Ronald Engert

Ronald Engert – Trauma und Heilung

Wie man an der Ursache ansetzt und nachhaltig heilt

Traumatherapien gibt es viele. Jede Methode verfolgt ihren eigenen Ansatz. Sie setzen im Denken, am Körper, an den Gefühlen oder im Spirituellen an. Eine Therapie, die alle Ebenen vereinigt, verspricht dabei den nachhaltigsten Erfolg. Dabei sollte das Hauptaugenmerk aber auf den Gefühlen liegen, denn sie sind der primäre Ort, an dem sich das Trauma manifestiert. In den beiden hier vorgestellten effektiven Ansätzen geht es darum, sich ehrlich zu zeigen und diese traumatischen Gefühle zu entladen.

Das Krankheitsbild

Ein Trauma ist eine komplexe Belastung, die schwer zu therapieren ist. Es handelt sich hier nicht um eine normale, alltägliche Verletzung, sondern um eine schwere und außergewöhnliche Verletzung. Diese kann körperlich sein, dann spricht man von einem körperlichen Trauma. Sie kann aber auch auf der emotionalen Ebene geschehen, zum Beispiel wenn wir als Kind von unseren Eltern chronisch vernachlässigt werden, verlassen werden, körperlich misshandelt werden oder sexuell, emotional oder spirituell missbraucht werden.

Als Kind haben wir kaum eine Chance, mit dieser Verwundung umzugehen oder uns vor ihr zu schützen.

Als Kind haben wir kaum eine Chance, mit dieser Verwundung umzugehen oder uns vor ihr zu schützen. Wir sind unseren Eltern hilflos ausgeliefert. Wir können nicht einfach gehen oder uns wehren. Als Kind verstehen wir überhaupt nicht den Unterschied zwischen einer liebevollen und guten Behandlung und einer lieblosen und schlechten Behandlung. Kinder bewerten nicht, sondern befinden sich im Zustand von Unschuld und Vertrauen. So werden wir als Kind geboren. Wir lieben unsere Eltern bedingungslos und akzeptieren das, was sie tun, als gegeben. Wir können es nicht unterscheiden und haben kein Urteilsvermögen.

Die Verletzungen unseres Körpers und unserer Gefühle  finden aber dennoch statt. Als Kind merken wir es nicht so sehr, denn wir haben so viel Lebensenergie, dass wir diese Verletzungen und diesen Missbrauch irgendwie kompensieren können. Es ist aber keine wirkliche Verarbeitung oder Lösung des Problems, sondern eher eine Betäubung oder eine Dissoziation, das heißt das Kind spaltet sich von sich selbst ab. Diese Selbstabspaltung ist der Ursprung der meisten folgenden emotionalen und spirituellen Probleme, die ein Mensch haben kann.

Süchte sind somit Bewältigungsstrategien, um mit dem Schmerz, der Angst und der Schamumzugehen, die aus dem Trauma hervorgegangen sind.

Wenn wir uns nicht mehr mit uns selbst in Verbindung fühlen, wenn wir neben uns stehen, wenn wir nichts fühlen können oder uns zum Beispiel mit Süchten oder emotionalen Schutzmechanismen betäuben, liegt der Ursprung dessen in dieser Traumaerfahrung, die wir nicht anders bewältigen konnten als durch diese Selbstbetäubung oder Abspaltung. Süchte sind somit Bewältigungsstrategien, um mit dem Schmerz, der Angst und der Scham umzugehen, die aus dem Trauma hervorgegangen sind.

Die Erinnerung an die Geschehnisse wird oft ins Unbewusste verschoben. Viele Betroffene berichten davon, dass sie sich an weite Strecken ihrer frühen Kindheit überhaupt nicht oder nur schemenhaft erinnern können. Das hat seine Ursache in einem Verdrängungsmechanismus, der uns vor diesen schmerzlichen Erinnerungen schützen soll. Auch wenn wir das Trauma und den ursprünglichen Schmerz nicht bewusst wahrnehmen können, ist diese Erfahrung dennoch in unseren Zellen und in unserer psychischen Identität gespeichert.

Das Trauma führt zu einer permanenten Stresssituation.

Das Trauma führt zu einer permanenten Stresssituation. Die Erfahrung der Bedrohung, des Terrors und der Panik macht uns hochsensibel für ähnliche Situationen und hält uns in einem ständigen Modus der Alarmbereitschaft. Auf der physischen Ebene drückt sich das durch eine permanente Hormonflutung durch Adrenalin und Cortisol aus. Wir haben einen Dauerpegel von diesen Stresshormonen, der dazu führt, dass wir bei neu auftretenden, bedrohlichen, gefährlichen, belastenden Situationen keine Reserven und keinen Puffer haben, um mit diesen Situationen gut umzugehen. Wir sind sofort gestresst und überlastet. Das Leben wird zu einem ständigen Erschöpfungszustand. Wir haben wenig Energie und sind oft psychisch beeinträchtigt, zum Beispiel durch Angstzustände, Beziehungsprobleme, Minderwertigkeitskomplexe, Unsicherheit, Depressionen, Narzissmus oder Co-Abhängigkeit.

Die üblichen Therapien

So universell verbreitet die Traumata sind, so vielfältig sind auch die therapeutischen Ansätze und Lösungsvorschläge. Die allgemeinsten klassischen Zugänge sind die Gesprächstherapien. Hier wird auf der kognitiven Ebene versucht, den Betroffenen ein besseres Verständnis ihrer Probleme zu vermitteln, sodass diese kraft ihrer Einsicht und Vernunft verstehen, dass das Trauma schon längst vorbei ist und dass es gar nicht notwendig ist, weiterhin diese psychischen Beeinträchtigungen zu haben. Die Gefühle werden hier wahrscheinlich auch angesprochen, aber eher auf der kognitiven Ebene. Es wird eine Priorität des Denkens über das Fühlen angenommen, und die Idee besteht darin, dass man durch das Denken die Gefühle ändern kann. Dies ist ein großer Irrtum. Dazu später mehr.

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Ein weiterer Zugang, der zunehmende Popularität gewinnt, ist der über den Körper. Moderne Körpertherapien gehen davon aus, dass das Trauma im Körper gespeichert ist und durch bestimmte Bewegungen oder die Atmung aufgelöst werden kann. Verspannungen sollen durch Yogastellungen oder durch andere Körperübungen gelöst werden. Das soll dann wieder auf die Gefühle oder das Trauma selbst zurückwirken, das sich dadurch auflöst. Hier wird die Ursache des Traumas oft nicht adressiert. Viele Therapeut:innen gehen davon aus, dass sich diese Gefühle überschreiben lassen.1Viele körperorientierte Ansätze gehen nicht unbedingt von einer Überschreibung aus, sondern davon, dass das Trauma durch unausgedrückte körperliche Reaktionen (auch Emotionen/Gefühle) zum Zeitpunkt der Verletzung zustande kommt, die im Körper verharren und daher zu den Traumasymptomen führen. Somit haben viele Körpertherapien den Ansatz, diese ungelebten Körperreaktionen zu erfühlen, wahrzunehmen und vielleicht sogar auszuleben, was dann zu einer Auflösung führen kann. Diese Ansätze sind effektiv, stellen sie doch durch das Erfühlen eine Variante der emotionsbasierten Ansätze dar.

Unter Umständen wird auch ein warmes Bad oder eine schöne Massage bei Kerzenlicht empfohlen. Diese Einzelereignisse geben sicherlich ein Wohlgefühl, sind aber vorwiegend Symptombekämpfung und das gute Gefühl endet kurze Zeit nach dem Ende der Behandlung. Die Betroffenen finden sich im gleichen traumatischen Belastungszustand wieder.

Alternativmedizinische Ansätze arbeiten im sogenannten energetischen Bereich, zum Beispiel die Quantenheilung oder Reiki. Es werden günstige Voraussetzungen geschaffen, indem der allgemeine Energiehaushalt verbessert wird, aber auch hier wird das Trauma nicht direkt bearbeitet.

In mehr ganzheitlich orientierten Kreisen wird auch der Weg der spirituellen Praxis zunehmend empfohlen. Hierzu gehören alle Formen der Meditation und die Praktizierung der diversen spirituellen oder auch religiösen Traditionen. Man widmet sich taoistischen Übungen oder schamanischen Zeremonien, man nimmt an buddhistischen Schweigeretreats teil oder übt sich in spirituellen Gesängen. Diese Formen haben ihren Wert in sich als spirituelle Praxis, um höhere Bewusstseinszustände zu erreichen und den diversen Formen der Erleuchtung oder des Erwachens, wie Samadhi oder göttlicher Liebe, näher zu kommen. In den Erdreligionen sind es eher Einheitserfahrungen mit Mutter Erde, der Natur oder der Kontakt mit Elementarwesen.

Alle diese Kulturleistungen des Menschen haben ihren Sinn und Zweck, werden aber als Vehikel der Heilung oft falsch verwendet. Dann wird die spirituelle Praxis selbst zu einem Verdrängungsmechanismus, einem Bypass, um den wahren Schmerz nicht zu fühlen. Wir können uns natürlich in diese Bewusstseinszustände erheben, aber wenn wir unsere Traumastruktur nicht bearbeitet haben, werden wir sofort in diese Traumastruktur zurückkehren, sobald wir aus dem erweiterten Bewusstseinszustand wieder austreten. Das führt dazu, dass in den spirituellen

Traditionen meistens ein gewisser Anspruch aufgebaut wird, dauerhaft in diesem Zustand zu bleiben, um vom Leiden befreit zu sein.

Zwei wirksame Methoden

Es gibt Wege, diese Traumastruktur direkt aufzulösen und zu heilen und dann auch im normalen Leben und Alltagsbewusstsein vom Leiden befreit zu sein. Dieser gesunde Zustand ist eigentlich die Ausgangsbasis für die spirituelle Praxis. Die Arbeit in den Tiefen, mit Schmerz und mit dem eigenen Körper, ist wichtig, bevor oder während man sich an die Arbeit in den höheren Bewusstseinsebenen macht. Der gesunde Mensch kann dann eine spirituelle Praxis wirklich sinnvoll und nutzbringend einsetzen, um in die höheren Bewusstseinszustände bis hin zur Erleuchtung oder zum Erwachen zu gelangen. Solange wir mit einer dysfunktionalen Psyche, einer traumatisierten emotionalen Struktur an diese Ebenen herantreten, verdrehen wir die Dinge und erreichen nicht die gewünschten Ziele. Oft passiert das Gegenteil: die spirituellen Aspirant:innen nehmen ihre dysfunktionalen emotionalen Strukturen mit in die spirituelle Praxis und entwickeln angstgetriebene, starre Konzepte, die sich in ideologischen, fundamentalistischen, dogmatischen, psychologisch gesehen zwanghaften oder süchtigen Formen dieser Praxis ausprägen.

Die spirituelle Dimension an sich ist eine eigenständige Qualität, die nicht mit unserem emotionalen Anteil identisch ist. Innerhalb des Menschen findet aber immer eine Kombination der verschiedenen Ebenen statt und unsere emotionalen Komponenten gehen eine Verbindung mit den spirituellen Anteilen ein. Transzendenzphilosophisch gibt es auch noch eine Qualität spiritueller Gefühle. Das ist aber hier nicht das Thema und sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

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Das führt uns zum eigentlichen Kern des Traumas. Das sind die Gefühle, die in den Betroffenen durch das Trauma ausgelöst wurden und nun so lange gespeichert sind, bis sie entladen und verarbeitet sind. Eine Traumatherapie sollte deshalb an den Gefühlen ansetzen.

Die Gefühle sind der Kern unserer menschlichen Identität, nicht die Gedanken. Wenn wir als Kind geboren werden, dauert es drei bis fünf Jahre, bis unser kognitiver Apparat überhaupt zu arbeiten beginnt. Bis dahin sind wir rein emotional. Sehr kleine Kinder fühlen sehr intensiv. Sie sind beispielsweise sofort traurig, ärgerlich, lustig oder glücklich. Diese Gefühle können innerhalb von Sekunden umschlagen, aber die Kinder sind immer voll und ganz 100 Prozent im jeweiligen Gefühl.

Vielleicht sind es die Traumata, die uns Menschen letztendlich dazu bringen, unsere Gefühle zu dämpfen und durch unseren kognitiven Verstand zu kontrollieren. Den Verstand brauchen wir, um uns in dieser materiellen Welt zurechtzufinden und zu überleben. Wir brauchen ihn, um über die Straße zu gehen, ohne überfahren zu werden, aber er sollte nicht der Herr im Hause sein.

Unsere wahre Sehnsucht und unser Lebenssinn bestehen darin, zu fühlen. Wir wollen uns glücklich fühlen. Wir wollen lieben und geliebt werden. Wir möchten uns sicher und geborgen fühlen. Wenn wir uns selbst fühlen können, wenn wir Frieden und Ruhe und Gewissheit in uns selbst fühlen können, dann geht es uns richtig gut. Jeder Mensch sucht außerdem nach einem oder mehreren lieben Menschen, mit denen er oder sie sich verbunden fühlen kann. Wir fühlen uns in unserer Familie am wohlsten – sofern hier nicht die Ursache der Traumata liegt. Was bewegt den Menschen? Es sind seine Beziehungen und seine Suche nach Glück, und diese sind immer verbunden mit Gefühlen.

a) emotionale Traumatherapie

Wenn nun also dieses Gefühlsleben, unser Emotionalkörper verletzt ist, können wir Gefühle nicht mehr richtig fühlen. Entweder fühlen wir gar nichts mehr oder wir werden von Gefühlen wie Angst, Scham und Wut geflutet. Diese Gefühle sind in der Gesellschaft nicht akzeptiert und müssen deshalb unterdrückt oder zumindest versteckt werden.

Es ist notwendig, an den Ursprung des Traumas zurückzugehen, um diese Gefühle noch einmal zu fühlen und dann zu entladen.

Es ist notwendig, an den Ursprung des Traumas zurückzugehen, um diese Gefühle noch einmal zu fühlen und dann zu entladen. Diese Entladung ist sehr wichtig. Eine echte, wirksame Therapie sollte deshalb an den Gefühlen ansetzen. Es gibt einige Therapieformen, die die Ansicht vertreten, dass man an dem Ursprungstrauma arbeiten und die Gefühle noch mal durchleben soll. Es ist aber auch wichtig, die Betroffenen dann nicht mit diesen Gefühlen alleine zu lassen, denn das kann zu einer Retraumatisierung führen. Amateurhaftes Aufwühlen solcher Erinnerungen ist nicht empfehlenswert. Die Arbeit sollte daher in einem sicheren Setting geschehen, entweder mit therapeutisch geschulten Menschen oder in einer Selbsthilfegruppe von Betroffenen, die sehr bewusst mit diesen Dingen umgehen können und die nötige Empathie mitbringen.

Um diese Entladung der Gefühle optimal bewerkstelligen zu können, sollten zudem alle vier Ebenen des Menschen gleichzeitig genutzt werden: Körper, Gefühle, Kognition und Spiritualität. Der Körper ist wichtig, denn die Gefühle sind energetisch und physisch im Körper gespeichert. Direkt auf der Gefühlsebene zu arbeiten, ist die Priorität, denn es geht natürlich um die Gefühle. Die kognitive Ebene ist notwendig, denn die Gefühle werden durch unser Denken erkannt und in eine Erkenntnisordnung gebracht. Durch die spirituelle Ebene schließlich kann unser wahres Selbst wahrgenommen werden, das unversehrt und vollkommen ist.

Jede dieser Ebenen alleine angewendet wird nicht ausreichen, um die komplexe Traumastruktur aufzulösen. Eine Therapiemethode, die alle Ebenen integriert und die Gefühle ins Zentrum stellt, ist die von Lea Loeschmann (siehe das Interview mit ihr in Tattva Viveka 97). Sie führt den Klienten zunächst in eine Art Wachtrance oder Wachhypnose, in den Alphazustand einer grundlegenden Entspannung. Dann wird das Trauma thematisiert, zum Beispiel ein Thema mit der Mutter oder dem Vater, und das Gefühl wird im Körper lokalisiert. Das Gefühl kann zum Beispiel im Nacken sitzen, im Bauch, in der Stirn oder im Hals. Dann wird der Verstand mit der Frage engagiert: »Wenn du dieses Gefühl jetzt aus deinem Körper herausziehen möchtest, brauchst du dann eine oder zwei Hände?« Mit dieser und einigen anderen Fragen wird der Verstand in das Geschehen einbezogen. Die Klientin entscheidet und zieht dann richtig physisch das Gefühl oder diese Ladung aus dem Körper heraus und legt es neben sich auf einen Haufen. Dies wird so lange gemacht, bis von den Gefühlen nichts mehr im Körper ist. Auf diese Weise werden verschiedene Gefühle und Aspekte des Traumas durchgearbeitet. Am Ende wird der ganze Haufen emotionaler Altlasten entsorgt. Ein Teil davon wird in einem imaginären Waschbecken heruntergespült und der Kern davon wird zu einer Kristallkugel geformt, die dann in einer Fantasiereise mit einem kleinen Ritual losgelassen wird. Dabei bedankt man sich noch einmal bei diesen ganzen Gefühlen, die einem gedient haben, um zu überleben, und verabschiedet sich dann. Hierzu wird auch ein Licht am Himmel, eine spirituelle Ebene miteinbezogen, die das neue Leben begleitet. So werden die gespeicherten Traumastrukturen (Spannungen, Betäubungen, Blockaden im Körper sowie Ängste, erstarrte Wut, Scham, Ekel) entfernt.

Ronald Engert

Dies ist natürlich eine imaginäre Handlung auf der Traumebene, wobei wir aber aus der Sicht der Spiritualität und der Erkenntnistheorie davon ausgehen können, dass die Traumwelt und die Wachwelt beide real sind, zumindest was diese emotionalen Prozesse betrifft. Auch die Neurophysiologie gibt darauf Hinweise, Stichwort: Spiegelneuronen. Wenn wir die Gefühle anderer so genau fühlen können, als wären es unsere eigenen, dann können wir auch unsere eigenen Gefühle so fühlen, als würden wir sie buchstäblich aus unserem Körper entfernen. Es findet eine emotionale Entlastung und Entladung statt. Im Grunde ist es ein spiritueller Vorgang, der aus unserem wahren Selbst, unserem ewigen Identitätskern heraus gespeist wird. So entsteht eine Kombination aus Physis, Emotionen, Kognition und Transzendenz.

Die Folge dieser Methode ist die Entladung der Traumagefühle und ein Abschluss dieses Erlebnisses. Der Adrenalinpegel reduziert sich auf ein normales Maß, das Leben wird entspannt und verliert seine Anstrengung und Überlastung. Situationen in der Gegenwart können besser gemeistert werden und führen nicht mehr zu Triggerreaktionen.

Herausfordernde Situationen werden nicht enden. Wir werden immer mit Problemen oder Unglücken zu tun haben. Aber wir werden anders damit umgehen können. Dies ist eine fundamentale Heilung unseres Emotionalkörpers, dadurch hervorgerufen, dass man direkt an den Gefühlen arbeitet und nicht den Umweg über den Körper, den Verstand oder unser spirituelles Bewusstsein macht, um unsere emotionale Verfassung zu verbessern. Daraus gehen die Möglichkeit einer geheilten Emotionalität und eine emotionale Nüchternheit hervor. Emotionale Nüchternheit bedeutet, die echten und authentischen Gefühle zu fühlen und sich nicht »wegzumachen«, das heißt zu betäuben, zu rationalisieren, zu verstellen, Gefühle durch Substanzen oder Handlungen zu manipulieren oder sich gar emotional oder physisch abzutöten. Auch der Körper, der Intellekt und die spirituelle Ebene spielen eine wichtige Rolle, aber der primäre Ansatz sind die echten, damals im Trauma erfahrenen Gefühle. Hier beginnt die Heilung.

b) Zwölf-Schritte-Programme2Das Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker (AA) ist eine Selbsthilfe-Gruppenmethode zur Genesung von Alkoholabhängigkeit. Es basiert auf den Prinzipien der persönlichen Verantwortung, spirituellen Wachstums und gegenseitiger Unterstützung. Die zwölf Schritte umfassen Schritte wie die Einsicht in die Machtlosigkeit über den Alkohol, die Suche nach einer höheren spirituellen Kraft, das Eingeständnis von Fehlern und die Wiedergutmachung von Schäden sowie das fortwährende Bemühen, nüchtern zu bleiben und anderen Betroffenen zu helfen. Es ist eine bewährte Methode, die in vielen Selbsthilfegruppen zur Suchtbekämpfung angewendet wird. Heute gibt es zu allen Suchtformen Zwölf-Schritte-Gruppen, zum Beispiel für Esssucht, Beziehungssucht oder Arbeitssucht. Die spirituelle Dimension kann tatsächlich für einen Menschen, der diese Realität akzeptiert, eine große Hilfe sein. Gott oder eine höhere Macht, wie jeder sie für sich versteht, kann uns aus unserem Eigenwillen und unserer Selbstbesessenheit herausführen und den Weg für eine Heilung außerhalb unseres Horizontes frei machen. Hier ist das spirituelle Prinzip der Hingabe oder Kapitulation zu nennen. Ich öffne mich dem Prozess der inneren Kapitulation in meinem Leben. Ich lasse alle unangenehmen und starken Gefühle zu, die nach außen kommen müssen. Wenn wir uns im Innern völlig ausliefern, ist das eine persönliche und spirituelle Erfahrung.
Wir vertrauen uns der Intelligenz des Lebens, den Heilkräften in uns, der spirituellen Kraft an, um zu genesen.
Diese »Kapitulation« vollzieht sich nicht nur in unserem Kopf. Wir erzwingen oder beherrschen sie nicht durch Willenskraft. Es geht um eine tiefe Erfahrung, die wir machen. Wir lassen uns von einer höheren Macht führen und vertrauen, dass alles zur rechten Zeit geschieht. Wir vertrauen uns der Intelligenz des Lebens, den Heilkräften in uns, der spirituellen Kraft an, um zu genesen. Eine weitere wichtige Dimension ist die Erfahrung in einer Gruppe von Betroffenen, die sich gegenseitig unterstützen: die Gruppenbindung. Ein wichtiges spirituelles Prinzip in der Heilung ist die Ehrlichkeit, das heißt in Bezug auf die Gefühle, über diese ehrlich zu sprechen und sich damit vor den anderen zu zeigen. Damit integriere ich mich selbst und hebe die Abspaltung von mir selbst auf, die immer weiter aufrechterhalten wird, wenn ich meine Gefühle verleugne. Mich nicht zu zeigen ist gleichbedeutend mit einer Ablehnung meiner selbst. Dies ist sehr schmerzhaft für die Seele und führt zu weiteren dysfunktionalen Bewältigungsstrategien, um diesen Schmerz nicht zu spüren. Indem ich mich zeige, nehme ich mich und meine eigene Wirklichkeit an, auch wenn diese schmerzhaft oder beschämend ist. Das ursprüngliche Trauma wurde uns von anderen zugefügt, dafür können wir nichts. Wir sind nicht verantwortlich für unsere Krankheit, aber wir sind verantwortlich für unsere Genesung. Indem sich die anderen Betroffenen in der Gruppe zeigen und ich der Zeuge bin, erfahre ich ebenfalls die Heilung meiner eigenen Verletzungen. So können sich Betroffene gegenseitig helfen. Es entsteht ein emotio-spirituelles Feld der Heilung, das durch unsere Emotional- und Seelenkörper erzeugt wird. Es entstehen feinstoffliche Verbindungen und ein spirituelles Feld des Gewahrseins und des Friedens. Mit dem richtigen Set und Setting kreieren wir einen geschützten Raum der Genesung. Das ist das, was in den Meetings der Zwölf-Schritte-Programme geschieht. Die Ehrlichkeit in diesen Meetings ist unvergleichlich und entsprechend heilsam.

Fazit

Es gibt Hilfe für von Trauma Betroffene. Wir müssen nicht den Rest unseres Lebens im Überlebensmodus dahinsiechen, gestresst, verängstigt, oft scheiternd. Der Autor spricht aus eigener Erfahrung. Es ist ein unvergleichliches Gefühl, wenn sich der emotionale Nebel lichtet und die Gefühle gefühlt werden können, wie sie sind, und wenn es möglich ist, auf Situationen kompetent zu reagieren und gesunde Grenzen zu setzen. Das gibt Freiheit.

Durch gesunde Grenzen sparen wir große Mengen von Energie, ebenso durch die Entladung der Traumata. Das Leben wird zu einem angenehmen und freudvollen Ereignis, die Kreativität wächst, der Stress nimmt ab, die Beziehungen verändern sich zum Guten. Das Nervensystem erholt sich und wir werden belastbarer. Burn-out geht zurück. Wir werden fähig, unser Potenzial und unser Wohlbefinden aktiv zu fördern. Negative Gedanken hören auf. Terrorprojektionen und Verfolgungswahn verschwinden. Positive psychische Stabilität wird zur ständigen Realität.

Jeder betroffene Mensch sollte an dieser Heilung arbeiten, nicht nur für sich, sondern auch für die Menschheit und die Erde. Geheilte Menschen sind ein unschätzbarer Gewinn für die Gemeinschaft, und wenn wir jemals eine friedliche Welt erschaffen werden, dann kann dies nur mit gesunden Menschen erfolgen. Werden nicht die Kriege letztlich durch traumatisierte Menschen ausgelöst, die aus Angst und Wut reagieren? Diese Kriege erzeugen wiederum endlose Traumata bei so vielen Menschen. Diese Traumata werden transgenerational weitergetragen – ein Teufelskreis, aber uns bleibt keine andere Wahl, als ihn zu durchbrechen.

Es gäbe nun noch viel zu sagen, es gibt noch einige besondere Aspekte und Spezialformen, die mitwirken können. Die in diesem Artikel getroffenen Aussagen sollten deshalb nicht als absolute und endgültige Wahrheit gesehen werden. Es sollte ein Grundgerüst dargestellt werden. Im einzelnen konkreten Fall muss geschaut werden, was vorliegt.

Ronald Engert

Durch das Annehmen unserer Wunde können wir uns wieder mit uns selbst verbinden, denn sie ist ein Teil von uns, der uns geprägt und zu dem gemacht hat, der wir sind. Die Schönheit des Menschen liegt in seiner Unvollkommenheit. Wären wir vollkommen, wären wir keine Menschen. Am Ende werden wir dankbar für diese Wunde sein, denn sie führt uns in das wahre Erwachen, das im Herzen geschieht. Dieses Erwachen verachtet das Leiden der Kreatur nicht arrogant, sondern begegnet ihm mit Liebe und Mitgefühl. Es ist eine Spiritualität, die den Menschen und alle irdischen Wesen in das Paradies zurückführt. Wir sind bereit, selbstlos zu dienen, weil es sonst nichts mehr zu tun gibt.

Ronald Engert
Ronald Engert, geb. 1961, 1982–88 Studium der Germanistik, Romanistik und Philosophie, 1994–96 Indologie und Religionswissenschaften an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt/M., 1994 Mitgründung der Zeitschrift Tattva Viveka, seit 1996 Herausgeber und Chefredakteur. 2015–23 Studium der Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. 2023 Masterabschluss zum Thema »Magie der Sprache im Werk Walter Benjamins«. Autor von »Gut, dass es mich gibt. Tagebuch einer Genesung« (2012) und »Der absolute Ort. Philosophie des Subjekts« (2 Bände, 2014 und 2015). Blog: www.ronaldengert.com / Zeitschrift: www.tattva.de

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