Dr. Jana Kubatzki

Dr. Jana Kubatzki – Neue Astrologie und Esotainment

Der Einfluss von Internet-Technologien und Social Media auf die Kunst der Sterndeutung

Mit der stark vermehrten und beschleunigten Nutzung des Internets, vor allem in den letzten Jahren, geht auch ein veränderter Konsum astrologischer Informationen einher. Kürzere Aufmerksamkeitsspannen und die allgegenwärtige Suche nach Unterhaltung führen zum Verlust der Tiefgründigkeit der einstigen Geheimlehre der Astrologie und resultieren in esotainmentgerechten Informationshäppchen, die schnell zu konsumieren und verdauen sind. Dr. Jana Kubatzki wirft einen kritischen Blick auf die derzeitige Entwicklung und hofft auf einen positiven Gegentrend.

Die Astrologie erfährt derzeit einen inneren, strukturellen Wandel, der durch neue, webbasierte Technologien und den Online-Druck verstärkt wurde. Seit den Corona bedingten Lockdowns 2020 haben sich astrologische Websites weltweit verdoppelt, in Deutschland um ein Drittel erhöht. So gibt es einen Boom in der Astrologie, der sicherlich auch damit zu begründen ist, dass wir derzeit in einer Kaskade von Krisen leben und die Menschen nach Halt und Orientierung suchen. Andererseits verändern sich die Arbeitsweisen der Astrolog:innen durch neue technische und kommunikative Möglichkeiten enorm.

Dr. Jana Kubatzki

In diesem Artikel zeige ich, wie sich Astrologie in den letzten Jahren verändert hat und prognostiziere am Ende – ganz unastrologisch – Zukunftsaussichten der astrologischen Arbeit. Zunächst liegt der Fokus darauf, wie Astrologie bisher ausgeübt wurde, woher sie kommt und was es mit ihr auf sich hat.

Astrologie als Halt und Orientierung

Die Astrologie ist eine uralte Technik, um sich im Leben zu orientieren. Schon die ältesten Nomadenvölker haben sich vermutlich an den Sternen orientiert, um zu wissen, wann der Winter beginnt, wann es Zeit für die Aussaat ist, wann man die Tiere weitertreiben sollte, wann das Wetter wechselt und in welche Richtung sie weiterziehen sollen. Erste Nachweise von astrologischen Techniken gibt es aus Mesopotamien, 3000 v. Chr, also vor rund 5000 Jahren. Die Astrologie war in späteren Zeiten lange eine Herrschertechnologie – nur sehr wenige Kundige haben die Mächtigen beraten. Inhaltlich ging es vor allem um Kriegszüge und Ernten, um Hungersnöte und den guten Zeitpunkt für Opfergaben oder Heiraten.

»Die Astrologie war lange eine Herrschertechnologie.«

In diesen ersten Zeiten wurden die Himmelskörper in ihren regelmäßigen Bewegungen über den Horizont beobachtet. Diese Regelmäßigkeit diente als eine Art kosmische Uhr, anhand derer man sich orientieren konnte. Die Astrologie war in ihren Ursprüngen bereits eine Vorhersagetechnik und gab den Menschen Halt und Orientierung in den Zyklen des Lebens.

»Astrologie war in ihren Ursprüngen bereits eine Vorhersagetechnik und gab den Menschen Halt und Orientierung in den Zyklen des Lebens.« 

Viel anders ist das heute auch nicht – wir brauchen noch immer Halt und Orientierung, die Kirche allein ist in den Hintergrund getreten und das Interpretationsangebot, das Möglichkeitenspektrum des Lebens ist so groß, dass es einzelne überfordern kann. So sind wir froh, wenn wir Lebensthemen anhand von größeren Zusammenhängen aus einem anderen Blickwinkel aus betrachten können.

Astrologie bisher

Die Astrologie wurde schon immer sowohl verehrt als auch verteufelt – je nach Jahrhundert und Herrschersystem. Seit der Mitte des letzten Jahrhunderts hat die Astrologie einen langsamen Aufwind erfahren, in den letzten zehn Jahren ging es rasanter bergauf. Seit den Corona bedingten Lockdowns hat die Astrologie sehr viele Menschen ansprechen können, die bisher vielleicht keinen Kontakt zu dieser Deutungskunst hatten.

»Seit den Corona bedingten Lockdowns hat die Astrologie sehr viele Menschen ansprechen können, die bisher vielleicht keinen Kontakt zu dieser Deutungskunst hatten.«

Das Internet ermöglicht die Globalisierung und die Vereinfachung von Informationen, denn das ist die Astrologie in ihrem Kern wie andere Wissensgebiete auch: eine Information, eine Technologie, eine Erfahrungswissenschaft. Dabei ist klar, dass Astrologie keine Kriterien für eine Wissenschaftsform erfüllt, darüber sind sich die Astrolog:innen auch größtenteils einig. Darum geht es nicht. Es geht um das Wissen, die Erfahrung der Beobachtung von Jahrtausenden und das Zusammenbringen dieses Wissens in diversen theoretischen Ansätzen.

In der westlichen Welt wird vor allem die westliche Astrologie gelehrt (im Gegensatz zur vedischen oder chinesischen Astrologie). Das westliche astrologische System basiert auf dem Tierkreis, der in zwölf Abschnitte unterteilt ist, die jeweils einem bestimmten Tierkreiszeichen zugeordnet sind. Die westliche Astrologie verwendet auch die Positionen der Planeten und anderer Himmelskörper, um das Geburtshoroskop zu erstellen.

In den letzten Jahrzehnten wird verstärkt die Schule der psychologischen Astrologie genutzt. Das Geburtshoroskop ist dabei das Goldmaß in der westlichen Astrologie. Wer sich astrologischen Rat sucht, der fragt zunächst nach seinem Geburtshoroskop.

Wie Astrolog:innen bis heute häufig arbeiten

Die gängige Arbeitsweise der Astrolog:innen beinhaltet größtenteils eine persönliche 1:1 Beratung ihrer Klient:innen am Telefon oder online. Dabei gehen sie auf Fragestellungen ein und weisen anhand des Horoskops auf Potentiale und Hemmnisse hin. Die Befragungsmöglichkeit eines Horoskops geht dabei gegen unendlich. Man kann alles fragen und wird mit verschiedenen Techniken auch Antworten generieren können. Viele Klient:innen fragen nach dem richtigen Zeitpunkt zu heiraten, umzuziehen, eine neue Arbeit zu beginnen, eine Familie zu gründen, einen Partner zu finden. Viele suchen aber Astrolog:innen auch auf, um sich über sich selbst klar zu werden: wer bin ich, was kann ich und was soll ich hier. Astrologie eignet sich hervorragend als Erkenntnisbringerin, sie kann wie ein Spiegel wirken und den Fragenden sich selbst zeigen.

Dr. Jana Kubatzki

Es gibt derzeit in Deutschland etwa 1.000 hauptberuflich arbeitende Astrolog:innen (nach Umfrage des DAV 2022) und sicherlich noch einige mehr, die der DAV nicht befragt hat. Ich gehe von mindestens 2.000 Menschen aus, die Astrologie in Deutschland beruflich ausüben, dabei ist Astrologie in den meisten Fällen eine Freiberuflichkeit oder eine selbstständige Arbeit. Angestellte im Bereich der Astrologie gibt es noch sehr wenige. Viele von diesen freiberuflichen Astrolog:innen sind im DAV (Deutschen Astrologenverband) organisiert, andere in der Schweiz beim SAB (Schweizer Astrologenbund) oder in Österreich beim ÖAV (Österreicher Astrologenverband).

Die hauptsächliche Arbeit von Astrolog:innen besteht aus der Analyse von Horoskopen – seien es Geburtshoroskope, Gründungshoroskope (beispielsweise bei Geschäftsgründungen), Stundenastrologie für konkrete Fragen und Prognostiken wie Solare, Progressionen, die als Techniken zur Vorhersage von Zukünftigem genutzt werden.

Das übliche Arbeitsmodell ist: einer fragt, der andere berät. Das kann nun unterschiedlich intensiv und über unterschiedliche Kanäle verlaufen, aber das Grundmuster ist klar. Die Arbeit der Astrolog:innen besteht also aus der Analyse, der Beratung selbst, der Rechnungserstellung und Kommunikation mit dem Klienten vor und nach der Beratung und der Kundenbindung. Natürlich braucht jeder heutzutage eine Website und die Möglichkeiten auch online zu beraten. Das sind die Grundgerüste der astrologischen Arbeit. Beratung gegen Geld. Das klingt so banal, jeder weiß das und in den meisten freiberuflichen Berufen wird dieses Modell genutzt. In den letzten Jahren hat sich eine neue Art der astrologischen Arbeit im Netz gezeigt, die vielleicht in naher Zukunft die Hauptarbeit der Astrologie bestimmen wird.

Die Reformer der Astrologie 

Was kann sich schon groß verändern, könnte man sich fragen: der eine weiß über astrologische Techniken Bescheid, der andere möchte den Astro-Experten zu seinem eigenen Leben befragen. Doch jede neue Technologie bringt neue Anwendungen und Fragen mit sich. Was sich neu mit der Astrologie verknüpft, sind die sozialen Medien, die seit 2004 den Markt erobern. Es gab sicherlich schon in dieser frühen Zeit Astrolog:innen, die ihre Arbeit auf den Kanälen der sozialen Medien teilten, doch der Großteil schaffte den Sprung erst seit der Zwangspausierung von Sozialkontakten 2020 und dem damit einhergehenden Online-Druck von so vielen Berufen.

Die neue Technologie »Social Media« war längst da, aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier und so wurden die alten Wege gegangen, bis diese nicht mehr gangbar waren.  Spätestens, wenn die Klienten ausbleiben, da man sich nicht mehr mit ihnen treffen kann, muss man umdenken. Dies betrifft vielleicht sogar weniger die astrologische Beratung, die schon seit Jahrzehnten auch als Telefongeschäft etabliert ist, sondern eher die astrologische Lehre.

Die Ausbildung im Bereich Astrologie hat sich in den letzten Jahren stark ausgebreitet: das ist ein Zeichen dafür, dass immer mehr Menschen nicht nur beraten werden wollen, sondern diese Beratungskunst auch selber erlernen wollen. Dafür gibt es deutschlandweit verschiedene astrologische Schulen, allerdings immer noch nicht besonders viele.

»Menschen, die astrologisch arbeiten und sich gut im Netz bewegen können, wie etwa Digital Natives, sind die Reformer im Bereich der Astrologie.«

Seit den Lockdowns haben sich immer mehr Astrolog:innen auf das Internet verlegt, Inhalte werden online angeboten, man experimentiert mit Formaten von Zoom und anderen Plattformen für Webinare, Online-Seminare, Workshops, Kongresse und Beratungen. Wer schon vorher auf Online-Ausbildungen gesetzt hatte, ist nun im klaren Vorteil. Menschen, die astrologisch arbeiten und sich gut im Netz bewegen können, wie etwa Digital Natives, sind die Reformer im Bereich der Astrologie.

Aufschwung der Astrologie in die Gesellschaftsmitte

Die Zahl der Astrologie-Websites und -Apps ist weltweit seit 2020 um über 50 Prozent gestiegen. Im Jahr 2020 gab es etwa 100.000 Astrologie-Websites und -Apps. 2023 sind es bereits über 150.000 weltweit. Für Deutschland gilt ein Anstieg von 30 Prozent. Das ist ein signifikanter Anstieg und zeigt, wie viel die Astrologie an Bedeutung gewonnen hat und einen Platz in der Mitte der Gesellschaft findet.

»Der Astrologie wird immer wieder unterstellt, so ungenau und schwammig zu sein, dass sich jeder in diesem verschwommenen Spiegel irgendwie wiedererkennt.«

Besonders gut sichtbar ist dieser Vorwärtstrend in der Gegenreaktion von vielen öffentlichen Medien, die in Reportagen und Dokumentationen fragen, wie Astrologie funktioniert und warum man diese konsultieren sollte. Im Grunde kommen sie aber fast alle zu dem Schluss, dass Astrologie ein Fake ist, basierend auf dem Barnum-Effekt, demzufolge jeder glaubt, was er gerne glauben will. Das heißt, man liest seine Horoskopanalyse selektiv und ignoriert Informationen, die nicht zu einem passen. Man möchte glauben, dass jene Persönlichkeitszüge stimmen, bei denen man sich gesehen und bestätigt fühlt. Darüber hinaus wird der Astrologie immer wieder unterstellt, so ungenau und schwammig zu sein, dass sich jeder in diesem verschwommenen Spiegel irgendwie wiedererkennt.

Trotz der Kritik wird die Astrologie derzeit immer beliebter: es gibt nicht nur einen Anstieg der Websites und Apps, sondern auch der Follower. Die beliebteste Astrologin Amerikas, Chani Nicholas, kann eine halbe Million Follower zählen, im deutschen Markt sind Silke Schäfer, Antonia Langsdorf und Stefanie Morawietz die bekanntesten Influencerinnen, die insgesamt auch Hunderttausende Follower ansprechen.

Das Medium formt den Inhalt

Wir können von einem sich selbst verstärkenden doppelten Effekt sprechen: die Astrologie wird durch das Internet und die sozialen Medien schneller, leichter zugänglich und verständlicher. Dadurch kommen auch Menschen mit Astrologie in Berührung, die sich vorher nicht damit beschäftigt haben. So kommen mehr Follower und Fans zusammen, als je zuvor. Auf der anderen Seite gibt es den Effekt, dass die neuen Technologien des Internets (= schnelle Verbreitung und einfacher Zugang zu Informationen) und die sozialen Medien (= direkte Ansprache auf der persönlichen Ebene) die Astrologie an sich formt.

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Nach dem Medientheoretiker Marshall McLuhan ist das Medium weitaus wichtiger, als die Inhalte, die es transportiert. So weit müssen wir hier vielleicht nicht gehen, doch ich möchte festhalten, dass sich die Inhalte und die Didaktik der Astrologie durch das neue Medium (die sozialen Medien) verändert hat. Die astrologische Arbeit wird in genießbare Häppchen zerkleinert, da nur die kleinen Informationsteilchen auch gut verteilt und konsumiert werden können. Auch die Online-Kongresse, die in den letzten zehn Jahren immer beliebter werden und sich nun auch auf den Bereich der Astrologie erweitern, verändern die Art, die Astrologie zu verstehen, wie auch die Art, Astrologie zu repräsentieren.

Das meine ich mit dem doppelten, sich gegenseitig verstärkenden Effekt: Zum einen gibt es weitaus mehr Menschen, die mit der Astrologie vertraut werden und nach weiteren astrologischen Inhalten suchen. Auf der anderen Seite müssen sich Inhalte und Methoden der Astrologie dem Medium beugen, um vom Medium Internet, bzw. soziale Medien auch transportierbar zu bleiben.

Evolution von Inhalten im Netz

Hier gibt es eine ganz natürliche Evolution im Internet: Website, Apps und andere Online-Angebote, die nicht leicht verdaulich, technisch leicht verfügbar (barrierefrei), sehr ansprechend und persönlich anwendbar sind, werden nicht aufgesucht und von den Suchmaschinen irgendwann in die Dunkelheit abgedrängt. Ein weiterer Aspekt dieser Evolution ist, dass es mehr und diversere Inhalte aus dem astrologischen Wissenskreis gibt als je zuvor, die haltbar im Internet gespeichert sind. Wo es vor der gebrauchsmäßigen Nutzung des Internets ab Beginn des neuen Jahrtausends noch darum ging, in Bibliotheken zu gehen, auf Schatzsuche nach einem bestimmten astrologischen Werk, dieses dann händisch zu kopieren, so geht man heute nur noch browsen und lässt sich von Google vorschlagen, wohin die intellektuelle Reise geht.

Ein großer Vorteil des Internets ist die Erreichbarkeit von astrologischen Informationen und die schnelle Vernetzung mit anderen astrologisch arbeitenden Menschen. Ein ebenso großer Nachteil ist die Verwässerung von Informationen durch Copy Paste und Fake News. Die Qualität des Wissens nimmt im Internet unweigerlich ab. Das gilt für alle Informationen im Netz.

Neue Technologien wie das Internet und die sozialen Medien (neues Programm innerhalb einer neuen Technologie) erfordern auch ein neues Wissen des Umgangs und das Formulieren von Regeln. Ich versuche hier einen bildhaften Vergleich: es ist so, als gäbe es plötzlich auf der Erde Pferde, die überall herumlaufen. Sie eignen sich zum Reiten, Kutschen ziehen, Pflügen, kurz: sie sind eine neue Technologie, die den Menschen hilft. Aber wie geht man mit Pferden um? Wie hält man sie? Wie werden sie domestiziert? Wie lernt man Reiten? Wie baut man Kutschen und Pflüge für Pferde? Wie kann man die PS (= Pferdestärke) sinnvoll im Alltag nutzen? All das sind Methoden, Techniken, Wissen, die sich die Menschen erst neu aneignen mussten, um die Technologie »Pferd« für sich nutzbar zu machen.

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Ein anderes Beispiel ist die Erfindung des Rades. Erst einmal gibt es da diese neue Technologie mit scheinbar unendlichen Möglichkeiten, doch all das, was damit einher geht, muss noch lange durchgearbeitet werden. Jede dieser neuen Technologien, egal ob Pferde, Räder, Feuer oder Buchdruck, Elektrizität und Autos, hat die Entwicklung der Menschheit enorm beschleunigt. Wir können nur ahnen, welche Beschleunigung uns die neuen Technologien von KI und Automatisierung bringen. Technologien formen die Menschheitsentwicklung, das Medium formt den Inhalt.

Vom Herrscherwissen zum Esotainment

Da ist es ein kleiner Gedankensprung zur Astrologie-Evolution. Auch dieses uralte Wissen befindet sich in einem fortlaufenden Prozess der Entwicklung, der Evolution. Interessantes und nützliches Wissen wird verbreitet und verstärkt, unnützes und langweiliges Wissen vergessen. Wurde Astrologie zunächst aufgrund des absolut exklusiven Zugangs nur an wenigen Orten der Welt von sehr wenigen privilegierten Männern betrieben und für Herrschende als Entscheidungshilfe aufbereitet, so wurde sie als Methodik und Information später in Astrologie-Schulen gelehrt.

Je nach Ansicht der herrschenden Klasse war Astrologie Teufelswerk (in der Bibel spricht sich Jesus eindeutig gegen Sterndeuterei und andere Wahrsagetechniken aus), oder sehr beliebt. Im alten Rom war Astrologie schon ein richtiger Trend von Wohlhabenden. Im Mittelalter hingegen konnte man als Astrolog:in durchaus auf dem Scheiterhaufen landen. In der Renaissance gab es wieder eine Aufwertung der Astrologie, die mit Beginn der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert wieder bergab ging. Astrologie war nun kein Teufelswerk mehr, sondern dummer Aberglauben. Erst seit den 70er Jahren gibt es wieder eine Art Aufschwung und seitdem breiten sich Astrologie-Schulen weltweit aus. Die Astrologie ist für jeden erlernbar, der es möchte. Interessanterweise beobachte ich, dass es – zumindest in Deutschland – weitaus mehr Frauen gibt, die astrologisch arbeiten, als Männer.

Vom Herrscherwissen zur Geheimlehre, wurde Astrologie zum erlernbaren Wissen, das man in Schulen erwerben konnte. Nun gab es auch die vergleichende Astrologie, eine Art Geschichte der Astrologie, in der aufgezeigt wird, welche Schulen, Systeme und Richtungen der astrologischen Arbeit weltweit existieren. Astrologie ist nicht mehr nur Astrologie, sondern die Huber Schule, die Frankfurter Schule, Astrologie nach Döbereiner, die psychologische Astrologie, die klassische Astrologie und so weiter. Gelernt wird in kleineren Gruppen, da man auch viel am eigenen Horoskop erarbeitet.

Durch das Internet und die Online-Plattformen kommt in den letzten Jahren eine neue Art des Lehrens in die Astrologie: Webinare, Zoom-Seminare, Videos zum Selberlernen, Forums-Gruppen, Communities zum Lernen. Aus den kleineren Gruppen im Präsenzunterricht werden nun größere Online-Gruppen und vor allem: Autodidakten, die Astrologie von Zuhause aus am PC lernen. Was macht das mit den Astrologie Schulen, die bisher im Präsenzunterricht arbeiteten? Das Kosten-Nutzen Angebot ist für Lernende im Internet ausschlaggebend: für geringere Kosten können im individuellen Lerntempo weitaus mehr Inhalte konsumiert werden, als in fixen Präsenzkursen. Der Nachteil des Online-Lernens ist mitunter das fehlende oder verzögerte Feedback durch Lehrende, was innerhalb eines Präsenskurses natürlich ad hoc kommt. Wir haben heute neue Astrologie-Adepten, die sich astrologisches Wissen autodidaktisch und von wahrscheinlich sehr unterschiedlichen Lehrenden und Schulen zusammensuchen. Astrologie wird auf diese Weise individualisiert und diversifiziert. Keine Art des Lernens gleicht der anderen.

Dr. Jana Kubatzki

Noch ist die Astrologie im Internet in einer Art Zwischenstadium vermute ich: schnelle, schöne, gut vermarktete Informationshäppchen, die ungeordnet kostenlos zur Verfügung stehen.
 Der nächste logische Schritt in dieser Entwicklung, innerhalb der noch recht neuen Technologie, ist die Ordnung, die Regulierung des Wildwuchses. Was bisher in den sozialen Medien astrologisch gesucht und geliked wird ist vornehmlich der Unterhaltung und der kurzweiligen Zerstreuung geschuldet. Es findet ein Esotainment statt, eine Unterhaltung (Entertainment) im Bereich der Esoterik, auch wenn Astrologie im Grunde nicht esoterisch sein muss. Wo man vorher einen Astrologen, eine Astrologin konsultierte, um ihren Rat, ihre Prognose zu hören, so konsumiert man heute Astro Häppchen wie bei einer Vernissage. Vom Konsultieren zum Konsumieren hätte auch ein passender Titel des Artikels sein können.

Esotainment in der Astrologie

Es gibt heute zahlreiche Astrologie-Websites und -Apps, die kostenlose oder kostenpflichtige Horoskope, Beratungen und Tools anbieten. Einige dieser Angebote sind seriös und fundiert, was bedeutet, dass die Kurztexte und Videos gründlich recherchiert sind, dass der Anbieter selber astrologisch ausgebildet ist und vertrauenswürdig arbeitet. Andere Social Media Posts hingegen sind eher unterhaltsam und esoterisch, im Sinne von versponnen und fantasiereich. Hier gibt es keine nachhaltige astrologische Information. Diese unterhaltsamen Angebote werden oft als Esotainment bezeichnet.

Esotainment ist eine Mischung aus Astrologie und Unterhaltung. Aus dieser Mischung geht zwangsweise hervor, dass schwierige, kaum durchschaubare astrologische Interpretationen durch Unterhaltsames und Kurzweiliges ersetzt wird. Esotainment-Angebote in der Astrologie sind – der Logik des Internets mit der kurzen Aufmerksamkeitsspanne der Nutzer geschuldet – mit einem ansprechenden Design, attraktiven Bildern, Videos und Texten gestaltet. Die Popularität von Esotainment in der Astrologie ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Die Inhalte sind oft sehr allgemein gehalten. Sie machen selten konkrete Aussagen über einzelne Personen oder Ereignisse, wie in der Mundanastrologie, sondern geben eher allgemeine Tendenzen an.

Es gibt aber durchaus positive Seiten dieser Esotainment Entwicklung: astrologisch interessierten Menschen wird es leichter gemacht, sich der Astrologie zu nähern. Esotainment-Angebote in der Astrologie können also eine sinnvolle Ergänzung sein. Sie vereinfachen den Zugang, sich mit Astrologie und dem eigenen Horoskop auseinanderzusetzen. Und dafür können Astrolog:innen soziale Medien nutzen: um mit Esotaiment-Angeboten Klient:innen zu generieren, um Aufmerksamkeit zu erlangen und für ihre astrologischen Expertenkenntnisse zu werben. Ein Ziel von Mega-Influencern ist es beispielsweise mehr Kunden für ihre Kurse zu bekommen. Oder zahlende Community-Mitglieder. Der Bot Bard (das chatbasierte KI-Tool von Google) hält es für wahrscheinlich, dass die Popularität von Esotainment in der Astrologie auch in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird. Astrologie wird immer mehr als eine Form der Unterhaltung und Selbstverwirklichung wahrgenommen.

Eine nicht-astrologische Prognose

Ich gehe da ganz mit dem genialen, aber leider schon verstorbenen Schriftsteller und Tennisstar David Foster Wallace: in seinem Zukunftsroman »Infinite Jest« hängt der halbe Globus rund um die Uhr im Internet, um sich wahllos Dauerserien anzusehen oder im Gaming aufzugehen. Die Unterhaltung, Zerstreuung und Abspaltung von der komplizierten, chaotischen Welt »da draußen« wird sicherlich noch viel stärker in den nächsten Jahren.

Zu der Vereinzelung und Abspaltung von der Öffentlichkeit (quasi eine Verkapselung des Individuums in einer Art medialen Uterus) kommt das narzisstische Verlangen nach der Bestätigung des Selbst. Ein zunehmendes Verlangen, sich mit sich selbst zu beschäftigen, seine Kindheitswunden zu flicken, sich therapieren, sich coachen zu lassen und somit super flexibel, optimiert und vergnügungsbereit zu sein. Das zukünftige Ich ist ein selbst designtes Ich. Der Mensch als Schöpfer seiner selbst. »Das Internet ist eine Ich-Maschine, der größte Narzissmus-Generator der Welt«, sagt Juli Zeh in ihrer Tübinger Vorlesung zum »Turbo Ich«, dem Menschen im Kommunikationszeitalter. Mit diesem Narzissmus-Generator und der selbstreflektions-starken Astrologie kann Esotaiment, speziell: Astrotainment, nur noch weiter ansteigen.

Um der sich ständig weiter verkürzenden Aufmerksamkeitsspanne zu genügen, werden astrologische Entertainment-Angebote bunter, interaktiver, noch attraktiver und selbstbestätigender sein. Doch mit jeder Strömung, mit jedem Trend wächst auch ein Gegentrend heran. Vielleicht wird die seriöse, fundierte und komplexe Astrologie dann wieder zu einer Art Geheimlehre, die nur mündlich tradiert wird. Die man in kleineren Gruppen an kuscheligen Orten zusammen lehrt und lernt.

Was passiert mit den Ratschlägen, den Prognosen und Informationen, die man von einer beschleunigten und vereinfachten Astrologie erhält? Copy Pasting, Design vor Inhalt, Personenkult der Anbieter und der Zwang schnell zu posten erhöhen den Druck auf sich im Internet überbietende Astrolog:innen. KI, wie Chatbots und Textschreibprogramme, automatisierte Posts und ausgelagerte Freelancer Jobs können das Tempo der Posts noch ankurbeln. Was erhalte ich dann als Nutzer:in? Welche Informationen sättigen mich dann noch?

Ich vermute, dass Astrologie in ihre Funktion, Halt und Orientierung zu geben, wie auch eine neue Sicht auf sich selbst, auf diese Weise nicht mehr nähren und halten kann, dass eine gewisse Inflation astrologischer Inhalte stattfindet. So wird aus der Geheimlehre, der jahrtausendealten komplexen Sterndeutung und Prognosetechnik ein kleiner Info-Snack für die Mittagspause. Warten wir den Gegentrend und seine Auswirkungen ab. Und vielleicht werden sich verschiedene Namen ergeben, um die eine Astrologie von der anderen zu unterscheiden.

Dr. Jana Kubatzki

Zur Autorin:

Dr. Jana Kubatzki berät in Leipzig und forscht über Astrologie in Zeiten der neuen technischen und medialen Herausforderungen. Ihr Buch: »Die Astrostadt. Stadtbummel durch dein Horoskop« ist 2023 als E-Book bei Amazon erschienen.

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