Die Sternbilder und ihre Göttinnen im Zyklus der Jahreszeiten
Im Gegensatz zur modernen patriarchalen Astrologie verstand sich die frühere matriarchale Astrologie vor allem auf die Verkörperung der Sternbilder in Mysterienfesten, die entsprechend den Jahreszeiten gefeiert wurden und für die kollektive Gemeinschaft der Menschheit von Bedeutung waren. Aus Sicht der matriarchalen Astrologie wurden die Sternbilder mit Göttinnen in Verbindung gebracht, für welche die Autorin ein anschauliches Beispiel bietet.
Die Symbole der Astrologie und ihre Kombinationen haben in der matriarchalen Astrologie den Sinn, die tiefe, unlösbare Verbindung von uns zur Erde und von der Erde zum Kosmos auszudrücken. Denn in diesem Kontinuum leben wir. Es geht dabei nicht so sehr um das Schicksal von einzelnen Individuen, sondern um die Beziehung zwischen Himmel und Erde. Nach matriarchaler Auffassung spiegeln sich die Himmelsereignisse auf der Erde, und die Ereignisse auf der Erde spiegeln sich wiederum in der kollektiven Gemeinschaft der Menschheit. Es ist das matriarchale Makrokosmos-Mikrokosmos-Prinzip, welches das Kontinuum zwischen dem Größeren und dem Kleineren ständig herstellt: So wird die Erde als Mikrokosmos gegenüber dem Universum gesehen und die menschliche Gesellschaft wiederum als Mikrokosmos gegenüber der Erde. Auf diese Weise wird alles mit allem verbunden betrachtet, was für die Menschen bedeutet, dass auch ihr Tun im Einklang mit den Gesetzmäßigkeiten auf der Erde und am Himmel sein soll.
»Die Symbole der Astrologie und ihre Kombinationen haben in der matriarchalen Astrologie den Sinn, die tiefe, unlösbare Verbindung von uns zur Erde und von der Erde zum Kosmos auszudrücken.«
Von der matriarchalen zur patriarchalen Astrologie
Die matriarchale Astrologie hatte ihre Anfänge in der Jungsteinzeit, als die Menschen einfache oder komplexe Steinkreise und Megalithanlagen errichteten, die ihnen eine differenzierte Himmelsbeobachtung erlaubten. Das war für sie lebensnotwendig, da sie als erste Agrarkulturen einen genauen Kalender für die Aussaat- und Ernte-Daten im bäuerlichen Jahr brauchten. Es ging also um die generelle Situation für alle Menschen und nicht um individuelle, persönliche Angelegenheiten. Das Vegetationsjahr wird in erster Linie von der Stellung der Sonne bestimmt. Aber auch der Mond beeinflusst das Wetter intensiv durch seine Wirkung auf das Magnetfeld der Erde. Die subtilen Wirkungen der Planeten beeinflussen ebenfalls das Magnetfeld der Erde und mischen sich in das Wetter ein. Vom Wetter hängen wiederum das Wachsen und Reifen der Pflanzen ab, ebenso der Erfolg oder Misserfolg der Ernte. So waren für die damaligen Menschen die Wirkungen der Gestirne noch unmittelbar zu sehen und zu erleben, sie wussten, dass das, was auf der Erde geschieht, von den Kräften der Gestirne ausgeht. Vom Gedeihen der Vegetation und der Kulturpflanzen im bäuerlichen Jahr hingen sie selber ab, das machte ihr »Schicksal« aus. »Schicksal« wurde also kollektiv verstanden, es war das Schicksal des ganzen Landes mit den Pflanzen, Tieren und Menschen, die darin lebten. Deshalb verknüpften sie Sonne, Mond, Planeten und Sternbilder mit göttlichen Mächten.
In der gegenwärtigen, patriarchalen Astrologie werden die Menschen einerseits und die Sternbilder andererseits – diese nur abstrakt auf dem Horoskop-Papier – isoliert voneinander betrachtet und daraufhin wird eine eindimensionale Beziehung zwischen ihnen hergestellt. Daher kann man nicht verstehen, weshalb diese fernen Sterne das »Schicksal« eines einzelnen Menschen bestimmen sollten, es bleibt absolut ein Rätsel. Aber das Rätsel entsteht nur dadurch, dass die Erde schlicht ausgelassen wird, als gäbe es sie nicht. Jedoch steht die Erde im Mittelpunkt der Sternbilder der Ekliptik und wird von Sonne, Mond und Planeten umkreist, und die Menschen stehen auf der Erde – von der menschlichen Perspektive aus gesehen. Daher geht es in der matriarchalen Astrologie um das Kontinuum der Beziehungen von Sonne-Mond-Planeten und Erde, von der Erde mit ihren Jahreszeiten, von den Jahreszeiten mit dem Wachsen und Welken der Pflanzen, was wiederum das Dasein von Tieren und Menschen bestimmt. Diese gesamthafte Vorstellung entspricht der Wirklichkeit, in der wir leben.
Diese ganzheitliche Weltsicht ist der Boden für die matriarchale Astrologie, und von daher empfingen die Sternbilder und Planeten einst ihre Deutung durch die Menschen in der Jungsteinzeit. Sie schufen die Grundlage für die matriarchale Astrologie, um die es hier geht. Wenn wir uns ihr also annähern möchten, dann geht es um kulturgeschichtliche Nachforschung und nicht um astrologische Phantasie.
»Sie waren damit Erben des Mondkalenders, der schon in der Altsteinzeit, sehr wahrscheinlich von Frauen, entwickelt worden war und über die längsten Epochen der menschlichen Kulturgeschichte gegolten hat.«
In den matriarchalen Kulturen der Jungsteinzeit benannten die Menschen die Sternbilder, ebenso Sonne, Mond und Planeten mit den Namen von großen Göttinnen, die in ihrem Verständnis deren kosmische Mächte verkörpern. Durch die Jahrtausende hindurch wurde dieses Wissen nur mündlich überliefert, wie alles aus diesen frühen Kulturen. Wenn man schriftliche Quellen sucht, so finden sie sich zuerst in den Keilschrift-Texten der Kultur der Sumerer in Mesopotamien (ab dem dritten Jahrtausend vor unserer Zeit), sie sind die Erben der mündlichen Überlieferungen. Die Sumerer pflegten eine genaue Himmelsbeobachtung, die mit astrologischen Deutungen verbunden war. Ihren Kalender organisierten sie nach dem Planeten Venus, die mit großer Regelmäßigkeit acht Wochen lang Morgenstern und acht Wochen lang Abendstern ist. Von den Chaldäern, einem Volk in Südmesopotamien, wurde die Astrologie intensiv weiterentwickelt, und von diesen übernahmen sie später die Babylonier, die sie erheblich verfeinerten. In Babylon entstanden die ersten ausführlichen, astrologischen Schriften. Zugleich richteten die Babylonier ihre Zeitrechnung traditionell nach dem Mond, das heißt, jedes Mal, wenn die junge, neue Mondsichel erschien, fing ein neuer babylonischer Monat an. Sie waren damit Erben des Mondkalenders, der schon in der Altsteinzeit, sehr wahrscheinlich von Frauen, entwickelt worden war und über die längsten Epochen der menschlichen Kulturgeschichte gegolten hat. Auch die babylonische Astrologie war noch matriarchal, und sie prägte die anderen Kulturen in ihrem ausgedehnten Umfeld, das von Persien bis Indien und über Alt-Palästina nach Ägypten bis zum vor-patriarchalen Griechenland reichte. Erst in Ägyptens Spätzeit begann man, die alten Göttinnennamen aus der Astrologie zu entfernen und durch männliche Figuren, Tiere oder Geräte zu ersetzen. Dieser Patriarchalisierungsprozess wurde im klassischen Griechenland und in Rom weiter vorangetrieben, er begründete die Form der heute bekannten, patriarchalen Astrologie.
Rückkehr zum matriarchalen Verständnis
Um die patriarchale Astrologie zu überwinden und die matriarchale Astrologie wiederzugewinnen, reicht es allerdings nicht, die Sternbilder mit Göttinnen als losgelösten, mythischen Gestalten zu verknüpfen – wie es in der Gegenwart von manchen Autorinnen unternommen wird. Dabei erfahren wir kaum etwas über die konkreten matriarchalen Kulturen, aus denen die Göttinnen stammen, und das Geschichtsverständnis bleibt merkwürdig unklar und verschwommen. Eine solche assoziative Reihung von Göttinnen ergibt wenig Sinn, es braucht einen ordnenden Zusammenhang, wie er im matriarchalen Weltbild gegolten hat. Die zwölf Sternbilder der Ekliptik stellen einen Zyklus dar, durch den die Sonne im Laufe eines Jahres wandert. Von ihrer Wanderung durch diese zwölf Sternbilder hängen die Jahreszeiten auf der Erde ab, die sie durch ihre wechselnde Lichtintensität hervorbringt. Es ist deshalb der Jahreszeitenzyklus auf der Erde, verursacht durch die Sonne, der den verschiedenen göttlichen Gestalten eine Ordnung gibt. Genauer gesagt: Für matriarchale Menschen sind es die Göttinnen, die in den Sternbildern wohnen und die Sonne hindurchwandern lassen, womit sie der Erde die Jahreszeiten schenken, von denen wiederum das irdische Leben abhängt. In ihren Gestalten ist die zyklische Ordnung von Sternen, Erde und menschlichem Leben bedeutungsvoll symbolisiert worden.
»Für matriarchale Menschen sind es die Göttinnen, die in den Sternbildern wohnen und die Sonne hindurchwandern lassen, womit sie der Erde die Jahreszeiten schenken, von denen wiederum das irdische Leben abhängt.«
In matriarchalen Kulturen wurde dieses Kontinuum von Kosmos, Erde und Menschenwelt nicht in Büchern festgehalten, sondern in ihren Festen gelebt. Der Jahreszeitenzyklus und der Kreis des Lebens wurden in den matriarchalen Mysterienfesten gefeiert, womit sich die Menschen zum jeweils richtigen Zeitpunkt mit dem Kosmos und der Erde verbanden. An einem einfachen Beispiel erläutert: Wenn am Himmel Wintersonnenwende ist, gibt es auf der Erde keine Frühlingsblumen und man feiert nicht Ostern. Doch wenn am Himmel Frühlings-Tagundnachtgleiche ist und auf der Erde die Vegetation erwacht, dann feiert man dieses Fest. Dieser Rest des alten Zusammenhanges ist uns noch vertraut. Der gesamte Jahreszeitenzyklus war der Kalender der frühen Menschen, der sie mit dem, was am Himmel vorging und was auf der Erde geschah, verband. Mit ihren Festen im Jahreskreis, mit denen sie sich in diesen Zusammenhang einbetteten, bewahrten sie nach ihrer Auffassung die Balance zwischen der kosmisch-irdischen Natur und der Menschenwelt.
»Der Schlüssel zum Verständnis der matriarchalen Astrologie liegt daher im Zyklus der Jahreszeiten auf der Erde.«
Der Schlüssel zum Verständnis der matriarchalen Astrologie liegt daher im Zyklus der Jahreszeiten auf der Erde. Da diese auch in den Mysterienfesten symbolisiert und gefeiert wurden, hat die matriarchale Astrologie dieselbe Quelle wie die Feste. Um diese Symbolik entschlüsseln zu können, ist die matriarchale Mythologie grundlegend, wie sie von mir erschlossen worden ist. Aber auch die matriarchale Mythologie war für die längste Zeit ein mündliches Gut und keine Sammlung von Erzählungen, denn sie enthielt die Regieanweisung für den alljährlichen Zyklus der Feste. Deshalb gibt es wechselseitige Beziehungen zwischen dem Symbolsystem der matriarchalen Mysterienfeste und der matriarchalen Astrologie, denn sie enthalten das matriarchale Weltbild.
Lies‘ im Folgenden, wie Heide Göttner-Abendroth die matriarchale Deutung des Sternzeichens Mars vornimmt. Du wirst überrascht sein!
Die Sternbilder und ihre Göttinnen
Am nächtlichen Sternenhimmel sind außer vielen anderen Sternbildern auch die zwölf Sternbilder der Ekliptik zu sehen. Jedes von diesen besteht aus einer bestimmten Konstellation von Sternen, in der man ein »Bild« erkennen will. Ich werde für jedes kurz seine besondere Sternkonstellation beschreiben, um das Interesse zu wecken, es am Nachthimmel einmal aufzusuchen, wenn es gerade über uns stehen sollte. Nicht alle sind gleichzeitig zu sehen, manche erscheinen im Sommer, andere im Winter, weil die Ekliptik um den Erdäquator schräg geneigt ist, genauer: Die Erdachse ist gegen die Ekliptik schräg geneigt. Vor allem ist dasjenige, das ich für je einen bestimmten Monat beschreibe, gerade nicht am Himmel zu entdecken, weil die Sonne hindurchwandert und es überstrahlt. Auch sind die Sternbilder des Sommers nicht im Sommer zu sehen, weil sie nur tags erscheinen. Dafür sind im Winter die Sommersternbilder am Nachthimmel ausgezeichnet zu beobachten und umgekehrt die Wintersternbilder in den Sommernächten.
Nach diesen wenigen elementaren Bemerkungen zur Himmelskunde widmen wir uns der matriarchalen Astrologie als einem sehr alten Symbolsystem. Jedes Sternbild besitzt darin folgende Beziehungen, die für unsere Forschung nach seiner ursprünglichen Bedeutung wichtig sind:
- Jedes Sternbild bezieht sich auf den Kreis der Jahreszeiten, der sich in den entsprechenden zwölf Monaten entfaltet. (Ich bleibe hier bei der Erscheinung der Jahreszeiten, wie sie sich in unserem mitteleuropäischen Raum zeigen.)
- Die Sternbilder sind mit einer alten Elementelehre verknüpft, nach der jedem eins der vier Elemente Feuer, Wasser, Erde oder Luft zugeordnet wird.
- Den einzelnen Sternbildern werden die Eigenschaften »kardinal« oder »fest« oder »beweglich« zugeschrieben, was die Qualität der ihnen zugeordneten Elemente Feuer, Wasser, Erde, Luft verändert: Bei »kardinal« erscheint das Element in seiner puren, unmittelbaren Kraft, bei »fest« in seiner weitesten, reichsten Entfaltung, bei »beweglich« in seiner feinsten, beweglichen oder sublimierten Form.
- Jedes Sternbild ist mit einem bestimmten Planeten verbunden, dessen Eigenschaften zu denen des Sternbildes passen.
Ich werde hier ein Beispiel geben, das nicht nur die matriarchale Astrologie, sondern auch meine Methode veranschaulicht.
Zum sogenannten »Widder« (21. März bis 21. April)
In der Astrologie beginnt das Jahr mit dem »Frühlingspunkt«, das heißt, mit der Frühlings-Tagundnachtgleiche. Zu diesem Zeitpunkt beginnt der Frühling, und die Sonne tritt in das Sternbild mit dem Namen »Widder« ein, das lateinisch »Aries« heißt. Sein abstraktes Zeichen, das allgemein in der Astrologie verwendet wird, stellt stark stilisiert einen Widderkopf mit zwei Hörnern dar. Hier tauchen gleich einige Fragen auf, um deren Antwort es hier geht. Warum heißt dieses Sternbild »Widder«? Woher kommt die astrologische Deutung für den »Widder«? Welche Göttinnengestalt wurde hier unterdrückt? Die Antwort lässt sich nicht allein durch den Blick in den Himmel finden, denn die Anordnung der Sterne des »Widders« stellt nicht das Tier dar. Es besteht nur aus drei Sternen, von denen zwei recht hell sind. Daher wird es in Kulturregionen außerhalb unserer eigenen, also in China, Afrika oder Amerika, auch anders benannt. Das Entscheidende ist daher nicht die Form der Sternkonstellation am Himmel, sondern der in der herkömmlichen Astrologie stets vergessene Teil: die Erde. Die Menschen beobachteten, was auf der Erde geschieht, während die Sonne durch das Sternbild »Widder« wandert. Es ist Frühlingsanfang, das Wachstumsjahr beginnt. Die Keime der Pflanzen und die Frühlingsblumen bohren sich mit großer Kraft durch die Erde, um ans Licht zu gelangen. Auch die Knospen an den Bäumen schwellen und Blütenblättchen dringen hervor. Das junge Leben setzt sich vehement gegen den vergehenden Winter durch.
Auf den Bauernhöfen werden die Zicklein und Lämmer geboren, auch bei den Wildtieren kommen die Jungen zur Welt. Kleine Vögel aller Art durchbrechen, nachdem das Brüten abgeschlossen ist, jetzt die Schale des Eies und schlüpfen. Es herrscht überall Durchsetzungskraft und Aufbruch zum Leben hin trotz manchen noch kalten Nächten und plötzlichen Schneeschauern an einigen Tagen. Deshalb ist diese Zeit im Monat April für die jungen Lebewesen nicht sanft, sie brauchen viel Energie, um auf die Welt zu kommen. Die Energie, die sie für den Durchbruch aus den alten Hüllen benötigen, kommt von der Sonne, die bereits stark vom Himmel herunterstrahlt. Ihre wärmende Kraft ist belebend, sie weckt alles auf. Sie setzt die Luft im Frühlingssturm und das Wasser in der Schneeschmelze in Bewegung, was oft auch mit großer Heftigkeit geschieht. Sie lässt das Eis in den Bächen und Seen zerspringen und heizt den Erdboden auf. Durch ihre Wärme sprießen die Spitzen der Saaten hervor, das Leben drängt ans Licht, alles zehrt unmittelbar von der Intensität der Sonne.
Nach der alten Elementelehre, welche die Sternbilder mit den vier Elementen verknüpft, wird dem »Widder« das Element Feuer zugeordnet. Das Sternbild gilt außerdem als »kardinal«, als eins des Anfangs, damit zeigt es das zugehörige Element in seiner unmittelbaren, direkten Form: Feuer in seiner Qualität als Flamme. Diese Zuordnung erklärt sich nicht nur durch die oft schon heiße Frühlingssonne, sondern sie bezieht sich auf den Planeten, der nach traditioneller Astrologie zu diesem Sternbild gehört: der feurige Mars. Der Planet Mars ist in der patriarchalen Astrologie der Gott des Krieges, denn im Krieg geht es immer heiß zu. Wie wenig dies jedoch zur matriarchalen Deutung als dem Erwachen des Lebens zu dieser Jahreszeit passt, ist offensichtlich.
Die Erscheinung der Natur im Monat April bestimmt in der matriarchalen astrologischen Deutung die Eigenschaften, die dem Sternbild »Widder« zugeschrieben werden: unbedingter Lebenswille, plötzlicher Durchbruch aus alten Hüllen und große Durchsetzungskraft, auch ein gewisses feuriges Ungestüm. Damit ist jedoch nicht der rücksichtslose Wille gemeint, der sozusagen »mit den Hörnern durch die Wand« geht, wie es in der patriarchalen Astrologie mit Hinblick auf angeblich »männliche« Eigenschaften oft gesagt wird. In matriarchalen Gemeinschaften würde es niemandem einfallen, sich derart gegen die Mitmenschen zu verhalten. In der matriarchalen Astrologie liegt die Betonung daher auf der Fähigkeit, Neues im Leben zu wagen, die Initiative zu ergreifen und damit auch anderen Menschen Anstöße zu geben. Wir erkennen, dass die Deutung sich nicht aus einer psychischen Innenschau oder abstrakten Menschen- und Charakterkunde ableiten lässt, sondern dass sie unmittelbar vom Geschehen auf der Erde zu dieser Jahreszeit stammt. Das ist ihr realer Boden und allgemeiner Sinn, von daher hat die Deutung ihre Gültigkeit. Damit wäre eine der Fragen, die wir oben gestellt haben, beantwortet. Aber warum heißt das Sternbild ausgerechnet »Widder«? Es könnte ja auch »Zicklein« oder »Schlüpfender Vogel« heißen, da sie dieselbe Durchsetzungskraft brauchen, um ins Leben zu kommen. Diese Frage lässt sich nur beantworten, wenn wir zum Verständnis die matriarchale Mythologie heranziehen, auf der die matriarchale Deutung beruht: Die kretische Mythe von der Göttin Rhea erzählt, dass sie ihr Kind, den sterblichen kretischen Zeus, jedes Jahr in einem Strom von Blut und blitzendem Feuer in der Dikte-Höhle neu gebar. Er wurde von der göttlichen Ziege gesäugt und von der göttlichen Biene mit Honig verwöhnt. Die Schafhirten des Ida-Gebirges hüteten das Kind und bei ihnen wuchs es im Verborgenen heran, symbolisiert als der kleine Widder. Es handelt sich hier um eine Frühlingsmythe, denn es heißt, wenn der junge Zeus aus der Höhle trat und vor den Schafhirten erschien, leuchtete er wie die Sonne, und die Hirten feierten ihn mit Jubel. Noch in der von dieser Mythe abgeleiteten christlichen Legende sind es Schafhirten, die Maria und das Jesuskind als Erste besuchen, um das Kind zu verehren und ihm die Gabe von Lämmchen darzubringen. Der kretische Zeus besaß noch als Erwachsener gelegentlich die Gestalt eines Widders und wurde als »Zeus Ammon« verehrt. Erst in der späteren Version der patriarchalen griechischen Religion benötigte er keine Wiedergeburt durch die Göttin mehr, sondern wurde zum unsterblichen, alles beherrschenden Göttervater gemacht. Was den Widder als Tier symbolisch mit der Frühlingssonne verbindet, ist die Form seiner Hörner. Sie sind spiralig gebogen, was die frühen Menschen als Zeichen für die in Spiralen um die Erde wieder aufsteigende Sonne betrachteten. Der Widder galt daher seit sehr alter Zeit als heiliges Sonnentier. Damit ist nicht nur erklärt, warum das Sternbild »Widder« heißt, sondern wir haben auch die Göttin gefunden, die bei der Patriarchalisierung der Astrologie weggelassen wurde. Es ist die archaische Göttin Rhea. Man bezeichnete sie im patriarchalen Griechenland als »Titanin«, eine Benennung, die auf die Gottheiten der vor-patriarchalen Kultur hinweist. Rheas Name ist eine Variante von »He Era«, das heißt »die Erde«. Sie war eine große Erdmutter und verkörperte das Land Kreta.
Wenn dieses Sternbild daher nicht einseitig nur nach dem männlichen Teil der Mythe benannt werden soll, dann ist sein vollständiger Name »Rhea und das Widderkind«.
Zum sogenannten »Mars«
Von Babylon und Altpalästina über Ägypten gelangte das matriarchale Verständnis von Sonne, Mond und Planeten ins vor-patriarchale Griechenland und wurde dort mit griechischen Namen in die eigene Mythologie aufgenommen. Es waren aber nicht die späteren, olympischen Götter, deren Namen gebraucht wurden – wie hier vom Ares/Mars – denn diese gehören zur frühpatriarchalen Geschichte Griechenlands mit einer frühpatriarchalen Religion. In diesem patriarchalen Verständnis sind Zeus/Jupiter der Herrscher, Ares/Mars der Krieger, Hermes/Merkur der Geschäftstüchtige, Kronos/Saturn der Böse und die Sonne der Gott. Sie wurden eindeutig männlich besetzt und spiegeln die patriarchale Gesellschaft ziemlich genau wider. Eindeutig weiblich hingegen sind in dieser Perspektive nur die Aphrodite/Venus als schöne, verführerische Frau und der Mond als häusliche Familienmutter, was die Rolle der Frauen in jenen patriarchalen Gesellschaften ebenso genau zeigt. In der matriarchalen Astrologie hingegen trugen die damals bekannten, sieben sichtbaren Himmelskörper die Namen von Titaninnen und Titanen, welche die älteren, matriarchalen Gottheiten waren. Sie galten als Kinder der Mutter Erde und des Himmels und wurden von den späteren olympischen Göttern brutal unterdrückt.
»Diese Auffassung von der doppelten Kraft eines jeden Himmelskörpers hat mit dem matriarchalen Prinzip der Balance zu tun, nach dem die Polaritäten der Welt in Ausgleich sein müssen, auch die Weiblich-Männlich-Polarität.«
Dabei gab es keine eindeutig weiblichen oder männlichen Zuschreibungen, denn auch das ist eine patriarchale Verengung. In der matriarchalen Astrologie wurden diesen Himmelskörpern sowohl weibliche als auch männliche Kräfte zugeschrieben. Sonne, Mond und Planeten wurden mit doppelter Energie begabt betrachtet, wobei die weibliche Energie eine Göttin ist, während die männliche Energie ihren göttlichen Gefährten meint. Diese Auffassung von der doppelten Kraft eines jeden Himmelskörpers hat mit dem matriarchalen Prinzip der Balance zu tun, nach dem die Polaritäten der Welt in Ausgleich sein müssen, auch die Weiblich-Männlich-Polarität. Das trifft ebenso für die Kräfte der Gestirne zu, sodass sie nicht einseitig nur männlich oder nur weiblich sein können, wie es in der patriarchalen Astrologie üblich ist. Wir nehmen hier den Faden zu den Titaninnen und Titanen wieder auf, denn sie zeigen uns den Weg zum matriarchalen Verständnis der sieben Gestirne.
Zum Titanenpaar des Mars:
Der Planet Mars ist der Erde benachbart, etwas kleiner als sie, und wird oft »der rote Planet« genannt. Tatsächlich ist seine Oberfläche ganz und gar rötlich, und genauso rötlich leuchtet er im Nachthimmel über der Erde. Das ist besonders auffällig, wenn er sich auf seiner Bahn in großer Erdnähe bewegt. In solchen Phasen kann er auf der Erde recht heiße Sommer verursachen.
Wahrscheinlich hat man ihn wegen seiner roten Erscheinung in der patriarchalen Astrologie dem Kriegsgott Mars gewidmet, der im Griechischen »Ares« heißt. Diesem Kriegsgott werden ein ungestümer, feuriger Charakter und Freude an Aggression, Schlachten und Blutvergießen bescheinigt. Außerdem soll er dem Trunke ergeben gewesen sein, was ihn sehr reizbar und streitsüchtig machte. In der matriarchalen Astrologie hat dieser Planet jedoch weder mit Krieg noch mit einem Gott etwas zu tun. Denn der Krieger und sein Zerstörungswille sind kein Thema in diesen Kulturen, stattdessen der Lebenswille der ganz jungen Wesen und ihr ungestümes Wachstum. In diesem Sinne wurden als Titanenpaar des Planeten Dione und Krios genannt.
Die Göttin-Titanin Dione ist eine Tochter der Thetis und Mutter der Aphrodite, was ein anderes Licht auf die Bedeutung des »roten Planeten« wirft. Seine rote Färbung wird im matriarchalen Verständnis nicht mit Krieg verbunden, sondern mit der Farbe des frischen Lebens und der Liebe. Denn die Liebesgöttin Aphrodite oder Venus pflegt in ihren Mythen – wenn sie nicht gerade nackt ist – in prächtigen, roten Gewändern zu erscheinen. Sie ist die Rote Göttin, und das galt auch für ihre Mutter, die Titanin Dione. Sehr aufschlussreich ist, dass Dione mit einem Tauben- und Eichenkult verehrt wurde. Tauben pflegen auf Eichen zu nisten, und sie gelten als Vögel der Liebe, da sie sich gurrend und balzend stets liebesbereit verhalten. Auch von Aphrodite wurde gesagt, dass sie von Tauben umgeben war, sie konnte sich sogar auf ihren Flügeln in die Lüfte erheben.
Krios ist der Titanen-Heros der männlichen Liebeskraft und des Wachstums. In diesem Sinne ist er der passende Partner für Dione, die Göttin-Titanin der erotischen Liebe. In einer späteren patriarchalisierten Mythe spiegelt sich diese Verbindung in der jüngeren Göttergeneration, denn dort heißt es, dass Aphrodites Leidenschaft am meisten dem wilden Ares galt. Allerdings war dieser ursprünglich kein Kriegsgott, sondern wie Krios ein Heros der männlichen Liebeskraft, und seine »Aggression« war keine Gewalt, sondern nichts anderes als seine Art auf die Göttin zuzugehen. Das Wort »Aggression« kommt von lateinisch »aggredior« und bedeutet »sich an jemanden wenden, auf jemanden zugehen, etwas unternehmen«, und »aggressio« bedeutet »einen Anlauf nehmen«. Er wendet sich also voll Liebesbegehren an die Göttin und geht auf sie zu, und wenn sie noch zögert, dann unternimmt er etwas und macht einen neuen Anlauf, um ihre Liebe zu erwerben. Seine feurige Aktivität gefällt ihr, und in Liebe vereinigt sie sich mit ihm. Aus der erotischen Verbindung dieser beiden Liebeskräfte entspringt das Wachstum neuen Lebens. Daher symbolisiert dieses Titanenpaar die Kraft des Wachstums in allen jungen Lebewesen, die es zum Durchbruch ins Leben brauchen, sei es in Pflanzen, in Tieren oder Menschen. In der matriarchalen Astrologie heißt der Planet Mars also »Dione und Krios« in der Bedeutung von erotischer Liebeskraft und Wachstum. Er wird symbolisch dem Sternbild »Rhea und das Widderkind« (sog. »Widder«) zugeordnet.
Diese wenigen Bemerkungen zur Matriarchalen Astrologie und dieses Beispiel mögen hier genügen, um eine Idee davon zu geben, worum es darin geht. Es wäre schön, wenn sie das Interesse wecken würde, sich näher damit zu beschäftigen, um die Klischees, mit denen die gegenwärtige Astrologie noch behaftet ist, zu überwinden.
Anmerkung der Redaktion: Die matriarchale Deutung der anderen Sternzeichen findest du in dem Buch »Symbolik von Erde und Kosmos« (s. unten).
Bücher von Heide Göttner-Abendroth:
- Symbolik von Erde und Kosmos. Matriarchale Mysterienfeste, Tarotkarten, Astrologie, Rüsselsheim 2023, Christel Göttert Verlag. Beim Verlag bestellen.
- Die Göttin und ihr Heros. Die matriarchalen Religionen in Mythen, Märchen, Dichtung, Stuttgart 2011, Kohlhammer Verlag.
Zur Autorin
Dr. Heide Göttner-Abendroth ist Mutter und Großmutter. Sie erwarb ihren Doktortitel an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, wo sie zehn Jahre Philosophie und Wissenschaftstheorie lehrte (1973–1983). Durch ihre lebenslange Forschungsarbeit und ihr Hauptwerk »Das Matriarchat« wurde sie zur Begründerin der Modernen Matriarchatsforschung. Sie war Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten und ist für die Leitung der »Internationalen Akademie HAGIA für Matriarchatsforschung« zuständig. Im Jahr 2012 erhielt sie für ihre Forschung einen Award von der »Association of Women & Mythology«. Sie wurde zweimal für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.
Artikel zum Thema
Sarah Rubal – Die Heimkehr der Göttin. Unsere mythische Heldinnenreise (Teil 1)
Dr. Heide Göttner-Abendroth – Am Anfang war die Mutter
Dr. theol. Ina Praetorius – Care Arbeit, Postpatriarchat (Video-Interview)
Weitere Beiträge auf www.tattva.de (noch nicht als Volltexte in Tattva Members eingepflegt):
TV 94: Schwerpunkt – Göttinnen
Wunderbar, wie Heide Götter-Abendroth die astrologischen Sternbilder in der matriarchalen Symbolik in ihrer Harmonie und Balance beschreibt. Genau dies fehlt ihm Patriarchat, wo alles „aus dem Gleichgewicht“ kommt, wie man in der jetzigen Zeit mehr und mehr wahrnehmen kann. Gern auch anschauen den YouTube-Kanal von Nana Sturm, sie hat viele gute Beiträge zu matriarchalem Wissen und auch sehr interessante Interviews.