Forschung und praktische Anwendung
Die jahrtausendealte Praxis der Meditation wird seit rund 30 Jahren wissenschaftlich-interdisziplinär erforscht, mit dem Ziel, vertiefte Erkenntnisse über die Arbeitsweise des Gehirns zu gewinnen. Durch diese wissenschaftliche Begründung eröffnen sich für die Anwendung in professionellen Fachbereichen viele neue Möglichkeiten, um die positive Wirkung der Meditation nachhaltig zu nutzen.
Grundformen der Meditation
Das Thema Meditation ist vielseitig und weitreichend. Meditation finden wir in allen mystischen Traditionen, bei den Naturvölkern, in den östlichen und abendländischen Kulturen und Religionen und auch in vielen modernen Formen: Mentaltraining, Achtsamkeitsübungen, Schweige-Retreats, Methoden zur Stressbewältigung usw.
Je nach Meditationsform liegt die Ausrichtung schwerpunktmäßig auf dem physischen Körper, der Atmung, den Gedanken, den Emotionen, auf Klang (z. B. Klanggabeln und Klangschalen), auf Gesang (Choräle, Mantren), auf der Bewegung des Körpers (Gehmeditation, Chigong, sakrale Klangbewegungen, Tanz), auf Rhythmus (Musik, Trommeln), auf inneren oder äußeren Bildern, auf der Natur (Mikro-Makrokosmos) und/oder auf seelischen Qualitäten wie Mitgefühl, Güte, Frieden und Liebe. Die wissenschaftliche Meditationsforschung misst und analysiert, welche Veränderungen dabei im Menschen neurologisch ausgelöst werden.
In der praktischen Anwendung dieser Meditationsformen werden folgende Fähigkeiten gefordert und gefördert: Körperwahrnehmung und Körperbewusstsein, Konzentration, Fokussierung, Visualisierung (mentale Ausrichtung), Ankommen bei sich, innere Ausgeglichenheit (emotionale Regulation), intuitives Denken, Verbindung mit dem eigenen Selbst (seelisch-spirituelle Fragen).
Die wissenschaftliche Meditationsforschung geht in ihren vielseitigen Untersuchungen primär von der klassischen Grundform der Meditation aus: ruhige Körperhaltung, Entspannung und innere Stille.
Kurzdarstellung der Meditationsforschung
Die Meditationsforschung stößt auf ein breites wissenschaftliches und öffentliches Interesse. Konferenzen und Symposien widmen sich dem Thema, so etwa der seit 2010 in Berlin stattfindende interdisziplinäre Kongress »Meditation und Wissenschaft«, die Tagungen der »Society for Meditation and Meditation Research« (Köln) und die Symposien des »Mind and Life Institute« (1987 vom Dalai Lama und dem Neurowissenschaftler Francisco Varela gegründet).
Die Grundlagenforschung zeigt, dass die Meditation eine Methode ist, die es ermöglicht, die Steuerung der Gedanken und Gefühle zu erlernen. Dies geschieht durch regelmäßige Übung und die daraus erfolgte Regulation des eigenen Gehirns. Diesbezüglich wichtige Arbeiten stammen vom amerikanischen Neurologen Prof. Marcus Raichle. Er entdeckte ein neuronales Netzwerksystem (Default-Mode-Netzwerk), das in der Messung sichtbar werden lässt, was der Mensch neurologisch tut, wenn er »nichts« tun soll. Dabei zeigte sich, dass bei Probanden ohne Meditationserfahrung in solchen Momenten das Gehirn enorm aktiv wird, im Gegensatz zu meditationserfahrenen Probanden.
Die Anzahl der Studien im Bereich Meditation ist in den letzten zwei Jahrzehnten stark angestiegen. Meditation wird zunehmend in psychotherapeutische und pädagogische Programme integriert. Meditative Interventionen werden unter anderem erfolgreich in der Behandlung von Angststörungen eingesetzt, zur Rückfallprophylaxe bei wiederkehrenden depressiven Verstimmungen, bei Substanzabhängigkeit sowie bei Essstörungen. Einige Studien zeigen außerdem gute Resultate bei bipolaren Erkrankungen und bei Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Es wurde auch über eine Verbesserung der Lebensqualität bei verschiedenen körperlichen Erkrankungen berichtet, z. B. bei chronischen Schmerzen und Krebs.
Meditation wird nicht nur erfolgreich in der Behandlung von Erkrankungen eingesetzt; es wurde auch gezeigt, dass sie bei gesunden Probanden zu einer erheblichen Erhöhung des Wohlbefindens und zu Kohärenz und Resilienz führt.
Die fünf klassischen Kategorien: Beta, Alpha, Theta, Delta und Gamma
Wie der Ton im Schwingungszyklus einer Sekunde werden die Schwingungen der Organe und des Gehirns in Hertz gemessen. Die Frequenzen der Gehirnwellen sind fluktuierend und überlagern sich. Sie sind lebendig-fließend und können im Grunde nicht mathematisch exakt voneinander getrennt werden. Dennoch werden fünf dynamische Kategorien unterschieden:
- Beta: 13 bis 30 Schwingungen pro Sekunde
- Alpha: 8 bis 12 Schwingungen pro Sekunde
- Theta: 4 bis 7 Schwingungen pro Sekunde
- Delta: ½ bis 3 Schwingungen pro Sekunde
- Gamma: ab 30 Schwingungen pro Sekunde, nach oben offen
Diese fünf Kategorien können uns als Orientierungshilfe dienen, um den jeweils vorrangig erlebten Bewusstseinszustand zu erkennen und analytisch zu unterscheiden.
Das Betamuster entspricht dem Tagesbewusstsein. In der Alltagsrealität erfahren wir hauptsächlich die Kategorie der Beta-Gehirnwellen. Im Betamuster sind wir am äußeren Leben orientiert. Wir sind aktiv involviert, rational engagiert, mental wach und konzentriert.
Alpha-Gehirnwellen erscheinen im entspannten Wachzustand, beim Tagträumen und in leichter Meditation. Kreative Visualisation und auch künstlerisch- und körpertherapeutische Aktivitäten werden sinnvollerweise in diesem entspannt aktiven Fokus ausgeführt. Das Alphamuster kann auch schon während alltäglicher Tätigkeiten erscheinen, wie z. B. während des Zähneputzens, während des Fahrradfahrens, bei einem Waldspaziergang, am Meeresstrand usw. Ein umgangssprachlicher Ausdruck hierfür ist »im Flow sein«.

Das Thetamuster ist der Zustand der tiefen Entspannung und der Traumphase und auch der inspiriert-intensiven Kreativität (wenn man die Zeit vergisst). Über Theta bekommen wir Zugang zu unterbewussten Bereichen der Erinnerung. Es ist möglich zu lernen, diesen Zustand bewusst einzuleiten. Methoden wie autogenes Training, Autosuggestion, Hypnotherapie und – in den antiken Mysterien – der Tempelschlaf (in der indischen Tradition »Yoga-Nidra« genannt) führen über den Thetazustand zu einem erhöhten Lernvermögen und zu einer klareren Wahrnehmung der Intuition. Auf der Grundlage dieser Möglichkeiten existiert heute auch eine Heilmethode namens Theta Healing, ebenso eine Methode namens Delta Healing.
Obwohl man sich im Tagesbewusstsein (Beta) für gewöhnlich an nichts erinnern kann, was während des Schlafs (Delta) geschehen ist, sind während des Schlafens sehr wohl Bewusstseinsaktivitäten vorhanden. Ein besonderes Phänomen ist das luzide Träumen: Man ist sich während des Traumes (Theta) bewusst, dass man träumt. In einem luziden Traum ist es möglich, nach eigenem Entschluss zu handeln und den Verlauf des Traumes mitzugestalten oder in den Ablauf einzugreifen.
Delta ist unter den fünf Kategorien der langsamste Wellenbereich. Er ist der vom Tagesbewusstsein entfernteste Zustand, wie die meisten Menschen ihn nur noch während des Tiefschlafs erfahren – falls sie während des Schlafs überhaupt noch in dieses regenerative Wellenmuster finden.
In unserer Zivilisation leiden viele Menschen unter Schlafstörungen, gemäß Studien rund ein Viertel (5–10 % chronisch). Mögliche Gründe für Schlafstörungen sind: erhöhte Lärmemission, hochfrequenter Elektrosmog, Lichtsmog, beruflicher Stress, private Sorgen, ungeregelte Zeiten des Zubettgehens, zu viel Medienkonsum, langes »Starren« auf Computermonitore, belastende Ernährungs- und Trinkgewohnheiten usw.
Deltawellen treten jedoch nicht nur im Tiefschlaf auf, sondern z. B. auch, wenn wir in einem entsprechenden Bewusstsein meditieren oder trance-medial tätig sind. Weil im Deltazustand das Bewusstsein von äußeren Projektionen weitgehend losgelöst ist, gehen Mystikerinnen und Mystiker in diesen Zustand, um bei der Erhöhung des kollektiven und interdimensionalen Bewusstseins mitzuwirken. Die Deltaschwingung ist hilfreich für die tiefe Regeneration und zur Aktivierung der natürlichen Ressourcen und Selbstheilungskräfte.
Gammawellen und Grenzerfahrungen
Lange meinte man in der neurologischen Forschung, mit den vier Kategorien Beta, Alpha, Theta und Delta das gesamte Spektrum der Wellenbereiche des Gehirns erfasst zu haben. In den letzten 30 Jahren wurde aber zunehmend erkannt, dass unser Gehirn auch Frequenzen erzeugt, die höher schwingen als die Beta-Kategorie, nämlich mit 30 bis 80 Schwingungen pro Sekunde und manchmal sogar noch weit mehr.
Festgestellt hatte man solche Schwingungsfrequenzen schon früher, aber die entsprechenden Signale wurden anfänglich für Störfaktoren des Messgeräts gehalten. Heute spricht man diesbezüglich vom »Gammabereich«. Dieser unterscheidet sich grundlegend von den vier anderen Kategorien.
Die Gammawellen wirken als übergeordnete Steuerfunktion der vier anderen Bewusstseinszustände. Sie synchronisieren die weiträumig verteilten Hirnregionen, und zwar phasenverbunden und gleichzeitig. Es entsteht fast der Eindruck, sie kämen sowohl vom Gehirn als auch »von außerhalb«. Kurz gesagt, entstehen Gammawellen nach dem derzeitigen Wissensstand bei ganzheitlichen, »synchronisierten« Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozessen. Der Gammabereich ist möglicherweise auch das Tor zur sogenannten Hyperkommunikation und Telepathie.
Wirkungsweisen der Meditation
Meditation schafft die Erfahrung der persönlichen, in sich ruhenden Präsenz. Sie fördert das Körperbewusstsein (d. h. bewusste Körperwahrnehmung) sowie die Fähigkeit, eine innere Distanz zum Fluss der Gedanken und Gefühle zu finden, um dadurch mit ihnen bewusst umgehen zu können, das heißt, in unseren Reaktionen nicht einfach von ihnen bestimmt zu werden.
»Mit der Fähigkeit zur Selbstbestimmung und Selbstregulation können emotional herausfordernde Situationen und Erschütterungen abgefedert werden.«
Mit der Fähigkeit zur Selbstbestimmung und Selbstregulation können emotional herausfordernde Situationen und Erschütterungen abgefedert werden. Man bleibt innerlich in einem dynamisch-stabilen Zustand. Die Selbstverantwortung bezüglich des eigenen Innenlebens wächst. Das hat ein Zu-sich-Kommen und Bei-sich-Bleiben und damit auch eine gute Stressbewältigung zur Folge (Resilienz).
Der meditationserfahrene Mensch ist aufmerksam sich selbst und dem eigenen Körper gegenüber. Er reagiert entsprechend präventiv. Nach Angaben zahlreicher Veröffentlichungen (siehe Hinweise auf die fachspezifische Forschung am Schluss dieses Artikels) zeigen die Strukturen und Aktivitäten des Gehirns bei regelmäßig meditierenden Probanden und bei nichtmeditierenden Probanden signifikante Unterschiede.
»Neue Gedanken und Gefühle erzeugen neue synaptische Verbindungen. Dies wird »neuronale Plastizität« oder »Neuroplastizität« genannt.«
Mit dem Bewusstsein steuern wir den Gedankenfluss, und die Gedanken wiederum lösen körperliche Reaktionen aus. Ja mehr noch: Gedanken und das dahinter wirkende Bewusstsein erzeugen eine biologische Information, die auf die physische Form einwirkt, so auch auf das Gehirn. Die Neurowissenschaften haben herausgefunden, dass Synapsen und Nervenzellen auf Bewusstseinsimpulse reagieren und sich entsprechend organisieren. Neue Gedanken und Gefühle erzeugen neue synaptische Verbindungen. Dies wird »neuronale Plastizität« oder »Neuroplastizität« genannt.
»Die Gedanken und der Körper werden vom Bewusstsein beseelt.«
Die Gedanken und der Körper werden vom Bewusstsein beseelt. Das Bewusstsein ist in diesem Verständnis die Kraft, die Leben bedeutet. Die Quelle des Bewusstseins, der Lebenskraft, kann als »Seele« bezeichnet werden. Der ganzheitliche Ansatz beschreibt den Menschen deshalb als eine multidimensionale Einheit von Körper, Geist und Seele. Die Reduktion des Menschen auf Konzepte außerhalb dieser lebendigen Ganzheit wird dem Wesen des Menschen nicht gerecht.
Die Kohärenz von Körper, Geist und Seele ist der Zustand von Harmonie: »Übereinstimmung, Einklang, wohltuender Zusammenklang, Ebenmaß (maßvolles Verhältnis der Teile zueinander und der Teile zum Ganzen).« Diese Kohärenz bedeutet auf der physischen und psychischen Ebene Gesundheit und Entspannung (= Salutogenese) und auf der seelisch-geistigen Ebene Liebe und innere Zufriedenheit. Über Meditation kann die Wirkung der Kohärenz zu einer mystischen Erfahrung werden. Aber es sind nicht die Hirnfrequenzen, die diese Erfahrungen verursachen, sondern die Meditation löst die entsprechende Veränderung der Hirnfrequenzen aus. (Durch chemische Stimulation können ebenfalls Bewusstseinsveränderungen ausgelöst werden, aber dies sind forcierte Erfahrungen, die nicht mit der ganzheitlichen Meditation gleichgesetzt werden können.)

Gedanken zur Praxis
Der Wissenschaft gelang es, die vormals auf ein klösterliches Umfeld beschränkte Methode der Meditation für »säkulare« Fachbereiche zu erschließen: Schule, Bildung, Wirtschaft, Coaching-Bereich, klinischer Bereich, Pflegebereich, Körper- und Bewegungstherapie, Psychotherapie. Auf der einen Seite erkennen wir heute einen hohen Bedarf an komplementären Methoden wie der Meditation. Auf der anderen Seite haben wir akademisch-universitäre Studien, die zeigen: Meditation ist wirksam. Meditation führt in die Kohärenz von Körper, Geist und Seele. Die Neuroplastizität ist erwiesen, und im täglichen Leben erfahren Menschen aller Altersstufen die beruhigende, stärkende und regenerative Kraft der Meditation.
Meine ersten bewussten Meditationserfahrungen gehen auf mein zwölftes Lebensjahr zurück. Meine Eltern besuchten mit uns drei Kindern das bekannte ökumenische Zentrum von Taizé.* Später lernte ich im Laufe meiner ausgedehnten Reisen unterschiedliche Meditationsweisen kennen. Jahre später begann ich, im Rahmen meines Berufs, mit Kleingruppen von Kindern – in Begleitung von Mutter und/oder Vater oder eines anderen erwachsenen Familienmitgliedes – geführte Kurzmeditationen zu leiten. Sie dauern jeweils mit Ein- und Ausklang maximal acht bis fünfzehn Minuten. Die Kinder sind nicht unter neun Jahre alt.
*) Communauté de Taizé: ein internationaler ökumenischer Orden in Taizé (Burgund, Frankreich); bekannt ist dieser Ort insbesondere durch die jährlichen Jugendtreffen, an denen jeweils Zehntausende von Menschen aus aller Welt teilnehmen.
Kinder, mit denen ich elementare Meditationsübungen durchführe, haben folgende Entwicklungsthemen: soziale Unsicherheit, Frustrationsintoleranz, Trennungs-, Scheidungs- und Verlusterfahrung, Unruhe, Unaufmerksamkeit, erhöhte Ablenkbarkeit, Nervosität, Onychophagie (Fingernägelkauen), Aggression, Tagträumen in der Schule, hohe Sensibilität bis Hochsensitivität usw. Nach der kurzen Meditation berichten sie spontan, wie es ihnen ergangen ist. Der elfjährige S. z. B. sagte nach seiner ersten Meditationserfahrung: »Meine Hände wurden auf einmal schön warm.« Nach der zweiten Meditationserfahrung sagte er: »Ich kann meine Gedanken auf die Hände richten, dann gehen die Gedanken wieder weg und dann kommen sie wieder. Sie gehen hin und her.«
Die Mutter des neunjährigen N. erzählte: »Er kaut seit gut einem halben Jahr nicht mehr an den Fingernägeln.« Und die Lehrerin berichtete von einem Rückgang aggressiver Vorfälle auf dem Pausenplatz in der Schule und einer besseren Beteiligung am Unterricht. Weiter sagte mir die Mutter, sie habe eine »Ruhe-CD« zu Hause, und ihr Sohn habe nun von sich aus begonnen, diese CD anzuhören, bevor er die Hausaufgaben erledige. Sie war erstaunt über die souveräne Selbstbestimmung des Kindes.
Als N. und S. nach der gemeinsamen Kurzmeditation an die Kletterwand meines großen Therapieraumes gingen und sich von den Dachstockbalken abseilten, sprachen sie miteinander angeregt über die zuvor gemeinsam erlebte Meditation. Es war für sie eine neue Erfahrung, in Ruhe die Bewegung der Gedanken zu spüren und zu lenken und Momente bewusster Wahrnehmung ohne äußeres Tun zu erleben.
Meditation, Psychologie und Spiritualität
So wie wir als Kinder lernten, zu gehen und zu sprechen, bringt das Leben auch die Herausforderung mit sich, dass wir lernen, mit unseren Gedanken bewusst umzugehen. Wo bin ich jetzt gerade mit meinen Gedanken? Bin ich im »Hier und Jetzt«? Kreativ tätige Menschen unterschiedlichster Berufe sind in der Kraft des Augenblicks präsent. Wenn wir nicht im Jetzt sind, ist unsere »Geistesgegenwart« meistens mehrspurig aufgeteilt.
»Grübeleien über die Vergangenheit und die Zukunft schüren in vieler Hinsicht das tägliche Stresspotenzial.«
Wir sind hier und zugleich in der Vergangenheit bei Erinnerungen und Sorgen. Wir folgen unangenehmen Gedanken, wenn es im Leben nicht gut läuft. Gedanken, die von Problemen handeln, senden ängstliche Gedanken in die Zukunft. Dann ist es schwierig, wirklich in der Gegenwart anzukommen und aus der Kraft der geistigen Präsenz zu schöpfen. Grübeleien über die Vergangenheit und die Zukunft schüren in vieler Hinsicht das tägliche Stresspotenzial.
Meditation beginnt genau dort, wo wir gerade sind, unabhängig von der äußeren Situation. Der meditierende Mensch begegnet seinen Empfindungen mit Offenheit und in Akzeptanz. Innere Reaktionen wie Ablehnung oder Anhaftung nimmt er zur Kenntnis, ohne ihnen weiter nachzugeben. Wenn die Aufmerksamkeit abschweift, leitet er sie freundlich zum Objekt der Aufmerksamkeit zurück. Meditation ist die Praxis für eine liebevoll achtsame Beziehung mit sich selbst, und so öffnen wir uns auch empathisch für andere Menschen und für die eigene Lebensgestaltung.

Kinder, Jugendliche und Erwachsene, wir alle haben unser eigenes Maß an Unruhe und innerem Schmerz. Manchmal ist der Schmerz, unter dem wir leiden, groß und offensichtlich, manchmal ist er unmerklich, unbewusst und subtil. Schmerz ist lähmend. Er kann die Situation unserer Familien, ein Trauma unserer Eltern oder den Einfluss der modernen Gesellschaft widerspiegeln. Wir fühlen uns fremd und verstoßen. Um zu überleben, bedecken und verschließen wir unser Herz. Wir kämpfen und wir verteidigen uns. Wir verlieren den Glauben, dass wir der Liebe würdig sind.
Die Meditation erinnert uns an das Vertrauen, an die Kraft der Geborgenheit und an die Selbstliebe. Meditation erweitert unseren Horizont und gewährt uns Distanz zum Alltag, sodass wir den täglichen Herausforderungen mit mehr Ruhe und innerer Souveränität begegnen können.
Wer regelmäßig meditiert, pflegt meistens auch einen dynamisch ausgeglichenen Lebensstil. Ein solcher Mensch ernährt sich gesund, pflegt bewusste Beziehungen und lebt nicht selten naturnah. So dürfen wir davon ausgehen, dass bei neurologischen Messungen stets mehrere Lebensfaktoren ineinanderwirken und nicht allein nur die Meditation. Das macht die Meditationsforschung umso komplexer.
Meditation, Nahrung für die Seele
Meditation ist nicht an eine bestimmte Form gebunden. Es geht nicht um die äußere Form oder die Dauer der Meditation, sondern um die innere Qualität. Wird Meditation mit einem Muss verbunden, entstehen Druck und Zwang. Angestrengtes Tun und Forcieren wirkt auf die eine oder andere Weise kontraproduktiv. Die Leichtigkeit und Freiwilligkeit gehen verloren … und damit auch die Freude. Man verfehlt dadurch die eigentliche Wirkung der Meditation. Man müsste sich dann fragen: Warum meditiere ich auf eine solche Weise? Was will ich erreichen? Wem will ich etwas beweisen?
»Sinn und Ziel von Meditation ist eine Bewusstseinsentwicklung, die Körper, Geist und Seele umfasst.«
Sinn und Ziel von Meditation ist eine Bewusstseinsentwicklung, die Körper, Geist und Seele umfasst. Ansonsten kann die Fixierung auf besondere Meditationstechniken den Menschen von sich selbst wegführen, weil die Aufmerksamkeit dann auf die äußere Form gerichtet ist – und damit auf die Zukunft: »Wenn ich die Technik beherrsche, dann werde ich gelernt haben, richtig zu meditieren.« Ziel der Meditation ist aber nicht irgendein Punkt in der Zukunft, sondern das bewusste »Auftauchen« aus dem Gedanken- und Zeitfluss in das Sein im Hier und Jetzt. Denn in der Meditation ist das Ziel immer auch der Weg: das Bei-sich-Ankommen.
Meditation ist die Begegnung mit dem eigenen Inneren. Zur Innenwelt gehören die Gedanken, die Emotionen, die Gefühle sowie das gesamte seelisch-geistige Sein. In der Meditationspraxis geht es zuerst darum, die Fähigkeit und Kraft der bewussten Gedankenausrichtung anzuwenden und zu pflegen. Denn in unserer Welt sind wir unweigerlich und ständig mit vielen Informations- und Gedankenströmen konfrontiert, sowohl mit denen, die wir bewusst, als auch mit denen, die wir unbewusst wahrnehmen. Die Herausforderung hierbei ist, sich von diesen Strömen nicht überfluten oder wegschwemmen zu lassen. Das gilt insbesondere für unsere Gedankenwelt, denn wir sind fast dauernd am Denken. Mit dem Denken bestimmen wir unser Handeln, unsere Gemütsverfassung und letztlich die gesamte Qualität unseres Lebens.
Meditation in einer ganzheitlichen Form ist Nahrung für die Seele. Wir führen unserem Körper jeden Tag Nahrung, Bewegung und frische Luft zu, und so stellt sich die Frage: Welche Nahrung, welche Luft und welchen Wind geben und erlauben wir unserer Seele? Angesichts der Herausforderungen im öffentlichen und privaten Leben ist es bedeutsam, die »meditativen« Fähigkeiten zu pflegen, zu fördern und zu unterstützen.
Was bedeutet »Meditation« etymologisch?
Interessanterweise geht das Wort »Meditation« auf die gleiche Wurzel zurück wie das Wort »Medizin«. Das lateinische Wort meditatio kommt von meditari, »nachdenken, überlegen, abwägen« (von altgriechisch medomai, »denken, sinnen«) und geht zurück auf die indogermanische Wurzel med-, »messen, ermessen«. Mit dieser Wurzel bedeutet das lateinische Wort mederi, »heilen«, konkret: das richtige Maß finden, und zwar in der Menge eines Heilmittels und auch im richtigen Zeitmaß und der entsprechenden Regelmäßigkeit. Die ars medicina ist die Kunst des Abmessens und des richtigen Maßes, und medicus bedeutet »der ermessende, weise Ratgeber«. Die indogermanische Wurzel med-, »messen, ermessen«, ist abgeleitet von me(d), »wandern, abschreiten, abstecken«. Aus dieser Wurzel entstanden auch das griechische Wort métron, »Maß, Takt«, das lateinische Wort metiri, »abmessen« (davon abgeleitet Begriffe wie »Dimension« und »immens«) und das deutsche Wort Mal, »Zeitpunkt«, wie in »einmal«, »zweimal«, »viele Male«. Und me(d) liegt auch dem indogermanischen Wort menot für Mond zugrunde, wörtlich »Himmelswanderer«. Mit seiner »Wanderung« am Himmel wurde der Mond zum Maß für die Zeit. Die »Monate« sind die Zeiteinheiten des Mondes.
Diese Wortwurzeln geben bedeutsame Hinweise auf das Wesen und die Wirkung von Meditation. Meditation ist eine Form von Medizin. Sie hat mit dem richtigen Maß, mit Regelmäßigkeit und mit den natürlichen Zyklen von Tag und Nacht zu tun. Im Metrum der Zeit ist das Meditieren ein Wandern durch die Dimensionen des Lebens. Meditari ist nicht einfach ein mentaler Vorgang, sondern ein Sichvertiefen, ein Rückbezug auf das eigene Selbst, ein »Nachsinnen«, ein Erleben von Einfachheit und innerer Weisheit. Überflüssiges wird aussortiert. Wir durchschreiten das Leben, und Meditation gibt uns »Boden unter den Füßen«, damit wir in der heutigen Welt, wenn wir das Gleichgewicht verlieren, immer wieder neu den Zugang zu unserer Mitte finden.
Das Wort »Meditation« hat keinen direkten etymologischen Bezug zum lateinischen Wortstamm medi-, »mittleres«, »Mitte« (zu finden in Wörtern wie »medial«, »Mediation«, »mediterran«), hat aber inhaltlich sehr wohl mit »Mitte« zu tun, denn jedes Schreiten und Wandern ist, auch im symbolischen Sinn, ein Wechselspiel von Polarität und ein rhythmisch-wiederholtes Verlagern der Schwerpunkte. Im Gleichgewicht zu sein bedeutet, dass wir nicht aus der inneren Mitte fallen, unabhängig davon, wie sehr wir in der äußeren Welt mit »Ungleichgewicht« konfrontiert werden.
(Aus der Einleitung des Buches Meditation – Verbindung mit der inneren Quelle)

Zur Autorin
Silvia Siegenthaler (geb. 1962), eidg. dipl. Pädagogin und Komplementärtherapeutin in der Methode Craniosacraltherapie, sensitive Künstlerin, mit laufenden Ausstellungen, gibt Seminare, Vorträge und monatliche Meditationsabende in Bern. Im Januar 2020 erschien ihr Buch »Meditation – Verbindung mit der inneren Quelle. Inspirationen auf pädagogischer Grundlage«.
Literaturhinweis
Ulrich Ott, Merkmale der 40 Hz-Aktivität im EEG während Ruhe, Kopfrechnen und Meditation (Schriften zur Meditation und Meditationsforschung, Band 3). Frankfurt: Peter Lang 2000.
Harald Piron, Meditation und ihre Bedeutung für die seelische Gesundheit. Oldenburg: BIS-Verlag 2003.
Ulrich Ott, Psychologe und Meditationsforscher am »Bender Institute of Neuroimaging«, Universität Gießen: Meditation für Skeptiker – Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst, O. W. Barth Verlag, München 2010.
Schriften von Marcus E. Raichle, Professor für Neurologie. Er ist Entdecker des Default-Mode-Netzwerks, auch Bewusstseinsnetzwerk genannt. Er erhielt 2014 den Kavli-Preis (siehe: kavliprize.org) in Neurowissenschaft »for the discovery of specialized brain networks for memory and cognition«, zusammen mit Brenda Milner und John O’Keefe.
Peter Sedlmeier, Professor für Forschungsmethodik und Evaluation am »Institut für Psychologie« an der Technischen Universität Chemnitz: Die Kraft der Meditation – Was die Wissenschaft darüber weiß, Rowohlt Polaris Verlag, Reinbek 2016.
Wolf Singer, Direktor am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main, Gründungsdirektor des »Frankfurt Institute for Advanced Studies« (FIAS), und Matthieu Ricard (war Molekularbiologe am »Institut Pasteur« in Paris und wurde dann buddhistischer Mönch): Hirnforschung und Meditation – Ein Dialog, Suhrkamp Verlag (edition unseld), Frankfurt am Main 2008, 9. Auflage 2017.
Prof. Dr. Tanja Singer, Tochter von Wolf Singer, Meditationsforscherin und Direktorin des Max-Planck-Instituts in Leipzig: Mitgefühl im Alltag und in der Forschung (kostenloses e-book, 2011).
Engel, K., Meditation: Geschichte, Systematik, Forschung, Theorie (2. Aufl.). Frankfurt am Main: Lang 1999.
Siehe auch:
Zeidler, W., Unterschiede in der Emotionsverarbeitung bei Achtsamkeitsmeditierenden und Nichtmeditierenden – eine Startle-Studie; Diplomarbeit 2007.
Berlin: Technische Universität, Institut für Psychologie und Arbeitswissenschaft.
Online: smmr.de
https://www.wds-online.eu/meditationsforschung-salzburg.html
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/?term=meditation
http://www.iayt.org/ (Menü: publications / yoga health bibliographies)
Artikel zum Thema
- Prof. Dr. Martin Mittwede – Meditation und Spiritualität aus Sicht des Ayurveda
- Dr. Stephan Krall – Vom Sein zum Bewusstsein
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Bildnachweise: © Die Bilder wurden uns freundlicherweise von Silvia Siegenthaler zur Verfügung gestellt. Die Gemälde stammen von Silvia Siegenthaler selbst.