Vergebung auf Hawaiianisch

Wie das Verzeihen Heilung ermöglicht

Autor: Ulrich Duprée

Wo Menschen zusammenkommen, sind Konflikte fast unvermeidbar. Wenn wir uns jedoch eingestehen, dass wir oft Opfer und Täter in einer Auseinandersetzung waren, dann Reue zeigen und aus tiefstem Herzen vergeben, können wir die energetischen Altlasten eines solchen Konfliktes auflösen und unser Leben in Harmonie fortführen. Ulrich Duprée zeigt, unter anderem anhand der hawaiianischen Konfliktlösungsmethode Ho’oponopono, wie wir uns die Täterrolle eingestehen und uns aus der Opferrolle befreien können.

Vergebung ist für viele Menschen ein verwirrendes Thema. Man weiß zwar, es ist wichtig, aber wie geht Vergeben praktisch? In den letzten zehn Jahren konnte ich Tausenden Menschen zeigen, wie sie sich selbst und anderen vergeben und dadurch wieder zu Lebensfreude und innerem Frieden gelangen. Ich freue mich sehr, Ihnen hier interessante Einblicke in dieses bedeutsame Thema zu geben.

Von düsteren Vorzeichen und erhellenden Vorsilben

Die Vorsilbe ver leitet sich vom mittelhochdeutschen far ab, was »weit weg, entfernt« bedeutet, und so ist Vergebung allgemein als das große Erlassen von Schulden bekannt. Das, was auf unseren Schultern lastet, wird heruntergenommen, und man darf sich wieder frei fühlen. Der hawaiianische Begriff für Vergebung lautet Kala beziehungsweise Kalana. Kala besitzt zusätzliche Synonyme, die das Thema für uns näher beleuchten: (1) das Licht im Herzen wieder entzünden, (2) der neue Tag, (3) Loslassen und (4) Freiheit.

In der Lebensphilosophie der hawaiianischen Schamanen sagt man: Wenn ein Frevel geschieht, dann bewirkt diese Tat eine Verspannung im Energiekörper, in der Erinnerung bis hinein ins Zellgedächtnis, und das sowohl im Opfer als auch im Täter. Um diese Verspannung zu entlassen und das Leben wieder in den Fluss, zu Freude und Harmonie zu bringen, nutzt man seit Jahrhunderten die Lomi-Lomi-Massage und eine geistig-spirituelle Reinigung: die Vergebung.

Innere Turbulenzen im Fluss des Lebens äußern sich auf vielen Ebenen: in kreisenden Gedanken (Kummer und Sorgen), destruktiven Emotionen (zum Beispiel in Ängsten, Wut, Jähzorn, Überforderung und Resignation), in Selbstsabotageprogrammen (zum Beispiel im Aufschieben und Zögern), in einschränkenden Ahnenmustern (unbegründeten Ängsten und Bestrafungszwang), aber auch in Unfällen und anderen Schicksalsschlägen, die man bisweilen negatives Karma nennt.

Vergebung zielt deshalb allgemein darauf ab, all das zu entlassen und zu bereinigen, was uns energetisch und karmisch, bewusst und auch unbewusst blockiert. Wir bereinigen damit, was unser Leben düster und das Herz schwer macht, und konzentrieren uns auf zwei Aspekte: (1) das offensichtliche Problem, das in der Regel die Spitze eines Eisberges darstellt, und (2) die darunter liegenden Ursachen, um die Kette der Verstrickungen und Reaktionen zu unterbrechen.

Manchmal hört man den Einwand, ausschließlich Gott könne vergeben, da eine Schuld nur durch die Gnade der spirituellen Urquelle, die über den kosmischen Gesetzen von Ursache und Wirkung steht, getilgt werden könne. Der Mensch könne dementsprechend nur verzeihen. Verzeihen leitet sich von Verzicht ab, das heißt vom alttestamentarischen Recht auf Vergeltung (Auge um Auge) abzusehen. Spinoza schrieb dazu: »Wer nach Leitung der Vernunft lebt, strebt soviel er kann, den Hass, den Zorn und die Verachtung durch Liebe zu vergelten.«

»Heil werden bedeutet im eigentlichen Sinne wieder vollständig werden«

Im Unterschied zum verstandesbetonten Verzicht, es jemandem heimzuzahlen, zeigt sich Vergebung in persönlichen, zwischenmenschlichen und sogar bei nationalen Konflikten als eine Herzensangelegenheit – denn es geht immer um Menschen und Emotionen. Man strebt nach Heilung, denn heil werden bedeutet im eigentlichen Sinne wieder vollständig werden. Genau das scheint ein Anliegen unserer Zeit zu sein, denn viele Menschen fühlen sich getrennt von ihrer Familie, nicht gut genug, ausgeschlossen, von ihren Gefühlen abgeschnitten, voller Zweifel und enttäuscht, depressiv oder im Burn-out, zerrissen und von der Natur entfremdet. Doch in der Tiefe der Seele wünscht man sich nur, körperlich, mental und emotional zu gesunden, Nähe zu spüren, sich selbst zu finden und wirklich glücklich zu sein.

Wie Vergebung beginnt

Wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, persönlich spüren, dass sich Ihr Leben im Kreis dreht, dass Sie feststecken, sich als Opfer fühlen oder Schuldzuweisungen kennen, wenn Sie wiederkehrend Wut und Groll erleben, vielleicht unerklärliche Schmerzen haben oder von Ängsten geplagt werden, dann sind dies die Signale, dass es in Ihrem Leben noch etwas zu vergeben gibt. Es sind Hinweise darauf, dass in Ihrer persönlichen oder Familiengeschichte etwas geschah, das noch nicht vergeben und losgelassen wurde.

Der aktive Prozess der Vergebung beginnt mit dem bedingungslosen Annehmen der Situation. Gleichgültig, ob Opfer oder Täter, wir schauen alles an. Nur was wir vollständig annehmen und akzeptieren, das können wir loslassen. Jeder Widerstand in uns führt nur zu noch mehr Reibung und Verspannung. Wir akzeptieren beispielsweise unsere Wut, die Überforderung, Verzweiflung und Resignation. Wir nehmen es an und sind bereit zur Veränderung. Wenn wir unsere eigenen Verfehlungen (individuelle und kollektiv als Menschheit) nicht erkennen und anschauen wollen, ist Loslassen absurd. Erst wenn wir das Leben in seiner Ganzheit akzeptieren, finden wir inneren Frieden und die Kraft, das Beste aus einer Situation zu machen.

Die Erkenntnis und das Bekenntnis, jemanden bewusst oder unbewusst, körperlich oder psychisch verletzt zu haben und dann Reue zu zeigen, öffnen uns für höhere Einsichten und Wahrheiten. Im Täter-Opfer-Ausgleich, aber auch in allen kleineren alltäglichen, zwischenmenschlichen Konflikten, ist die Reue des vermeintlichen Täters die Grundvoraussetzung für eine Annäherung. Menschen erwarten eine Entschuldigung, wenn sie verletzt wurden.

Ein kurzer Ausblick in die Politik

Zurzeit befinden sich circa 80 Millionen Menschen auf der Flucht, weitere Millionen leben in Armut und unter entwürdigenden Bedingungen, die auch auf längst vergangenen Kriegshandlungen, Eroberungen, Enteignungen, Vertreibungen und der Kolonialisierung gründen. Hier gilt die diplomatische Vergebungsarbeit als bedeutsamer Weg zu Versöhnung und Frieden.

»Reue und Entschuldigung stellen die Würde wieder her.« 

In der Völkerverständigung, oder wenn es um die Wiedergutmachung der Verbrechen an der Urbevölkerung geht, ist eine offizielle Entschuldigung der Regierung der erste Schritt zur Versöhnung. Reue und Entschuldigung stellen die Würde wieder her. Es heißt, die Menschenwürde sei unantastbar, aber wo beginnt und wo endet sie? Hier leistet die Vergebungsarbeit einen unschätzbaren Beitrag, und die zahllosen Beispiele aus allen Teilen der Erde würden ganze Bände füllen. Nicht grundlos stehen der Friedensnobelpreis, Vergebung und Versöhnung immer in einem direkten Zusammenhang, denn ohne Vergebung ist der Frieden nur eine Waffenruhe.

Solche Schritte der Wiedergutmachung unternahm man beispielsweise in Australien, wo die Regierung in den 1980ern das Council for Aboriginal Reconciliation, den Rat zur Versöhnung mit den Aborigines, gründete. Man wusste, was man der Urbevölkerung angetan hatte, Untersuchungen wurden eingeleitet und noch mehr Gräueltaten kamen ans Licht. Erst mit dieser Wahrheit und einer öffentlichen Entschuldigung konnte man beginnen, sich aufeinander zuzubewegen.

Als man Nelson Mandela 1990 nach 27 Jahren aus dem Gefängnis entließ, wurde er gefragt, ob und wie viel Hass er jetzt gegenüber der Apartheitsregierung hege. Er antwortete darauf: »Wenn ich noch Groll und Wut in mir tragen würde, dann verließe ich zwar ein physisches Gefängnis, doch wäre ich immer noch in einem psychischen Zuchthaus eingesperrt.«

Wie die zahlreichen Beispiele der Arbeit von Desmond Tutu (1931–2021), Geistlicher und Menschenrechtsaktivist, oder die Präsidentschaft von Nelson Mandela (1918–2013) in Südafrika zeigen, ist die Aufarbeitung der Vergangenheit eine Reise, die man gemeinsam macht. Täter und Opfer begegnen sich. Alle sitzen an einem Tisch. Alle erkennen sich selbst als Täter und Opfer im anderen wieder, überwinden ihren Hass und Groll und wie in einem Boot beginnt man, zusammen zu rudern.

Zurück in den Alltag: Von den vier Menschen, denen wir vergeben dürfen

Jeder Mensch war schon Opfer und Täter – zum Beispiel in einer Paarbeziehung oder am Arbeitsplatz. Wie zwei Seiten einer Medaille bilden Täter und Opfer eine leidvolle Symbiose, da der eine nicht ohne den anderen existieren kann. Im Alltag können wir vier Menschen ausmachen, denen es zu vergeben gilt. Mehr sind es nicht und ihnen zu vergeben, befreit uns rasch von Kummer und Sorgen (1. mentale Ebene), destruktiven Gefühlen (2. emotionale Ebene) und Stress (3. körperliche Ebene).

Die ersten Menschen, denen wir verzeihen dürfen und müssen, sind unsere Eltern. Viele Menschen leiden an pränatalen oder frühkindlichen Verletzungen, emotionalen und körperlichen Misshandlungen sowie an beschämenden Erinnerungen aus ihrer Kindheit. 80 Prozent aller Menschen, die sich in einer Therapie befinden, geben als Ursache ihrer seelischen Leiden und Probleme die Eltern an. Ihre Liste an Schuldzuweisungen ist lang: zerrüttete Beziehungen, alle möglichen gesundheitlichen Probleme, Neurosen, Süchte oder die Unfähigkeit, den eigenen Weg im Leben zu finden, sind nur wenige Beispiele, für die man die Eltern verantwortlich machen kann.

Es gilt, sie loszulassen, falls man erwachsen und selbstständig werden will. Selbstverständlich bedeutet Vergebung nicht, ein erlittenes Unrecht zu Recht zu erklären, und Vergebung bedeutet auch nicht, einem Täter – in diesem Fall dem Vater oder der Mutter – zu erlauben, uns weiterhin zu verletzen. Doch jedes Mal, wenn ein erwachsener Mensch seinen Eltern ein Kindheitsdrama vorwirft, fällt er aus seinem Erwachsenen-Ich in sein Kind-Ich zurück. Das kleine Mädchen oder der kleine Junge meldet sich dann zu Wort. Leider benutzen wir auf einer tieferen Ebene unsere Vorwürfe auch, um beispielsweise an unserer Enttäuschung und Wut festzuhalten. Indem man sich Jahrzehnte an seine Opferrolle klammert, zeigt man damit auch, dass man sich eben Jahrzehnte emotional nicht weiterentwickelt hat. Sicherlich wurde man verletzt, doch die Heilung des Erwachsenen und des inneren Kindes ist möglich.

»Solange wir jemand anderem allerdings noch etwas nachtragen, sind wir in einem Täter-Opfer-Spiel verbunden.«

Die zweiten Menschen, denen wir vergeben dürfen, sind unsere sogenannten Exen. Ich meine damit zum Beispiel die Ex-Ehepartner, die Ex-Freunde und die Ex-Geschäftspartner. Es sind all jene, die unser Leben beeinflussten und denen wir immer noch vorwerfen, dass sie uns enttäuscht, belogen und betrogen haben. Solange wir jemand anderem allerdings noch etwas nachtragen, sind wir in einem Täter-Opfer-Spiel verbunden. Wir machen unser Glück von jemandem abhängig, von dem wir gar keine gute Meinung haben. Wie soll das funktionieren? Diesem Menschen zu vergeben, loszulassen und sich dem Leben zuzuwenden, ist sinnvoll.

Leider liebt und bevorzugt unser Gehirn das Bekannte. Alles, was wir kennen, fühlt sich vertraut und sicher an, weshalb sich Menschen bisweilen an toxische Beziehungen und Gewohnheiten klammern, selbst wenn sie davon einen ernsten Schaden nehmen. All das gilt es, anzuschauen, zu vergeben und sich einem erfüllten und freudvollen Leben zuzuwenden.

Vielleicht darf man sich vorher eingestehen, dass einem die belastete Beziehung auch als eine Art Projektionsfläche diente? So ergeben sich intime Beziehungen auch aus dem unbewussten Wunsch heraus, im Gegenüber das zu finden, was man in der Kindheit vermisste. Wenn eine Beziehung scheiterte, weil vielleicht die Kindheitsbedürfnisse unerfüllt blieben, weil reichlich rote Knöpfe gedrückt wurden oder weil wir es nicht geschafft haben, echte Nähe zu etablieren, dann gilt es, allen Exen zu vergeben. Ob man belogen, betrogen und bestohlen wurde, ist irrelevant, denn man war an der Beziehung beteiligt und hat das Problem mit erschaffen. Dem anderen hingegen zu vergeben, ist auch ein Akt der Selbstliebe, denn er macht uns frei. Um uns beispielsweise für eine neue Beziehung zu öffnen, müssen wir die Vorwürfe, den Groll und die Verbitterung vollständig loslassen, sonst nehmen wir unseren Täter unbewusst mit in die neue Partnerschaft.

»Willst du einen Fluss überqueren, dann bleibe nicht am Ufer stehen.« Zur dritten Kategorie gehören alle anderen, das heißt all jene Menschen, denen wir jemals begegnet oder auch nicht begegnet sind. Bedenken Sie bitte, dass wir mit jedem Wort und mit jedem Gedanken unsere persönlichen Lebensumstände mit kreieren. Nicht nur, dass unser innerer Dialog unsere Stimmung bestimmt, sondern wir beeinflussen unsere Mitmenschen auch über Spiegelneuronen. Zusätzlich senden und empfangen wir unablässig Informationen. In der Tat dürfen wir sagen, »heilen wir uns selbst, dann heilt auch immer etwas in der Welt«, denn wir nehmen auf vielen Ebenen Einfluss.

Allen anderen so rasch wie möglich zu verzeihen, ist wichtig, weshalb der Verlag für die Deutsche Wirtschaft 2010 einen Artikel unter dem Titel »Vergebung ist besser für die Gesundheit« veröffentlichte. Man wies dabei auf den volkswirtschaftlichen Schaden hin, der durch Querelen am Arbeitsplatz verursacht wird. Streit, Mobbing und ungeklärte Konflikte am Arbeitsplatz können zu Fehlentscheidungen, Arbeitsausfällen durch Krankheit bis hin zu Arbeitsunfällen führen. Der volkswirtschaftliche Schaden durch diesen Flaschenhals wird in Deutschland jährlich auf circa 20 Milliarden Euro beziffert. Trotzdem bedeutet Vergebung nicht, sich als Fußabtreter behandeln zu lassen – im Gegenteil. Sie können ganz entschieden für Ihre Rechte eintreten, doch das ganz ausgeglichen, statt sich Kopf-, Herz- und Bauchschmerzen zu bereiten.

Um die Enttäuschungen im Umgang mit den lieben Mitmenschen zu erhellen, möchte ich hier Mutter Theresa (1910–1997) zu Wort kommen lassen, die 1979 den Friedensnobelpreis erhielt:

»Menschen sind oftmals unvernünftig und selbstsüchtig. Vergib ihnen trotzdem.
Wenn du freundlich bist, greifen dich Menschen vielleicht an, weil sie niedere Motive haben. Sei trotzdem freundlich.
Wenn du ehrlich bist, betrügen dich die Menschen unter Umständen. Sei trotzdem ehrlich.
Wenn du dein Glück gefunden hast, mögen manche Menschen neidisch sein. Sei trotzdem glücklich.
Das Gute, das du heute tust, mag morgen schon vergessen sein. Tue trotzdem Gutes.
Gib der Welt das Beste, was du hast, und trotzdem mag es ihr nicht genug sein. Gib trotzdem dein Bestes.
Mögest du am Ende erkennen, dass es nur eine Angelegenheit zwischen dir und Gott ist. Es war niemals zwischen dir und den anderen.«

Damit kommen wir zum vierten Menschen, dem wir vergeben wollen: zu uns selbst. Ob wir Täter waren oder Opfer, wir dürfen uns alles selbst vergeben und sämtliche Schuldgefühle entlassen, um eine tiefere Lebensfreude zu erfahren. Das Ziel lautet, mit sich selbst ins Reine zu kommen und sich mit sich selbst zu versöhnen. Wie Sie wissen, fühlen wir uns nicht nur als Täter, sondern bisweilen auch als Opfer schuldig. Möglicherweise kennen Sie Selbstvorwürfe nach dem Motto: »Wie konnte ich nur so dumm sein, mich in diese Situation zu manövrieren oder mich auf diesen Menschen einzulassen?«

Jede Vergebung beinhaltet deshalb auch die Selbstvergebung, und dieses Thema ist so umfangreich, dass ich Ihnen hier schlicht einige Fragen stelle, um die Absurdität, sich selbst nicht zu vergeben, zu verdeutlichen. Gleichgültig, was in Ihrem Leben geschehen sein mag – es ist vorbei. Wie lange (Tage, Monate, Jahre) will man sich noch quälen? Nennen Sie eine Zahl. Wird das Leben besser, wenn man sich Vorwürfe macht? Sind Menschen, die sich selbst bestrafen, indem sie erfolglos bleiben oder eine Krankheit manifestieren, bessere Menschen? Wann hat jemand, der sich selbst geißelt, die Absolution verdient?

Das hawaiianische Vergebungsritual Ho'oponopono für inneren und äußeren Frieden

Das Wort Ho’oponopono bedeutet »die Dinge wieder richtigstellen«, und genau darum geht es, nämlich die Dinge im Innen wie im Außen, im Großen wie im Kleinen wieder richtigzustellen. Wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, in Ihrem Leben ganz einfach am richtigen Platz stehen, dann sind Sie in Ihrer Kraft. Harmonie und innerer Frieden stellen sich von selbst ein, wenn wir uns erkennen und unserer Lebensaufgabe folgen können.

Im Ho’oponopono geht man davon aus, dass alles miteinander verbunden ist. Persönliche, zwischenmenschliche und viele andere Themen im Alltag werden gelöst, indem man seinen Anteil am Problem findet und diesen in einem Vergebungsprozess bereinigt. Nach den Forschungen von Dr. Erika Haertig gilt Ho’oponopono als die effektivste Konfliktlösungsmethode, die je in einer Kultur erfunden wurde.

»Das Wort Ho’oponopono bedeutet »die Dinge wieder richtigstellen«.«

Ho’oponopono ist ursprünglich eine Familienkonferenz in vier grundsätzlichen Schritten. Hat jemand in der Ohana (haw. Familie; heute auch Firma oder Seelenverwandte) ein Problem, dann werden ihre Mitglieder zusammengerufen und man geht durch einen festgelegten Lösungsprozess. Bemerkenswert ist, dass Ho’oponopono auf Hawaii auch bei Schlichtungen außergerichtlich wie auch gerichtlich Anwendung findet.

Ein ungeborenes Kind macht sich bemerkbar

Eine im neunten Monat Schwangere bekam ungewöhnliche Schmerzen. Das waren allerdings nicht die Wehen. Die Frau befragte ihre Großmutter, die daraufhin zu einem Ho’oponopono aufrief. Das Problem beziehungsweise die Ursache für die Schmerzen lag für die Großmutter auf der Hand; es müsse in der Familie (haw. Ohana) noch Ungeklärtes geben. Manche Familienmitglieder warfen sich offensichtlich etwas vor, hatten sich noch nicht vergeben und so meldete sich das Ungeborene. Es signalisierte, dass es erst in diese Familie geboren werden wolle, wenn alles geklärt sei und Frieden herrsche. Nur so habe es die Voraussetzungen für eine glückliche Kindheit und fühle sich willkommen. Bis auf zwei Familienmitglieder reisten alle innerhalb der nächsten Tage an. Diese zwei lebten im Ausland, doch man platzierte auch für sie Stühle, um ihre geistige Anwesenheit zu verdeutlichen.

Das Ho’oponopono begann traditionell mit Gebeten, Gesängen, der Ehrung der Ahnen und der Anwesenden. Danach wurden alle Missverständnisse und Vorbehalte untereinander besprochen. Im nächsten Schritt bat jeder aus tiefstem Herzen um Vergebung, den anderen bewusst oder unbewusst verletzt zu haben. Man vergab sich mit großer Zuneigung, entließ alle belastenden Gefühle. Diese Zeremonie dauerte mehrere Stunden. Alles musste gesagt und vergeben werden und erst danach, als alle glücklich waren, wurde gefeiert. Man dankte dem Ungeborenen für die Gelegenheit zur Heilung des Herzens, und wie zu erwarten, hatte die Schwangere keinerlei Schmerzen mehr. Die Seele fühlte sich jetzt in der Ohana willkommen.

Das Anerkennen des eigenen Anteils am Problem

Die große Wirksamkeit eines Ho’oponopono beruht darauf, dass man sich wirklich mit anderen Menschen und auf einer höheren Ebene mit der ganzen Welt verbunden fühlt. Selbst Opfer und Täter begegnen sich in solch einer Zeremonie mit Wertschätzung. Um uns verbunden zu fühlen, müssen wir uns in die anderen hineinversetzen und ihnen mit Respekt begegnen. Wir hören wirklich zu, was jemand sagt. Zuhören ist eine der respektvollsten Gesten. Damit zeigen wir unserem Gegenüber, dass seine Stimme Wert hat, egal ob wir einer Meinung sind oder nicht. Indem wir anderen wirklich zuhören, stärken wir unser eigenes Mitgefühl.

Man sagt: »Ich erkenne mich in dir. Ich erkenne mich in allem wieder, und dein Problem ist mein Problem. Weil wir alle verbunden sind, bitte ich, meinen Anteil am Problem aufrichtig zu entschuldigen. Ich bitte um Vergebung und transformiere die Energie in meinem Herzen.« Wenn jemand in der Ohana, von der Herkunftsfamilie bis hin zur großen Familie, die wir das Ökosystem nennen, ein Problem hat, dann hat jeder ein Problem. Wenn in Ihrer inneren Familie, beispielsweise in Ihren Organen, etwas im Argen ist, dann ist Ihr gesamter Körper in Mitleidenschaft gezogen. Haben Sie einen Knochenbruch, dann betrifft das die Ohana der Knochensubstanz. Auf Hawaii sagen wir, alles ist Ohana.

Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein

Um wieder heil, vollständig zu werden, gibt man das Verurteilen auf. Selbstverständlich ist es wichtig, zu beurteilen, was gut für einen selbst ist. Den Körper gesund zu erhalten oder Menschen, ein Umfeld oder Einflüsse zu meiden, die uns schaden können, gehört zur Selbsterhaltung und steht außer Frage. Dieses Unterscheidungsvermögen nennt man in den Yoga-Wissenschaften Buddhi.

Im Prozess der Vergebung hören wir allerdings auf, andere zu verurteilen und zu beschuldigen. Schließlich kann man nicht verzeihen und gleichzeitig an seinen Vorwürfen festhalten. Man tritt aus der Konfliktsituation heraus und wechselt auf eine Metaebene. Wir Möglicherweise ist mancher Balken in unseren Augen schon so groß, dass wir uns an ihn gewöhnt haben. Auch das dürfen wir uns vergeben und es besser machen. Die Globalisierung führt uns vor Augen, wie wir an der Umweltzerstörung, der Vernichtung der Tiere und der Vertreibung indigener Völker beteiligt sind. So war ich an Vergebungsritualen beteiligt, bei denen man nordamerikanische Ureinwohner aus tiefstem Herzen um Vergebung bat. Viele Indianer haben soziale und existenzielle Probleme. Man lebt in Reservaten, aber was haben wir – was habe ich damit zu tun? Nun, es war vielleicht auch einer meiner Vorfahren, der aus Europa kommend die Neue Welt in Besitz nehmen wollte. Bei dieser Expansion wurden innerhalb von zwei Jahrhunderten circa sieben Millionen Indianer umgebracht. Man massakrierte Familien, verkaufte ihnen Pocken-verseuchte Decken oder erschoss die Bisonherden, damit sie verhungerten. Das – ebenso der Sklavenhandel und die Inquisition – sind die Flecken auf der Weste unserer Geschichte, die wir bereinigen können.

Welche Kraft steckt hinter der Vergebung?öffnen uns für die Menschlichkeit im Täter, denn viele Gewalttäter waren in ihrer Kindheit selbst Gewaltopfer. Allzu oft schauen wir auch auf den Splitter im Auge des anderen und übersehen dabei unseren eigenen Balken.

Ich möchte aus der Komplexität des Themas nur zwei Punkte zu bedenken geben:

  1. Die Seele/der Atma macht einen Abstieg in die Materie (lat. incarnare). Wiederholte Geburten sind notwendig, um in der Polarität Erfahrungen zu machen, die zu Selbsterkenntnis und Transzendenz führen. In diesem Sinne erleben wir Leid und entscheiden uns für Glück. Wir können davon ausgehen, dass wir in früheren Inkarnationen sowohl als Täter als auch als Opfer an Kriegen, an Mord und Plünderung beteiligt waren. Als mitfühlender Mensch wird man sicher aus tiefstem Herzen bereuen, dass man in diesem oder einem früheren Leben andere Lebewesen bewusst oder unbewusst verletzt hat. An die Stelle von Verurteilung tritt Mitgefühl.
  2. Wenn man die Existenz früherer Leben infrage stellt, kann man in sich gehen und fragen, an wie viel Leid man bereits beteiligt war. Was ist zum Beispiel mit dem Baumwollbauern mit seiner Lebenserwartung von 35 Jahren, weil die Pestizide seinen Körper dahinraffen werden. Und was ist mit dessen Nachbarn, der Selbstmord beging, weil er seine Familie nicht mehr ernähren konnte, nachdem am Ende der Wertschöpfungskette ein T-Shirt im Westen für 1,50 Euro verkauft wird? Was ist mit den Waldmenschen (auf Bornesisch Orang-Utan), die für Palmöl sterben, damit Kekse und andere Artikel ein paar Cent billiger sind?

Um zu vergeben, bedarf es innerer Stärke – nicht im Sinne von körperlicher Kraft, sondern mehr im Sinne von Geduld und Beharrlichkeit. So fragten die Schüler ihren Meister, wie oft sie vergeben sollten, und Jesus antwortete »sieben mal siebzig mal« – also immer wieder, wenn es nötig ist. Von anderen verletzt zu werden, ist ein unvermeidbarer Teil des Lebens. Die meisten dieser Verletzungen mögen klein sein, aber wenn man tief verletzt wurde, muss man womöglich immer wieder neu vergeben oder gar um die Gnade bitten, überhaupt vergeben zu können.

Martin Luther King empfahl, Vergebung zu einer täglichen Praxis und Lebenseinstellung zu machen. Dahinter steckt sicherlich auch der Wunsch, sich charakterlich zu stärken. Wenn wir beispielsweise seit 40 Jahren an einem Groll festhalten, dann müssen wir uns auch eingestehen, uns in den letzten 40 Jahren emotional nicht weiterentwickelt zu haben. Was meinen Sie, wäre das ein guter Grund, loszulassen?

Um emotional zu reifen, benötigt man nur zwei Zutaten: zum einen grundsätzliche Selbstbeobachtung und zum anderen emotionale Intelligenz. Diese Art der Intelligenz ist die Fähigkeit, erstens die eigenen Gedanken und Emotionen zu beobachten, zweitens diese zu bewerten und drittens negative Gedanken und Emotionen umwandeln zu können. Wie in Sachen Völkerverständigung erfordert es Mut, sich der eigenen Unzulänglichkeit zu stellen und dafür die Verantwortung zu übernehmen, statt sie bequem auf einen Täter oder die Umstände abzuwälzen. Es erfordert innere Stärke, um zu vergeben, oder wie Mohandas Gandhi es formulierte: »Vergeben kann nur der Starke. Der Schwache kann nicht vergeben.«

Eine Flamme, die im Herzen brennt

Die treibende Kraft hinter der Vergebung ist die Liebe – nicht sentimental, sondern als Ausdruck des Lebens. Die Hawaiianer nennen es Aloha, und in Afrika spricht man von Ubuntu, der Verbundenheit. Die gebräuchlichste Bedeutung von Aloha ist Willkommen und die Essenz des Lebens miteinander teilen. In einem alten Gesang wird zum Beispiel berichtet, wie im Herzen die Flamme von Aloha brennt. Mit dieser Flamme sei alles möglich, und man könne mit den Vögeln fliegen und mit den Haien schwimmen. Negative Emotionen allerdings sind wie Steine, die man in sein Herz legt. Sie machen es düster und schwer. Durch die Vergebung reinigen wir sozusagen unser Herz, damit die Flamme von Aloha wieder hell brennen kann.

»Die treibende Kraft hinter der Vergebung ist die Liebe – nicht sentimental, sondern als Ausdruck des Lebens.«

Der zentrale und wärmende Aspekt des Herzens wird in seiner sprachlichen Herkunft deutlich. Herz stammt von Sanskrit Hrid, und von Hrid leitet sich auch der Herd ab. Er ist das Zentrum, wo sich die Familie versammelt, und wir können sagen, dass Vergebung immer dann möglich wird, wenn wir uns sammeln, unser Herz öffnen und miteinander sprechen. Unablässig kommuniziert es mit dem Körper und sendet bekanntlich mehr Informationen ans Gehirn als umgekehrt. Möchte uns vielleicht unser Herz lenken, oder tut es das bereits? Sind wir das, was wir tief in unserem Herzen denken?

Wenn unsere Gedanken (elektrisch) die Sprache des Gehirns sind und unsere Gefühle (magnetisch) die Sprache des Körpers sind, dann findet hier die Vereinigung unserer Gedanken und Gefühle statt. Wir können auch sagen, wenn wir durch den geistig-spirituellen Prozess der Vergebung unser Herz läutern, verändern wir sowohl unsere bewussten Gedanken und Gefühle als auch jene unbewussten Programme, die unser Leben negativ beeinflussen. In dieser Hinsicht gewinnen wir mehr Kontrolle und Selbstbestimmung über unser Leben zurück.

Versöhnung und mit dem Leben in Harmonie

Wollen wir unsere persönlichen und globalen Konflikte lösen, müssen wir uns zwingend verändern, denn Albert Einstein nannte es eine Form von Wahnsinn, wenn wir immer das Gleiche denken und tun und trotzdem ein neues Ergebnis erwarten. Diese Wandlung geschieht natürlich erst in unserem Bewusstsein, doch wie will man sich verändern, wenn man von unbewussten Verletzungen beeinflusst ist. Ich behaupte, möchten wir uns in einen Schmetterling verwandeln, dann müssen wir auch unser Raupendasein loslassen. Doch der Schmetterling schaut nicht mit Abscheu auf seine Vergangenheit. Mit Heiterkeit schwingt er sich empor.

Fazit

In den antiken Texten finden wir die Aussage: »Gott liebt sich selbst und seine Schöpfung bedingungslos.« Der Weltengeist fällt kein Urteil. Er urteilt nicht, da er immer vollständig bleibt. Trennung ist eine Illusion und mit diesem bedingungslosen »Ja« zu uns selbst haben wir die Unterstützung, uns so zu verändern, wie es für uns am besten ist. Die ersten Schritte sind sicherlich, zu bereuen, zu verzeihen, um Vergebung zu bitten und Vergebung zu gewähren und selbstverständlich zu danken. Das Leben selbst zeigt uns, wie es geht. Wenn Sie sich schneiden, dann sinnt es nicht nach Vergeltung und fügt Ihnen noch einen weiteren Schnitt hinzu. Das Leben sucht nach Heilung, Vollständigkeit statt Trennung, und es aktiviert sofort sämtliche Selbstheilungskräfte, um Ihre Wunden zu schließen. Das, was die Heilung allerdings verhindern kann, sind unsere destruktiven Gedankenprogramme an Unwürdigkeit, die dazu führen, dass wir die Wunden wieder aufkratzen. Niemand ist unwürdig!

Mit einem bedingungslosen »Ja« zu uns selbst, zu anderen und zur Welt bringen wir uns wieder mit dem Leben und dem kosmischen Geist in Einklang. Der Weg der Vergebung und das Ziel sind eins, dass wir uns selbst erkennen und versöhnen: mit uns selbst, mit anderen, mit der Welt und mit Gott.

Ulrich Duprée

Zum Autor:

Ulrich Duprée, Jahrgang 1962, ist ein spiritueller Forscher, Schriftsteller und Kursleiter. Er besitzt die Fähigkeit, Menschen auf einfache Weise zu zeigen, wie sie vergeben und so große Fortschritte in ihren persönlichen Entwicklungswegen machen können. Seine bisher zehn Bücher erscheinen in 16 Sprachen und in mehr als 16 Ländern. Er gehört zu den wenigen deutschen Autoren, deren Bücher sowohl in den USA als auch in Russland erscheinen. Sein Buch »Ho‘oponoopono, das hawaiianische Vergebungsritual« gilt schon heute als ein Klassiker.

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