Die Musik der Steine

Klänge aus dem Urgrund der Erde

Autor: Prof. Dr. Klaus Fessmann

Der Musiker und Universitätsprofessor Prof. Dr. Klaus Fessmann fand in jahrelanger weltweiter Forschung heraus, dass man mit Steinen eine ganz eigene Form der Musik machen kann. Er entwickelte ein eigenes Verfahren der Steinbearbeitung und spielt diese Steine heute auf Konzerten. Sie werden außerdem zu Heilzwecken und zur Meditation verwendet.

»Weil Steine leise sprechen.
Und nur im Flüstertone
Von ihrem Schicksal künden 
vernehmen nur jene diese Stimmen
Die auch der Stimme des Windes,
der Wolken und der Blumen lauschen
und ihnen ihr Geheimnis abgewinnen.«

Carl Peter Fröhlich (übernommen aus Ohrenlicht II)

Vorbemerkung von Elisabeth Geissler, die das Interview führte

Eine Fülle von Sinneseindrücken überflutete mich. Zeitlos eröffneten sich andere Räume.

Untermalt durch das Klangspiel mit den Steinen entstand eine andere Welt, lud zum Nachfühlen, Nachklingen, Insichgehen, zu einer neuen Wahrnehmung der Welt jenseits des Verstandes ein.

Ich spürte eine unglaubliche Liebe zur Schöpfung, explosive kreative Fülle, auch Lebenserfahrung, Demut, Hingabe und tiefe Weisheit, die der Künstler Klaus Fessmann im Musikklang und in den Kompositionen, in den Farbklängen und seinen anderen Kunstwerken zum Ausdruck brachte.

Das, was ich jetzt erfahren durfte, sprengte das mir bekannte, auch akademische Verständnis im Bereich Kultur, Musik und Kunst.

Und so beschloss ich, diesen Magier der Musik, vom Klang der Steine zum Klang der Bilder, Farben und Formen näher kennenzulernen und einen Artikel über ihn zu schreiben. 

Wenn wir bereit sind, auf unseren eigenen inneren Klang zu hören, zu sehen, dem Ton, der aus dem Herzen kommt, zu lauschen, können wir den Himmel auf die Erde bringen, das Paradies auf Erden im »Jetzt« erfahren, eine immaterielle Welt im Bereich der Materie.

Wie bekamen Sie, Herr Professor Fessmann, den Zugang zur Musik?

Meine Eltern kauften auf Veranlassung meiner Mutter, die sehr gut Klavier spielte, im Jahr 1951, als ich drei Jahre alt war, ein Klavier. Neun Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war dies eine außergewöhnliche Anschaffung. Ich stand vor diesem Instrument und versuchte, mit meinen kleinen Händen die Tasten zu bewegen. Es faszinierte mich, dass aus dieser Bewegung Töne von dort kamen, und ich spielte so oft und viel, wie ich nur konnte. Das Spiel am Klavier war, im Nachhinein betrachtet, für mich so etwas wie eine zweite Geburt, sie leitete die Beziehung zur Musik ein, die mein Leben bestimmen sollte. Meine Mutter erkannte früh mein musikalisches Talent und förderte es. Parallel dazu nahm mich die Mutter immer wieder zu Klavierabenden und Orchesterkonzerten mit, die in dieser Zeit aufgrund der fehlenden räumlichen Möglichkeiten oft in den Festsälen der Gaststätten stattfanden. So lernte ich früh zum Beispiel Elly Ney oder den Dirigenten Keilberth kennen und hörte Beethovens Klaviersonaten, die Klavierkonzerte und Symphonien.

Im Grunde war das in erster Linie mein Leben. Ich klimperte auf den Tasten herum und genoss die Klänge. Bald erkannten die Eltern, dass dieses Spiel dringend einer Strukturierung bedurfte, und so wurde ich in die Klavierstunde zu Frau Fiedler geschickt, um nach Noten und guter Haltung der kleinen Finger die Lehre des Klavierspiels zu erfahren, streng strukturiert, wie es damals üblich war.

Meine Denkweise und meine Talente waren, wie sich nach und nach herausstellte, sehr eigen und speziell. Und meine Überzeugung, dass ich immer recht hatte, war oftmals nicht im Sinne meiner Lehrer. Nur war ich selten vom Gegenteil zu überzeugen. Das führte dazu, dass ich mich, je älter ich wurde, selbst auf die Suche nach den Lehrern machte, zu denen ich, wie ich heute sagen würde, in Resonanz kam. So lernte ich an der Musikhochschule Stuttgart meine Professoren Paul Buck, Klavier, und Erhard Karkoschka, Komposition, kennen, die meine geistigen und künstlerischen Väter wurden. Aus dieser Vaterschaft wurde nach und nach eine musikalische, künstlerische Freundschaft, die bis an das Lebensende der beiden dauerte. Was für ein Glück, denke ich heute noch.

Hatten Sie geplant, eine musikalische Laufbahn einzuschlagen?

Das, was mich immer am meisten interessierte, war die Musik und alles, was damit zusammenhing. Ein Leben ohne Musik war in meiner Vorstellungswelt nicht vorhanden. Schon damals war mir bewusst und klar, dass die Welt aus der Musik heraus entstand und dass dies, was ich später lernte, Kosmogonie hieß.

Schon damals war mir bewusst und klar, dass die Welt aus der Musik heraus entstand und dass dies, was ich später lernte, Kosmogonie hieß.

Ich bin nach wie vor und heute viel stärker, je mehr die Digitalisierung um sich greift, davon überzeugt, dass Kinder und Jugendliche in erster Linie mit Musik vertraut gemacht und intensiv ausgebildet werden müssen. Alles andere ist nebensächlich. Denn dabei werden im Gehirn Areale entwickelt und ausgebaut, die durch nichts aktiv werden außer durch Musik. Die Idiotie der sogenannten Künstlichen Intelligenz muss umgehend wieder in Künstlerische Intelligenz umgewandelt werden. Ich bestehe darauf, dass die musikalische Ausbildung der Mittelpunkt jeglicher Pädagogik zu sein hat, um den Geist in dieser bedeutungsvollen Sphäre des Klang-Schönen zu bilden.

Im antiken Griechenland entstand ein Beziehungssystem, das den Namen Quadrivium erhielt. Es umfasste die Disziplinen Arithmetik, Geometrie (samt der heiligen Geometrie), Musik und Astronomie. Diese Disziplinen beruhten auf der Mathematik. Dazu kam das Trivium, die sprachlichen Beziehungen mit Grammatik, Logik und Rhetorik. Diese beiden Systeme bezeichnete man als die Sieben Freien Künste. Nachdem sie in Vergessenheit geraten waren, wurden sie ab ca. 300 n. Chr. zu Beginn des Mittelalters wieder aufgenommen und prägten diese über Jahre dauernde Epoche. Musik ist ein fester Bestandteil dieser Systeme, und ich habe mich in meiner Lehre immer noch, obwohl es als anachronistisch angesehen wurde, an diese Beziehungssysteme gehalten. Musik muss vom Staat wieder gefördert und fester Bestandteil jeder Lehre auf allen Ebenen werden, damit alle Kinder die Möglichkeit haben, Musik sinnhaft zu erleben und ihre Welt zu erweitern. Musik, schreibt der berühmte Dirigent Harnoncourt, »fördert ein Denken, das außerhalb der rationalen Bewältigungslogik liegt und unheimlich wichtig für die Entwicklung des Denkens des Menschen ist«. Auch der natürliche Bewegungsdrang der Kinder muss wieder verstärkt in den schulischen Konzepten etabliert werden. Es ist nicht zu akzeptieren, dass sich Staat und Stadt aus der Kulturförderung weitgehend zurückgezogen haben und diese privaten Organisatoren überlassen.

Zusammen mit KollegInnen des Orff-Instituts am Mozarteum gründete ich das Projekt »ReSonanz & AkzepTanz«, ein Konzept für die Integration von einer Anhäufung von Kulturen, die durch die Migration entstanden ist. Die Grundsäulen waren Musik, Sprachen und Bewegung. Es war großartig, was sich alles entwickelte und was mit diesen Elementen zu erreichen ist. Professor Gerald Hüther forscht als Neurologe zeit seines Lebens über das menschliche Gehirn und die Entwicklung im kindlichen Gehirn. Seine Forschungen sind von großer Bedeutung für die Themen der menschlichen Entwicklung, gleich in welchem Zeitalter. Professor Eckart Altenmüller, Freund und Kollege, ist der Spezialist für die Verbindung von Medizin und Musik. In diesem Rahmen, gemeint ist auch die Gehirnforschung, habe ich mich mit den Themen beschäftigt und durchdacht: Pädagogik allgemein und an den Schulen muss neu und interdisziplinär betrachtet werden! Den Fokus auf die Digitalisierung in den Bildungseinrichtungen zu richten, entspricht nicht dem Menschen und seiner Natur, sondern ist eine unerträgliche Einschränkung seines freien Geistes. 

Ich habe Germanistik und Musik auf Lehramt in Stuttgart studiert und war in Nürtingen aufgewachsen, der Stadt von Friedrich Hölderlin, dessen Lyrik mich bis heute begleitet und prägte. Sein Satz »In den Armen der Götter wuchs ich groß« ist mein Leitfaden, seit ich denken kann. Seit Langem arbeite ich an einem wunderbaren oder »irren« Projekt, in dem ich seine späte Lyrik, die genau nach den Prinzipien der Musik gebaut ist, in Klänge, in Musik rückübersetze und so die Klaviermusik finde, die er in Tübingen im Turm gespielt hat. 

So folgte ich dem Mantra meines Lebens: Öffne den Raum in Liebe, und ihre Kraft wird auf das Lebensziel (auf Zeit) hin aktiviert, in einem Fließen in Beziehung mit dem inneren Hören und inneren Schauen.

Warum faszinierten Sie Steine als Musiker, und weshalb führte es Sie zu der Entwicklung von Klangsteinen?

Der Lyrik-Zyklus »Höhlensprache«, entstanden aus einem Versuch, die eigene Sprache mit den Steinen einer Höhle in Resonanz zu bringen von dem Dichter aus dem Donautal, Werner Dürrson, führte vor über 30 Jahren zum ersten Kontakt mit der Materialität Stein. Viele Lyriker haben Worte über den Stein geschrieben, meine Sammlung umfasst hier Hunderte von Gedichten, sicherlich auch genauso viele Bibelzitate und andere Texte. Von Erich Fried habe ich das Gedicht über den Stein in einer Collage eingefügt. In der Beschäftigung mit der Materialität Stein fand ich neben den etymologischen Forschungen die ersten Hinweise auf einen Klangstein im alten China vor ca. 3000 bis 4000 Jahren. Der Klangstein in China war heilig, wer ihn verletzte, wurde mit dem Tod bestraft. Im Buch der Sitte aus dem alten China wurde Musik als Harmonie zwischen Himmel und Erde genannt. Hier wird auch über die Frühgeschichte des Klingsteins geschrieben. Das Gedankengut aus dem Chinesischen, der Begriff der vielfältigen Musik in der Natur, auch vor dem Menschen, fand in dieser Korrespondenz Eingang in die Musica Terra im Mittelalter.

Der Stein ist somit ein lebendes Element der Natur.

Der Stein ist somit ein lebendes Element der Natur. Im Gegensatz zum Abendland wurden Steine in vielen alten Kulturen nicht nur als Heiligtum gesehen, sondern auch ihr Klang wurde für viele verschiedene Rituale eingesetzt. Ich habe eine große Achtung vor dieser Materie, viel Ehrfurcht und Demut vor den Steinen, für mich ist es ein Glücksfall in meinem Leben, mit ihnen zusammen Klänge in diese Welt zu bringen. Ich hüte sie mit großer Sorgfalt.

Kosmogonie nennen wir den Vorgang, der beschreibt, wie die Welt, wie der Planet aus dem Klang entstanden ist. Sie sind der Ur-Klang der Schöpfung, denn die Welt ist Klang, Nada Brahma, wie das alte Indien schon lehrte. Dieses uralte Wissen »Alle Welt ist Klang« wurde neben den Musikern und den Geowissenschaftlern durch die Quantenphysiker erforscht und bestätigt, denn jedes Teilchen klingt.

Ich sammelte Steine, die immer Natursteine sind, und stellte sie in meinem Atelier auf Hölzer oder andere mögliche Resonatoren. Obwohl der Boden angesägt war und die Schräge, die zu spielen war, kam am Anfang kaum ein hörbarer Ton zustande oder er war nur schwer zu erzeugen.

Für mich war es immer wichtig, zu entdecken, zu versuchen, zu explorieren und Neues zu probieren. In dieser Zeit holte ich die Steine aus dem Oberen Engadin, einer Landschaft und Region, die damals schon und heute immer noch meine geistige Heimat ist. Dort, südlich des Berninapasses, fand ich auch den ersten wirklich klingenden Stein, den Serpentinit.

Dem Steinmetz Werner Kraus aus Tübingen gelang es durch sein richtiges Sägen, den Klang der Steine größer werden zu lassen. Durch einen Zufall entdeckte ich, dass der Klangstein zum vollen Klingen kommt, wenn man ihn mit nassen Händen bespielt.

Jeder Stein klingt anders, es sind eigene Persönlichkeiten. So wie die Menschen. Das Wort person heißt »ich-klinge«.

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Mein Sohn Hannes ist ein wunderbarer Mensch und ein großartiger Künstler. Er entdeckte auf einer seiner Indienreisen in der Nähe von Chennai den schwarzen Gabbro, sägte ihn dort, um an die Klänge zu kommen, und brachte ihn mit nach Deutschland. Er bearbeitete ihn und begann, ihn weiterzuentwickeln.

Die Steine werden geöffnet. Es werden Lamellen in den Stein gesägt, er wird geschliffen und poliert, um dann, dem Stein lauschend, einfühlend von den Menschen gespielt zu werden. Der Klang des Steines braucht diese Beziehung zum Menschen. Die Töne kommen in eine Beziehung zueinander, die Klänge zu verbinden ist »componere«, was so viel wie »zusammengesetzt, verbunden« bedeutet, und aus allem, was tönt, klingt die Spiritualität des Steins. So entwickelte sich dieses Phänomen weiter, es wurden weitere Steine gefunden, Hannes baute neue Formen, und ich kümmerte mich um die Musik sowie um das Spielen.

Die Klänge im Gabbro sind unglaublich transparent, die Klangwelt der Steine geht mit jedem weiteren Ton und Klang in die nächste Dimension und eröffnet eine noch nicht kulturalisierte Welt. Auch ich erfahre mich täglich neu in diesem neuen Sehen und neuen Hören der Klangwolken, die aus dem Stein kommen. Es gibt keine Konsonanzen und Dissonanzen, nur Sonanzen. Das ist mehr als die gewöhnliche Musik, und altes musikalisches Wissen erscheint in einem anderen Licht. Es ist jedoch wichtig, eine solide musikalische Grundlage zu haben, um weiter tönend zu denken, zu forschen und weiterzugehen. So erfand ich eine Notenschrift für das Spiel der Klangsteine, die ich mit jedem weiteren Werk immer mehr ausdehne.

Jeder Stein ist anders in seinem Wesen, in seinem tönenden Klang.

In den 30-Mikrometer-Dünnschliffen unter dem Mikroskop meines Freundes, des Geowissenschaftlers Professor Jörn Kruhl, konnten die Texturen der Steine sich in ihren unterschiedlichen Farben, Formen, Strukturen und Zeichen zeigen. Diese Texturen zu verstehen, sich einzufühlen, um dann das Wesen des Steins in sein, in seinen Klang zu bringen, ist die Herausforderung für das eigene innere Sehen und das innere Hören in der Beziehung zum Stein. Jeder Stein ist anders in seinem Wesen, in seinem tönenden Klang. Das Klingen des Steines hängt auch von seiner Elastizität ab. Menschen, die negative Assoziationen mit Musik verbinden, können durch das Spielen mit den Klangsteinen neue Hörerlebnisse haben und durch eine multimodale sensorische Einheit von Hören, Sehen, Bewegen und Fühlen wieder Zugang zur Musik finden. Deshalb öffnen wir das Wissen und bieten in einer Akademie die Ausbildung zum Erlernen des Spielens der Klangsteine an.

Sind die Klangsteine nur für das Bespielen in Konzerten konzipiert?

Die Klangsteine ermöglichen den Menschen, wie schon gesagt, auf andere Art wieder Zugang zum Klang der Musik zu finden.

Das ist einmal durch das Hören in Konzerten gegeben. Ich habe mehrere Ensembles mit wunderbaren Musikern gegründet. Unser Spielen in den Konzerten wird sehr begeistert von den Zuhörern aufgenommen. Sie schweigen nach dem Konzert, klatschen nicht. Viele gehen dann nach vorne, um mit uns in Kontakt zu kommen, erzählen persönliche Geschichten. Der Klang der Steine berührt Herz und Seele auf eine eigene Weise, und die Menschen spüren das.

Die Basis für unser Tun ist sicherlich die allumfassende gemeinsame Liebe, die uns hier und im ganzen Leben verbindet und uns inspiriert.

In »Laetare« (Ensemble aus Andrea Fessmann, Gesang, Lisa Schöttl, Harfe, und Klaus Fessmann, Klangsteine) singt meine Frau Andrea Melodien, die sie aus der gregorianischen einstimmigen Musik weiterentwickelt hat. Wir haben dieses Ensemble vor zwölf Jahren entwickelt und schon Hunderte von Konzerten gespielt. Die Basis für unser Tun ist sicherlich die allumfassende gemeinsame Liebe, die uns hier und im ganzen Leben verbindet und uns inspiriert. Ihr habe ich meine zwei Bände Ohrenlicht I und II, die Handbücher des Klangstein-Spielens, gewidmet, die demnächst im Buchhandel erscheinen werden.

Jeder Stein ist ein Unikat mit einer unglaublichen Vielfalt an verschiedenen Klängen und Tönen und hat darüber hinaus einen unverwechselbaren eigenen Klang. Nach und nach erweitern wir die Herkunft der Klangsteine. Dabei berufen wir uns hier auf die Forschung von Professor Jörn Kruhl und schauen, welche Klänge wir in der Welt noch finden.

Der Klangstein hat unterschiedliche Möglichkeiten der Verwendung. Da er halb Skulptur, halb Instrument ist, steht er in Gärten, als Grabstein auf Friedhöfen und ist auch in Meditationszentren zu finden.

Therapeuten haben ihn auch schon erfolgreich in der Behandlung mit Patienten ausprobiert und positive Rückmeldung gegeben. So kann er zur Heilkunst eingesetzt werden. Die Schwingung und der besondere Klang der Steine bewirken durch die Vibration, die beim Spielen am Stein mit den befeuchteten Händen entsteht, ein Öffnen, Fließen und Loslassen in den Händen, in den Armen, in den Knochen, im ganzen Körper. Druck und Zwang entfallen hier. Es wird sanft gestreichelt und gestrichen. So können sich die Menschen neu erfahren. Durch diese neue Erfahrung der Hände mit dem Klangstein habe ich auch den Anschlag am Klavier verändert. Das sanfte Streicheln und Streichen der Tasten mit den Fingern verändert den Klang, formt ihn weicher.

Der Klang wirkt durch die Absichtslosigkeit.

Der Klang wirkt durch die Absichtslosigkeit. In der Geriatrie wird der Stein zur Aktivierung der Menschen eingesetzt. Schlaganfallpatienten, deren eine Hand gelähmt ist, können mit der anderen Hand spielen und Verbesserung erzielen. Aber auch Demenzkranke erfreut das Spiel und lindert die Beschwerden. Für diese Personengruppe haben wir einen speziellen Partnerstein entwickelt. Es gibt bereits Forschungen über das Einsetzen der Heilkunst mit den Klangsteinen, die die positiven Ergebnisse belegen.

Auf Ihren Tourneen mit dem Klangstein haben Sie viel erlebt und interessante Menschen kennengelernt. Mögen Sie davon erzählen?

Gerne! Meine Cousine Annegret, die leider viel zu früh verstorben ist, war mit Erol Denec, einem der berühmtesten Sufi-Maler, verheiratet. In diesem Kreis war auch Dr. Oruc Güvenc, ein Sufimeister und Musiker der altorientalischen Musik. Sie erzählte ihm von meiner Arbeit mit den Klangsteinen und stellte nach einiger Zeit den Kontakt zwischen Oruc Güvenc und mir her. So lernte ich eines Tages anlässlich eines Seminars in der Nähe von Heidelberg Oruc kennen. Der kleine Mann beeindruckte mich in seiner menschlichen und geistigen Größe. Wir verstanden uns sofort.

So ergab es sich, dass wir einige Wochen mit seinem Tumata-Ensemble Konzerte in verschiedenen Orten und Städten der Türkei spielten. Wir, das heißt ca. 20 Musiker, reisten von den ersten Konzerten in Istanbul nach Ankara, wo wir im Parlament spielten, bis hin zum letzten Konzert in Kappadokien, dem Land der Feen und wilden Pferde, wo wir gemeinsam gastierten. Einmal kam Oruc während eines Auftritts ganz nahe und blies mit der Ney in mein Ohr, wohl um meinen Klang zu verändern. Verwundert fragte ich ihn nach dem Konzert, warum er das gemacht habe. Da gab er mir zur Antwort, dass der Duft des Klangs nicht passend war. Beim Besuch auf dem Gewürzmarkt zeigte er mir ein Gewürz und meinte, dass mein Spiel so gerochen habe. Ich kann Töne innerlich hören und schauen, wusste aber nicht, dass man sie auch riechen kann, und ich hatte nie jemanden getroffen, der diese Kunst beherrscht. Seitdem arbeite ich intensiv daran, noch den Duft der Töne kennenlernen zu dürfen.

Oruc brachte wunderbare herzöffnende, alte schamanische, orientalische und Sufi-Musik in der Tradition von Rumi in die Welt, begleitet von Tänzen wie dem Derwisch-Tanz, die den Geist öffnen. Er integrierte das Projekt in der AOM (Altorientalische Musiktherapie). Er ist leider verstorben. Wir hatten noch einige gemeinsame Konzerte, auch in München. Ich wünsche mir sehr, dass seine Arbeit weitergeht, bewegt und wirkt.

Da Sie auch Musiktheorie lehrten, beeinflussten Pythagoras und seine umfassenden Erkenntnisse über die Musik auch Ihr künstlerisches Schaffen. Können Sie auf die Gedankenwelt und Ordnungssysteme der Antike eingehen?

Für mich persönlich ist das Musicae-System das Bedeutendste in seinem Werk, was die anderen Themen nicht schmälern soll. Das System begann mit der sogenannten Hämmer-Legende, in der Pythagoras die Proportionsverhältnisse zwischen geschlagenen Hämmern, die in einem bestimmten System gebaut worden waren, entdeckte. Dies ist sehr rudimentär erklärt, alles Weitere würde viel zu weit führen. Er nannte diese Musik, diese Töne, die Klänge die Musica Instrumentalis, was nichts anderes ist als die nicht vokale, vom Menschen gesungene Musik. Die Ordnung dieser Musik, gemessen in Zahlen, fand er dann auf der nächsten Ebene wieder, der sogenannten Musica Humana, die beobachtbare und messbare Ordnung der menschlichen Organe. Auf der nächsthöheren Ebene fand er die gemessenen Schwingungsverhältnisse in den Proportionsverhältnissen der Gestirne zueinander wieder und bezeichnete dies als Musica Mundana.

Im Mittelalter kam durch Boethius der Begriff der Musica Divina, der höchsten und heiligsten Musik hinzu. Und durch die Entwicklung der chinesischen Vorstellung der Korrespondenzsysteme kam schließlich als fünfter Begriff die Musica Terra, die Musik der Natur ohne den Menschen dazu.

Die hier angeführte Liste soll einen kleinen Einblick in die großartige Arbeit von Pythagoras geben: 

  • Pythagoras untersuchte die Zusammenhänge zwischen dem Klang, der Musik und der Mathematik. Er fand eine Verbindung zwischen Zahlen und Musik heraus, die Reinheit der Klänge, harmonische Intervalle.
  • Die sieben Oktaven der Tonleiter entsprechen zwölf Quinten. Minimal weichen die Frequenzen ab, um die Reinheit des Klanges zu bewahren. Daher vervollkommnet das pythagoreische Komma die Reinheit des Klanges. Das ist bei der Stimmung von Instrumenten wichtig, vor allem beim Klavier.
  • Dieses pythagoreische Konzept wurde in den mehrstimmigen gregorianischen Chorälen noch bis ins Mittelalter angewandt.
  • Die von Newton ausgewählten sieben Spektralfarben rot, gelb, grün, blau, purpur, orange und indigo sind Lichtschwingungen analog den Schallschwingungen. 
  • Sie entsprechen den sieben Tönen der diatonischen Tonleiter.

Zum Abschluss sei ein Gedicht von Erich Fried aufgeführt, das die Steine ehrt:

Die Zeit der Steine
Die Zeit der Pflanzen
Dann kam die Zeit der Tiere
Dann kam die Zeit der Pflanzen
Dann kam die Zeit der Menschen
Nun kommt die Zeit der Steine
Wer die Steine reden hört
Weiß, es werden nur Steine bleiben
Wer die Menschen reden hört
Weiß, es werden nur Steine bleiben

Erich Fried

Zum Interviewten

Em. o. Univ. Prof. Mag. Klaus Fessmann, Studium der Germanistik und Musik fürs Lehramt an der Musikhochschule Stuttgart 1972–1977, Studium der Komposition an der Musikhochschule Stuttgart 1977–1983, Studium der Musikwissenschaft an der Universität in Freiburg 1983–1987. Verschiedene Lehraufträge: Musikhochschule Stuttgart, Musikschule Stuttgart 1979–2000, Professur Studium Generale Musik, Elementare Komposition Universität Mozarteum Salzburg 1997–2019.

Bücher von Klaus Fessmann 

KlangSteine, das ewige Gedächtnis der Erde
Kieselschule 
Ohrenlicht I
Ohrenlicht II Vertiefung
(Ohrenlicht I und II – das (Hand-)Buch ist demnächst im Handel zu beziehen)
Vom Klang der Steine zum Klang der Bilder
Galerie für Zeitgenössische Kunst im Stadtmuseum Bad Tölz 1. Juni bis 30. September 2021
Heinzenkapelle 2020 – Natur Unser

© Die Bilder stammen aus dem Archiv Klaus Fessmann.

Weitere Bücher und CDs von Klaus Fessmann, auch mit seinen Ensembles, sind im Handel erhältlich.

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