Birgit von Borstel

Birgit von Borstel – Die Praxis der Astrologie in der griechisch-römischen Antike

Zwischen Hofastrologie und Laiendeutung

Die hellenistische Astrologie ist das Fundament der heutigen westlichen modernen Astrologie. Doch was wissen wir heute über ihre Ursprünge und wie sah die eigentliche Praxis aus? Birgit von Borstel verrät Genaueres über die Arbeit der antiken Astrologen, ihre Instrumente, ihren Status und ihre Klientel.

Wie alles begann

Die Ursprünge der Himmelskunde liegen in Babylon, wo die Priester von Beobachtungstürmen aus die Bewegungen der Gestirne verfolgten. Auf Grundlage dieser Beobachtungen erstellten sie Prognosen für die Zukunft des Königs, der stellvertretend das Schicksal des gesamten Herrschaftsgebiets repräsentierte. 

»Der Mond und seine Stationen entlang der Ekliptik standen im Mittelpunkt der Beobachtungen.«

Der Mond und seine Stationen entlang der Ekliptik standen im Mittelpunkt der Beobachtungen. Die ältesten erhaltenen Texte stammen etwa aus dem Jahr 1.300 vor Christus, während das älteste erhaltene Horoskop im modernen Sinne auf das Jahr 410 vor Christus datiert ist. Die Griechen übernahmen die astrologische Lehre durch den babylonischen Priester Berossos und andere Quellen. Erst während der hellenistischen Ära entwickelte sich, möglicherweise unter dem Einfluss orphischer und pythagoreischer Lehren, jene Methode, die es ermöglichte, die Zukunft eines Individuums anhand der Sternenkonstellationen bei seiner Geburt vorherzusagen: Es kamen weitere Elemente hinzu, wie der Aszendent und die Horoskophäuser, sowie die Lehre von den Aspekten. Diese Methode besteht im Wesentlichen, wenn auch mit einigen Modifikationen und Erweiterungen, noch heute.

Blütezeit im griechisch-römischen Reich

Durch den intensiven Kontakt mit anderen Kulturen während jener Zeit gedieh die hellenistische Astrologie, die von Babyloniern, Ägyptern, Griechen und Römern gleichermaßen praktiziert und beeinflusst wurde. Sie erlebte während der Kaiserzeit im griechisch-römischen Reich eine Blütezeit: Sie durchdrang sämtliche geographischen und sozialen Bereiche, beeinflusste intellektuelle Disziplinen wie Philosophie und Medizin, integrierte sich in die antike Kosmologie und prägte religiöse Vorstellungen.

Sowohl in der politischen Elite als auch in den unteren Gesellschaftsschichten fand die Astrologie zahlreiche Anhänger. Fast alle Kaiser von Tiberius bis Hadrian nutzten sie entweder durch Hofastrologen oder erwarben selbst astrologische Kenntnisse. Nicht jeder, der von Astrologie überzeugt war, musste für ihre Anwendung das gesamte System verstehen: Eine stark vereinfachte sogenannte Laienastrologie setzte sich vom komplexen astrologischen Lehrgebäude der Gebildeten ab und wurde vor allem in den unteren Gesellschaftsschichten populär. Sie beschränkte sich auf die Berücksichtigung des Mondes, der Tierkreiszeichen und Planeten als Zeitregenten und mit diesen Faktoren zusammenhängend der Bestimmung von günstigen Tagen und Stunden für bestimmte Vorhaben. Seit dem ersten Jahrhundert vor Christus ist die Benennung der Wochentage (und Stunden des Tages) nach den Planetengöttern belegt, die als jeweilige Herrscher der Tage und Stunden galten. Zusammen mit Sonnenkalendern beschleunigte dies die Verbreitung dieser Art von Astrologie, die man auch Kalenderastrologie nennen könnte, für deren Betreiben keine Berechnungen nötig waren.

Birgit von Borstel
Abbildung eines Astrologenbretts

Die Praktiken und Aktivitäten von Laien und professionellen Astrologen sind durch literarische Zeugnisse, Instrumente, Planetentafeln und Papyri dokumentiert. Obwohl die Quellen überwiegend Informationen über die Klientel innerhalb der politischen Elite und insbesondere über die Arbeit der Hofastrologen liefern, legt die Verbreitung und Popularität der Astrologie im gesamten römischen Imperium nahe, dass es hauptsächlich gewöhnliche Menschen waren, die Astrologen in Tempeln oder deren Nähe aufsuchten oder möglicherweise auf den Straßen und Märkten konsultierten. Vermutlich konsultierten eher Wohlhabende einen professionellen Astrologen, während die Mittel ärmerer Leute eher für die einfachere Laienastrologie reichten.

Birgit von Borstel
Auch heute noch weisen die Namen der Wochentage auf die Planeten hin, nach denen sie benannt sind

Status und Klientel eines antiken Astrologen

Der Status von Astrologen war generell ambivalent: Zu einem großen Teil wurden viele von ihnen vermutlich durch die populäre Laienastrologie einerseits verspottet, andererseits wurden sie abhängig von ihrer Kompetenz durchaus von der politischen Elite und gewöhnlichen Leuten konsultiert und geachtet. Während in Babylonien die Astrologen zugleich hoch angesehene Priester waren, die schon als Kinder von ihren Vätern in der Himmelskunde unterwiesen wurden, gab es für einen griechisch-römischen Astrologen der Kaiserzeit unterschiedliche Möglichkeiten, seine Tätigkeit zu erlernen und auszuüben. Astrologie blieb dennoch eng mit Religion und religiösen Strömungen verknüpft: Im hellenisierten Ägypten wurde sie häufig in Tempeln und deren Umgebung praktiziert, beispielsweise im Serapis-Kult. Dieser war im hellenisierten Ägypten eingeführt worden, um die Einheit zwischen der griechischen und ägyptischen Bevölkerung zu fördern. Er war somit ein öffentlicher Kult, der auf verschiedene Weise astrologische Verbindungen aufweist, wie Büsten und Gemmen mit Abbildungen des Zodiaks in Zusammenhang mit dem Gott Serapis. Serapis-Priester waren sehr wahrscheinlich auch astrologisch tätig. In unmittelbarer Umgebung dieser Tempel könnte es darüber hinaus nicht nur andere Wahrsager, sondern auch Astrologen gegeben haben, die mit offizieller Genehmigung dort ihre Dienste anboten. Belege für astrologische Praxis im Kultbetrieb gibt es auch für den Isis-Kult, der im gesamten römischen Reich verbreitet war.

»Belege für astrologische Praxis im Kultbetrieb gibt es auch für den Isis-Kult, der im gesamten römischen Reich verbreitet war.«

Astrologen waren nicht ausschließlich auf Tempel oder deren Umgebung beschränkt, um ihre Tätigkeit auszuüben. Viele von ihnen waren nicht sesshaft, sondern reisten umher. Möglich waren auch Hausbesuche oder Konsultationen über größere Distanzen per Kurier. Außerhalb ihrer Rolle als Priester in speziellen Kulten war die Tätigkeit eines Astrologen die eines mehr oder weniger professionellen unabhängigen Spezialisten und diente ihm zum Erwerb des Lebensunterhalts. Es gibt keine Belege dafür, dass Frauen als professionelle Astrologinnen tätig waren. Allerdings gehörten sie wahrscheinlich zur Klientel der Astrologen und betrieben teilweise selbst auch Laienastrologie.

In Rom arbeiteten Astrologen sowohl für die politische Elite als auch an öffentlichen Plätzen wie dem Forum. Astrologen, die an Orten der Unterhaltung wie dem Circus Maximus wirkten, hatten allerdings oft einen schlechten Ruf. Sie galten nicht als besonders vertrauenswürdig und versuchten, ihre Kundschaft durch das Aufzählen langer Ahnenreihen mit griechischer und babylonischer Abstammung zu überzeugen und mit Büchern, Instrumenten und Erfolgstreffern aus früheren Konsultationen zu beeindrucken.

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Almanach für Saturn. Fundort: Dimê

Ihr Können war wahrscheinlich nicht vergleichbar mit dem der kaiserlichen Hofastrologen, die ihre Kompetenz teilweise unter Lebensgefahr beweisen mussten, um den Kaiser beraten zu dürfen. Tiberius, römischer Kaiser von 14 bis 37 nach Christus, gilt als erster Kaiser, der einen Hofastrologen hatte. Dieser hieß Thrasyllos und soll Tiberius das künftige Kaisertum vorhergesagt haben. Es heißt, der skeptische Tiberius habe daraufhin Thrasyllos auf die Probe gestellt, indem er ihn gebeten habe, auch über seine eigene Zukunft zu sprechen. Tiberius hatte die Gewohnheit, Astrologen, die er des Betrugs oder der Prahlerei verdächtigte, von einer Klippe zu stürzen. In dieser Situation habe Thrasyllos die drohende Gefahr für sein eigenes Leben astrologisch erkannt und sei stark erschrocken. Damit habe er Tiberius tief beeindruckt und so sein Vertrauen gewonnen.

Obwohl viele Kaiser dieser Zeit nicht nur zur Herrschaftslegitimation Hofastrologen beschäftigten, sondern auch selbst an die Astrologie glaubten, wurde ihre Ausübung streng kontrolliert, staatlich reguliert und in einigen Fällen sogar verboten. Die Edikte zielten vor allem auf die Interpretationen der »niederen« Astrologen ab, da diese als Bedrohung für die allgemeine Moral und Sicherheit betrachtet wurden. In Zeiten politischer Unruhe wurden Verbote auch erlassen, um zu verhindern, dass astrologische Vorhersagen die politische Elite schädigten oder angreifbar machten. In diesem Zuge wurden nicht nur Astrologen, sondern oft auch Wahrsager anderer Disziplinen verbannt. Trotzdem wollten die Kaiser nicht auf astrologische Berater verzichten, da sie deren Rat durchaus ernst nahmen. Es war also nicht so, dass Astrologie als falsch oder unwahr betrachtet wurde, sondern die Maßnahmen sollten ihre möglichen negativen Auswirkungen minimieren.

Jedoch könnte ein Berufsverbot paradoxerweise dazu geführt haben, dass die Dienste eines Astrologen noch begehrenswerter wurden: »Kein Astrologe wird als begabt gelten ohne eine Verurteilung (…)«, spottete der römische Satirendichter Juvenal (1. Jahrhundert nach Christus). Neben Hofastrologen und Astrologen mit zweifelhafterem Ruf gab es auch Astrologen, die gebildet waren und vermutlich anspruchsvollere Leistungen für gewöhnliche Menschen anboten. Manche waren zugleich Ärzte, die die Heilkunst mit der Astrologie verbanden oder die astrologische Heilkunde anwandten.

Vor allem persönliche Kunden stellten eine Einkommensquelle dar. Unter den Klienten befanden sich Händler, Juweliere, Handwerker verschiedener Art, Unterhaltungskünstler, Schwammtaucher, Opfertierzüchter sowie Bordellbetreiber und Leichenwäscher. Sogar Sklaven gehörten möglicherweise zu den Klienten, obwohl Gesetze mit der Kreuzigung drohten, wenn sie Fragen über ihren Herrn stellten.

Berechnung eines Horoskops ohne Computer

Um ein Horoskop zu erstellen, braucht man neben dem Geburtsdatum auch den Geburtsort und eine möglichst präzise Uhrzeit. Da Astrologen wahrscheinlich normalerweise nicht bei einer Geburt anwesend waren, sondern die Geburtsdaten von den Eltern oder dem Klienten selbst bekamen, war die Zugänglichkeit von Instrumenten für die Zeitmessung eher für die Klienten wichtig, wenn diese ein Geburtshoroskop in Auftrag geben wollten. Die antiken erhaltenen Horoskope geben die Geburtszeit mit einer Genauigkeit auf die saisonale Stunde zur Tages- oder Nachtzeit an, manchmal spezifiziert auf den Anfang oder das Ende der saisonalen Stunde.

»In der alten Zeit wurde eine Stunde nicht immer als gleich lange Zeitspanne von 60 Minuten betrachtet. Stattdessen variierte sie je nach Jahreszeit, abhängig von der Länge des Tages und der Nacht.«

In der alten Zeit wurde eine Stunde nicht immer als gleich lange Zeitspanne von 60 Minuten betrachtet. Stattdessen variierte sie je nach Jahreszeit, abhängig von der Länge des Tages und der Nacht. Diese spezielle Art der Zeitmessung, die eine Stunde je nach den Jahreszeiten anpasst, war für viele Menschen im Römischen Reich zugänglich. Sie konnten sie mithilfe von Sonnenuhren tagsüber und Wasseruhren nachts nutzen, was eine übliche Praxis war. Auch Astrologen nutzten sie, jedoch war für ihre Tätigkeit eigentlich ein höheres Maß an Genauigkeit erforderlich, als diese Art von Uhren in der Regel lieferten. Für die Geburtshoroskopie ist eine Zeitangabe auf die saisonale Stunde problematisch, wenn ein Zeichen gerade erst begonnen hat, aufzusteigen, oder fast vollständig aufgestiegen ist: Ein Zeichenwechsel des Aszendenten wird möglicherweise nicht genau erfasst. Da durchschnittlich alle vier Minuten ein neuer Grad am östlichen Horizont (= Aszendenten) aufsteigt, kann in diesem Zeitfenster ein Wechsel des Tierkreiszeichens am Aszendenten stattfinden. Demnach wäre eigentlich zu erwarten, dass Astrologen eine größere Genauigkeit anstrebten. Aber selbst wenn ein Astrologe Zugang zu präziseren Instrumenten für die Zeitmessung und sehr akkurate Tafeln für die Berechnung gehabt hätte, wäre er immer noch abhängig von den genauen Ausgangsdaten wie der Geburtszeit gewesen, die der Klient ihm lieferte – und deren Angaben scheinen wie gesagt selten genauer als eine saisonale Stunde gewesen zu sein. Um die Zeit der Geburt zu präzisieren, ersann man eine spekulative Berechnungsmethode, die von den arabischen Astrologen später Animodar genannt wurde. Eine zuverlässigere Lösung war offenbar zu dieser Zeit nicht umsetzbar.

»Auffällig ist, dass die dokumentarischen Quellen außerdem keinen Geburtsort enthalten.«

Auffällig ist, dass die dokumentarischen Quellen außerdem keinen Geburtsort enthalten: Dieser ist neben der Uhrzeit die Grundlage für die Berechnung des Aszendenten und des örtlichen Meridians. Offenbar nutzte man das ursprünglich babylonische System der »Sieben Klimata« (geographische Zonen mit annähernd gleicher Tageslänge), also ein Näherungsverfahren zur Bestimmung der Aufstiegszeiten, das auf arithmetischen Reihen basiert. Unter Aufstiegszeit versteht man den Zeitraum, den ein Planet oder ein Tierkreiszeichen benötigt, um über den östlichen Horizont aufzusteigen. Er hängt von der Breitengradposition und der genauen Uhrzeit ab. Dies löste man mithilfe der für das jeweilige Klima gültigen Aufstiegszeiten, die in Tabellen vorlagen. Horoskope konnten also zumindest in den ersten Jahrhunderten nicht mit der Präzision erstellt werden, die wir heute gewohnt sind.

Um die Planetenpositionen in den Tierkreiszeichen zu bestimmen, beobachteten Astrologen nicht den Himmel, sondern verließen sich auf Planetentafeln. Almanache waren in den ersten vier Jahrhunderten sehr verbreitet. Das populärste Almanach Format listete für jeden Planeten Daten mit Übergängen in das benachbarte zodiakale Zeichen auf. Mit ihrer Hilfe und einer groben Interpolation für die Positionen von Sonne, Mond und dem Aszendenten war es möglich, ein Horoskop ohne nennenswerten rechnerischen Aufwand zu stellen, allerdings auch ohne exakte Gradangaben.

Almanach für Saturn. Fundort: Dimê
Almanach für Saturn. Fundort: Dimê

Darstellung eines Horoskops für die Deutung und Beratung

Als Grundlage für eine Konsultation benötigte ein professioneller Astrologe ein Horoskop, das er nach der Berechnung vermutlich auch visuell abbilden musste, um es dann interpretieren zu können. Heutzutage nutzt man für die Berechnungen und die Graphiken Computer, in der Antike konnte der Astrologe sie mithilfe einer anderen Vorrichtung sichtbar machen: Es gibt literarische Quellen und Funde, die den Gebrauch von astrologischen Tafeln aus Elfenbein oder Stein für diesen Zweck belegen, auf denen unter anderem der Tierkreis und die Dekane (Dreiteilung eines Zodiakalzeichens, ein ägyptischer Beitrag zur Astrologie), manchmal auch weitere Details permanent abgebildet sind. Auf diesen wurden Marken für die Planeten und den Aszendenten, vielleicht auch für andere Faktoren des Horoskops wie Lospunkte, entsprechend dem individuellen Horoskop platziert. Diese Marken konnten aus einem dem Planeten zugeschriebenen Material und Farbe bestehen oder graviert sein, um sie von den anderen zu unterscheiden und vermutlich auch um sie mit magischer Bedeutung aufzuladen. Ein System von Korrespondenzen zwischen Planeten einerseits und Metallen oder Steinen andererseits ist aus der Antike bekannt, die Zuordnungen sind jedoch teilweise inkonsistent. Womöglich gehen sie hauptsächlich auf die Farben der Steine zurück. Die Zuschreibung von Farben zu Planeten ist bereits bei Platon bezeugt. Andere Möglichkeiten, ein Horoskop für eine Interpretation abzubilden, vielleicht für weniger wohlhabende Astrologen beziehungsweise Klientel, wäre das Aufzeichnen auf Papyrus (Belege hierfür sind selten) oder auf eine mit Sand oder Asche bestreute Fläche, beispielsweise ein Brett. Ein solches wird in einer Quelle aus dem 10. Jahrhundert erwähnt, es wäre aber auch für die Nutzung in früheren Zeiten vorstellbar.

Die Konsultation

Nur sehr wenige Ausnahmen der zahlreichen Horoskope, die auf Papyri aus der Zeit zwischen dem 1.- 5. Jahrhundert überliefert sind, enthalten Interpretationen. In der Regel finden sich darauf nur Listen mit astrologischen Daten (und manchmal dem Namen des Klienten). Daraus lässt sich schließen, dass die Interpretation mündlich während der Konsultation geschah. Anhand antiker Handbücher lässt sich rekonstruieren, welche Anliegen die Menschen an Astrologen richteten. Überraschenderweise ähneln diese Fragen denen von heute. Häufig drehten sie sich um das Schicksal im familiären Kontext, wie etwa die Aussichten auf Heirat, das Wohlergehen der Kinder, die Beziehung zu den Eltern, mögliche Trennungen oder der frühe Tod von Angehörigen. Auch Themen wie Erbschaften, Gesundheit und der allgemeine Wohlstand des Fragenden spielten eine bedeutende Rolle. Die Untersuchung der Dauer der Lebenszeit gehörte offenbar zeitweise auch zu üblichen Inhalten, sie wurde unter Kaiser Augustus im Jahre 11 nach Christus verboten.

»Nur sehr wenige Ausnahmen der zahlreichen Horoskope, die auf Papyri aus der Zeit zwischen dem 1.- 5. Jahrhundert überliefert sind, enthalten Interpretationen.«

Klienten waren außerdem oft an günstigen Zeitpunkten interessiert, um ein Vorhaben zu beginnen oder um den Verlauf einer Angelegenheit zu erfahren, wie den Bau eines Hauses, den Kauf oder Verkauf von Land, Tieren oder Sklaven, die Eheschließung, Schwangerschaften, Reisen, die Heilung von Krankheiten oder den Erhalt von Besitz und Wohlstand. Der Inhalt dieser Fragen ist einerseits sicher nicht repräsentativ, lässt andererseits jedoch erneut auf eher wohlhabendere Klienten schließen, die nicht notwendigerweise der politischen Elite angehören mussten.

Da die meisten Papyri Geburtsdaten beinhalten, ist es naheliegend, dass sie notiert wurden, um das Horoskop später daraus zu berechnen und zu interpretieren. Mit diesen Daten gingen manche Klienten vermutlich auch zu mehreren Astrologen. Es kam vor, dass mehrere Mitglieder einer Familie gemeinsam Horoskope erstellen ließen, möglicherweise auch um diese zu vergleichen. Auch Partnervergleiche waren Inhalt von Konsultationen.

Birgit von Borstel

Persönliche Kunden waren eine wichtige Einkommensquelle, jedoch ist wenig über das Honorar eines professionellen Astrologen bekannt. Die einzige bekannte Quelle, die einen Betrag nennt, ist der antike Roman »Metamorphosen« des Apuleius, vermutlich verfasst in der Mitte des 2. Jahrhundert nach Christus, in dem ein Astrologe namens Diophanes 100 Denare für seine Weissagung erhalten soll. Diophanes wird als ein geldgieriger Vertreter seiner Zunft beschrieben, der »nicht geringe Beträge, im Gegenteil recht fetten Lohn eingesteckt« habe. Es ist also anzunehmen, dass Diophanes überdurchschnittlich gut bezahlt wurde. Die Glaubwürdigkeit der Höhe von Geldbeträgen in fiktiver Literatur wie einem Roman mag fragwürdig sein, dennoch wird im selben Werk der Preis eines Fischgerichts für drei Personen mit 20 Denaren angegeben, was zumindest als Vergleichswert dienen kann. Die Fische wurden auf dem Markt gekauft und auf ein für den Protagonisten akzeptables Preisniveau heruntergehandelt. Das Preisverhältnis zwischen dem Fischgericht und dem Honorar für eine astrologische Konsultation erscheint einigermaßen glaubwürdig, da die beiden Preise vom selben Autor und im selben Roman genannt werden. Der Denar war ein zu dieser Zeit reichsweit gültiges Zahlungsmittel.

Die Kunst des Deutens

Auch heute noch ist die Interpretation eines Horoskops zugleich Handwerk und auch eine Kunst, denn die Planeten und auch die anderen Horoskopfaktoren sind Symbole, die einen gewissen Deutungsspielraum erlauben, wenn sie in das Leben »übersetzt« werden. Die überlieferten Handbücher ermöglichen kein systematisches Erschließen und Interpretieren eines Horoskops, da sie nicht unbedingt immer kanonische Regeln liefern, dafür aber komplizierte, teils verwirrende Informationen. Dazu kommt eine unüberschaubare Vielzahl an möglichen Bedeutungen und Kombinationsmöglichkeiten, die teils zu widersprüchlichen Ergebnissen führten. Sie zu interpretieren und in das Leben des Klienten zu übersetzen, war daher vermutlich der Erfahrung und Einsicht des einzelnen Astrologen überlassen. Das wohl berühmteste Handbuch stammt von dem Gelehrten Klaudios Ptolemaios, der im 2. Jh. nach Chr. vermutlich in Alexandria lebte. Er weist darauf hin, dass die Interpretation eines Horoskops in einer Konsultation mehr als nur eine technische Fähigkeit sei. Er sah sie als eine Kunstform, deren Ausführung höchstwahrscheinlich äußerst individuell ausfiel: Sie erforderte nicht nur ein tiefes Verständnis der astrologischen Prinzipien, sondern offenbar auch eine kreative und intuitive Herangehensweise an jedes individuelle Horoskop. Es war mit anderen Worten für Ptolemaios unmöglich, eine standardisierte Interpretation für jedes Horoskop anzubieten, da jedes individuelle Horoskop eine einzigartige Kombination von Faktoren wie Planetenpositionen, Aspekten und Häusern aufwies. Stattdessen mussten Astrologen ihre Fähigkeit nutzen, um die verschiedenen Elemente des Horoskops zu integrieren und eine personalisierte Interpretation zu bieten, die den Bedürfnissen und Fragen des Klienten entsprach. Inwiefern seine Einstellung Schule machte und sich gegen Positionen anderer Astrologen durchsetzte, die möglicherweise eine weniger flexible Auslegung der Doktrinen vertraten, kann abschließend nicht geklärt werden. Zumindest wirkt sie praktikabel, und darüber hinaus gilt sein Lehrbuch »Tetrabiblos« bis heute zu den einflussreichsten und meist benutzten Werken der antiken Astrologie, sodass seine Haltung in dieser Frage wahrscheinlich nicht unbeachtet blieb.

Birgit von Borstel

Zur Autorin

Birgit von Borstel, Jg. 1965, geprüfte Astrologin des Deutschen Astrologen-Verbandes, studiert zurzeit Geschichte und Religionswissenschaften an der Freien Universität Berlin. Sie hat eine eigene Beratungspraxis in Berlin und bietet Online Ausbildungen in Traditioneller Astrologie an. 

birgitvonborstel.de

traditionelle-astrologie-akademie.de 

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