Ein Erfahrungsbericht aus der Diamond-Logos-Praxis
Der Autor beschreibt seine Erfahrung in verschiedenen Stufen der spirituellen Entwicklung, die ihn von einer starken Einheitserfahrung über emotionale Heilungsarbeit zu einer Praxis führte, die emotional-feinstoffliche und spirituell-seelische Bereiche verbindet. Ziel der Diamond-Logos-Lehre ist die Verwirklichung des essenziellen Selbst, auch »Point of Light« genannt. Die persönliche Individualität, das Selbst, bleibt neben dem unpersönlichen Urgrund, der Selbstheit, bestehen. Als drittes Selbst wird das Ego angesehen, das wir in den Dienst des essenziellen Selbst stellen können.
Dass wir nicht unser Ego sind und dass Erleuchtung unsere wahre Natur offenbaren würde, ist heute fast ein Allgemeinplatz. Am Ende des Weges geht das falsche persönliche Bewusstsein im wahren unpersönlichen Bewusstsein auf und der Kreis schließt sich, so das Standardmodell der Spiritualität. Viele Jahre war ich selbst von dieser Sichtweise überzeugt, bis mir dämmerte, dass es zwischen dem Ego und dem erwachten Sein ein reales individuelles Selbst, eine Seele, geben könnte, die sich entwickelt, die vom Erwachen nicht berührt wird und die in einer eigenen Dimension beheimatet ist. In den letzten Jahren habe ich eine entsprechende Praxis begonnen, dazu später mehr.
Vom Ego und höheren Sein
Eine Bemerkung vorab: Als Ökologe und Umweltplaner gehört es zu meinem Alltag, meine Schlüsse auf der Grundlage wissenschaftlicher Fakten zu ziehen. Als ich Ende der 1990er-Jahre an der TU Berlin über Wissensmanagement promovierte, waren meine Helden der Physiker Thomas Kuhn, der Biologe Rupert Sheldrake und der Philosoph Ken Wilber. Wilbers Integrale Theorie halte ich für richtungsweisend. Seit den 1980er-Jahren haben mir seine Entwicklungsmodelle oft geholfen, meine spirituellen Erfahrungen einzuordnen.
In den 1980er- und 1990er-Jahren führte mich meine innere Suche zu verschiedenen Lehrerinnen und Lehrern, von Europa bis Asien. Auf den Kanarischen Inseln kam es 1997 zu einer Einheitserfahrung, die mein Leben grundlegend veränderte. Anschließend war für mich offensichtlich, dass es keine Individuen gibt, das Ego oder Selbst bloß eine Ansammlung von Gedanken darstellt und nur das Sein oder die Quelle existiert, als einzig Handelnde/s. »Das Leben lebt sich selbst«, wie mein Lehrer formulierte. Fortan ließ ich mich von den Ereignissen treiben, wartete aber im Stillen darauf, dass sich mein Leben ausgeglichener gestalten würde.
2003 erkannte ich bei einem anderen Lehrer, dass ich weiterhin als Individuum existierte und immer existiert habe. Das war eine große Befreiung. Anstatt die Dinge laufen zu lassen, begann ich, wieder zu planen und an mir zu arbeiten. Während ich zuvor geglaubt hatte, alles befinde sich bereits in seinem natürlichen Zustand und ich hätte keinen Einfluss auf den Lauf der Dinge, wirkten in mir tatsächlich verborgene Strategien und Verletzungen. Es war weniger das unpersönliche Sein als vielmehr das Ego, das mein Leben gestaltete. Erstaunlicherweise blieb nach dieser Einsicht meine innere Verbundenheit erhalten. Sie stellte keinen Gegensatz zu meinem Ego und zu meiner Individualität dar. Das Durchschauen der Konzepte bedeutet nicht, dass es kein Selbst oder kein Ego gibt, sondern nur, dass die Identifizierung mit dem mentalen Selbstbild nicht mehr funktioniert. Aber was befand sich hinter diesem Projektionsmechanismus? Worin könnte mein wahres Ich oder Selbst bestehen?
»Mit Anfang fünfzig befand ich mich daher an einem weiteren Wendepunkt, ohne eine spirituelle Perspektive. «
2004 schloss ich mich der Gemeinschaft einer Freundin an. Bei dieser Praxis ging es – vereinfacht gesagt – darum, mit den Subpersönlichkeiten Kontakt aufzunehmen und auf emotionale Weise das Innere Kind zu heilen. Gleichzeitig wurde daran gearbeitet, sich von den Stimmen und Botschaften der Eltern zu unterscheiden und letztlich zu distanzieren, die im Inneren Kritiker gespeichert sind. Dadurch sollte sich allmählich aus dem »strategischen Selbst«, dem Ego, das »authentische Selbst« entwickeln, das auch nach der Erleuchtung seine Individualität bewahren würde. Elf Jahre lang praktizierte ich diese Methode und fand tatsächlich einen neuen Zugang zu meinen Gefühlen. Lange war ich überzeugt, dass der Emotionalkörper unser wahres Selbst umfasst. Das war jedoch ein Irrtum und dies führte mit internen Verstrickungen 2015 letztlich zur Auflösung der Organisation. Mit Anfang fünfzig befand ich mich daher an einem weiteren Wendepunkt, ohne eine spirituelle Perspektive.
In diesem Zustand lebte ich in den darauffolgenden Jahren. Beruflich musste ich wegen eines Forschungsvorhabens zum Klimawandel häufig nach Wien reisen, was ich genoss; mit meiner Frau nahm ich an einem Tanzkreis teil, ansonsten erfreuten wir uns an Kunst und Kultur. Beinahe hätte ich damit abgeschlossen, mich überhaupt noch einmal auf einen spirituellen Weg einzulassen.
Der Wendepunkt
Da las ich durch Zufall die Ankündigung, dass in Hamburg ein Seminar zum Inneren Kritiker angeboten werden würde. Rani Willems war mir durchaus bekannt, da sie einige Jahre Satsang gegeben hatte. Nun arbeitete sie als Diamond Logos-Lehrerin. Also meldete ich mich an, erst mal nur zum Einführungsabend – und blieb das ganze Wochenende! Ich war sehr beeindruckt, mit welcher Präzision uns die Seminarleiterin durch die Entstehungsgeschichte des Inneren Kritikers führte und dabei unterschiedliche Methoden der Differenzierung anbot. Gleichzeitig mochte ich ihren Humor und ihre Offenheit. Am Sonntagabend saß ich einige Stunden lang still auf unserem Balkon und betrachtete »einfach nur« die Bäume – das allererste Mal ohne den Druck der verinnerlichten Stimmen meiner Eltern.
Zwei Monate später bot Rani Willems ein weiteres Seminar an. Es ging um Stille und Inneren Frieden. Am Einführungsabend suchte ich mit einer Bekannten den Seminarort im Hamburger Schanzenviertel auf. Ungefähr 15 Personen befanden sich im Raum, viele davon schwarz gekleidet. Rani leitete die Meditation an. Nach einer Zeit in Stille bat sie uns, uns auf die Dunkelheit der Nacht einzustimmen und deren Stille überall wahrzunehmen. Ich entspannte mich und konnte mir bald ein tiefes Schwarz vorstellen, das mich im Raum umgab. Dann sollten wir uns vorstellen, wie sich dieses Schwarz langsam von oben herabsenkt. Ich folgte der Anleitung und wurde zunehmend ruhiger. Die Schwärze, die mich umgeben hatte, drang tatsächlich langsam in meinen Kopf ein und umhüllte wohltuend mein Gehirn. Dies war keine Vorstellung mehr, sondern ein stoffliches Wahrnehmen, Spüren. Mein Körper entspannte sich zunehmend, während die schwarze Substanz weiter nach unten strömte. Nach einer Viertelstunde war die Meditation zu Ende, und wir teilten unsere Erfahrungen in der Runde mit. Anschließend gab es noch eine Zweierübung: Zwei Personen setzten sich jeweils gegenüber und sprachen abwechselnd über ihre Erfahrungen, während der andere still zuhörte. Rani empfahl, bei dieser Selbsterforschung auch die körperlichen Wahrnehmungen und Empfindungen einzubeziehen. Da der physische Körper im Gegensatz zu den Gedanken und Gefühlen immer im Hier und Jetzt verankert ist, bildet er die Bühne für unser Erleben, so erklärte sie.
Diamond Logos
Nach diesem für mich eindrucksvollen Einführungsabend studierte ich die Webseite der Diamond-Logos-Akademie. Nach meinem Verständnis der Lehre existiert neben dem physischen Körper in der »essenziellen Dimension« ein feinstofflicher Körper, der für gewöhnlich nicht wahrgenommen wird. Über bestimmte »Organe« ist der essenzielle Körper jedoch mit dem physischen Körper verbunden und durchdringt ihn vollständig. Grob vereinfacht besteht dieser essenzielle Körper aus »Substanzen«, wie der schwarzen Essenz, die ich bei jenem Einführungsabend erfahren hatte, und aus »Gefährten«, die ihm Halt geben. Darüber hinaus gibt es in der essenziellen Dimension auch ein spezifisches Bewusstsein sowie ein essenzielles Selbst. Auf der Webseite wird Faisal Muqaddam als Begründer der Diamond-Logos-Lehre angeführt. In den 1980er-Jahren hatte Faisal Muqaddam gemeinsam mit Almaas (Hamid Ali) und Karen Johnson den Bereich der Essenzen entdeckt, in seinen Aspekten beschrieben und Verbindungen mit der psychologischen Entwicklung des Kindes aufgezeigt. Nach einigen Jahren der gemeinsamen Arbeit verließ Faisal Muqaddam seine ehemaligen Weggefährten und begründete die Diamond-Logos-Lehre.
Da Faisal Muqaddam keine Bücher schrieb und erst im letzten Jahr begann, seine Sichtweise in Form von Interviews zu präsentieren, konnte ich mit seinem Namen nichts anfangen. Almaas war mir als spiritueller Lehrer und Schriftsteller durchaus bekannt, daher besorgte ich mir einige seiner Bücher, darunter auch das mit dem Titel »Essenz«. In diesem Buch gibt Almaas einen Überblick, wie wir als Kinder mit der Fülle unserer essenziellen Bestandteile auf die Welt kommen und mit unserer Seele verbunden sind. Im Verlauf der Kindheit können sich diese Essenzen bei guter Unterstützung durch die Eltern und das Umfeld entfalten. Andernfalls – was die Regel ist – verkümmern diese und ziehen sich nach und nach zurück, bis die Erinnerung daran erlischt. Gleichzeitig entwickelt sich das Ego in Anpassung an die Umgebung und handelt schließlich anstelle des Bewusstseins unserer Seele. Um den Verlust von Essenz zu kompensieren, imitiert das Ego die verlorenen Qualitäten über bestimmte Strategien, Energien oder Gefühle. Die Praxis besteht nun darin, schrittweise diesen Prozess der Egoentstehung umzudrehen und wieder zu unserer essenziellen, seelenhaften Natur zurückzufinden.
Diese Beschreibung fand ich so interessant, dass ich den Entschluss fasste, mich auf diesen Weg einzulassen. Unser wahres Selbst sollte also nicht emotionaler Natur sein, wie in meiner früheren Gemeinschaft angenommen, sondern der essenziellen Dimension entstammen. Und natürlich war ich sehr überrascht, als ich zum ersten Mal die schwarze Essenz körperlich in mir erfuhr. Es war so, als hätte ich einen Fuß auf einen bisher unbekannten Kontinent gesetzt. Ich war neugierig geworden, wusste aber auch: Wenn ich ihn erkunden wollte, benötigte ich die Hilfe von Menschen, die sich dort auskannten. Da ich bereits eine vertraute Verbindung zu Rani Willems hatte, kam für mich nur der in der Diamond-Logos-Akademie beschrittene Weg infrage.
Die spirituelle Praxis
Beim ersten Seminarwochenende ging es um die weiße Essenz. Diesmal hatten wir uns weiß gekleidet. Ähnlich wie bei der schwarzen Essenz konnte ich bei der Übermittlung erneut eine Substanz in meinem Körper wahrnehmen, die jedoch eine andere Viskosität aufwies. Im Kopfbereich nahm ich helles vibrierendes Licht wahr, das im Oberkörper flüssiger wurde und im Bauch eine erdige Dichte annahm. Es fühlte sich an, als wäre ich von einem Kokon aus weißer Baumwolle umhüllt, der 30 cm über meinen physischen Körper hinausreichte und äußere Einwirkungen abschirmte. Gleichzeitig kam in mir eine große Gelassenheit und Ruhe auf, sodass mich selbst ein Erdbeben nicht hätte erschüttern können. Die weiße Essenz steht – wie uns Floriane Usener (die mit Rani Willems zusammen Gruppen in Hamburg unterrichtet) erklärte – für den wahren, den essenziellen Willen, der im Gegensatz zum Willen des Egos auf Hingabe gründet. Psychologisch ging es um Vaterthemen, denen wir in den Selbsterforschungen zu zweit, neben den Vorträgen der Lehrerinnen und den Übermittlungen der Essenz in Form geführter Meditationen, anhand bestimmter Fragen auf den Grund zu gehen versuchten. Ich war erstaunt, mit welcher Klarheit sich mir plötzlich Einsichten über meine Kindheit offenbarten, die sich in den vielen Jahren der emotionalen Arbeit nicht angedeutet hatten. Nach dem Seminar dauerten der energetisch bereicherte Zustand und die Gelassenheit noch zwei Tage an, um dann einer Unruhe und Anspannung zu weichen. Wie Floriane Usener erläuterte, war dieser Stimmungswandel keineswegs ein Manko, sondern normaler Teil des Prozesses: Nach der Wiederbelebung einer bestimmten Essenz würde auch das »Loch« offengelegt werden, das aufgrund des ursprünglichen Verlustes von Essenz entstanden war. In diesem Zusammenhang würden die schwierigen Themen, Gefühle und Spannungen aus der Zeit des Entstehens an die Oberfläche kommen, um sich nach einer Weile aufzulösen.
Wieder daheim, galt es für mich und die weiteren Mitglieder meiner Gruppe, das Erfahrene zu stabilisieren und sich auf den Prozess einzulassen. Dazu gehörten die tägliche Meditation, mindestens einmal in der Woche Selbsterforschung mit einem festen Partner und bei Bedarf eine Einzelstunde bei einem der Lehrerinnen oder Lehrer. Alle drei Monate stand das Kennenlernen der nächsten Essenz auf dem Plan. Auf diese Weise integrierte ich im ersten Jahr die grundlegenden Essenzen Weiß, Rot, Schwarz, Grün und Gelb, die jeweils mit bestimmten Eigenschaften und Themen verbunden sind. Da es sich für mich um eine bisher unbekannte Dimension der Realität handelte, musste ich umlernen. So wurde für mich persönlich besonders die Übung wichtig, meinen Körper intensiver wahrzunehmen, um die feinen Schwingungen der Essenzen spüren zu können.
»In der Diamond-Logos-Arbeit geht es hingegen nicht um das Ausdrücken von Wut, die als blockierte rote Essenz angesehen wird, sondern darum, Rot in sich selbst zu aktivieren und fließen zu lassen. «
Ein anderes Beispiel für das Neuartige, das ich erlebte und erforschte, betrifft den Umgang mit Wut: In meiner früheren emotionalen Arbeit galt es als wichtiger Heilungsschritt, in Konfliktsituationen wütend zu werden und sich auf diese Weise durchzusetzen. In der Diamond-Logos-Arbeit geht es hingegen nicht um das Ausdrücken von Wut, die als blockierte rote Essenz angesehen wird, sondern darum, Rot in sich selbst zu aktivieren und fließen zu lassen. Dann können Mutlosigkeit oder Wut einem Gefühl von Stärke und Lebendigkeit weichen. Auf diese Weise gelang es mir immer häufiger, meinen Nachbarn – ohne Angst oder Ärger– direkt und höflich zu bitten, die Musik leiser zu stellen. Wenn ich etwas verändern wollte, hatte ich bisher rein aus meinem Willen und meiner Kraft heraus gehandelt. Nun lernte ich, den Fluss der entsprechenden Essenz zu aktivieren, woraus sich von selbst eine bestimmte Energie, ein bestimmtes Gefühl und vielleicht auch eine bestimmte Handlung ergaben. »Die Essenz macht die Arbeit, nicht du«, wie Rani Willems häufig bemerkte.
»Die Essenz macht die Arbeit, nicht du.«
Als ich das erste Mal von der Übermittlung der Essenzen durch die Lehrerinnen und Lehrer erfuhr, war ich etwas skeptisch. Ich wollte keine fremde Substanz übernehmen, sondern mit meinem Inneren in Kontakt kommen. Bald erkannte ich jedoch, dass es sich um ein Resonanzprinzip handelte: Durch die essenzielle Schwingung der anderen im Raum wurde meine eigene »ausgetrocknete« Essenz aktiviert und wieder zum Fließen gebracht. Was ich spürte, war eine innere Qualität meiner selbst und meines Selbst, die ich vor langer Zeit aus den Augen verloren hatte. Neulich betrachtete ich ein Foto von mir als Baby und konnte zu meiner Freude einen bunten Strauß an Essenzen um mich herum wahrnehmen!
Im Diamantkörper
Nach einem Jahr stand der »Diamantkörper« auf dem Plan. Dabei handelt es sich um eine Struktur, ein Gefährt, das mit einem spezifischen Bewusstsein verknüpft ist. Während das Alltagsbewusstsein subjektiv, sprunghaft und instabil ist, werden dem Diamantkörper-Bewusstsein Eigenschaften wie Objektivität, Klarheit und innere Führung zugeschrieben. Im Rahmen der Meditation und Übermittlung gelang es mir relativ schnell, eines strahlenden Diamanten in mir gewahr zu werden. Gleichzeitig verdichtete sich mein Bewusstsein in dem Edelstein, sodass ich plötzlich alles mit hoher Klarheit und Präzision wahrnehmen konnte. Das Erstaunlichste für mich allerdings war, dass es sich dabei um mein eigenes Bewusstsein handelte! Es vermittelte mir ein deutliches, unwiderrufliches, geradezu bindendes Gefühl für meine Individualität und gab mir Halt. Oft hatte ich darunter gelitten, zwischen dem sprunghaften Alltagsbewusstsein und dem unpersönlichen Gewahrsein hin- und herzupendeln. Nun wurde mir ein Anker zur Verfügung gestellt, um mich zwischen diesen Polen zu bewegen. Das diamantene Bewusstsein zu erfahren, war auch der Grund dafür, dass ich mich nach Jahren der inneren Leere wieder als Individuum erkannt hatte.
»Das Ego wird nicht als Gegner gesehen, sondern als wertvoller Schutzmechanismus. «
Gemäß der Diamond-Logos-Lehre soll es im Verlauf der Praxis auch möglich sein, das essenzielle Selbst oder den »Point of Light« zu verkörpern. Faisal Muqaddam zufolge ist dies unser wahres Selbst, das wir unbewusst zu verwirklichen suchen. Die Suche nach dem Urgrund zielt hingegen darauf, unsere Heimat im Absoluten zu finden. Stellt sich die Verbundenheit im Absoluten ein, bezeichnet Faisal Muqaddam dies als »Selbstheit«, weil sie unpersönlich ist. Für mich ist diese Unterscheidung von Selbst und Selbstheit von großer Bedeutung, weil dies meine Verwirrung um persönliche Individualität und unpersönliches Sein beendet hat. Beides kann gleichzeitig da sein und ergänzt sich. Und das dritte Selbst, das Ego, wird nicht als Gegner gesehen, sondern als wertvoller Schutzmechanismus. Wird es freundlich behandelt, kann es seine Fähigkeiten in den Dienst des essenziellen Selbst stellen.
Drei Arten von Selbst
Hier wird bereits deutlich, dass sich die Diamond-Logos-Lehre nicht nur auf den essenziellen Bereich bezieht, sondern auch auf das Absolute und die materielle Welt. Diese drei Dimensionen durchdringen einander ständig und bilden unsere Realität. Dementsprechend haben wir drei Arten von Selbst: das Ego-Selbst im Umgang mit der materiellen Welt, das essenzielle Selbst (Point of Light), das unser wahres Selbst ausmacht, und eben die Selbstheit, die das Absolute ist. Miteinbezogen sind drei Arten von Bewusstsein (subjektives Alltagsbewusstsein, objektives Bewusstsein/Diamantkörper und reines Gewahrsein) sowie drei Arten von Körpern (materieller Körper/Form, essenzieller Körper/Stupa und »Nicht-Körper« im Sein). So wie ich es verstehe, kann die Verbindung des essenziellen Körpers, des Selbst und des Bewusstseins in einer Gestalt als Seele bezeichnet werden. Sie ist in der Lage, die beiden anderen Dimensionen auszugleichen. In diesem Zusammenspiel offenbart sich das »magische holistische Königreich«, in dem wir leben. In dem YouTube-Interview »The Holistic Threefold Kingdom« führt Faisal Muqaddam diese komplexen Zusammenhänge aus. Ich empfehle diese originären Quellen über die Diamond-Logos-Lehre, weil es sich hier um meine persönliche Sichtweise handelt, die ich in zweieinhalb Jahren Praxis gewonnen habe.
Insofern überblicke ich dieses Gesamtbild natürlich erst ansatzweise und werde mich noch eine Weile gedulden müssen, bis ich schwerpunktmäßig in der essenziellen Dimension verankert bin. Ich stelle mir gerne vor, dass ich gerade dabei bin, das Haus meiner Seele zu bauen. Zuerst das Fundament und die Grundmauern, als Nächstes die Ver- und Entsorgungsleitungen, dann die Kommunikationsinfrastruktur, und wenn schließlich das Dach gedeckt ist, kann ich aus dem klapprigen Wohnwagen des Egos in das geräumige Haus der Seele einziehen.
Auf meinem spirituellen Weg bietet die Diamond-Logos-Lehre mir die bisher beste Grundlage, um meine Erfahrungen einzuordnen und mich zu orientieren. Dabei ist es für mich wichtig, mich immer daran zu erinnern, dass diese drei Dimensionen von Körper, Selbst und Bewusstsein »nur« Konzepte und Landkarten sind. In der Realität gehen diese Qualitäten ineinander über und bilden eine lebendige Gestalt, die für jeden Menschen anders aussieht und einzigartig ist.
Das mag ein Grund dafür sein, dass Faisal Muqaddam keinen großen Wert auf Theorie legt, sondern vornehmlich auf Praxis und persönliche Erfahrung. Seinen Ansatz versteht er auch nicht als eine »neue besondere Lehre«, sondern als generelle Methode, um die »natürliche Ordnung der Realität« (N. O. O. R. – Natural Order of Reality) wiederherzustellen. Insofern bietet seine Lehre ausreichend Raum, um Aspekte anderer therapeutischer und spiritueller Methoden aufzunehmen und diese zu ergänzen. Meiner Meinung nach ist dies auch mit der Integralen Theorie von Ken Wilber möglich. In Bezug auf das »Erwachen« entsprechen sich beide Ansätze. Und das, was Wilber heute als »Aufwachsen« bezeichnet, sind für mich zunächst die Entwicklungsstufen des Egos (1. Rang) und anschließend die essenziellen Stufen der Seele (2. Rang).
Für die neue Ausrichtung in meinem Leben danke ich meinen Lehrerinnen und Lehrern und auch meinen Weggefährten in der Selbsterforschung, den Frauen und Männern in meiner Gruppe. Mein besonderer Dank geht an Rani Willems und Faisal Muqaddam.
Zum Autor
Dr. Thomas F. Wachter wurde 1963 in Süddeutschland geboren. Nach dem Studium der Landschaftsökologie promovierte er in Berlin. Heute lebt er mit seiner Frau in Hamburg und arbeitet als Umweltplaner. Ökologie und Spiritualität sind für ihn zwei Seiten derselben Medaille.
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