie, Spiritualität, Kreativität sind immanent, ich kann sie leben oder nicht, sie sind da. Wie gut, wenn ich mir darüber bewusst bin und Verantwortung für das übernehme, was ich in die Welt setze. Das wäre dann anders als beispielsweise in der Werbung oder Politik, wo magisch Wirklichkeiten geschaffen werden und mit den Mitteln der Kunst manipuliert wird. Man bedient sich der Kreativität, beschwört, erzeugt Täuschungen, Illusionen. Was würde es denn verändern, wenn in den Medien positive, belebende Nachrichten zu hören wären, wenn die Welt und das Leben mit Worten voller Wertschätzung beschrieben würden, wenn Wortmagie voller Trost und Zuversicht gestreut würde? Wie schnell könnten Bilder, Zeichen oder Worte die Welt, die Wirklichkeit grundlegend verändern. Indem wir uns unserer Gestaltungskraft und ihrer Wirkmacht bewusst sind, können wir dem, was nicht lebensdienlich ist, etwas entgegensetzen. Das, was wir schmerzhaft vermissen, das können wir kreativ und gestaltend in die Welt singen oder in Bildern und Worten sichtbar machen.
Ich kann wortmagisch einen Teppich weben, auf dem meine Seele im Geisterland schlafen kann. Ich kann Bilder und Geschichten, Tänze und Klänge ineinanderspinnen und so Zauber ins Leben flechten. Und ich kann mit Heilkraft den Raum weit machen, damit alles sein darf, was ist, und sich wandeln kann. Von vielen Kulturen und alten Traditionen lässt sich lernen, wie kranke Menschen mit Tanz, bildnerischen Mitteln, mit Klang und Imagination geheilt wurden. Die Verbindung von Kunst, Leben, Ekstase, von alltäglicher und nicht alltäglicher Wirklichkeit war gewollt und lebendig. »Die wichtigsten Fragen in schamanischen Gesellschaften waren: Wann hast du aufgehört, zu tanzen? Wann hast du aufgehört, zu singen? Wann hast du aufgehört, dich von Geschichten verzaubern zu lassen? Wann hast du aufgehört, im Reich der Stille Trost zu finden? An den Punkten haben wir den Verlust der Seele erfahren.« (Gabrielle Roth)
Heilung durch Kunst
Warum ist die Verbindung von Kunst, Magie und Heilen gerade jetzt so wichtig? Das Zeitfenster, in dem sich unsere Gesellschaft bewegt, zeichnet sich durch eine bedrohliche Antwortlosigkeit auf viele existenzielle Fragen aus. Kunst in ihrer alten Verbindung könnte uns die Zugänge zu weisen Quellen und Antworten öffnen. Aus dem Raum des Gestaltlosen, Ungeborenen heraus schälen sich die Wege, um Situationen zu verändern und Krisen zu bewältigen. Es wäre der induktive Weg, aus tiefem, ungelenktem Zugang etwas in die Schöpfung zu bringen und darüber zum Erkennen zu kommen. Das vorherrschende Deduktive bringt keine Lösung. Die heilenden Künste gehen ins Fühlen, in die Traumzeit. Für das, was der Menschheit gerade abverlangt wird, ist es notwendig, die kreativ-schöpferischen Kräfte hervorzurufen, denn allein mit unserer Ratio kommen wir nicht weiter.
Um in etwas Neues hineinzugehen, braucht es etwas zutiefst Kreatives, Schöpferisches. Es geht nicht mit dem Kopf, die Denkbegrenzung ist unübersehbar. Kunst liefert einen Zugang. Sie lässt uns eintauchen in Urschichten, in die Leere, lässt uns erst einmal alles verlieren, alle Konzepte, alle Bilder, alles. Die Künste bringen uns dorthin, wo es möglich ist, uns mit allem, was war, was ist und was sein wird in Verbindung zu setzen. Sie öffnen uns für das, was sich erst im Bereich des Möglichen befindet, für alle Samen samt ihrem Potenzial. Kunst ist die allen innewohnende Möglichkeit, Leben kreativ zu gestalten. Es ist der schöpferische Akt des Gebärens. Dadurch wird es möglich, in neuen Zusammenhängen zu denken. Auf diese Weise können die Antworten gefunden werden, die es braucht. Die Lösungen, die sich zeigen, werden vielleicht unerwartet sein.
Wenn ich nirgendwo mehr Antworten finde, beginne ich zu tanzen und zu singen. Interessanterweise ist es vor allem das am meisten beschädigte meiner Heilwerkzeuge, die Singstimme, die mich am weitesten trägt. Ich besinge meine Wunden, gebe meinen Fragen ein Lied, öffne mir mit den Tönen neue Räume. Da ich aus Bayern komme, habe ich mir das Jodeln wieder angeeignet und damit die schamanischen Gesänge der Alpen gefunden. Im schamanischen Tanz oder Gesang lassen sich Türen öffnen. Es ist, wie wenn brackigem Wasser frische Energie, frisches Wasser zufließt oder ein fast ausgegangenes Feuer angefacht wird, damit es wieder wärmt, nährt und transformiert.
Kunst heilt, wenn sie einen authentischen, freien Ausdruck findet. Kunst ist eine Wissenschaft des Heilens. Sie versteht es, in einem rituellen Akt ganzheitlich zu transformieren. Das kreative Potenzial zu entdecken, bedeutet, die inneren Ressourcen zu nutzen, die Fähigkeiten zur Entfaltung zu bringen. In Bildern, Klängen, Tänzen kann sich das tiefste Wesen ausdrücken und Freiheit erfahren. Wenn wir die Schöpfungskraft locken, der Kreativität im magischen Ritual Ausdruck verleihen, in tiefster Eigenmacht unsere Wirklichkeit gestalten, wird es automatisch auch eine Heilarbeit sein. Wenn ich meine Spielräume erweitere, die begrenzten Räume und ihre Enge verlasse, kann sich eine geschlossene Situation wieder öffnen. Dann kann Neues entdeckt werden, können neue Lösungen gefunden werden, neue Handlungen möglich werden.
Kunst animiert, beseelt, gibt Impulse und Kraft. Die heilenden Künste sind Seelenmedizin, sie bringen alles zusammen. Sie haben die Kraft, die vorherrschenden Normen zu hinterfragen und andere Strukturen, Werte oder Identitäten zu schaffen. Zum Beispiel die einer anderen Identität von mir als Frau, als Kunstschaffender, Lehrender oder Forscherin. Wenn sich Lebenslust, Kunst und Heilweise miteinander entfalten, können ungeahnte Entdeckungen gemacht werden. Das Feld der Ermächtigung tut sich auf. Sich mutig den Raum nehmen und sich neu erfinden. Es wagen, neue Wege zu gehen und unbekannte Länder zu bereisen. Lustvoll das erwecken, was an Potenzial in einem ist. Niemandem gefallen müssen. Einfordern, was zu einem gehört, immer schon, was längst da ist. Erneuern, was man als Kind begonnen hat an wildem, freiem Sein. Auf die Visionen hören und erfahren, was sich durch uns gebären will.
»Lasst uns unsere ganze Kreativität nutzen, um unsere Wahrheit auf kreative Weise in eine praktische Umsetzung zu bringen.«
Kunstschaffen kann ein heilerischer Akt des Sich-Verbindens, der Hingabe sein. So wird Weisheit, Lebenskraft, Sinnlichkeit, Schöpfungsintelligenz ins Bewusstsein aufgenommen. Wenn sich etwas verkörpern darf im Tanz, im Gesang oder Bild, dann wird es gesehen, erlebt und kann sich integrieren. Es ist nicht länger abgeschnitten. Auf diese Weise heilen wir uns schöpferisch. Lasst uns unsere ganze Kreativität nutzen, um unsere Wahrheit auf kreative Weise in eine praktische Umsetzung zu bringen. Die SchöpferIn, die KünstlerIn ist gefragt. Mögen wir uns von den Musen küssen lassen. Mit unserer Kreativität können wir unsere Träume und Visionen Wirklichkeit werden lassen. Es braucht das Wissen um die Schöpfungskräfte und um die Kräfte, die etwas sterben lassen, die schöpferischen und die auflösenden Prinzipien und das Wissen um den ewigen Kreislauf.
Wie kann ich meine Träume in eine greifbare Form bringen? Wie kann ich kreativ etwas wandeln? Wo ist die Lebenskraftquelle für mich? Wie kann ich kreativ für meine Talente und meine Visionen über meine Begrenzungen hinausgehen? Wie kann ich mein Leben wertschätzend gestalten? Es sind hauchdünne Lebensfäden, die unser Netz kreieren. Es sind die Fäden unserer Erfahrungen, unserer Medizin, unseres Soseins. Großmutter Spinne sagt: »Du bist die Weberin.« Sie lehrt uns, wie wir Visionen gebären, wie wir uns aus Verstrickungen befreien, falls wir uns verfangen haben, oder wie wir unser Herzfeuer immer wieder neu entzünden. Und sie weiß, dass alle Fäden, alle Netze zusammen ein großes Gewebe bilden, das Welt und Wirklichkeit formt. Netze weben ist eine hohe Kunst. Wo verankern wir die äußeren Fäden so, dass unser Netz gut schwingt und stabil ist? Zu eng gewebt, vielleicht aus Angst, ist nichts und zu lose gewebt auch nicht. Es braucht die Sorgfalt, genug Spielraum und genug Stabilität. Die erfahrenen Handwerksleute wissen, wie es geht, damit es ein langlebiges, tragendes und starkes Netz wird. Nähren wir unsere Träume und Visionen, entscheiden wir uns dafür, sie mit praktischen Füßen zu gehen, sie in die Welt zu bringen mit all unserer kreativen Kraft, mit unserem Herzfeuer.
Wir können unsere Hände ehren, die so viel in die Welt bringen, mit denen wir so Wunderbares erschaffen und der Gemeinschaft so großartig dienen können. Gerade, wenn das Überleben so vieler Wesen und Erdteile bedroht ist, braucht es unser aller Schöpfungs- und Lebenskraft, um neue Wege zu gehen. Lasst uns unser altes Mutterland, unsere Ursprache wieder zurückholen, unseren Tanz, unsere Stimme, die Bilder, unseren ganzen Ausdruck in aller Freude!
Zur Autorin
Cambra Skadé erforscht als Künstlerin und Lehrende weibliche Weisheitswege und die heilenden Künste und webt daraus Bilder und Geschichten, die in ihren Büchern, im Blog und in Filmen zu sehen sind. Die Verbindung von Kunst, Magie und Heilen ist in ihren Arbeiten und in ihren Seminaren ein wichtiges Thema. Aus ihren Lebenslandkarten entstehen Mythenpoesien mit unterschiedlichen Mitteln und viel Alltagstaugliches.
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Bildnachweis: © Cambra Skadé