Von der Osho-Kommune zum spirituellen Dorf

Zu Besuch im Parimal Gut Hübenthal

Autorin: Stefanie Aue

Einst in den 1980er-Jahren als Osho-Kommune gegründet, hat sich das Parimal Gut Hübenthal in Nordhessen mittlerweile zu einem spirituellen Dorf weiterentwickelt. Unsere Redakteurin Stefanie hat sich vor Ort umgesehen und Bewohner und Hof kennengelernt. Ein Erfahrungsbericht.

Zwei Atemzüge. Zwei Atemzüge lang schaue ich jedem der Teilnehmer in die Augen und versuche, ihn oder sie bewusst wahrzunehmen. Erstaunlich, wie schnell eine andere Person einem vertraut sein kann. Der Reihe nach begrüße ich auf diese Weise die anderen sechs Teilnehmer sowie die beiden Seminarleiter. Es ist ein Freitagabend im April und ich sitze auf einem Meditationskissen im Kreis mit den anderen neugierigen Seminarteilnehmern. Die holzgetäfelten Dachschrägen des Seminarraumes über mir werden von dicken dunklen Holzbalken getragen und strahlen Stabilität und Geborgenheit aus. Ich nehme an einem Kennenlern-Wochenende der Gemeinschaft Parimal Gut Hübenthal in Nordhessen teil. Meine Runde endet und ich spüre bereits eine gewisse Verbundenheit, ja sogar einen Gruppengeist, und freue mich darauf, die anderen in den nächsten zwei Tagen besser kennenzulernen.

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Ich selbst bin erst vor Kurzem, nach vielen Jahren WG-Leben und mehr als acht Jahren Gemeinschaftsleben, in meine erste eigene Wohnung gezogen. Und obwohl ich das Alleine-Leben in vollen Zügen genieße, weiß ich doch auch die Vorteile des Lebens in einer spirituellen Gemeinschaft zu schätzen. Gerade das interessiert mich auch am Parimal: die Verbindung zwischen gelebter Spiritualität und dem Zusammenleben in einer Community.

Die Osho-Kommune

Wenige Stunden zuvor bin ich mit dem Auto angereist. Über die schmale, kurvige Landstraße, die mich durch eine grüne hügelige Landschaft führte, weiter durch ein kurzes Stück Wald und hinunter ins Tal, zum ehemaligen Gutshof am Fuße von Schloss Berlepsch. Dort oben, auf dem Berg, wo das spätmittelalterliche Schloss thront, soll 1980 alles begonnen haben, als Sittich Graf von Berlepsch die erste Kommune gründete. Inspiriert wurde er dazu von seiner Begegnung mit dem Inder und spirituellen Lehrer Bhagwan Shree Rajneesh, oder kurz Osho (1931–1990). Zwei Jahre später bereits übergab er den Gutshof Hübenthal einer kleinen Gruppe von Sannyasins (Sanskrit: Entsagende), Männern und Frauen, die sich der Lehre Oshos verschrieben hatten. Mit der Zeit wurde das Parimal von einer steigenden Anzahl an Bewohnern immer mehr als Seminar- und Gästebetrieb geführt.

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Schloss Berlepsch

Nach der Übung mit dem Augenkontakt folgen eine Vorstellungsrunde und ein kurzer Abriss über die Gemeinschaft und deren Geschichte. Warum sind wir aus ganz Deutschland hierhergereist und wollen das Parimal kennenlernen? So unterschiedlich wie die Herkunft der Teilnehmer ist auch deren Motivation, einen Einblick in das Gemeinschaftsleben und Gut Hübenthal zu erlangen. Da ist beispielsweise Rebekka, die sich eine Auszeit von ihrem Job nehmen und eine andere Lebensweise kennenlernen will. Da sind aber auch Ulrike und John, das deutsch-australische Ehepaar, deren Kinder nun groß geworden sind und die sich nicht vorstellen können, alleine in einer Wohnung alt zu werden. Da sind aber auch Moni und Susann, die schon zum wiederholten Male beim Kennenlern-Wochenende mit dabei sind, weil es ihnen zuvor so gut gefallen hat. Dirk hingegen ist auf einer persönlichen Suche und freut sich darauf, interessante Menschen kennenzulernen. Und da bin ich, die sich dafür interessiert, wie ein auf spirituellen Idealen fußendes Gemeinschaftsleben gelingen kann.

Und schließlich sind da noch Kushad und Raji, die beiden Seminarleiter. Kushad, der schon von Anfang an dabei ist, erzählt uns die Geschichte des Platzes. Was einst als Osho-Kommune begann, hat sich im Laufe der Zeit verändert. Heute leben nicht nur Sannyasins auf Gut Hübenthal, auch Freunde und generell spirituelle Menschen haben sich hier niedergelassen. 

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Hier ruht es sich gut: Das Doppel-Hochbett im Schlafzimmer

Es gibt auch eine Wohngemeinschaft mit jüngeren Bewohnern, die »Lotus-WG«. Auch die Besitzverhältnisse haben sich verändert. Sannyasin bedeutet übersetzt »Entsagender«, daher ist der Gedanke des individuellen Besitzes eher untypisch. Und auch das Parimal gehörte zu Beginn niemandem der Bewohner persönlich. Mit der Zeit gingen einzelne Wohnungen jedoch in den Besitz der dort Ansässigen über. Ein Großteil des Ortes gehört heute einer Stiftung, die für diesen Zweck gegründet wurde. Kushad wünscht sich, dass in Zukunft der gesamte Platz in die Stiftung übergeht.

Bewegung bringt Lebensfreude

Nun aber ist Raji an der Reihe. Sie zeigt uns typische Elemente aus Oshos spiritueller Praxis: das Schütteln und Tanzen. Ich kann mir gut vorstellen, dass dies Elemente waren, die maßgeblich zur Beliebtheit dieser Praxis beigetragen haben. Wir stellen uns hin und bewegen uns zu dynamischer Instrumentalmusik. Zunächst schütteln wir den ganzen Körper durch, von den Zehen bis in die Fingerspitzen. Während wir den Prozess zunächst willentlich in Gang bringen, übernimmt der Körper schließlich automatisch die Bewegung. Ich merke, wie mein Körper Anspannung loslässt und meine Muskulatur gelockert wird. Dann folgt eine Phase des freien Tanzens. Erst jetzt merke ich, wie lange ich meinen Körper nicht mehr rhythmisch bewegt habe. Definitiv zu selten in den letzten paar Jahren!

»Sie zeigt uns typische Elemente aus Oshos spiritueller Praxis: das Schütteln und Tanzen.«

Nachdem der Körper gelockert und die Energien ins Fließen gebracht wurden, lassen wir den Abend mit einer Visualisierungsübung, der »Golden Light Meditation«, ausklingen. Dafür legen wir uns auf den Boden, schließen die Augen und visualisieren, wie bei jeder Einatmung goldenes Licht über unser Kronenchakra in unser Wesen einströmt und sich bis zu unseren Zehen ausbreitet. Bei jeder Ausatmung hingegen visualisieren wir, wie wohltuende Dunkelheit von den Zehen und Füßen in unser Wesen einströmt und hinauffließt bis zu unserem Kopfbereich. Auf diese Weise balancieren wir die Yin- und Yang-Energien unseres Wesens. Mir fällt es leicht, die Dunkelheit in meinen Körper einströmen zu lassen und mich dabei tief zu entspannen. Das passt gut zu meinem bereits eingetretenen Entspannungszustand des fortgeschrittenen Abends. Schließlich verabschieden wir uns und sind gespannt auf den nächsten Tag.

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 Im Schlafzimmer: Bild von Osho

Für die Nacht bin ich in einem gemischten Sechsbettzimmer mit Rebekka und Dirk untergebracht. Unser Zimmer trägt den Namen »Caravanserei«. Unter dem Namensschild an der Zimmertür steht in roten Buchstaben eine Erklärung geschrieben: »im orientalischen Kulturraum: eine Herberge an einer Karawanenstraße. Eine Stätte der Rast und Ruhe für Reisende«. Das klingt nach einem erholsamen Schlaf!

Neben zwei Einzelbetten gibt es auch ein großes, selbst gebautes Hochbett für vier Personen. Orangefarbene Vorhänge können bei Bedarf als Raumteiler eingesetzt werden und Teile des Zimmers abtrennen. Die Kiefernmöbel erinnern mich an mein Kinderzimmer von damals. Es dominieren natürliche Materialien: stabile, hochwertige Schränke und Korbstühle. Nebenan ist das Badezimmer, das wir uns mit einem anderen Schlafzimmer teilen. Die drei Duschen befinden sich wie beim Sport nebeneinander. Das WC wurde durch eine als Sichtschutz dienende Holzkonstruktion vom Rest des Waschraumes abgeschirmt. Die Einrichtung ist eher einfach und funktional, aber liebevoll.

Die Dynamische

Am nächsten Morgen treffen wir uns um sieben Uhr zur »Dynamischen«, einer typischen Osho-Meditation. Diese Meditation dauert eine Stunde und wird morgens ausgeführt. Wer Meditation eher mit Stillsitzen und möglichst wenig Bewegung in Verbindung bringt, wird überrascht sein, wie aktiv Meditation sein kann. Denn die Dynamische wird im Stehen ausgeführt und bezieht unterschiedliche Bewegungselemente mit ein. Sie ist in fünf Phasen unterteilt und beginnt mit zehn Minuten chaotischem Atmen. Dabei richten wir unsere Aufmerksamkeit vor allem auf das Ausatmen. Sobald wir in einen gleichmäßigen Rhythmus verfallen, geben wir erneut einen Impuls zum Chaotischen. Jedes Mal, nachdem ich die Luft aus meiner Lunge durch meine Nase hinauspresse, folgt das Einatmen von ganz alleine. Mein Körper holt sich die Luft, die er braucht. Ich erhöhe die Geschwindigkeit. Meine Ellenbogen bewegen sich ähnlich einem Blasebalg auf und ab, um meinen Körper bei der vollständigen Ausatmung zu unterstützen. Letztendlich soll ich mit dem Atem vollkommen verschmelzen, doch bisher klappt das nur teilweise. Ich bin noch zu sehr auf den Atemvorgang konzentriert.

Dann gehen wir zur zweiten Phase über: zehn Minuten sich selbst in Bewegung ausdrücken. Wir hüpfen, tanzen wild, schütteln überschüssige Energien aus, manche geben erlösende Laute von sich. In jedem Fall kommen nun alle angestauten Energien in den Fluss. Spätestens jetzt hat mein Verstand keine Chance mehr und ich bin komplett im gegenwärtigen Moment angekommen.

Treffpunkt für den Achtsamkeitsspaziergang: Das Hofcafé

Nun wird die dritte Phase eingeläutet. Wir erheben die Arme u-förmig, springen auf der Stelle und rufen laut das Mantra »HUH!«. Das fühlt sich ein bisschen wie bei einem animalischen Stammestanz an. Doch ich erinnere mich daran, dass Kushad am Anfang erklärte, dass dieses HUH eigentlich mit der Frage »Who am I?« (Wer bin ich?) in Verbindung steht. Das hilft mir, mich wieder auf den eigentlichen Sinn der Meditation zu konzentrieren.

Weitere zehn Minuten später kommt eine Phase der Stille. Es ertönt ein Gong und jeder verharrt in seiner Position. Nun sind wir stille Zeugen der Geschehnisse und beobachten, was in uns passiert. Diese Phase dauert 15 Minuten. Der letzte Teil der Meditation löst die Starre des Körpers wieder auf und wir tanzen frei im Raum und drücken dabei unseren Dank für unser Sein und das der Schöpfung aus. Ich fühle mich fröhlich und ausgelassen. Was für eine schöne Art, in den Tag zu starten!

Wer nach so viel Bewegung eine Dusche braucht, hat dafür eine halbe Stunde Zeit. Danach geht es weiter mit dem meditativen Morgensingen. Darpano hat seine Gitarre mitgebracht und leitet uns beim Singen der Mantras an. So stimmen wir alle in die Gitarrenmusik mit ein. Das steigert die gute Laune und das Gruppengefühl. Wir preisen die Sonne (surya) und senden mit »Love, light, healing« positive Hippie-Vibes aus unseren Herzen in die Welt.

Spaziergang in der Natur

Nach dem Frühstück steht ein Achtsamkeitsspaziergang durch den Wald auf dem Programm. Das Wetter ist eher durchwachsen an diesem Wochenende. Wir holen uns, kurz bevor es losgeht, noch schnell ein paar Regenschirme, die im Hofcafé wohl einmal liegen geblieben sind und uns auf unserem Spaziergang Schutz bieten werden. Zunächst werfen wir einen Blick in das »Mandir«, einen zwölfeckigen, mit weißem Marmor verkleideten Meditationsraum, der jedem Anwohner und Gast Tag und Nacht zur Verfügung steht. Der Andachtsraum lädt zu religiöser Einkehr und Stille ein und strahlt eine besondere Ruhe aus. Dann geht es aber wirklich los mit unserem Spaziergang, der – passend zur Einstimmung im Mandir – ebenfalls in Stille ausgeführt wird.

Als wir den Hof des Parimal verlassen, fängt es bereits an zu nieseln und wir spannen die ausgeborgten Regenschirme auf. In der Stille kann ich besonders gut wahrnehmen, wie der Aprilregen auf meinen grün-weißen Regenschirm prasselt. Bereits nach einigen Metern auf der Dorfstraße biegen wir in den Wald ein. Meine Turnschuhe patschen auf den nassen Waldboden, ich atme die frische Luft ein und lausche dem Plätschern des am Wegesrand fließenden Baches. In der Ferne springen vier Rehe über ein Feld in sattem Grün. Der Regen scheint sie nicht weiter zu stören. Passend zum Ende unseres meditativen Spaziergangs wird der Regen weniger und wir können unsere Regenschirme zusammenfalten.

Bevor es zum Parimal zurückgeht, bringen uns Kushad und Raji noch eine »neue Sprache« bei, »Gibberish« oder zu Deutsch Kauderwelsch. Um unseren unruhigen Verstand zu leeren, dürfen wir für zwei Minuten alles sprachlich ausdrücken, was darin herumschwirrt. Die einzige Bedingung: Wir müssen eine Sprache sprechen, die wir nicht kennen. Wir können Chinesisch, Japanisch oder Arabisch sprechen oder irgendeine Sprache, die wir frei erfinden. Und schon geht es los. Neun Menschen, die am Dorfrand wild durcheinanderquaken und alle möglichen Geräusche von sich geben. Interessanterweise sprechen alle sehr dynamisch, voller Leidenschaft. Niemand spricht ruhig vor sich hin. Ob das ein Zeichen ist, was alles an Gedanken in unseren Köpfen herumschwirrt? »Und stopp!«, ruft Raji. Wir verstummen. Unsere Köpfe geleert von all den Gedanken, die zuvor darin unbewusst ihr Eigenleben führten. Über die Dorfstraße geht es zum Hof zurück.

Gemeinschaftsleben

Nach dem vegetarischen Mittagsbuffet habe ich Küchendienst. Auch das gehört zum Gemeinschaftsleben dazu: helfen, wo man gebraucht wird. Auf diese Weise kann man sich in die Gemeinschaft einbringen, sich selbst besser kennenlernen und gemeinsam zu einem größeren Ganzen beitragen. Wer das einmal selbst erleben möchte, kann sich für einige Wochen, bis hin zu zwei Monaten, als Volunteer im Parimal bewerben. Gearbeitet wird gegen Kost und Logis, vier Stunden pro Tag an sechs Tagen pro Woche. Unterstützung wird vor allem bei täglich anfallenden Aufgaben, zum Beispiel bei der Hausreinigung und in der Spülküche, benötigt. Freiwillige werden aber auch nach Bedarf im Garten oder in der Kochküche eingesetzt. Gerade sind Volunteers besonders willkommen, da sich in der Corona-Zeit eine Lücke an Freiwilligen ergeben hat. Wer sich also eine Auszeit nehmen und das Gemeinschaftsleben kennenlernen möchte, wird jetzt umso herzlicher im Parimal empfangen.

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 Im Innenhof

Am Nachmittag treffe ich Navino. Sie ist eines der Urgesteine »am Platz«. Mehr als 35 Jahre nennt sie das Parimal ihr Zuhause. Als sie mit 24 nach Hübenthal kam, wohnte schon ihre Schwester »in der süßen kleinen Hippie-Kommune«, wie sie sagt. Damals wurde im Haupthaus gewohnt und der Rest des Geländes war noch nicht ausgebaut. Das kann man sich heute beim Anblick des renovierten Vierseitenhofs mit parkähnlich angelegtem Innenhof kaum mehr vorstellen. Dort, wo sie heute wohnt, war früher eine Stallanlage für Tiere. Neben ihrer Schwester motivierte Navino auch der Wunsch, Sannyas zu nehmen (spirituelle Unterweisungen zu erhalten). Bereits bei ihrem ersten Besuch vor Ort entschied sie sich dafür, im Parimal zu leben. »Das Parimal ist der Platz, den ich mir mit meinen Freunden so gestaltet habe, wie ich es mir vorstelle zu leben«, sagt sie.

Mittlerweile würde sie das Parimal aber nicht mehr als Kommune bezeichnen. Aus der damaligen Gemeinschaft sei in der Zwischenzeit eher ein spirituelles Dorf geworden, wo jeder seine eigene Wohnung und seine eigene Küche hat. Parimal sei darüber hinaus ein sehr freier Ort. Niemandem sei es auferlegt, an einem bestimmten Programm teilzunehmen, aber je mehr man sich einbringe, desto mehr könne man auch bewegen, gibt sie zu bedenken.

Ihren Lebensunterhalt verdient Navino als Köchin außerhalb vom Parimal. Außerdem macht sie mit ihrem chilenischen Mann Andres meditative und zelebrierende Musik, in der sie unter anderem auch den Sufi-Poeten Rumi interpretiert. Sie treten auch auf den Festivals auf, die im Parimal angeboten werden. Die Festivals seien »ihr Baby«, betont sie. Wenn alle an einem Strick ziehen und etwas zusammen kreieren, blühe sie auf. Neben der Organisation der Festivals bringt sie sich vor allem als Mitglied des Aufsichtsrates in die Gemeinschaft ein.

Dann fängt sie an, von früheren Zeiten zu schwärmen. Ich merke, wie sehr sie diese Zeit geprägt hat und wie begeistert sie noch heute von der Idee des Gemeinschaftslebens ist. Jeder Bewohner hatte damals sein Zimmer, manche auch zwei. Es wurde zusammen in Schichten gekocht. Ob beim Frühstück, Mittag- oder Abendessen, immer sei jemand da gewesen, der die Mahlzeiten zubereitet hat. Das Essen sei viel reichhaltiger gewesen. Denn je mehr Menschen zusammenwohnten, desto besser könne man kochen. Dass sie heute nicht mehr zusammen essen, findet sie schade. Es sei ein wichtiger Punkt im Tagesverlauf, an dem man mit den anderen Bewohnern zusammenträfe. Doch das Bedürfnis nach einer eigenen Küche und dem Kochen zu individuellen Zeiten war letzten Endes größer. Wenn sie heute noch einmal eine Kommune aufbauen würde, so Navino, würde sie es sich gut überlegen, bevor sie die Gemeinschaftsküche aufgäbe.

Das Haupthaus: Hier begann die Kommune, heute beherbergt es unter anderem die Gäste des Parimal

Und was verbindet die Bewohner im Parimal? Das Verbindende sei immer Osho gewesen, meint Navino. Aber mittlerweile kämen auch viele Menschen zu ihnen, die einfach ein freies Leben führen und gerne in Gemeinschaft leben möchten. Ein weiteres Element sei die Herzlichkeit. Sie verbinde die Menschen im Parimal und das Gefühl, dass jeder hier willkommen sei. »Ich empfinde uns als sehr freundschaftlich und verrückt«, sagt sie und lacht.

Dann wird sie nachdenklich und meint: »Natürlich sollte Meditation unser Kernpunkt sein und ist es eigentlich auch. Aber mit der Pandemie hat sich das gemeinsame Programm ›zerfleddert‹.« 23 Jahre lang hätten sich die Bewohner jeden Morgen zum Singen getroffen. Und das sei dann mit einem Mal weggefallen. »Ich denke, die Stille sollte unsere Verbindung sein. Dort, wo wir wirklich eins sind.«

Der spirituelle Weg

Zum spirituellen Weg von Osho hat Navino zum einen über ihre Schwester gefunden und zum anderen durch Menschen, die in ihrem Umfeld von ihren Reisen nach Indien berichteten. Damals, in ihrer Hippie-Zeit, habe sie im Park gesessen und den Erlebnissen derjenigen gelauscht, die aus Indien zurückkamen oder sogar direkt aus Pune, wo sich Osho aufhielt. Sie habe sich in der normalen Gesellschaft immer ein wenig fehl am Platz gefühlt, selbst als sie später verheiratet war und eine Tochter hatte. Ihr Interesse an Osho stieg und schließlich entschied sie sich, Sannyas zu nehmen. »Sannyas nehmen bedeutet für mich, das Alte loszulassen und ins Neue zu blicken. Ich habe mein ganzes vorheriges Leben aufgegeben und bin hierhergekommen – mit nichts. Da war so ein Vertrauen, für das Höhere zu gehen. Es war wie ein Ruf, aber auch wie ein Sonnenaufgang. Für mich war es einfach ein Riesengeschenk.«

Wahhab beim Morgensingen

1987 war Navino das erste Mal in Indien. Das war ihr persönlicher Startschuss. Von da an reiste sie jedes Jahr zu Oshos Ashram. »Dort zu sein, war ein ganz schöner Schlag auf mein Ego«, berichtet sie. »Auf einmal war ich völlig mit mir selbst konfrontiert. Ich war vier Wochen mit meinem Freund dort, in denen auch beziehungsmäßig so viel passierte. Osho sprach über Dinge, die mich so berührten, dass ich nur noch weinte.« Oshos Präsenz habe sie als sehr intensiv wahrgenommen. Am ehesten könne sie dies mit reinem Licht oder reiner Liebe vergleichen.

Vorteile und Herausforderungen

Mich interessieren natürlich auch die Vorteile und Herausforderungen am Gemeinschaftsleben. Navino meint, man könne in einer Gemeinschaft viele Freundschaften aufbauen. Und alles sei nah an einem Ort. Vor allem in der Corona-Zeit sei es ein Vorteil gewesen, Freunde um sich herum zu haben. Auch mit Blick auf das Älterwerden sei das Leben in einer Gemeinschaft nicht das Schlechteste, vor allem wegen der kommunalen Unterstützung. Zum Beispiel könnten andere für einen mitkochen, falls man dazu nicht mehr selbst in der Lage sei. Darüber hinaus schätzt Navino sehr, dass man zusammen viel bewegen kann.

»Wir haben gemeinsam schon einiges getan, wo vorher jeder dachte, das schaffen wir nie.«

 »Wir haben gemeinsam schon einiges getan, wo vorher jeder dachte, das schaffen wir nie.« Sie findet es auch wichtig in Gemeinschaften, das Leben zu feiern. Auf dem Hof gibt es dafür eine Disko, wo man sich treffen und tanzen kann. Im Sommer wird zusätzlich ein Zelt aufgebaut, in dem unter anderem meditiert wird. »Den Entwurf ›kleine Gemeinschaften‹ finde ich viel gesünder, als in großen Städten oder in einem Dorf nebeneinanderher zu wohnen.« Kommunale Projekte sollten eigentlich ein menschliches Konzept werden, meint sie. Dort könne man sich einbringen. Und es könne Platz für Kultur, Musik, Austausch und Begegnung geben.

Die Teilnehmer des Kennenlern-Wochenendes:
v. l. n. r. Redakteurin Stefanie, Dirk, Raji, Kushad, Moni; sitzend Ulrike, Rebekka, John und Susann

Und welche Herausforderungen gibt es? Eine gemeinsame Vision der Bewohner hält Navino für wichtig. Denn jeder habe seinen eigenen Verstand und die eckten schon einmal aneinander. »Wenn man etwas findet, was alle verbindet, ist das wichtig für eine Gemeinschaft.« Wenn sie jetzt noch einmal eine Gemeinschaft gründen würde, würde sie das auf einem anderen Fundament machen, reflektiert sie. Privates Eigentum sei beispielsweise ein Problem in einer Gemeinschaft, ebenso wie Verantwortung. Fragen, die man vor einer Gründung bereits klären sollte, seien: Wem gehört was? Soll die Gemeinschaft auch energieautark sein? Sollen Nahrungsmittel angebaut werden? Will sich die Gemeinschaft selbst versorgen? Was ist der spirituelle Ansatz? Wie gehen die Bewohner miteinander um? Diese Themen könne man sich vorher schon genau überlegen, sodass Menschen in die Gemeinschaft kommen, die diesen Prinzipien zustimmten. 

»Konflikte untereinander sollten aufgearbeitet werden, denn wenn sie nicht ausgesprochen oder verarbeitet werden, dann seien sie immer unterschwellig da.«

Konflikte untereinander sollten aufgearbeitet werden, denn wenn sie nicht ausgesprochen oder verarbeitet werden, dann seien sie immer unterschwellig da. »Feindschaften finde ich fürchterlich. Und man sollte ein Konzept in der Gemeinschaft haben, um daran zu arbeiten oder auch zu wachsen.« Auch im Parimal habe sich das Konfliktthema über die Jahre verändert, weil mittlerweile jeder seinen Rückzugsraum hat. »Als wir damals alle zusammengewohnt haben, hat es schon öfter einmal gekracht«, gibt sie zu.

Auch in Zukunft soll das Parimal wachsen und sich weiterentwickeln. »Ich würde mir wünschen, dass hier mehr junge Leute hinkommen«, sagt Navino, »dass wir einen Teil der Gebäude ausbauen und unseren Seminarbetrieb dezentralisieren.« Darüber hinaus würde sie gerne sehen, dass sie selber mehr Gruppen anbieten und aus ihrem eigenen Potenzial schöpften. Sie wünscht sich, dass junge Leute Leben und frischen Wind ins Parimal bringen. So soll beispielsweise ein Mehrgenerationenprojekt entstehen und der Ort für Familien mit Kindern attraktiver werden. Denn bisher seien die Wohnungen einfach zu klein gewesen, um darin mit einer Familie zu leben.

Meditation und Diskurs

Als ich mich von Navino verabschiede, bin ich schon fast etwas spät für den nächsten Programmpunkt dran: die »Osho-Kundalini-Meditation«. Zurück im Seminarraum erklärt uns Kushad die vier Phasen der Meditation. Sie sind je 15 Minuten lang. Zunächst lassen wir unsere Körper zur Musik durchschütteln. Ich schließe die Augen und beobachte die Bewegungen meines Körpers und meiner Gliedmaßen, ohne willentlich einzugreifen. Das Schütteln kommt in Wellen. Manchmal sind es eher die Arme, die geschüttelt werden wollen, ein anderes Mal eher die Beine oder der Rumpf. In der zweiten Viertelstunde tanzen wir, wie es uns gefällt. Wieder steigt Lebensfreude in mir auf, während ich mich zum Rhythmus der Musik bewege. Dann gehen wir zum stilleren Teil der geistigen Übung über. Aus der aktiven Phase des Schüttelns und Tanzens halten wir nun inne in der eher passiven Rolle des Zeugen. Einige bleiben stehen. Ich setze mich auf eines der grünen Meditationskissen und beobachte, was in mir geschieht. Weitere 15 Minuten später legen wir uns auf den Boden und bleiben verinnerlicht. So richtig habe ich mich noch nicht an diese Art der Meditation gewöhnt, finde aber die Polarität aus Aktivität und Stille faszinierend.

Nach dem Abendessen schauen wir uns noch einen Diskurs mit Osho an. Dort sitzt er in seiner futuristisch anmutenden Kleidung auf einem ästhetischen weißen Sessel mit hoher Rückenlehne und spricht über Reinkarnation und die Wichtigkeit, unsere Zeit auf der Erde zu nutzen, um unser Bewusstsein zu entwickeln, statt sie mit unnützen Dingen zu vergeuden. Das Ganze wirkt für mich eher wie ein Blick in die Zukunft statt einer jahrzehntealten Videoaufnahme. Vielleicht ist das aber auch einfach der Beweis dafür, dass wahres spirituelles Wissen ewige Gültigkeit besitzt. Beseelt von einem so ereignisreichen Tag schließe ich später im Bett meine Augen.

Abschluss und Fazit

Mit dem Sonntagmorgen bricht bereits der letzte Tag des Kennenlern-Wochenendes an. Auf geht es zu einer neuen Runde der Dynamischen. Dann gesellt sich Wahhab zu uns und animiert uns zum Singen. Mit Texten wie »Into your hands I lay my spirit, into your hands I lay my life« oder »Deep in love on we go« und rockiger Gitarrenmusik lassen wir uns noch einmal hoffnungsvoll und ein bisschen nostalgisch von einer besseren Welt träumend mitreißen. Nach dem Frühstück gibt es dann die Abschluss- und Sharingrunde. Hier lassen wir das Wochenende Revue passieren. Alle Teilnehmer nehmen viele schöne Eindrücke aus den vergangenen zwei Tagen mit und mich beschleicht der Verdacht, dass wir uns auch in Zukunft noch einmal über den Weg laufen werden. Gelegenheiten dazu bieten sich bereits im Sommer, zum Beispiel beim »Parimal Sommerfestival« oder bei dem »Fest der Sinne«, die im Juli und August stattfinden werden. Als Abschlussritual nehmen wir uns wie am Freitagabend noch einmal gegenseitig bewusst wahr und schauen uns voreinander stehend in die Augen. Dann schreiben wir mit den Händen ein Herz, bringen die Hände vor der Brust zusammen und verbeugen uns im Namaste-Gruß, um das Göttliche im Gegenüber zu grüßen. Das ist ein schöner Abschluss, um alle Teilnehmer in guter Erinnerung zu behalten.

»Letzten Endes machen die Menschen, die in ihr leben, eine Gemeinschaft erst aus.«

Ich bin glücklich, an diesem Wochenende herzliche, offene und authentische Bewohner und Gäste kennengelernt und Einblicke in das Leben dieser spirituellen Gemeinschaft erhalten zu haben. Mir wird noch einmal bewusst, dass das Leben in Gemeinschaft viele Vorzüge hat, aber auch Herausforderungen mit sich bringt, die gemeistert werden wollen. Letzten Endes machen die Menschen, die in ihr leben, eine Gemeinschaft erst aus. Welche spirituellen Ideale, strukturellen Prinzipien und menschlichen Qualitäten sich dort äußern, hängt wesentlich von ihnen ab. Und auch wenn solche alternativen Wohn- und Lebensprojekte zunächst als freie, experimentelle Kommunen entstanden sind, ist es wichtig, nachfolgende Generationen miteinzubeziehen, die die Gemeinschaft mitgestalten, indem sie Verantwortung übernehmen und sich einbringen, damit diese Gemeinschaften weiterhin bestehen und sich sogar weiterentwickeln können. Eine Gemeinschaft ist nie ein statisches Konstrukt, sondern verändert sich mit seinen Bewohnern.

Zur Autorin:

 

Stefanie Aue ist Redakteurin der Tattva Viveka-Redaktion und freie Journalistin. Als Sozial- und Medienwissenschaftlerin sowie Yogalehrerin gilt ihr Interesse gesellschaftlichen und individuellen Transformationsprozessen. Sie lebte mehr als acht Jahre selbst in verschiedenen Gemeinschaftsprojekten.

Mail: Stefanie@tattva.de

Bildnachweis: © Stefanie Aue

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