Der esoterische Tarot

Wahrsagerei oder »Die Wahrheit sagen«?

Autor: Armin Denner

Als Teil der Esoterik wird der Tarot oft mit Aberglauben oder unglaubwürdiger Wahrsagerei in Verbindung gebracht. Armin Denner klärt darüber auf, dass er weder mit dem einen noch mit dem anderen etwas gemein hat. Stattdessen kann richtig verstandener Tarot Antworten auf grundlegende Sinnfragen des Lebens geben.

Jeder Mensch fragt sich auf seine eigene Art nach dem Sinn des Lebens. Viele finden diesen, indem sie andere Menschen unterstützen und bereichern. Oft verwirklichen sich Männer und Frauen, wenn sie Familien gründen, doch auch über das familiäre Umfeld hinaus entwickeln viele Menschen bestimmte Ideen und Werte, von denen kommende Generationen profitieren können. Dies gilt beispielsweise für Gründer, Erfinder, Künstler oder Philosophen. (Das weibliche Geschlecht ist damit selbstverständlich gleichermaßen und gleichwertig angesprochen!)

Die ewig Neugierigen aller unterschiedlichen Orientierungen finden auch dann keine Ruhe, wenn der Verstand seine Grenzen erreicht. Auf jede gefundene Antwort reagieren sie nur mit zusätzlichen, weiteren Fragen, die zu guter Letzt dann immer in etwa so lauten: Wo komme ich her und warum bin ich hier? Was ist der tiefere Sinn meines Daseins und des Lebens überhaupt? Wo sind Anfang und Ende der Existenz einzuordnen? Oft nehmen solcherlei Sinnfragen lange Zeit keinen besonders großen Stellenwert ein, doch mit einem bestimmten Abschnitt des Lebensweges treten sie dann spürbar in den Vordergrund. Nicht selten entsteht diese Art von Sinnsuche sogar erst durch emotionale oder seelische Bedrängnis.

Die Antwort auf solche und ähnlich grundlegende menschliche Fragen ist eine geistige oder spirituelle, eine esoterische. Wenn man sich aktuell dem allgemein zugänglichen Angebot an Esoterik, in vorderster Linie dem Tarot, zuwendet, begegnet man allerdings starken Strömungen, die bei genauer Betrachtung bestenfalls als Aberglaube oder Realitätsflucht einzuordnen sind. Viele ernsthaft Interessierte winken aus genau diesem Grund schnell wieder ab, wenn sie erste Erfahrungen mit dem »esoterischen Supermarkt« und eben auch mit dem Tarot sammeln durften. Solcherlei Erfahrungen erwecken nicht im Geringsten den Eindruck von Seriosität, sie laden leider nicht dazu ein, eine spirituelle und zugleich bodenständige Sinnfindung gerade beim Tarot zu vermuten.

Um Antworten im Sinne einer bodenständigen und alltagstauglichen Esoterik zu erhalten, gibt es drei Spielregeln, auf die man sich im Vorfeld einlassen sollte:

  • Wie Oben so Unten, wie Innen so Außen.
  • Sinnlose Zufälle gibt es nicht.
  • Du bist grenzenlos und schöpferisch.

Wer sich in diesem Sinne bereitwillig auf das Experiment der esoterischen Selbstbegegnung einlässt, entdeckt ein neues, ganzheitliches Weltbild und eine Lebenseinstellung, die mit der weit verbreiteten esoterischen Scheinwelt nichts zu tun hat. Meistens begegnen Forschende zuerst der konventionellen Psychologie. Bei weiterer Suche trifft man dann aber über diese hinaus immer auf eine Komponente, die gemeinhin als seelisch bezeichnet wird. Die Perspektive, die sich konkret auf die Existenz der Seele richtet, ist eine spirituelle. Wer dann immer noch offen weiterforscht, lernt einen Erkenntnisweg kennen, der sich erstaunlicherweise mit den modernsten Wissenschaften vereinbaren lässt und der so manchen noch offenen Kreis schließen kann.

Wer sich den drei Spielregeln nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch öffnet, sammelt im weiteren Verlauf des Weges Schritt für Schritt eigene Erfahrungen, die das rein rationale Lebensmodell kontinuierlich erweitern. Innere Sphären erschließen sich, die in jedem Menschen potenziell vorhanden sind, die aber in der westlich geprägten Gegenwart vergleichsweise wenig zur Geltung kommen. Doch genauso, wie man bei permanentem Trainieren seiner Muskeln messbar schwerere Gewichte stemmen kann, erzielt man sukzessive auch greifbare Erfolge, wenn man seinen inneren Kräften größere Aufmerksamkeit schenkt. Der Maßstab, welchen Wegen und Anbietern man auf seinem spirituellen Weg folgen kann: Wie ist es mit diesem oder diesen Menschen im Alltag bestellt? Führt der angebotene Weg zu mehr Achtsamkeit, Wohlwollen und Toleranz? Zelebriert dieser Mensch das Leben? Begegne ich gerade einer Lehre, einem Menschen, der dem Leben gegenüber fried- und freudvoll eingestellt ist?

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Mit Esoterik ist ursprünglich gemeint, dass man seine Aufmerksamkeit auf die inneren Welten richtet, um sie ins Bewusstsein zu bringen und mit der äußeren Welt zu verbinden. Für die inneren Werte und vor allem für deren Verwirklichung im Alltag gibt es verschiedene Rezepte. Überlieferungen der unterschiedlichsten Kulturen beschreiben Möglichkeiten, deren Ausführung schlummernde innere Geister wecken und ins Leben bringen. Eines der Hilfsmittel zur Entfaltung der Fähigkeiten unserer Natur, unseres Wesens sind die Bilder des Tarots. Mit Wahrsagerei haben diese Bilder nur insofern zu tun, als sie uns ein Medium anbieten, das »die Wahrheit sagt«.

Der Reichtum, den der Tarot Interessierten anzubieten hat, ist mitnichten die Vorhersage einer in Stein gemeißelten Zukunft. Das mag vielleicht die nur allzu menschliche Neugier nach der Zukunft befriedigen oder auch einen Fluchtweg aus der harten Realität vorgaukeln. Häufig wird der Tarot in der Tat aus diesem Motiv auch so praktiziert und erfolgreich verkauft, doch das ist nur seine Schattenseite. Bei seriöser Beschäftigung eröffnen uns die 78 Karten einzeln und mit ihren fast unendlich vielen Kombinationen eine Landkarte, die uns den Weg zu einer eigenverantwortlichen und selbstständigen Gestaltung der Zukunft weist. Das wahre Anliegen des Tarots lässt sich mit nur drei Worten zusammenfassen: Unbewusstes bewusst machen!

Der Tarot

Die 78 Karten des Tarots unterteilen sich in zwei Gruppen, das Große und das Kleine Arkanum. Das Große Arkanum besteht aus 22 Karten, die einander folgen und aufeinander aufbauen wie die Strophen eines Gedichts. Stufenweise beschreibt das Große Arkanum den menschlichen Lebensweg, die Reise des Helden, der Heldin, die wir auch in den Märchen, Sagen und Mythen aller Kulturen rund um den Globus als Metaphern verkleidet finden. Jede der 22 Großen Arkana ist das Symbol für einen potenziellen Archetypen des menschlichen Wesens, dessen Kräfte nicht nur offen, sondern primär hermetisch, aus dem Verborgenen wirken. Durch unsere Aufmerksamkeit und unsere Konzentration auf sie tritt ihre Energie schrittweise ins Bewusstsein. Die Summe der 22 Großen Tarot-Arkana zeigt uns den ganzheitlichen Charakter, das umfassende Potenzial, das ein Mensch während seines Erdenlebens bewusst entwickeln kann. Die Karten werden als Arkana, als Geheimnisse bezeichnet, weil sich diese Ausdrucksform des menschlichen Potenzials keinen oberflächlichen Blicken öffnet.

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Der Tarot ist ein Weisheitsbuch in Bildern, das uns erheblich wertvollere Geschenke anzubieten hat als die Vorhersage der Zukunft, die sich lediglich daraus ergibt, ob und wie wir in der Gegenwart unsere inneren Eigenschaften aktivieren. Inwieweit wir unsere Kräfte konstruktiv oder destruktiv zur Wirkung bringen, liegt im Grunde immer nur daran, ob wir sie bewusst oder unbewusst anwenden. Mithilfe des Tarots regen wir unsere seelische Energie dazu an, sich in der materiellen Daseinsebene zu entfalten. Je bewusster wir die seelische Komponente in unsere Entscheidungen miteinbeziehen, umso größer wird unsere Über-, Ein- und Umsicht in Bezug auf die jeweiligen Themenfelder. Die Folge davon ist, dass wir unsere Weichenstellungen vielschichtiger und mit höherem Verantwortungsbewusstsein vornehmen können als bisher.

Die historischen Ursprünge der Bilder sind unbekannt und letztlich auch unerheblich, weil sich die inneren Zusammenhänge des Tarots ohnehin erst dann öffnen, wenn man sich unvoreingenommen und praktisch darauf einlässt. Der eigentliche Hintergrund des Tarots ist die Kabbala, die ich hier als eine sehr alte esoterische Überlieferung, ja, als Wissenschaft bezeichnen möchte.

»Das Anliegen des Tarots ist unsere Selbstverwirklichung.«

Das Anliegen des Tarots ist unsere Selbstverwirklichung. Ursprünglich ist dies auch das Ziel aller Religionen. Mit der Zeit wurde allerdings die Klarheit der spirituellen Weisheitswege – und der Tarot ist ein solcher Weg – durch menschliche Interpretationen verwässert und oft auch verfälscht. Doch keine noch so profane Auslegung der alten Lehren kann letztlich etwas daran ändern, dass ihr zeitloses Wissen im Inneren jedes Menschen immer noch erhalten ist. Tarot hat den Vorteil, dass er die inneren Welten und den Weg dorthin mit Bildern beschreibt. Ein Bild kann uns mehr erzählen als tausend Worte, wir erfassen es intuitiv und interpretieren es nicht sofort rational. Dadurch kann die direkte und unverfälschte Kommunikation mit dem Unbewussten entstehen, wenn man sich darauf einlässt.

»Wenn man geheim als ein »Geh Heim!« versteht, ist dies eine Aufforderung, den Blick von außen zusätzlich auch auf sein Inneres zu richten.«

Die Botschaften des Tarots sind mitunter gut versteckt, es handelt sich gewissermaßen um Geheimwissen, was auch völlig richtig ist. Wenn man geheim als ein »Geh Heim!« versteht, ist dies eine Aufforderung, den Blick von außen zusätzlich auch auf sein Inneres zu richten. Innere Welten, die man ent-deckt, die man er-innert, sind ein zeitloses und deshalb auch in jeder Hinsicht modernes Abenteuer. Nicht ungefährlich, und genau deshalb eben auch geheim! Doch im Grunde will die Beschäftigung mit dem Tarot nur eines erreichen: unseren gesunden Menschenverstand zu aktivieren. Dieser ist um Dimensionen reicher als nur ein rein intellektuelles Wissen.

Der Hängende

In der Mitte der Großen Arkana treffen wir auf eine Station mit dem Titel »Der Gehängte«. Die dort abgebildete Figur ist umgekehrt aufgehängt und hat die Bedeutung, dass wir uns für eine geistige, feinstoffliche Dimension des Lebens öffnen sollten, wenn wir nicht dort hängen bleiben wollen, wo wir gerade sind. Der Gehängte rät uns, unsere bisherige Perspektive zu verändern und nicht auf der Stufe einer ausschließlich materialistischen Interpretation des Lebens stehen zu bleiben. Durch das Verlagern unserer aktuellen, auf dem Kopf stehenden Sichtweise werden wir neue, bislang unbewusste Bereiche kennenlernen und erfahren, was das Leben über unsere Vernunft hinaus noch so alles anzubieten hat.

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Die Karte heißt der und nicht die Gehängte, weil er eine patriarchale, männlich-rationale Perspektive einnimmt. Diese hat uns in der vergangenen Ära weit gebracht und uns viele Möglichkeiten eröffnet. Doch gegenwärtig sollten sich die männliche und die weibliche Sichtweise auf einer höheren Ebene, um nicht zu sagen in einer neuen Dimension verbinden. Ohne hier auf weitere Deutungsansätze einzugehen, lautet die Aussage des Gehängten auf den kleinsten Nenner gebracht: Nicht die Materie regiert den Geist, sondern der Geist ist es, der die Materie erschafft.

Das Große Arkanum

Die gängige Wahrnehmung des Lebens ist vergleichbar mit dem Betreten eines Raumes, in dem gerade ein Gong angeschlagen wurde. Mit Deinem Betreten dieses Raumes ist der Musiker allerdings in einen anderen Raum nebenan gewechselt, um nun dort zu musizieren. Du und auch viele andere Bewohner in Deinem Raum hören deutlich den Nachhall des angeschlagenen Gongs. Wenn Du aufmerksam lauschst und nur ein Mindestmaß an Lärm erzeugst, nimmst Du zusätzlich auch noch ein Schwingen wahr, das in der Luft und auch überall sonst im Raum leicht vibriert. Dieses interessiert allerdings nur einige Deiner Mitbewohner, zumal sich viele von ihnen ziemlich laut verhalten. Manche machen sogar solch großen Krach, dass sie kaum noch etwas anderes hören als ausschließlich ihre eigenen Geräusche.

Wenn Du ein neugieriger Mensch bist, jemand, der gerne den Dingen auf den Grund geht, möchtest Du gerne wissen, wo die Ursache des wahrnehmbaren Nachhalls zu finden ist und wo das überall präsente Schwingen herkommt. Außerdem gelangen Deine Überlegungen zu dem Schluss, dass es da doch jemanden geben müsste, der den Gong angeschlagen hat, selbst wenn der Urheber der für Dich nachvollziehbaren Tatsachen nicht erkennbar ist – so scheint es zumindest.

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Die Heldenreise und somit die Großen Arkana des Tarots beschreiben den Weg durch Deine inneren Räume. Auf der Suche nach der Ursache des Gongs entdeckst Du immer noch weitere Räume, Instrumente und wahrscheinlich auch den ein oder anderen Instrumentalisten, der den Gongschlag untermalt, verfeinert und ergänzt. Den Gongschläger selbst wirst Du allerdings niemals finden. Dafür aber wird sich die Vielseitigkeit und die Qualität der Musik permanent steigern, die Dir in den unterschiedlichen Räumen begegnet. Grund genug, den Weg der Heldin weiterhin zu beschreiten, den die Großen Tarot-Arkana Etappe für Etappe beschreiben. Mit der Zeit können sich Dir weitere Realitäten öffnen, die Du auf jeder der einzelnen Stationen selbst erlebst, wenn Du Dich für sie öffnest. Du lernst, an Deinem individuellen Lebenskonzert maßgeblich mitzuspielen und, wenn Du magst, auch noch das ein oder andere Tänzchen zu wagen …

Das Kleine Arkanum

Das Kleine Arkanum stützt sich auf vier Säulen, die auch in vielen anderen Lehren wie etwa Ernährungslehre oder Raumgestaltung eine tragende Rolle spielen und die man als die vier Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde bezeichnet. Element bedeutet Urstoff oder Keim. 56 Karten des Tarots beziehen sich auf die vier Elemente, die sowohl materiell als auch immateriell wirken und uns dadurch die Pforten zu den erwähnten anderen Lebens-Räumen öffnen. Dort wiederum kannst Du größeren Einfluss auf Deinen »elementaren« Energiefluss gewinnen, als es lediglich im ersten Raum möglich ist.

Im Tarot ebnen uns die vier Elemente vor allem den Weg, die Energie unserer Gedanken konkret kennenzulernen und schöpferisch zu beeinflussen, um sie in eine höhere Frequenz zu transformieren. Das Weltbild des Tarots – und maßgeblich auch die Quantenphysik – gehen davon aus, dass wir unsere Welt mittels unserer Gedanken gestalten. Ein Teil unseres Denkens ist uns dabei bewusst, doch größtenteils geistern unsere Gedanken unbewusst in unserem Gehirn herum. Die bisherige Matrix unseres Denkens zu durchbrechen und unsere wahre Gedankenkraft zu entdecken, bringt die dritte Spielregel, Deine Grenzenlosigkeit ins Spiel.

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Zusammen mit dem Feuer sind Gedanken das höchste Gut des Menschen, doch sind kalte, gefühllose Gedanken auch die größte Gefahr für die Menschheit. Gedanken sind es, die den Menschen vom Tier abheben, und der aktuelle Zeitenwandel verlangt von uns den Evolutionsschritt, unsere Gedanken eigenverantwortlich zu handhaben. Alle esoterischen Lehren verfolgen im Grunde das Ziel, unsere Gedanken zu meistern. Tarot lenkt die Aufmerksamkeit ebenfalls auf unser Denken, und das kristallklar und konkret. Wenn wir unsere grobstoffliche Welt mit gefrorenem Wasser, mit Eis vergleichen, dann sind unsere Gedanken das flüssige Wasser. Unsere Gefühle und unsere Willenskraft sind die Elemente, die hinter unserem Denken wirken und dieses entstehen lassen, der Dunst, der sich dann als flüssiges Wasser zum eisigen Zustand in unserer Metapher verdichtet und kristallisiert.

»Die finale Frage dazu lautet: Wer denkt wirklich mein Leben?«

Das Kleine Arkanum des Tarots beschreibt die vier Elemente in allen Varianten und Aggregatzuständen. Weichenstellungen oder Korrekturen unserer Lebensumstände können wir natürlich auf einer gedanklichen Ebene mit erheblich weniger Kraftaufwand vornehmen, als wenn sie schon in der stofflichen Materie fixiert sind. Die finale Frage dazu lautet: Wer denkt wirklich mein Leben?

Gedanken als wirkende Kräfte

Der Tarot zeigt uns die Gedanken, das Element Luft, als Schwerter-Karten, weil Schwerter etwas trennen, weil sie analysieren und bis zur Wurzel vorstoßen können. Unser Denken gestaltet unsere Zukunft, wir entwickeln damit Vor-Stellungen und Strategien. Die Konzepte anderer Vordenker zu übernehmen, ist eine menschliche Eigenschaft. Doch nur, wenn man darauf achtet, dass diese das eigene Denken nicht überlagern, können unsere Pläne bewusst und schöpferisch sein. Gedanken müssen sich permanent an den fortschreitenden Zeitgeist, an die Evolution anpassen, was zu einer ständigen Erweiterung des menschlichen Wissens führt. Aber auch des Bewusstseins?

Ausgesprochene Gedanken werden als Worte über die Luft zu anderen Menschen übertragen, die dann unser Denken ebenfalls erkennen. Im Gegensatz zu anderen Lebewesen kann der Mensch jedoch mit »gespaltener Zunge« sprechen und andere Gedanken äußern, als er innerlich denkt. Man sollte allerdings beachten, dass alle, also auch niederträchtige Gedanken oder lügnerische Äußerungen aufgrund ihrer elementaren Kraft danach streben, sich grobstofflich zu kristallisieren und somit zu verwirklichen. Dein individuelles Bewusstsein entscheidet darüber, inwieweit Du schöpferisch denkst oder ob Du lediglich die Konzepte und Gedanken anderer auslebst, auch wenn diese vielleicht nicht unbedingt konstruktiv sind.

Die Kabbala

Die Mutter des Tarots ist die Kabbala, eine alte hebräische Lehre, die sich primär auf die Schöpfungsgeschichte der Bibel, die Genesis bezieht. Das herausragende Symbol der Kabbala ist der Baum des Lebens. Wurzeln, Zweige und Früchte des Lebensbaums symbolisieren die unterschiedlichsten Ebenen und Kräfte des Universums und des menschlichen Daseins zugleich. Alle 78 Karten sind bestimmten Segmenten innerhalb des Baums zugeordnet, woraus sich bei intimerer Kenntnis die innere Ordnung des Tarots herleitet.

Der Baum hat zehn unterschiedliche Sphären, die als Sephiroth bezeichnet werden. Die 56 Karten des Kleinen Arkanums korrespondieren mit diesen zehn Sphären, von denen nur die unterste grobstofflicher Natur ist. Die zehnte Sphäre des universellen Lebensbaums bezieht sich auf unsere materiell wahrnehmbare Welt in Zeit und Raum. Die Kabbala lehrt, dass es über unsere wahrnehmbare Welt hinaus noch feinstoffliche Sphären gibt, die unsere Grenzen der Wahrnehmung weit übersteigen, von der Kabbala jedoch kartografiert sind. Deren feinstoffliche Energie fließt in unsere Welt ein und beeinflusst, ja erschafft diese (Dunst verdichtet sich zu Eis!).

Die kabbalistischen Sphären sind wie Glühbirnen, die im Inneren jedes Menschen leuchten. Doch sie sind von Schichten verdeckt, ähnlich wie sich das Leuchten einer Glühbirne durch darübergelegte Tücher verdunkelt. Will ein Mensch nun sein »Scheinen« stärker ins Leben bringen, sozusagen seinen Dimmer höher justieren dann gelingt ihm das nicht zuletzt durch das Abnehmen, besser die Auflösung der überlagernden Schichten. Erfolgreich wird er allerdings nur dann sein, wenn er diese auch in den feinstofflichen Sphären erkennt und »erlöst«.

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Die uns am nächsten gelegenen Sphären mit ihren begrenzenden Schichten sind unsere Gedanken und unsere Gefühle. Beide sind zwar nicht grobstofflich, doch jederzeit beeinflussbar, aus verständlichen Gründen. Die Kabbala übermittelt uns letztlich dieselben Prinzipien wie alle philosophischen/mystischen/magischen Lehren: Achte auf Deine Gedanken! Dein Denken und Dein Sprechen sind der Same, der schon heute die Ernte für morgen festlegt. Das Ziel kabbalistischer Praxis und somit des Tarots ist, dass sich unser Denken, Sprechen und unsere Handlungen nicht im Widerspruch, sondern im Einklang befinden.

Die Kabbala wird nur dann verständlich, wenn man davon ausgeht, dass Innen und Außen in direktem Zusammenhang miteinander stehen. Die Kabbala stimmt mit allen anderen seriösen Lehren darin überein, dass Geist, Seele und Körper als Einheit wirken wollen. Der entscheidende Bewusstseinsschritt dabei ist, dass man den Hebel für seine äußere Welt bei sich selbst ansetzt und nicht irgendjemand anderen für seine Lebensumstände verantwortlich macht. Wir alle sind von Irritationen geprägt, unsere Vergangenheit ist eine Matrix, die sich über unsere Wesenskraft gelegt hat wie die erwähnten Tücher über unsere inneren Glühbirnen. Jede Klärung der Vergangenheit sensibilisiert unsere Sinne ein wenig mehr für die höheren Sphären des Lebens.

Alle 56 Karten des Kleinen Arkanums befassen sich im Grunde mit der Wirkung unserer Gedanken. Wie bereits erwähnt, sind unsere Gedanken wiederum das Produkt eines Zusammenspiels unserer Willenskraft und unserer Gefühle. Wie wir darauf bewusst Einfluss nehmen können, zeigen uns die Karten, die wir ziehen. Wir deuten die Botschaft unseres Unbewussten, setzen diese sukzessive um und gestalten dadurch unsere äußere Welt. Esoterisch ausgedrückt: Wir werden zu MitschöpferInnen.

Alchemie

Die Alchemie (Alchymie) ist zwar keine Ahnin des Tarots, doch man könnte sie, wie auch die Astrologie, als eine enge Verwandte bezeichnen. Alchemie ist die Umwandlung und Veredelung von Stoffen. Immer, wenn ein niederes Element sich zu einem höheren veredelt, ist das ein alchemistischer Prozess, der um uns herum permanent stattfindet und den auf lange Sicht alle Stoffe anstreben. Der Alchemist lernt diesen Prozess von der Natur und ahmt ihn nach. Er geht mit der Natur und richtet sich nicht gegen sie.

Ein wichtiges Symbol des alchemistischen Wachstums ist der Phönix, ein Vogel, der laufen, aber nicht fliegen kann. Da er ahnt, dass Fliegen seine eigentliche Natur und sein Wesen ist, baut er sich aus seinen Federn ein Nest. Er legt sich in dieses Nest, entzündet es mit seiner eigenen Körperhitze und verbrennt darin. Doch dann regt sich neues Leben in ihm und er ersteht wieder auf. Jetzt kann er seine ursprüngliche Natur verwirklichen: Er ist ein fliegender Vogel!

In den Entwicklungsschritten der Vergangenheit lernte der Mensch, Erze aus dem Erdinneren zu fördern und diese mit der Kraft des Feuers zu schmelzen, zu reinigen und zu bearbeiten. Von seinen animalischen Vorfahren entfernte er sich aufgrund dieser Fähigkeit zwar, seine Entscheidungsfreiheit aber nahm im Lauf der Zeit immer mehr zu. Die größte Herausforderung für jeden Menschen besteht bis heute darin, dass er selbst wählen kann, ob er aus den Gaben der Erde Werkzeuge oder Waffen schmiedet, was sich deckungsgleich auf unsere Gedanken übertragen lässt (Schwerter).

Die Alchemie baut auf den drei Prinzipien Schwefel, Quecksilber und Salz auf. Diese drei Prinzipien, die den vier Elementen zugrunde liegen, wirken in allem, was wir wahrnehmen. Jegliche stoffliche Erscheinung ist aus ihnen zusammengesetzt, sie mischen und verändern sich ununterbrochen. Auch der Mensch unterliegt dieser permanenten Wandlung und Veränderung und entfaltet sich fortschreitend, um zu werden, was er wirklich ist. Doch wie beim Phönix bedarf es dafür der Reinigung, der Läuterung durch Feuer.

»Die Hölle auf Erden« erleben wir genau dann, wenn wir uns der Entwicklung zu mehr Mensch-Sein willentlich entgegenstellen oder sie verweigern.«

Anhand unseres freien Willens können wir allerdings entscheiden, ob wir unseren Befreiungsprozess selbst vollziehen und fördern, oder ob wir uns nur willenlos unserem, wie auch immer gearteten, Fortschritt ausliefern. »Die Hölle auf Erden« erleben wir genau dann, wenn wir uns der Entwicklung zu mehr Mensch-Sein willentlich entgegenstellen oder sie verweigern. Der Grund dafür ist meistens, dass die Lebensreise eine Reise ins Ungewisse ist. Manche Menschen wollen deshalb lieber an Bestehendem festhalten. Auf lange Sicht kann dies jedoch nicht gelingen.

Unbewusstes bewusst machen

Wenn man wie Kabbala, Alchemie und Tarot höhere Daseinsebenen voraussetzt, entsteht der Raum für ein Weltbild, das als Ursache unserer Lebensumstände nicht den Zufall verantwortlich macht, sondern einen tieferen Sinn und unsere Einstellung zu diesem. Nachdem wir auf der gegenwärtigen Evolutionsstufe unsere schöpferischen Kräfte noch vergleichsweise unbeholfen anwenden, können uns die Karten des Tarots wertvolle Hinweise liefern, wo und wie wir in diesem Sinne souverän und selbstständig zu bewussten MitschöpferInnen unseres Schicksals heranreifen.

»Die Kommunikation mit unserem Unbewussten bleibt immer uns selbst überlassen.«

Ausgehend davon, dass es keine sinnlosen Zufälle gibt, geschieht auch das Ziehen der vor uns ausliegenden Karten nicht willkürlich, sondern es ist eine Botschaft, die vom Meer des Unbewussten zu uns gelangt und uns zu mehr Bewusstsein führen will. Zu beachten dabei ist allerdings, dass uns diese Schritte niemand abnehmen kann. Keine eifersüchtige Gottheit, kein erleuchteter Guru und auch niemand, der/die für uns die Karten zieht. Die Kommunikation mit unserem Unbewussten bleibt immer uns selbst überlassen. Zwar kann uns jemand Geübtes unsere Kartenauslagen neutral übersetzen wie ein Buch, das in einer uns fremden Sprache geschrieben ist. Doch die Verantwortung für die erhaltenen Botschaften obliegt immer uns selbst. Das lässt sich lernen, doch als Ge-Heim-nis und nicht als ganz nette Theorie, als Fast Food oder gar als Wahrsagerei einer fixen Zukunft.

Der Weg, der sich durch die ehrliche Beschäftigung mit Tarot eröffnet, hat etwas von Zwiebelschälen. Schicht für Schicht legt die Suchende den Kern ihres Wesens frei – eines Wesens, das sich hinter unseren Augen befindet und neugierig die äußere Welt beobachtet. Seriös betriebener Tarot, der nicht im esoterischen Supermarkt verramscht wird, stellt den bewussten Kontakt zu unserem inneren Wesen her. Der Vorteil: Man braucht keine Institution dazu, weil Tarot konfessions-, generations- und geschlechtsübergreifend ist.

Zum Autor

Armin Denner, Jahrgang 1955, beschäftigt sich seit frühester Jugend intensiv mit den geistigen Hintergründen des Daseins. 1986 begegnete ihm der Tarot, den er sofort als ein Medium erkannte, das Spiritualität und praktischen Alltag gleichermaßen anspricht. In Ergänzung mit verschiedenen ganzheitlich orientierten Methoden leitet Armin Denner seit der Jahrtausendwende das tarotproject, wo er in Coachings und Kursen seine Kenntnisse an Interessierte vermittelt. 2004 erschien sein Standardwerk »Der Tarot-Lehrgang«.

Bildnachweis: © Adobe Photostock

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