Wie wir mit mehr Fokus unsere Ziele erfolgreich erreichen
Nie zuvor stand der Mensch vor so vielen Ablenkungs- und Unterhaltungsmöglichkeiten wie in der gegenwärtigen Zeit. Warum es gerade deshalb so wichtig ist, die eigene Konzentration und Aufmerksamkeit zu schulen, um ein sinnerfülltes und erfüllendes Leben zu führen, verrät Dandapani, der zehn Jahre lang als Mönch lebte, in diesem Interview.
Tattva Viveka: Warum ist Konzentration so wichtig? Warum sprichst du über die Kraft der Konzentration in einer Zeit, in der es so viel geistige Ablenkung und Unaufmerksamkeit gibt?
Dandapani: Die Frage ist zunächst einmal, warum Konzentration so wichtig ist. Ich würde sagen, dass die meisten Menschen im Allgemeinen ein glückliches Leben führen oder zumindest glücklich sein möchten. Niemand wacht morgens auf und möchte sich unglücklich fühlen. Nein, die Menschen möchten glücklich sein. Wie werden wir glücklich? Wir streben nicht nach Glück, sondern wir werden glücklich, wenn wir etwas tun, was wir lieben, oder Zeit mit Menschen und Dingen verbringen, die wir lieben. Wenn ich meinen besten Freund/meine beste Freundin liebe und Zeit mit ihm oder ihr verbringe, bin ich glücklich. Wenn ich meine Tochter liebe und gerne Zeit mit ihr verbringe, macht mich das glücklich. Wenn Joe gerne Gitarre spielt, fühlt er sich glücklich, wenn er Gitarre übt. Der erste Schritt besteht darin, herauszufinden, was wir lieben und was uns glücklich macht. Der zweite Schritt besteht darin, dass ich mich, wenn ich mit meiner Tochter zusammen bin, gänzlich auf sie konzentrieren kann. Denn wenn ich zwar physisch bei ihr bin, mein Bewusstsein aber woanders ist, erlebe ich sie nicht. Und wenn ich sie nicht erlebe, wie kann ich dann dieses Glück, diese Freude und all die schönen Gefühle fühlen, die entstehen, wenn wir mit Personen und Dingen zusammen sind, die wir lieben? Wir fokussieren uns nicht um des Fokussierens willen, wir fokussieren uns wegen dem, was der Fokus uns gibt. Genauso verhält es sich mit der Meditation: Niemand wacht morgens auf, um zu meditieren, also nur um zu meditieren. Man meditiert wegen der Nebeneffekte der Meditation. Was gibt uns die Meditation? Sie gibt uns ein Gefühl der Ruhe, ein Gefühl des Friedens, ein Gefühl der Zufriedenheit und die Möglichkeit, Kontrolle über unser Leben zu haben.
»Wir konzentrieren uns, damit wir voll und ganz erfahren können, wen und was wir lieben.«
Genauso verhält es sich mit der Konzentration: Wir konzentrieren uns, damit wir voll und ganz erfahren können, wen und was wir lieben. Wenn ich zwei Stunden mit meiner Tochter verbringe, bin ich zwar physisch zwei Stunden lang bei ihr, aber geistig bin ich woanders. Ich erlebe sie nicht, ich fühle keine Freude, ich fühle kein Glück. Wenn ich am Ende meines Lebens ankomme, blicke ich zurück und sage: »Wow, das war ein leeres Leben.« Der Fokus erlaubt mir jedoch, das zu erleben, was ich liebe. Deshalb möchte ich ein fokussiertes Leben führen, damit ich ein reiches Leben führen kann. Nicht finanziell reich, aber ein Leben voller lohnender Erfahrungen. Das Entscheidende ist, dass, wenn man sagt: »Viele Menschen sind heute abgelenkt« – und das sind sie – und »sie sollten lernen, sich zu konzentrieren«, kaum ein Mensch das tun wird. Aber wenn man ihnen einen Grund gibt, warum sie sich konzentrieren sollten, den wahren Grund, dann werden sie es tun. Wenn ein Elternteil zu seinem Kind sagt: »Du bist so abgelenkt, du musst dich konzentrieren«, wird sich das Kind fragen: »Warum soll ich mich konzentrieren?« Aber wenn man ihm sagt, dass, wenn du dich konzentrierst, du ein besserer Basketballspieler oder ein besserer Fußballspieler oder ein besserer Musiker werden, oder du eine höhere Punktzahl in deinem Videospiel erreichen kannst, dann stimmt es zu und möchte lernen, sich zu konzentrieren.
TV: Wir brauchen praktische Beispiele, und wir müssen wissen, wohin sie uns führen.
Dandapani: Ja, und wenn es im Leben von jemandem nicht anwendbar ist und zu keinem besseren Ergebnis führt, gibt es auch keinen Grund, sich etwas anzueignen. Das ist, wie wenn du zu mir sagst, ich solle Brokkoli essen, und ich dich nach dem Grund frage, denn ich will keinen Brokkoli essen. Doch wenn du mich überzeugen kannst, wohin es mich führt und wie es mein Leben verbessert, dann werde ich es tun. Das liegt in der menschlichen Natur, wir sind alle so. Wenn ich dir sage, dass auf der anderen Seite des Hügels ein Goldtopf steht, dann kletterst du auf den Hügel und gehst auf die andere Seite, um den Goldtopf zu holen.
TV: Fokus ist der Weg, wie wir unseren Lebenszweck erreichen, nicht wahr?
Dandapani: Ja, genau, denn um deine Bestimmung zu erkennen, musst du in der Lage sein, dich lange genug konzentrieren zu können, um den Zustand der Selbstreflexion aufrechtzuerhalten. Der einzige Weg, deine Bestimmung zu erkennen, ist, in dich hineinzuschauen und dich zu fragen: Was macht mich glücklich, was treibt mich an, was ist meine Leidenschaft? Warum bin ich hier? Aber wenn ich mich nicht konzentrieren kann und zu mir spreche: »Gut, ich nehme mir heute Morgen zehn Minuten Zeit, um über mein Leben nachzudenken, um zu erkennen, was mir wichtig ist«, dann passiert folgendes: Ich setze mich zehn Minuten lang hin und führe folgenden Monolog: Also, Dandapani, was macht dich glücklich? Wofür begeisterst du dich? Es ist elf Uhr vormittags, also sollte ich mich wirklich mit dem Mittagessen befassen, vielleicht die Reste von gestern, ja, ich denke, das ist okay, vielleicht gibt es etwas anderes zum Abendessen. Ach ja, richtig, worum geht es in meinem Leben? Das Telefon piept, hat mir jemand eine Nachricht geschickt? Ich sollte meine Nachrichten abrufen, vielleicht ist es ein wichtiger Anruf, vielleicht komme ich zu spät zu dem Interview, zu dem ich pünktlich sein sollte. Nein, ich sollte über mein Leben nachdenken …
Das ist der Grund, warum die Menschen nie herausfinden, was sie im Leben wollen, denn das Bewusstsein springt immer überall hin. Es kann nicht lange genug bei dem bleiben, mit dem es sich beschäftigt, oder bei sich selbst, um zu wissen, was man im Leben will. So gehen die meisten Menschen durch das Leben. Wenn du ihnen die einfache Frage stellst, was ihr Lebensziel sei, können sie dir keine klare Antwort geben, weil sie es gar nicht wissen.
TV: Also, wir finden unseren Lebenszweck heraus, indem wir uns lange genug darauf konzentrieren.
Dandapani: Wenn ich dich zum Beispiel kennenlernen möchte, wie würde ich das tun? Ja, ich kann dich googeln oder auf LinkedIn suchen und ein wenig etwas erfahren, aber wenn wir uns einmal in der Woche treffen und jeden Freitag ein oder zwei Stunden zusammen Kaffee trinken, dann kennen wir uns nach einem Jahr wirklich gut. Du weißt daraufhin, was ich gerne esse, was ich gerne trinke, welche Musik ich mag, was mich glücklich macht, was mich traurig macht. Ich weiß dasselbe über dich, aber ich kann dich nur kennenlernen, wenn ich Zeit mit dir verbringe, und in dieser Zeit kann ich mich auf dich konzentrieren und die richtigen Fragen stellen. Aber wenn ich mich nicht auf dich konzentrieren kann, wenn ich mit dir zusammensitze, und mich ständig umschaue und sage: »Schau dir diesen Vogel an, das ist interessant, den habe ich noch nie gesehen, oh, was hast du noch mal gesagt?« Auf diese Weise würde ich dich nie kennenlernen, und so ist es auch mit den Menschen selbst, sie lernen sich selbst nie kennen, weil sie sich nicht lange genug konzentrieren können. Einer der wichtigsten Aspekte, die ich in meinem Buch hervorhebe, steht in den ersten beiden Kapiteln, in denen ich begründe, warum wir lernen sollten, uns zu konzentrieren. Ich muss die Leser:innen davon überzeugen, wie dies ihr Leben verändern wird. Ihnen das Fokussieren beizubringen ist zweitrangig, zuerst muss ich sie dazu bringen, zu verstehen, wie dies ihr Leben wirklich verändern wird, und wenn sie es erst einmal gesehen haben, dann werden sie es annehmen, dann werden sie es lernen wollen. Aber ihnen nur zu sagen, dass sie sich fokussieren sollen, weil sie abgelenkt sind, ist wie, wenn ich mir vornehme, mich besser zu ernähren, mehr zu trainieren …
TV: Du hast uns gesagt, dass die Konzentration ein echter Game Changer ist, aber kannst du weiter vertiefen, warum sie ein Game Changer ist? Warum sollten die Leser:innen motiviert sein, dein Buch zu lesen? Ich denke, es geht auch um Bewusstsein, Bewusstsein für den Körper, Bewusstsein für das, was wir tun. Ist das etwas, das wir vergessen haben?
Dandapani: Stell dir vor, die meisten Menschen in der westlichen Welt haben einen Job, sie gehen zur Arbeit, sie arbeiten hart, sie verdienen Geld, um Rechnungen zu bezahlen: die Miete, das Auto und die Krankenversicherung. Mit dem zusätzlichen Geld, das sie haben, gönnen sie sich selbst etwas, etwa ein nettes Abendessen mit Freunden oder einen Urlaub mit der Familie. Aber stell dir vor, du gehst essen, verwendest dein Geld für ein Abendessen mit engen Freunden und Verwandten und schaust die ganze Zeit nur auf dein Handy, weil du dich nicht einmal auf dein Gegenüber konzentrieren kannst. Oder du bist abgelenkt und schaust dich ständig um. Oder du fährst in den Urlaub, beispielsweise nach Venedig, aber die ganze Zeit schaust du auf dein Handy, bist ständig abgelenkt und nimmst nie wirklich etwas in deinem Leben wahr. So verbringen viele Menschen ihr Leben, den ganzen Tag, ohne sich damit zu beschäftigen, mit wem oder was sie zusammen sind. Sie machen nie ernsthafte tiefe Erfahrungen im Leben, weil sie geistig immer woanders sind, und so wird ihr Leben sehr unerfüllt, und dann erreichen sie ihre 30er, 40er und 50er Jahre und fühlen sich leer – leer in ihrem Leben, denn sie haben nie reiche Erfahrungen erlebt, weil sie sich nicht lange genug auf die Erfahrung konzentrieren konnten, zum Beispiel wie das Essen schmeckt, weil sie so damit beschäftigt waren, ein Foto vom Essen zu machen, anstatt es zu probieren. Ich schaue mich um. Die Menschen sind äußerst unzufrieden und unerfüllt, weil sie nicht einmal die Erfahrung machen können, mit jemandem zusammen zu sein, weil sie so abgelenkt sind. Selbst das Essen, der Genuss eines Getränks, sei es ein Glas Wein oder ein Smoothie oder eine Mahlzeit, ein Spaziergang im Park. Viele gehen in den Park, spazieren mit dem Hund, hören einen Podcast und scrollen gleichzeitig durch Instagram, anstatt einfach nur den Park zu genießen. Müssen wir uns wirklich auch noch diesen Podcast anhören? Ich meine, das ist doch verrückt, oder?
»Der Geist bewegt sich nicht, das Bewusstsein bewegt sich im Geist.«
TV: Du glaubst also nicht, dass Multitasking möglich ist?
Dandapani: Nein, das ist es nicht. Wenn du das Buch liest und weißt, wie der Geist funktioniert, wirst du es verstehen. Der Geist bewegt sich nicht, das Bewusstsein bewegt sich im Geist. Multitasking bedeutet, dass sich mein Gewahrsein mit zwei Dingen beschäftigt: hin und her. Es ist ein Multiswitching, mein Lichtball ist bei A und dann wechselt er zu B, und dann wechselt er zu A und dann wechselt er zu B.
Mein Lichtball, mein Gewahrsein in meinem Verstand, kann nur an einem Ort zur gleichen Zeit sein. Wenn ich in Hamburg bin, erlebe ich Hamburg; ich kann so nicht München oder Frankfurt oder Stuttgart oder Berlin oder irgendeinen anderen Ort erleben. Aber wenn ich von Hamburg nach München ziehe, dann erlebe ich München, ich erlebe nicht mehr Hamburg. Ich kann nicht in zwei Städten gleichzeitig sein. Der Geist ist nicht anders. Das Bewusstsein kann zu einem bestimmten Zeitpunkt nur in einem Bereich des Geistes sein. Ich bin voll mit dir oder mit dem Podcast beschäftigt, ansonsten wechsle ich nur hin und her, und je mehr ich das übe, desto besser werde ich im Wechseln. Wenn ich nun nach Hause gehe, habe ich den ganzen Tag lang das Hin-und-her-Wechseln geübt, also acht Stunden Multitasking. Nun gehe ich nach Hause, verbringe Zeit mit meiner Tochter, und was glaubst du, geschieht in meinem Kopf? Ich erlebe ein ständiges Hin-und-her-Schalten, denn man wird gut in dem, was man übt. Ich sitze bei meiner Tochter, und mein Bewusstsein will zu etwas anderem springen. Meine Tochter spürt und sieht meinen physischen Körper, aber geistig sieht sie mich an und sagt: »Papa, wo bist du?« Ich weiß es nicht, ich bin hier, sie spürt mich nicht, denn worauf sich mein Bewusstsein richtet, dahin fließt meine Energie. Meine Energie fließt nicht mehr zu meiner Tochter, sie fließt dorthin, worauf sie fokussiert ist. Mein Gewahrsein geht in meinen Geist. Sie erlebt ihren Vater nicht mehr, auch wenn ich physisch bei ihr bin.
TV: Wie können wir das Hin-und-her-Wechseln stoppen?
Dandapani: Wenn wir uns konzentrieren – wenn wir uns darin üben, immer nur eine Sache zu tun, also das Gewahrsein immer nur auf eine Sache zu richten. Je mehr ich übe, desto besser werde ich. Der Geist weiß nicht wirklich, was gut für dich ist oder nicht, bis du ihn erziehst. Wenn mein Verstand wüsste, was gut für mich sei, wäre ich heute perfekt. Ich hätte ein Sixpack, ich wäre fit, stark, würde fünf Meilen laufen. Ich habe nichts von alledem, ich kann keine fünf Meilen laufen, weil mein Verstand mir sagt, iss die Pommes, die sehen toll aus, und nimm noch ein Stück Pizza und noch ein Bier, das ist okay. In allem, was ich immer und immer wieder wiederhole, werde ich gut. Mein Buch handelt letztlich davon, zu lernen, eine Sache nach der anderen zu praktizieren. Wenn ich bei dir bin, bin ich ganz bei dir. Wenn mein Lichtball abdriftet, bringe ich ihn zurück, er driftet ab, ich bringe ihn zurück. Ich übe das immer und immer wieder, und ich bringe es in meinen ganzen Tag ein. Wenn ich mit meiner Tochter oder meiner Frau oder einem Kunden zusammen bin oder mit einem Mitarbeiter spreche, schenke ich ihm oder ihr meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Genauso verhalte ich mich in meinen Workshops. Ich frage die Teilnehmer immer, wie viele Menschen abgelenkt sind. Die meisten heben dann die Hand, woraufhin ich frage, wer wirklich ein Meister darin sei, abgelenkt zu sein. Viele heben die Hand, und ich frage wiederum, wie viel Mühe es sie kostet, sich jeden Tag abzulenken, und sie sagen: »Es kostet mich überhaupt keine Mühe, ich bin einfach so gut darin.«
Warum sind sie so gut darin? Weil der Muskel auf diese Weise trainiert worden ist. Alles, was ich tue, ist, den Muskel zu trainieren, um konzentriert zu sein. Ich bin gut in der Konzentration, nicht weil ich etwas Besonderes bin oder weil ich als Mönch gelebt habe oder irgendetwas anderes Einzigartiges. Ich bin gut in der Konzentration, weil es das ist, was ich praktiziere. Ich kann hier sitzen und dir meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken, das macht mich nicht zu einem besonderen Menschen, es ist einfach das, was ich geübt habe, und du wirst gut in dem, was du übst. Wir können Kindern beibringen, dies zu üben, wir können es Erwachsenen beibringen. Jeder kann es lernen, jeder kann es üben und wirklich gut darin werden. In meinem Buch geht es darum, zu verstehen, wie der Geist funktioniert, zu lernen, was es bedeutet, sich in Konzentration zu üben und die Praxis in den Alltag zu bringen. Wie kann man dies am besten tun? Wenn ich dich bitte, morgens aufzuwachen und zu meditieren und Yoga zu machen, dann setzt du das vielleicht ein paar Tage lang um und irgendwann hörst du vielleicht wieder auf. Aber jeden Tag sprichst du mit den Menschen, die du liebst, also wenn du einen Partner, eine Partnerin oder ein Kind hast, sprichst du mit ihnen. Jeden Tag putzt du hoffentlich deine Zähne. Konzentriere dich also in der Praxis auf die nicht verhandelbaren Dinge, und darüber spreche ich in meinem Buch. Identifiziere die nicht verhandelbaren Dinge und lass sie zu deiner Praxis werden. Jeden Tag putzt du dir zwei Minuten lang die Zähne. Anstatt dir die Zähne zu putzen und auf dein Smartphone zu schauen, putz dir einfach die Zähne. Das sind zwei Minuten Übung in Konzentration. Wenn ich mit meiner Tochter zwei bis drei Stunden am Tag spreche, bekommt sie meine volle Aufmerksamkeit. Dies sind also drei weitere Stunden in Konzentrationsübung. Was passiert nach sechs Monaten? Ich werde gut in Konzentration.
TV: Welche Rolle spielt die Willenskraft im Zusammenhang mit der Konzentration?
Dandapani: Ich gebe eine einfache Definition von Willenskraft. Ich nenne sie in meinem Buch einen geistigen Muskel, ich könnte also einen Bizeps um meinen Verstand herum zeichnen. Wenn ich mit dir spreche und meine Aufmerksamkeit abzuschweifen beginnt, obwohl ich dich ansehe, benutze ich meine Willenskraft, um meine Aufmerksamkeit zu dir zurückzubringen. Wenn sie wieder abdriftet, bringe ich sie mit meiner Willenskraft wieder zu dir zurück. Dann nutze ich meine Kraft der Konzentration, um meine Aufmerksamkeit, meinen Lichtball, bei dir zu halten. Deshalb entwickeln wir Willenskraft und darauffolgend entwickeln wir Konzentration. Auf diese Weise können wir kontrollieren, wohin die Aufmerksamkeit im Verstand geht. Dies sind die beiden Qualitäten, die wir brauchen, um die Aufmerksamkeit im Verstand zu kontrollieren. Mein Buch zeigt, wie wir Willenskraft und Konzentration entwickeln können. Es gibt einfache und praktische Wege, dies zu tun – sowohl für Kinder als auch für Erwachsene.
TV: In deinem Buch ziehst du den Vergleich zwischen der Aufmerksamkeit und einem Hund. Du sagst, die Aufmerksamkeit ist entweder wie ein trainierter Hund, wie ein Hund an der Leine oder wie ein nicht trainierter Hund, der frei herumläuft.
Dandapani: Das Bewusstsein der meisten Menschen verhält sich wie ein untrainierter Hund, der nicht an der Leine geführt wird. Man sieht sie im Park, wie sie wie verrückt durch die Gegend rennen, man kann sie nicht kontrollieren. Das Bewusstsein der meisten Menschen ist so, sie springen im Geist herum wie ein verrückter Hund, unkontrolliert, schnüffeln hier, schnüffeln dort, hören hier ein Geräusch, rennen dorthin. Das ist anstrengend. Es ist traurig, weil uns das niemand in der Schule beibringt. Das ist nicht kompliziert. Ich unterrichte keine Wissenschaft oder Biologie, ich lehre nichts über Serotonin, den präfrontalen Kortex oder die linke oder rechte Gehirnhälfte. Wir müssen uns nicht mit Biologie befassen, man braucht nur ein einfaches Verständnis. Wenn du Auto fährst, lernst du dann, wie die Kraftstoffeinspritzung funktioniert? Nein. Du weißt, wie man einparkt, fährt, links abbiegt, rechts abbiegt, bremst, Gas gibt – und los geht’s. Du musst auch nicht wissen, wie die Kugellager funktionieren oder wie das Kühlmittel in den Motor gelangt, um ihn zu kühlen. Nein, mit dem Verstand selbst machen wir die Dinge kompliziert.
TV: Aber du schreibst gleichzeitig, dass es wichtig sei, eine klare Terminologie des Geistes und des Bewusstseins zu haben.
Dandapani: Ja, denn jeder Lehrer, jeder Erzieher, jeder Schriftsteller verwendet diese Worte anders. Wenn du mein Buch liest, werde ich zu Beginn jeder Lektion und jedes Kapitels die Begriffe definieren, damit wir dasselbe Verständnis haben können. Ich muss uns alle neu kalibrieren, damit wir den gleichen Kompass benutzen, damit wir verstehen, wie die Mechanik des Geistes funktioniert. Die Menschen verwenden diese Worte sehr locker. Manche sagen, wenn sie sich mit gekreuzten Beinen hinsetzen, die Augen schließen und atmen, dass sie dann meditieren. Das ist ihre Meditation. Manche Menschen sagen, wenn sie malen, ist das ihre Meditation. Jetzt sagt die nächste Person zu mir: »Wenn ich reiten gehe, das ist meine Meditation.« Eine andere Person sagt: »Wenn ich in meinem Garten bin, ist das Meditation.« Was zum Teufel ist dann Meditation? Die Menschen benutzen ein Wort, um hundert Dinge zu beschreiben, die völlig unterschiedlich sind. Ihr schreibt. Stellt euch vor, ich grabe ein Loch in meinem Garten und würde sagen, ich schreibe auch. Ist das richtig? Nein, das ist nicht richtig. Ich grabe ein Loch, ich schreibe nicht. Warum nennen die Menschen es Meditation, wenn sie mit ihrem Hund spazieren gehen oder malen? Das ist keine Meditation, es ist ein Spaziergang mit dem Hund oder das Malen. Es ist wichtig, die richtige Terminologie zu verwenden, um ein klares Verständnis und ein gemeinsames Vokabular zu haben. So verstehen wir im Rahmen der gemeinsamen Arbeit, wie die Mechanismen des Geistes funktionieren.
TV: Du schreibst, dass die Kraft des Fokus das Instrument für die Manifestation sei. Was ist damit gemeint? Ich glaube, die meisten Menschen möchten nicht lernen, sich zu konzentrieren, sondern sie möchten ihre Träume manifestieren.
Dandapani: Wie läuft’s damit? Nicht so gut, oder? In meinem Buch gebe ich ein Zitat meines Gurus wieder: »Wo die Aufmerksamkeit hingeht, dorthin fließt auch die Energie.« Wenn meine Aufmerksamkeit zu dir geht, dann fließt meine Energie auch zu dir. Ich sage in meinem Buch, dass unser Leben eine Manifestation dessen ist, worein wir unsere Energie investieren. Es gibt einen einfachen Weg, das zu betrachten: Ich betrachte Wasser auf die gleiche Weise wie Energie. Wenn ich ein Gartenbeet habe und möchte, dass die Blumen wachsen, muss ich das Gartenbeet gießen. Wenn ich Wasser einfach in den Garten gieße, wachsen sowohl das Unkraut als auch die Blumen. Das Wasser macht keinen Unterschied zwischen den Blumen und dem Unkraut. Wenn du im Leben willst, dass sich etwas manifestiert, musst du Energie hineinstecken, nicht Zeit. Wie setze ich Energie ein? Ich bewege meine Aufmerksamkeit dorthin, ich bewege meinen Lichtball dorthin, denn wo meine Aufmerksamkeit hingeht, dorthin fließt auch meine Energie. Wenn meine Aufmerksamkeit in einen Bereich meines Geistes fließt, dann fließt meine Energie dorthin, und dieser Bereich des Geistes wird stärker und stärker. Alles manifestiert sich zuerst auf der mentalen Ebene, bevor es sich auf der physischen Ebene manifestiert. Ich überlege mir, dass ich unbedingt nach Venedig möchte, dann beginne ich zu googeln, zu recherchieren und zu lesen, schließlich kaufe ich ein Ticket, steige ins Flugzeug und fliege nach Venedig. Aber es begann im Geist.
»Alle Manifestationen finden zunächst im Geist statt, bevor sie sich physisch äußern.«
Alle Manifestationen finden zunächst im Geist statt, bevor sie sich physisch äußern. Aber um etwas intensiv im Geist zu kultivieren, muss man die Aufmerksamkeit so lange darauf richten, dass genug Energie in diesen Bereich fließen kann. Wenn ich ein Gartenbeet zwei Sekunden lang gieße und dann den Schlauch woanders hinhalte, werden meine Pflanzen wachsen? Nein. Wir legen aktuell einen 33 Hektar großen botanischen Garten an, also weiß ich, wie man gießt. Ich muss das Wasser lange genug auf einen Punkt richten, damit die Pflanze genug Wasser bekommt, vor allem in der Trockenzeit, damit die Wurzeln durchnässt sind und somit wachsen können. Manifestation ist ein Nebenprodukt davon, dass man Energie in etwas steckt, also Energie lange genug auf etwas konzentriert. Natürlich ist das nicht das Einzige. Wir brauchen einen Plan, eine Struktur, wir brauchen eine Menge Dinge. Aber der erste Schritt besteht darin, die Energie zu bündeln. Wenn ich meinen Garten überall gieße, wird nichts wachsen. Aber wenn ich den Schlauch auf die Pflanzen richte, werden die Pflanzen wachsen. Die Konzentration des Bewusstseins ist so, als ob man den Schlauch auf eine Pflanze hält und nicht das Wasser überall verteilt. Wenn die Pflanze genug Wasser bekommt, wenn der Geist genug Energie bekommt, entwickelt er sich immer weiter, und dann hat man sowohl mehr Einblick in den Bereich des Geistes als auch Klarheit darüber.
TV: Das war ein sehr schönes Beispiel. Du sprichst über ein anderes Konzept als viele spirituelle Lehren. Du sagst, dass man das, was einem wichtig ist, nicht in die Hände von »Gott« oder »dem Universum« legen sollte, doch dies ist eine weit verbreitete Denkweise unter spirituellen Menschen. Warum sagst du, dass das nicht der Weg sei, wie wir das Leben, das wir uns wünschen, unsere Zukunft oder sogar unser Schicksal manifestieren können?
Dandapani: Die meisten spirituellen Menschen, und ich kann sagen, dass ich mein ganzes Leben lang in dieser Branche tätig war, jetzt bin ich 49 Jahre alt, haben sich verpflichtet, sich nicht zu verpflichten. Sie hassen es, sich zu etwas zu verpflichten. Es ist einfacher, hier zu sitzen und zu sagen, ich werde nichts tun, das Universum wird mich führen. Wenn die Zeit reif ist, wird alles so geschehen, wie es soll. Also, was ist das Universum? Schlag es im Wörterbuch nach. Du wirst lesen, dass es ein Sonnensystem ist, die Galaxien … Also, du willst mir im Grunde erzählen, dass Saturn, Pluto, Jupiter, all diese Planeten am Wochenende ein Treffen abhalten und sagen: »Wir müssen überlegen, wie wir Alices Ziele manifestieren können.« Glaubst du, dass das wirklich geschieht? Wie läuft es bis jetzt damit? Es wäre wirklich erstaunlich, wenn sie das tun würden!
TV: Wenn das der Fall wäre, würden wir nicht so viel Verantwortung auf uns nehmen. Wir geben die Verantwortung gerne ab.
Dandapani: Das ist ganz einfach. Dann brauchst du dir keine Sorgen zu machen, dass du versagst. Als mein Guru mich im Kloster unterrichtete, hat er mir die Last der Verantwortung aufgebürdet. Und deshalb liebe ich ihn so sehr. Die Menschen übernehmen nicht gerne Verantwortung, denn wenn ich die Verantwortung dafür übernehme, dass mein Leben in meinen Händen liegt, dann werde ich garantiert versagen. Denn niemand scheitert nie, jeder scheitert einmal. Selbst der erfolgreichste Mensch. So muss ich mich dem Scheitern stellen, ich muss hinfallen, ich muss mich wieder aufraffen, weitermachen, tausendmal hinfallen und mich wieder aufraffen. Es liegt alles an mir, und das wollen viele Menschen nicht tun. Es ist einfacher zu sagen: Das Universum wird mich leiten, das Universum kümmert sich darum, und Gott weiß es. Sie benutzen nicht gerne das Wort Gott, weil es nicht koscher ist, sie sagen einfach »das Universum«. Das Universum wird mich leiten, und somit übertragen sie dem Universum die Verantwortung. Stell dir vor, ich würde folgendes tun: Jetzt ist es elf Uhr morgens, ich sitze hier und sage zu mir, dass das Universum mir ein schönes vegetarisches Mittagessen besorgen wird. Glaubst du, das wird passieren?
»Spirituelle Menschen legen sich nicht gerne fest. Sie folgen nicht gerne einem Pfad.«
Spirituelle Menschen legen sich nicht gerne fest. Sie folgen nicht gerne einem Pfad, sie sagen gerne Dinge wie »Ich bin nicht religiös, ich bin spirituell.« Was zum Teufel soll das bedeuten? Ich glaube an alles. Ich mache ein bisschen Ayahuasca hier, ein bisschen Yoga dort, ein bisschen Kundalini-Yoga hier, etwas Paddle-Board-Yoga dort, etwas Atem-Yoga … Ich mache dies und ich mache das. Keiner ist engagiert, deshalb drehen sie sich immer im Kreis und machen keine Fortschritte. Man muss sich engagieren. Ich habe viele fortgeschrittene spirituelle Menschen getroffen, weil ich zehn Jahre lang als Mönch gelebt habe und nun ein Hindu-Priester bin. Ich war ein Mönch, ich kenne Mönche, ich treffe Mönche. Mönche hängen mit Mönchen ab. So ist es, Politiker treffen sich mit Politikern, Sportler treffen sich mit anderen Sportlern, Mönche treffen sich mit Mönchen, Priester treffen sich mit Priestern. Die erfolgreichsten fortgeschrittenen spirituellen Menschen sind diejenigen, die sich auf einen Weg festlegen. Wähle einen Weg und verpflichte dich dazu. Verpflichte dich zu den Richtlinien, verpflichte dich zu den Praktiken, verpflichte dich zu dem Ziel, verpflichte dich zu dem Weg. Wanke nicht, bleibe auf dem Weg, praktiziere weiter und übernimm die Verantwortung für dein Leben. 100 Prozent Verantwortung. Alles, was in deinem Leben vor sich geht, ist deine Schöpfung.
»All deine Probleme, all die guten und schlechten Dinge, die dir passieren, sind deine Schöpfung.«
Mein Guru sagte mir ins Gesicht, als ich ein kleiner Junge war: »All deine Probleme, all die guten und schlechten Dinge, die dir passieren, sind deine Schöpfung. Mach dir das zu eigen. Sobald du dies anerkennen kannst, kannst du anfangen, Fortschritte zu machen.« Wenn du anfängst, jemand anderem die Schuld zu geben, dem Universum oder deinen Eltern, die dich so erzogen haben, wirst du keine Fortschritte machen. Nimm es selbst in die Hand und arbeite daran. Die Menschen wollen die Arbeit nicht machen, die Menschen sind faul. Es ist einfacher, die Verantwortung auf jemand anderes abzuwälzen, dann muss man sich nicht mit dem Versagen auseinandersetzen. Niemand scheitert gerne.
TV: Würdest du sagen, dass die meisten spirituellen Menschen sich horizontal entwickeln, sich also immer auf der gleichen Bewusstseinsebene bewegen, und nur wenige, die sehr auf einen Weg fokussiert sind, vertikal wachsen können, also auf höhere Bewusstseinsebenen aufsteigen?
Dandapani: Um im Leben Fortschritte zu machen, egal in welchem Bereich, braucht man Engagement und Konzentration. Ich arbeite mit einigen der besten Fußballspieler der Welt zusammen, sie spielen sogar in der englischen Premier League. Sie machen genau das, sie konzentrieren sich auf eine Sache. Sie wissen, was sie wollen, und sie engagieren sich dafür. Sie gehen nicht Golf spielen, sie gehen nicht Skateboard fahren. Sie spielen Fußball. Die besten Musiker spielen Musik. Die besten Schriftsteller schreiben. Sie verpflichten sich einen Weg zu gehen. Es gibt keine Ausreden, sie übernehmen die Verantwortung für ihren Erfolg. Sie sind bescheiden und bereit zu lernen, zu wachsen und sich sagen zu lassen, wie sie sich transformieren können. Sie nehmen Hilfe an, um besser zu werden, sie wollen wissen, wie sie besser werden können. Aber man muss sich diesem Weg verschreiben.
Wenn man sich die meisten spirituellen Menschen ansieht, wollen sie sich zu nichts verpflichten. Sie benutzen Worte wie »Das Universum wird mich führen« und probieren hundert verschiedene Dinge aus. Sie versuchen immer etwas anderes. Wenn man aber in einem Bereich erfolgreich werden will, kommt man so nicht weiter. Stattdessen sucht man sich ein Gebiet, für das man eine Leidenschaft hat, das man liebt und auf das man sich konzentriert. Je mehr man sich darauf konzentriert, desto besser wird man. Viele spirituelle Menschen wollen sich einfach auf nichts festlegen.
TV: Kann man auch lernen, ein guter ethischer Mensch zu sein? Indem man gute Dinge tut, das klingt recht einfach. Würdest du sagen, dass es der gleiche Prozess sei, wie wenn man ein guter Musiker sein möchte? Wenn man ein guter Mensch sein will, sollte man möglichst viele gute Dinge tun?
Dandapani: Ja, aber man braucht eine klare Philosophie, ein klares Ziel und einen Rahmen. Du musst dein spirituelles Leben umgekehrt entwickeln. Frage dich: Was ist deine spirituelle Philosophie? Was ist dein spirituelles Ziel? Was ist dein spiritueller Weg? Und was sind schließlich die Praktiken, die Richtlinien, nach denen du leben willst? Die Menschen entwickeln ihr spirituelles Leben nicht auf diese Weise, deshalb wissen sie auch nicht, welche Praxis sie wählen sollen. Wenn ich ein Steinhaus baue, bringe ich Zement, Sand, Steine, Zementmischer und Schaufel mit. Wenn ich ein Holzhaus baue, bringe ich Nägel, Hammer, Säge, Holz, Zwinge. Ich muss wissen, welches Haus ich baue. Genauso verhält es sich mit der spirituellen Praxis. Ich muss wissen, was mein spirituelles Ziel ist. Dann weiß ich, welche Übungen ich machen muss.
Das Interview führten Stefanie Aue und Alice Deubzer.
Zum Interviewten:
Dandapani ist ein Hindu-Priester, Unternehmer und ehemaliger Mönch mit zehnjähriger Erfahrung. Als international gefragter Redner spricht er über die Nutzung des menschlichen Geistes und die Kraft der Konzentration, um ein Leben voller Sinn und Freude zu schaffen. Er und seine Frau bauen derzeit ein 33 Hektar großes spirituelles Heiligtum und einen Garten in Costa Rica, um ihre Mission zu unterstützen, die Selbsttransformation zu fördern und die Beziehung der Menschheit zur Natur positiv zu verändern.
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