Die Last der Kriege in den Generationen danach
Kriege und autoritäre Erziehung führen zu schweren Traumata bei Kindern und auch Erwachsenen. Diese Traumata werden auch an die Folgegeneration weitergegeben und belasten Menschen psychisch, oft ohne den Zusammenhang zu verstehen. Die neue Disziplin der Epigenetik zeigt, dass diese Traumata auch physisch vererbt werden können. Angesichts der Leiden der Betroffenen ein viel zu wenig beachtetes Problem.
Wir alle haben in unserem Leben etwas erfahren, das uns zutiefst geschmerzt, belastet oder traumatisiert hat. Solche Erlebnisse haben in unserem Bewusstsein eine Art Langzeitwirkung und sie bringen uns im weiteren Leben immer wieder in Resonanz mit selbstähnlichen Begebenheiten. Das einst Erfahrene begleitet unser weiteres Leben, und wir spüren es in seinen ganz unterschiedlichen Auswirkungen, sei es mental, psychisch oder auch in Form von Körpersymptomen und Erkrankungen. Wir werden also immer wieder an nicht bewältigte Erlebnisse und deren Auswirkungen auf unser Leben erinnert. Hierzu gehören neben unseren eigenen auch diejenigen Erfahrungen, die unsere Vorfahren nicht bewältigen konnten und an uns weitervererbt haben.
Dabei gelten die Kriegserfahrungen unserer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern als die schwerwiegendsten. Haben unsere Vorfahren Kriege, Holocaust, Hungersnöte, Flucht und Vertreibung oder Vergewaltigungen erlebt, waren sie in Vernichtungslagern oder Gefängnissen eingesperrt, haben sie Bombardierungen oder Fronteinsätze erlebt oder waren sie sonstigen Gefahren und Entbehrungen ausgesetzt? Konnten sie das Erlebte bewältigen oder sind sie daran zerbrochen? Was haben sie uns an Unbewältigtem weitergegeben?
Der Sozialpsychologe Hartmut Radebold prägte 2005 die Bezeichnung »transgenerationale Weitergabe kriegsbedingter Belastungen«.1Hartmut Radebold, Werner Bohleber, Jürgen Zinnecker (Hrsg.): Transgenerationale Weitergabe kriegsbelasteter Kindheiten. Interdisziplinäre Studien zur Nachhaltigkeit historischer Erfahrungen über vier Generationen. Juventa, Weinheim/München 2009, zuerst 2008, S. 47, 48. Darunter ist zu verstehen, dass die psychischen Folgen verheerender Erfahrungen und Traumata während des Zweiten Weltkrieges und unter dem Hitlerregime an die Folgegenerationen weitergegeben wurden. Diese inneren Belastungen können sich teils schwerwiegend auf das Leben der Nachgeborenen auswirken. Dabei ist zu bedenken, dass die transgenerationale Weitergabe kriegsbedingter Belastungen auch für diejenigen Generationen gilt, die den Ersten Weltkrieg erlebten und ihre inneren, nicht verarbeiteten Konflikte ebenfalls an die nachfolgenden Generationen weitergaben. Wir haben es also mit mehreren Generationen kriegsbedingter transgenerationaler Belastungen zu tun.
Diese inneren Belastungen der Nachkriegsgenerationen sind jedoch den meisten Betroffenen nicht bewusst. Sie können in den unterschiedlichsten Lebensbereichen zu Störungen führen und äußern sich auf verschiedene Weise, sodass sie meistens gar nicht als Belastungen aus dem Ahnenfeld erkannt werden.
Seitdem das Thema öffentlich wurde, ist viel darüber berichtet und geschrieben worden. Besonders wichtig sind dabei die Berichte derjenigen, die den Krieg selbst erlebt haben und sich damit von dem allgemein herrschenden Schweigetabu nach dem Zweiten Weltkrieg befreien konnten. Denn viel Leid ist dadurch entstanden, dass die Betroffenen selbst nicht über ihre Gefühle sprachen, sei es aus Scham über die eigene Opfer- oder Täterschaft, die Identifizierung mit der deutschen Schuld am Krieg und den Naziverbrechen oder sei es, um nicht mehr daran erinnert zu werden. Hier spielen entsprechende Abwehrmechanismen, Verdrängung, Verleugnung, aber auch Bagatellisierung eine Rolle. Dieses kollektive Schweigen hat zwischen den Generationen zu viel Leid, Unverständnis und Distanz geführt und die Familienbeziehungen teils erheblich beeinträchtigt.
»Ihnen fehlte der emotionale Zugang zu ihren wichtigsten Prägungen.«
Ein gravierender und stark belastender und transgenerational weitergegebener Faktor ist neben den erfahrenen Kriegstraumata die autoritäre Erziehung, die bereits vor der Naziherrschaft streng und militaristisch ausgerichtet war. Disziplin und Ordnung, vor allem Unterordnung gegenüber den Vorgesetzten und in der Regel männlichen Autoritäten sowie die Einhaltung der vorgegebenen geschlechtsspezifischen Normen für Mädchen und Jungen bzw. für Frauen und Männer ließen Kinder zu unterwürfigen und gefügigen Menschen werden. Insofern dienten die bereits etablierten Erziehungstraditionen während des Hitlerregimes dem gezielten Aufbau einer Kriegsgeneration, in welcher der einzelne Mensch nichts, das nationalsozialistische Kollektiv alles galt. Auch dies ist ein Grund für das Schweigen der Kriegsgenerationen, dem eigenen Leid keine Bedeutung zu schenken. Sabine Bode beschreibt die Kriegskinder in ihrer Besonderheit: »Hier handelt es sich um eine große Gruppe von Menschen, die in ihrer Kindheit verheerende Erfahrungen gemacht hatte, aber in ihrer Mehrzahl über Jahrzehnte eben nicht auf die Idee kam, etwas besonders Schlimmes erlebt zu haben. Sie sagten übereinstimmend: Das war für uns normal, und es blieb für sie normal, das jedenfalls sagte ihnen ihr Gefühl. Ihnen fehlte der emotionale Zugang zu ihren wichtigsten Prägungen.«.2Bode, Sabine: Nachkriegskinder. Die 1950er Jahrgänge und ihre Soldatenväter. Stuttgart 2015, zuerst 2011, S. 22.
Entscheidend für diese Generation war vor allem auch das Fehlen von Vertrauen und sicheren Bindungen an die Eltern und Vertrauten, sodass eine gesunde individuelle Entfaltung ihrer Persönlichkeit nicht möglich war. Die nationalsozialistische Pädagogik erfolgte einerseits mit viel Zwang und Gehorsam, bot Kindern und Jugendlichen aber andererseits auch Faszinierendes in den nationalsozialistischen Kinder- und Jugendorganisationen, um sie für die eigene Ideologie zu gewinnen, denn, so propagierten die Nazis: »Wer die Jugend hat, hat die Zukunft.«.3Siehe auch: Klönne, Arno: Jugend im Dritten Reich. Die Hitler-Jugend und ihre Gegner. Köln 2003.
Bettina Alberti schreibt: »In den Familien und anderen Orten der Erziehung wie Schulen und Ausbildungslagern sorgten darüber hinaus traditionell patriarchalische und bindungsfeindliche Machtstrukturen für eine Unterordnung unter ein rigides und seelenfeindliches Lebensbild.«.4Alberti, Bettina: Seelische Trümmer. Geboren in den 50er- und 60er-Jahren: Die Nachkriegsgeneration im Schatten des Kriegstraumas. München 2010, S. 169.

Die Erziehungsmaßnahmen im Naziregime sollten bereits nach der Geburt damit beginnen, dass das Neugeborene sofort von seiner Mutter getrennt und in einem anderen Raum »abgestellt« wurde. Die Soziologin Sigrid Chamberlain prägte den Begriff Die Verweigerung des Antlitz, der die »vorprogrammierte Bindungsstörung des nationalsozialistischen Erziehungsstils erfasst und auf die tiefgreifende Verletzung der geistig-seelischen Würde des Menschen verweist«, so Alberti. Hierzu riefen die verschiedenen Erziehungsratgeber auf, die von den staatlichen Organen unterstützt und verbreitet wurden. Die bekanntesten waren diejenigen der Münchner Lungenärztin Johanna Haarer. In ihrem die Säuglingserziehung betreffenden Buch Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind propagiert sie »möglichst wenig physische Nähe zwischen Mutter und Kind von Geburt an, größtmögliche emotionale Distanz, Beschränkung auf die notwendige Versorgung des Kindes in seinen physiologischen Bedürfnissen wie Hunger und Sauberkeit sowie die Missachtung der Bedürfnissignale von Säuglingen, die sie durch Schreien und Wimmern zu äußern in der Lage sind.«5Alberti, Bettina, a. a. O., S. 90.
Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind erschien 1934 und wurde zum Bestseller. Es wurde auch nach 1945 weiter aufgelegt und fand sich in einer »entschärften Fassung in fast jedem Haushalt der Bundesrepublik«, so Dorothee Klingsiek.6Klingsiek, Dorothee: Die Frau im NS-Staat. Stuttgart 1984, S. 90.Wie tief eine derartige Schwarze Pädagogik kollektiv noch Jahrzehnte verwurzelt war, sehen wir daran, dass Haarers Erziehungsbuch zum letzten Mal 1996 verlegt wurde.7Haarer schrieb noch zwei weitere Erziehungsbücher: Unsere kleinen Kinder (1940) und Mutter, erzähl von Adolf Hitler! Ein Buch zum Vorlesen, Nacherzählen und Selbstlesen für kleinere und größere Kinder (1943).
Die Generationen, die seit dem Zweiten Weltkrieg an den Folgen von Krieg, Vertreibung, Flucht, Armut und direkten Kriegsgräueln leiden, werden in verschiedenen Gruppen beschrieben. Diejenigen, die den Zweiten Weltkrieg und die direkte Nachkriegszeit als Kinder erlebten und zwischen 1927 und 1947 geboren sind, zählen zu den Kriegskindern. Die darauffolgende Generation sind die Jahrgänge bis 1960, die sogenannten Nachkriegskinder, deren Eltern den Krieg als Jugendliche und Erwachsene erlebt hatten. Von ihnen sind die Älteren stärker betroffen als die Jüngeren, weil sie die ersten Nachkriegsjahre miterlebten, in denen die Städte noch in Trümmern lagen und viel Not und Hunger herrschten. Die darauffolgende Generation, die zwischen 1960 und 1975 geboren wurde, sind die sogenannten Kriegsenkel.
Die Kriegskinder
Diejenigen, die die unmittelbaren Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges selbst erlebten, sind durch ihre seelischen Wunden stark geprägt. Dabei ist die jeweilige Entwicklungsphase, in der sie traumatische Erfahrungen machen mussten, von entscheidender Bedeutung. Denn je früher ein Mensch in seinem Leben Angst hatte und je früher er lebensbedrohlichen Ereignissen oder großer Not ausgesetzt war, umso heftiger wirken sie sich auf das weitere Leben aus.»Denn je früher ein Mensch in seinem Leben Angst hatte und je früher er lebensbedrohlichen Ereignissen oder großer Not ausgesetzt war, umso heftiger wirken sie sich auf das weitere Leben aus.«Sabine Bode beschreibt dies wie folgt: »Je kleiner die Kinder waren, als die Katastrophe über sie hereinbrach, umso gravierender die Spätfolgen. In der Altersgruppe derer, die in den 40er Jahren geboren wurden und sich daher kaum oder gar nicht an das Kriegsgeschehen erinnern können, werden heute die größten Beeinträchtigungen sichtbar. Viele Menschen klagen über psychosomatische Beschwerden, vor allem über immer wiederkehrende Depressionen, unerklärliche Schmerzen oder Panikattacken. Da ihre Ängste nicht von Bildern der Kriegsschrecken begleitet werden und es auch in ihren Träumen keinerlei Hinweise dazu gibt, kamen sie bis vor kurzem nicht auf die Idee, sie könnten von Kriegserlebnissen belastet sein, und ihre Symptome blieben für die Ärzte rätselhaft. Das ist heute anders. Es hat sich in der Medizin herumgesprochen, daß ein nicht unerheblicher Teil der älteren Patienten unter Kriegstraumata leidet. Noch sind die Hilfsangebote für diese Kranken nicht ausreichend, aber es wächst die Aufmerksamkeit für die Hintergründe ihrer Beschwerden, auch in der Altenpflege.« 8Bode, Sabine: Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen. München 2010, zuerst 2005, S. 11.

Hilke Lorenz schreibt, dass sich die Zeitzeugen untereinander Überlebensgeschichten erzählten, beispielsweise wie sie sich etwas zu Essen ergattert oder mit scharfer Munition gespielt und überlebt hatten. »Sie erzählten sich nicht davon, wie sie sich aus Angst vor den herabjaulenden Bomben in die Hose gemacht hatten. Oder davon, wie sie der Brechreiz überkam, weil sie schon wieder in den Bunker mussten. Im Reden haben sie das Schweigen geübt.«10Lorenz, Hilke: Kriegskinder. Das Schicksal einer Generation. Berlin 2009, zuerst 2005, S. 20.
»Viele Erlebnisse der Kriegskinder sind so schrecklich, dass sie den Überlebenden nicht über die Lippen kommen.«
Viele Erlebnisse der Kriegskinder sind so schrecklich, dass sie den Überlebenden nicht über die Lippen kommen. Die jüdische Autorin Eva Szepesi, deren Familie in Auschwitz ermordet wurde, schildert in ihrem Buch ihre Flucht aus Ungarn und ihre Befreiung aus dem Vernichtungslager Auschwitz. Aus Verzweiflung und Trauer konnte sie viele Jahre keine Worte dafür finden, was ihr geschehen war. Während einer Lesung im Institut für integrale Bewusstseinsbildung sagte sie, dass sie 50 Jahre gebraucht hatte, sich mit den Erlebnissen ihrer Kindheit auseinanderzusetzen, und weitere zehn Jahre, um sie aufzuschreiben.11Szepesi, Eva: Ein Mädchen allein auf der Flucht. Ungarn – Slowakei – Polen (1944–1945). Berlin 2011.
Erst 60 Jahre nach diesen entsetzlichen Kriegsereignissen meldeten sich die Kriegskinder zu Wort, brachen ihr Schweigen und berichteten über ihre dramatischen Schicksale. Sie waren Kinder, die den Bombenkrieg überlebt hatten, waren hungernd und frierend auf der Flucht gewesen, waren in die Kinderlandverschickung weit ab von ihrem Elternhaus geraten und irrten am Ende des Krieges zu Tausenden hungernd durchs Land. Es waren Kinder, deren Mütter im Krieg Vergewaltigungen erlitten hatten, deren Väter im Krieg getötet wurden, nach dem Krieg in Gefangenschaft waren oder vermisst wurden oder die körperlich versehrt und psychisch gebrochen wieder nach Hause kamen.
»Insofern sind nicht nur Kriegstraumata, sondern grundsätzliche innere Folgen nicht bewältigter Erfahrungen unserer Ahnen Inhalte des transgenerationalen Erbes.«
Heute wissen wir, dass stressproduzierende Informationen in unserem Bewusstsein und damit im gesamten menschlichen Organismus nicht nur die Lebensfreude hemmen, sondern auch die Gesundheit gefährden. Jeder Stressfaktor, sei er uns bewusst oder nicht, wirkt sich auf die gesamte Biochemie unseres Körpers aus und kann zu erheblichen Symptomen führen. Insofern sind nicht nur Kriegstraumata, sondern grundsätzliche innere Folgen nicht bewältigter Erfahrungen unserer Ahnen Inhalte des transgenerationalen Erbes.

Dass dies auch auf Tiere zutrifft, untersucht die Epigenetik. Sie setzt sich mit den Wechselwirkungen von Genen und Umwelteinflüssen auseinander und hat in verschiedenen Tierversuchen bestätigen können, dass sich traumatische Ereignisse und Stressfaktoren nachhaltig in den folgenden Generationen auswirken. Es konnten biochemische Veränderungen am Epigenom aufgezeigt werden, die durch Stress ausgelöst wurden, und zwar durch Stress, der bereits in den zurückliegenden Generationen erlebt wurde.
Die Nachkriegskinder und Kriegsenkel (1948–1960 / 1960–1975)
Erst die Nachkriegskinder begannen, Kritik an der Nazizeit zu üben und ihre Eltern damit zu konfrontieren. Sie stellten die überkommenen Vorstellungen von Familie und Erziehung infrage, forderten die Gleichbehandlung der Geschlechter, demonstrierten gegen Krieg und Apartheid, entwickelten neue Formen des Zusammenlebens und gestalteten neue pädagogische Konzepte.
»Die Eltern der Kriegskinder haben schon untereinander kaum geredet«, so Lorenz. »Sich mit ihren Kindern über das Geschehene zu verständigen, haben sie oft gar nicht erst versucht. Die Kinder der Kriegskinder wiederum empfanden Scham und Schuldgefühle über die Millionen von Toten – und wollten den Eltern als greifbaren Stellvertretern der Welt von damals in Gesprächen am Küchentisch den Prozess machen. Wollten nach dem Hitlerjungen im Vater, dem BDM-Mädchen in der Mutter bohren. Sie suchten abgestoßen und zugleich fasziniert nach den Spuren der Nazis, nicht nach den Traumata der Eltern.«12Lorenz, Hilke, a. a. O., S. 20.
Gleichzeitig übernahmen gerade sie die nicht gelösten inneren Konflikte der Eltern und verhielten sich so angepasst wie möglich innerhalb ihrer Familien. Sie machten die Erfahrung, dass es nicht weiterführt, mit den Eltern über ihre Nazizeit zu sprechen. Was die Eltern zu ihrer Verteidigung hervorbrachten, war häufig der Satz: »Es war aber nicht alles schlecht« oder »Was hätten wir denn machen sollen?«. Sie konnten nicht über ihre Gefühle sprechen, geschweige denn sie zeigen.
Seitdem deutlich geworden ist, dass die psychischen Folgen unbewältigter Erfahrungen an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden, setzen sich soziologische, geschichtspsychologische sowie psychoanalytische und therapeutische Untersuchungen mit der unterschiedlichen Art der Weitergabe unbewältigter Erfahrungen auseinander, nehmen sich die unterschiedlichen Sozialisationen der Kriegs- und Nachkriegskinder sowie der Kriegsenkel vor oder befassen sich mit verschiedenen typischen Folgeerscheinungen in den Nachkriegsgenerationen wie sie beispielsweise Natan Kellermann für die Enkel von Holocaust-Überlebenden zusammengestellt hat.13Die Kinder der Child Survivors, in: Radebold, Bohleber, Zinnecker (Hg.), a. a. O., S. 65.
Darunter fallen vor allem die Neigung zu posttraumatischen Belastungsstörungen, eine widersprüchliche Mischung im Umgang mit Krisen und Stress zwischen Widerstandsfähigkeit, Krisen gut zu überstehen und Verwundbarkeit. Häufig sind vor allem Persönlichkeitsstörungen oder psychische Konflikte, Phasen von Angst und Depression sowie ein beeinträchtigtes berufliches, soziales und emotionales Funktionieren.
Michael Heinlein spricht im Zusammenhang mit der transgenerationalen Weitergabe von Holocaust-Erfahrungen von »sozialen und psychologischen Beziehungsgeflechten innerhalb der Familie«. Er schreibt: »Allen Traumatisierungstypen liegt ein Verhältnis zwischen Elternteil und Kind zugrunde, das aus medizinisch-psychologischer Sicht pathologische Züge trägt und dem im Holocaust erlittenen Trauma des Überlebenden geschuldet ist.«14Heinlein, Michael: Die Erfindung der Erinnerung. Deutsche Kriegskindheiten im Gedächtnis der Gegenwart. Bielefeld 2010, S. 151.
Es ist naheliegend, dass sich die Folgen erlittener Traumata am direktesten bei den Kindern Betroffener auswirken. Kinder spüren instinktiv die jeweiligen Gefühlslagen ihrer Eltern und stellen sich darauf ein. Sie folgen dem natürlichen Impuls, sich der Lebensgemeinschaft, in der sie aufwachsen, anzupassen. Dies geschieht sowohl dann, wenn sie in ein fürsorgliches und liebevolles Umfeld hineingeboren werden, als auch dann, wenn das Umfeld durch Unterdrückung, Züchtigung und blinden Gehorsam geprägt ist. Letzteres gilt in hohem Maße für die Kriegskinder und Nachkriegskinder.
Die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen sowie die Betroffenen selbst haben uns durch die Fülle von Berichten und Untersuchungen aufgezeigt, dass die historischen Geschehnisse der Zeit des Nationalsozialismus und der Weltkriege nachwirken und bis heute nicht umfänglich aufgearbeitet sind. Sie bedürfen einer nachhaltigen und tiefen inneren Klärung. Diese innere Bewältigung des transgenerationalen Erbes ist von entscheidender Bedeutung, nicht nur weil wir jetzt davon wissen, sondern für die weitere Entwicklung in der Welt.

Zur Autorin
Marina Stachowiak, geb. 1957, ist temporik-art Begleiterin, Kunstwissenschaftlerin, Autorin und Malerin. Sie veröffentlichte mehrere Bücher und Schriften zum integralen Themenspektrum und zum Bewusstseinswandel sowie unter ihrem ehemaligen Namen Marina Pilgram zur sexuellen Gewalt in der Kindheit. Vor dem Hintergrund der integralen Theorie des Philosophen Jean Gebser und der Psychobionik nach Bernd Joschko entwickelte sie temporik-art. 2010 gründete sie das Institut für integrale Bewusstseinsbildung in Reinheim bei Darmstadt und lehrt dort temporik-art in Einzel- und Gruppenseminaren sowie in Ausbildungsgruppen für Menschen, die andere mit temporik-art begleiten möchten.
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Bildnachweis: © Marina Stachowiak