Dr. phil. Thomas Höffgen

Dr. phil. Thomas Höffgen – Die Verteufelung der Natur

Religiöse Wurzeln unserer ökologischen Krise

»Was Menschen für ihre Ökologie tun, hängt davon ab,
was sie in Bezug auf die Dinge um sie herum über sich selbst denken.
Die menschliche Ökologie ist zutiefst von Überzeugungen über unsere Natur
und unser Schicksal bestimmt – das heißt, von der Religion.«

Lynn White Jr.

Von der tiefen Naturverehrung der Heiden über die aufkeimende Verteufelung dieser im sich ausbreitenden Christentum bis hin zur ökologischen Krise der Gegenwart – es hat sich im Verhältnis des Menschen zur Natur im Laufe der Zeit vieles getan, und leider trägt diese Entwicklung keine schönen Früchte. Der Autor kontrastiert das Verhältnis zur Natur der Heiden und Christen miteinander und schenkt dem Lesenden dennoch einen positiven Ausblick, wie wir – begleitet von Goethe und Schiller – die Magie und die Seele der Natur und ihrer Wesen wiederentdecken können.

»Schöne Welt, wo bist du?«

Klimawandel, Waldsterben und Plastikmüll in unseren Weltmeeren – das sind nur wenige Beispiele für die große ökologische Katastrophe, in der wir uns im 21. Jahrhundert befinden. Etwa 150 Tier- und Pflanzenarten sterben täglich aus: Zwar gab es schon fünf Mal ein solches Artensterben auf dem Planeten, doch ist es diesmal anders, denn die aktuelle Krise ist ausdrücklich anthropogen, das heißt »menschengemacht«. Kaum zu glauben, aber wahr, der Mensch zerstört gerade seine eigene Lebensgrundlage. Grund genug, zu fragen, warum er das macht: Welche Geisteshaltung und Gesinnung – welche Weltanschauung und Naturauffassung – stecken hinter dem geradezu naturfeindlichen Verhalten, das der moderne Mensch gegenwärtig an den Tag legt?

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, soll hier eine geistes- und religionsgeschichtliche These erörtert werden, die in der Vergangenheit zwar immer wieder vorgetragen wurde, gleichwohl nie ins breitere Bewusstsein gedrungen ist: Die Rede ist von der schwerwiegenden Behauptung, dass mit der Christianisierung ein paradigmatischer Weltbildwandel – gar ein Bruch im menschlichen Bewusstsein – stattgefunden habe, in dessen Zuge sich die Menschheit radikal von ihrer natürlichen Umwelt abwendete bis hin zur Naturverteufelung, was schließlich zur gegenwärtigen Krise führte.

Schon Friedrich Schiller konstatiert in seinem geschichtsphilosophischen Gedicht Die Götter Griechenlandes (1788), dass mit dem Wechsel vom animistischen zum christlichen Glauben eine Naturentfremdung sondergleichen stattgefunden habe: Mit der Verdrängung der vorchristlichen Naturreligion sei eine »schöne Welt verlorengegangen, in der die Wälder pantheistisch alldurchgöttert waren und ›eine Dryas lebt‹ in jedem Baum«. Im Zuge der monotheistischen Mission – »Einen zu bereichern, unter allen« – sei die lebendige Natur entgöttert und entzaubert worden: »durch die Wälder ruf ich, durch die Wogen, Ach! sie widerhallen leer!«

In jüngerer Vergangenheit hat der US-amerikanische Wissenschaftshistoriker Lynn White Jr. dieselbe These in seinem wirkungsmächtigen Aufsatz The historical roots of our ecological crisis (1967) wieder aufgegriffen: Seine Ausführungen, dass die moderne Umweltkrise in der christlichen Vorstellungswelt wurzelt, führten sogar innerhalb der Kirche zu ökologischen Reformen und sind in jeder ernst zu nehmenden ökosophischen Betrachtung der Thematik unumgänglich.

Verwunderlicherweise sind die Überlegungen zu den religiösen Wurzeln unserer ökologischen Krise seitdem jedoch wieder weitestgehend aus dem Diskurs verschwunden, verwunderlich, weil sich die Krise seitdem dramatisch zugespitzt hat und wir auf Probleme zusteuern, deren praktische Lösung theoretisches Verständnis ihrer Ursachen verlangt. Die religiös-spirituellen Hintergründe unseres ökologischen Notstandes an einem konkreten kulturhistorischen Beispiel aufzuzeigen, aber auch einen progressiven Lösungsansatz vorzustellen, ist das Anliegen der nachfolgenden Ausführungen.

»In jedem Baume atmete eine Gottheit«

Um dem Einfluss des Christentums auf das Naturbewusstsein gewahr zu werden, gilt es zunächst, diejenige Weltanschauung in Erinnerung zu rufen, die vor der Christianisierung vorherrschte. In Schillers klassizistischem Gedicht wird dies am Beispiel der antiken Götterwelt der Griechen getan. Aber auch alle anderen vorchristlichen Kulturen in Europa ließen sich exemplarisch anführen, etwa die Kelten, Slawen oder Balten. Auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands ist die vorchristliche Kosmologie vor allem in Mythen und Märchen überliefert, die von den Germanen herrühren.

»Die Germanen waren also fürwahr Heiden, nicht nur weil sie in den Wäldern lebten, sondern auch weil Wälder und Bäume im Zentrum ihrer Religion standen.«

Die Christen nannten diese Völker später Heiden, und obwohl es sich um eine nachträgliche Fremdbezeichnung handelt, die von der Kirche – als religiöser Abgrenzungsbegriff – pejorativ auf alle »Nichtchristen« angewendet wurde, ist die Bezeichnung gar nicht unpassend: Es handelt sich um ein germanisches Wort, *haiþana-, mit der Bedeutung »zur Heide gehörig« oder »die Waldgegend bewohnend«, und bezieht sich offenkundig auf die Siedlungsweise der Germanen, ihre Gehöfte inmitten unberührter Wälder zu errichten. Schon Caesar überliefert, dass die Germanen in Ur-Wäldern lebten (De bello gallico), und Tacitus beschreibt, dass ihnen bestimmte Haine sogar heilig waren (Germania). Die Germanen waren also fürwahr Heiden, nicht nur weil sie in den Wäldern lebten, sondern auch weil Wälder und Bäume im Zentrum ihrer Religion standen. Tatsächlich war die germanische Religion eine dezidierte Naturreligion: Vereinfacht gesagt, waren die Götter der Germanen mit den Phänomenen der Natur sogar identisch; man denke nur an den Gewittergott Donar, dessen bloßer Name bereits mit dem althochdeutschen Wort für Donner übereinstimmt, oder an die Zwerge Austri, Suðri, Vestri und Norðri, die offenkundig auf die Himmelsrichtungen verweisen. Eine Sonderstellung nimmt in dem Zusammenhang der Göttervater Odin-Wotan ein, jener »Allvater« (Edda), der laut Jacob Grimm »die alldurchdringende schaffende und bildende Kraft« darstellt, die »Menschen und allen Dingen Gestalt und Schönheit verleiht« (deutsche Mythologie). 

»Offenbar verehrten die Germanen nicht die materielle Oberfläche all dieser Phänomene, sondern die immateriellen Geisteskräfte, die sich in denselben physisch offenbaren.«

Offenbar verehrten die Germanen nicht die materielle Oberfläche all dieser Phänomene, sondern die immateriellen Geisteskräfte, die sich in denselben physisch offenbaren. In diesem Sinne waren die Germanen also Pantheisten, weil in ihrem Weltbild »Gott und die lebendige, schöpferische Natur zusammenfallen« (Wörterbuch der philosophischen Begriffe).

Das stellte übrigens schon Heinrich Heine fest, der zugleich bereits benennt, wie radikal sich diese naturreligiöse Weltanschauung unter dem Einfluss des Christentums veränderte: »Der Nationalglaube in Europa, im Norden noch viel mehr als im Süden, war pantheistisch, seine Mysterien und Symbole bezogen sich auf einen Naturdienst, in jedem Elemente verehrte man wunderbare Wesen, in jedem Baume atmete eine Gottheit, die ganze Erscheinungswelt war durchgöttert; das Christentum verkehrte diese Ansicht, und an die Stelle einer durchgötterten Natur trat eine durchteufelte.« (Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland)

»Die Krone der Schöpfung«

Offensichtlich unterscheiden sich die heidnische und christliche Kultur im Weltbild voneinander. Das Christentum ist keine Naturreligion, sondern eine Buchreligion; zugrunde liegt das verbindliche Wort Gottes, namentlich das Alte und das Neue Testament. Wohl kaum lässt sich die christliche Theologie in ein paar Absätzen zusammenfassen, ebenso wenig wie die heidnische, doch lassen sich zumindest in Bezug auf die Naturauffassung wesentliche Punkte paraphrasieren und reflektieren.

Die Gottheit dieser Bücher ist kein objektiver Teil der Schöpfung, sondern steht ihr als subjektives Schöpferwesen gegenüber; sie ist keine diesseitige, sondern eine jenseitige Gestalt. Paradigmatisch für diesen Dualismus steht im Alten Testament der berühmt-berüchtigte Herrschaftsauftrag Gottes an die Menschen, sich die Erde untertan zu machen und zu herrschen über die Tiere und Pflanzen: »Nach Ansicht zahlreicher Autoren ist in diesem Herrschaftsauftrag der Grundstein für die neuzeitliche Entfremdung von Mensch und Natur gelegt.« (Ute Eser: Der Naturschutz und das Fremde)

Dr. phil. Thomas Höffgen

In der Bibel gilt der Mensch als Ebenbild der Gottheit, nicht die Natur. Dieser Anthropozentrismus offenbart sich im Neuen Testament fundamental in der Figur des Mensch gewordenen Gottes. White nennt daher »das Christentum die anthropozentrischste Religion, die die Welt gesehen hat« und erkennt gerade hierin den »absoluten Gegensatz zum alten Heidentum«. In seiner Interpretation gelangte durch die christliche Lehre erstmals die Vorstellung in die Welt, dass die »physische Schöpfung« einzig »den Zwecken des Menschen zu dienen« habe und »dass es Gottes Wille ist, dass der Mensch die Natur für seine eigentlichen Zwecke ausbeutet«. Diese egozentrische Imagination vom Menschen als »Krone der Schöpfung« ist noch heute das offizielle Dogma der katholischen Kirche, die auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) den Glauben erneuerte, dass der Mensch »auf Erden die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur« ist (Gaudium et spes).

Aber auch dem Protestantismus liegt eine »traditionell negative Einschätzung der wilden Natur« zugrunde: »Die Wildnis ist nicht Teil der göttlichen Schöpfung, sondern im Besonderen das Ergebnis und Symbol menschlicher Sündhaftigkeit, so Luthers Position im Gegensatz zu Calvin. In der Auswirkung reformatorischen Gedankenguts wird vor allem in England die Welt in ihrer Gesamtheit als das Ergebnis des Sündenfalls gesehen und nun in den Metaphern von Krankheit und Verfall beschrieben. Die von den Menschen unbearbeitete Natur, also Berge, Sümpfe, wilde Flüsse und ungangbare Schluchten, ist Präsenz und Ausdruck der Sünde in der Welt – und möglicherweise Indiz für das baldige jüngste Gericht.« (Metzler Lexikon Religion)

»Die größte Revolution unserer Kultur«

Ein wesentlicher Unterschied zwischen der heidnischen und der christlichen Religion besteht darin, dass es sich bei letzterer um eine missionierende Religion handelt, die – basierend auf dem Missionsbefehl im Neuen Testament – alle Andersgläubigen von der eigenen Lehre überzeugen will. Dass die Missionare dabei vielfach »mit eiserner Zunge« predigten, belegen nicht zuletzt die erschütternden Berichte, die von der Christianisierung der Ureinwohner Amerikas überliefert sind, zum Beispiel von Las Casas (Kurzgefaßter Bericht von der Verwüstung der westindischen Länder).

Auch die Christianisierung der Germanen lief vielfach unter Anwendung physischer Gewalt ab, man denke nur an jenen Tag im Jahre 782, an dem Karl der Große – jener »Vater Europas« – 4500 heidnische Sachsen köpfen ließ, weil diese sich nicht taufen lassen wollten (Einhardsannalen)

»Für White ist dieser »Sieg des Christentums über das Heidentum« aber nicht primär ein physisches Ereignis, sondern die »größte psychische Revolution in der Geschichte unserer Kultur«.

Ganz gezielt zerstörten die Bekehrer die heiligen Haine der Heiden und fällten deren Götterbäume wie die Irminsul (anno 772) oder die Donareiche (Vita Bonifatii auctore Willibaldo). Für White ist dieser »Sieg des Christentums über das Heidentum« aber nicht primär ein physisches Ereignis, sondern die »größte psychische Revolution in der Geschichte unserer Kultur«. Denn nicht allein die körperliche Unversehrtheit der heidnischen Germanen war bedroht, sondern auch und ganz besonders das Geistesleben wurde unterdrückt, verboten und verdrängt.

In Hinsicht auf die Naturauffassung lässt sich dieser Transformationsprozess meines Erachtens vorzüglich mythologisch nachvollziehen: Schon Heine hat darauf hingewiesen, »daß die christliche Priesterschaft die vorgefundenen Nationalgötter nicht als leere Hirngespinste verwarf, sondern ihnen eine wirkliche Existenz einräumte, aber dabei behauptete, alle diese Götter seien lauter Teufel und Teufelinnen gewesen, die, durch den Sieg Christi, ihre Macht über die Menschen verloren und sie jetzt durch Lust und List zur Sünde verlocken wollen« (Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland). Diese Perversion des heidnischen Pantheons in ein christliches Pandämonium kommt fürwahr einem Paradigmenwechsel kopernikanischen Ausmaßes gleich.

»Mit der Ausbreitung der monotheistischen Religion wird, vereinfacht gesagt, Wildnis zur bösen Gegenwelt.«

Denn wenn die Götter, die mit den Phänomenen der Natur identisch sind, verteufelt werden, dann wird die Natur selbst verteufelt und mit ihr die ganze Weltanschauung der Waldvölker: »Mit der Ausbreitung der monotheistischen Religion wird, vereinfacht gesagt, Wildnis zur bösen Gegenwelt.« (Thomas Kirchhoff: Landschaft, Wildnis, Ökosystem)

Nicht zufällig fällt die erste große Rodungsperiode Europas zeitlich mit der Christianisierung der germanischen Waldvölker zusammen. Auch White bemerkt, dass die »ausbeuterische Haltung« des Menschen gegenüber der Natur »kurz vor 830 nach Christus« nachweisbar wird: »In der Antike hatte jeder Baum, jede Quelle, jeder Bach, jeder Hügel seinen eigenen genius loci, seinen Schutzgeist. Bevor man einen Baum fällte, einen Berg verminte oder einen Bach staute, war es wichtig, den für diese besondere Situation verantwortlichen Geist zu besänftigen und ihn besänftigt zu halten. Durch die Zerstörung des heidnischen Animismus ermöglichte das Christentum die Ausbeutung der Natur in einer Stimmung der Gleichgültigkeit gegenüber den Gefühlen natürlicher Objekte.«

»Unsere alte Religion überdenken«

White unterstellt dem Christentum eine »große Schuld« an der ökologischen Krise unserer Zeit und fordert daher, entweder »eine neue Religion (zu) finden« oder aber »unsere alte (zu) überdenken«. Er selbst entscheidet sich in seinem Aufsatz dafür, die alte Religion zu überdenken, und stellt der orthodoxen Kirchenlehre abschließend diejenige des »Franziskus von Assisi« entgegen, weil diese von »einer einzigartigen Art von Panpsychismus aller belebten und unbelebten Dinge« geprägt sei.

Stellt sich bloß die Frage, wie zielführend es ist, zur Lösung einer maßgeblich durch das Christentum verursachten Krise abermals einen Christen zu konsultieren, oder wie zynisch. Wenn das ausdrückliche Anliegen darin besteht, ein animistisches und pantheistisches Naturbewusstsein (wieder) zu schaffen, gibt es wohl naheliegendere Gewährsleute, allzumal die Heiden selbst. Und tatsächlich haben wir bereits so ein Modell vorliegen, das zwar gleichfalls auf der Idee basiert, unsere alte Religion zu überdenken, sich gleichwohl nicht auf »unser Christentum« bezieht, sondern auf »unser Heidentum«. Die Rede ist von der Vision einer pantheistischen Moderne, wie sie seit dem 18. Jahrhundert von verschiedenen Dichtern und Denkern vorgetragen wurde.

Etwa von Johann Wolfgang von Goethe, jenem »großen Heiden« (Heine). Dass der Dichterfürst zeit seines Lebens einem paganen Pantheismus huldigte, lässt sich nicht nur aus seinen Werken erlesen, sondern auch aus seinen Handlungen ersehen: Zum Beispiel bestieg er, der sich selbst als »dezidierter Nichtchrist« (29.7.1782) und »alter Heide« (27.3.1808) bezeichnete, gleich mehrmals selbst den Brocken im Harz, ehemals ein altsächsisches Naturheiligtum, um »auf dem Teufelsaltar meinem Gott den liebsten Dank« zu opfern (10.12.1777) beziehungsweise um »dem Wesen aller Wesen ein Opfer« darzubringen (18.1.1784). Für Goethe hatte das Heidentum nicht bloß einen antiquarischen Wert, sondern fungierte auch als praktisches Vorbild für seine Religion und als philosophisches Urbild für seine Utopie einer modernen Natur- und Weltauffassung, in der der ganze Kosmos wieder als von Geistkräften durchdrungen erkannt wird, so »dass weder Gott völlig abgeschafft noch die Natur restlos entzaubert und rigoros unterworfen würde« (Leo Kreutzer: Goethes Moderne).

»Heine bezeichnete den Pantheismus einmal als »die Religion unserer größten Denker, unserer besten Künstler«

Heine bezeichnete den Pantheismus einmal als »die Religion unserer größten Denker, unserer besten Künstler« (Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland). Tatsächlich steht die pantheistische Idee am Anfang des abendländischen Denkens und wurde schon von vorsokratischen Naturphilosophen im siebten vorchristlichen Jahrhundert formuliert: »Thales lehrte, der Kosmos sei beseelt und voller Gottheiten.« (Diogenes Laertios) Aber Dichter und Denker aller Zeiten waren sich sicher, dass in der Natur eine allgöttliche Urkraft wirke, zum Beispiel Agrippa von Nettesheim, Paracelsus, Giordano Bruno, Jakob Böhme, Baruch de Spinoza, Goethe und Schiller. Sogar Albert Einstein erkannte in der Natur das Göttliche, bezeichnete sich selbst als »pantheistisch« und entwickelte eine an »Spinoza« angelehnte »kosmische Religion« (Religion und Wissenschaft).

Sollte man nicht meinen, dass diese Weltanschauung – jene »heimliche, mystische Religion unserer Zeit« (Walter Corti: Der Mensch als Organ Gottes) – ein profundes Fundament bieten könnte für eine Zukunft, in der der Mensch die Natur wieder bewundert und verehrt, anstatt sie zu verteufeln?

»Blasphemische Bäume«

Für das Christentum sind derartige Vorstellungen natürlich zuhöchst blasphemisch, weshalb Papst Franziskus, übrigens benannt nach Franziskus von Assisi, sich immer wieder abfällig über den Pantheismus äußert – seine Gottheit sei »diffus« und seine Anhänger würden »einen Baum anbeten oder Gott in einem Baum sehen« (Franziskus: Mein Leben, mein Weg). Fast wörtlich bestätigt der amtierende Stellvertreter Gottes hier, was White bereits vor einem halben Jahrhundert als Wurzel unserer ökologischen Krise identifizierte, dass nämlich der christlichen Weltreligion eine gewisse Naturfeindschaft geradezu wesensmäßig innewohne: »Für einen Christen kann ein Baum nicht mehr als eine physische Tatsache sein. Das ganze Konzept des heiligen Hains ist dem Christentum und dem Ethos des Westens fremd. Seit fast zwei Jahrtausenden fällen christliche Missionare heilige Haine, die götzendienerisch sind, weil sie Geist in der Natur annehmen.« Heute, 1250 Jahre nachdem Karl der Große im Auftrag des Papstes den ersten Weltenbaum zerstörte, steht die Welt am Rande des ökologischen Kollapses.

Dr. phil. Thomas Höffgen

Über den Autor

Dr. phil. Thomas Höffgen, Autor und Referent, ist unter anderem als Verfasser des Buches »Schamanismus bei den Germanen« bekannt. Sein neustes Werk trägt den Titel »Der verteufelte Waldgott. Die Christianisierung der Germanen« (2022). Er betrachtet die Welt aus der Perspektive pantheistischer Naturphilosophie und plädiert für eine spirituelle Ökologie.

thomashoeffgen.de

Literaturverzeichnis

Anonymus: Einhardsannalen. Annales regni Francorum. In: Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte. Teil 1. Darmstadt 1955, S. 9–155.

Caesar, Gaius Iulius: De bello Gallico. Der Gallische Krieg. Lateinisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Marieluise Deissmann. Stuttgart 1991.

Corti, Walter: Der Mensch als Organ Gottes. Studien zum dynamischen Pantheismus. In: Eranos-Jahrbuch 28 (1959), S. 377–405.

Einstein, Albert: Mein Weltbild. Herausgegeben von Carl Seelig. 31. Auflage. Berlin 2010.

Die Bibel: Altes und Neues Testament. Nach der Übersetzung von Martin Luther in der Revision von 1984. Herausgegeben von der Deutschen Bibelgesellschaft. Stuttgart 1984.

Die Edda des Snorri Sturluson. Übersetzt und kommentiert von Arnulf Krause. Stuttgart 2008.

Die Götterlieder der Älteren Edda. Übersetzt, kommentiert und herausgegeben von Arnulf Krause. Stuttgart 2006.

Diogenes Laertios: Leben und Lehre der Philosophen. Aus dem Griechischen übersetzt und herausgegeben von Fritz Jürß. Stuttgart 1998.

Eser, Ute: Der Naturschutz und das Fremde: Ökonomische und normative Grundlagen der Umweltethik. Frankfurt/Main 1999.

Goethe, Johann Wolfgang: Weimarer Ausgabe: Goethes Werke. Hrsg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen. München 1987.

Grimm, Jacob: Deutsche Mythologie. Drei Bde. Berlin 1875–78. Wiesbaden 1992.

Heine, Heinrich: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. Herausgegeben von Jürgen Ferner. Stuttgart 2006.

Kirchhoff, Thomas; Trepl, Ludwig: Landschaft, Wildnis, Ökosystem. In: Kirchhoff, Thomas et al. (Hrsg.): Vieldeutige Natur. Landschaft, Wildnis und Ökosystem als kulturgeschichtliche Phänomene. Bielefeld 2009, S. 13–68.

Las Casas, Bartolomé: Kurzgefaßter Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder. Herausgegeben von Michael Sievernich. Originalausgabe von 1542. Sinzheim 2014.

Metzler Lexikon Religion. Gegenwart, Alltag, Medien. Herausgegeben von Christoph Auffahrt, Jutta Bernhard, Hubert Mohr. Stuttgart 2005.

Papst Franziskus: Mein Leben, mein Weg. El Jesuita: Die Gespräche mit Jorge Mario Bergoglio. Freiburg im Breisgau 2013.

Papst Paul VI.: Gaudium et spes. Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute. Zweites Vatikanisches Konzil. 7. Dezember 1965. In: vatican.va.

Tacitus, P. Cornelius: Germania. Lateinisch/Deutsch. Übersetzt, erläutert und mit einem Nachwort herausgegeben von Manfred Fuhrmann. Stuttgart 2009.

Vita Bonifatii auctore Willibaldo. In: Briefe des Bonifatius. Willibalds Leben des Bonifatius. Nebst einigen zeitgenössischen Dokumenten. Unter Benutzung der Übersetzungen von M. Tangl und Ph. H. Külb, neu bearbeitet von Reinhold Rau. Mit einer neuen Auswahlbibliographie von Lutz. E. v. Padberg, S. 450–526.

White, Lynn: The historical roots of our ecological crisis. In: Science 155 (1967): 1203–1207.

Wörterbuch der philosophischen Begriffe. Vollständig neu herausgegeben von Arnim Regenbogen und Uwe Meyer. Hamburg 1998.

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