Dr. Franz Alt

Dr. Franz Alt – Die Revolution des Mitgefühls

Ein Appell an die Menschheitsfamilie

Wie die Zukunft aussehen wird, vermag in Anbetracht der vielen Krisen, die die Menschheit derzeit erleidet, niemand zu sagen. Gleichzeitig sind Krisenzeiten Zeiten, in denen andere, innovative Entscheidungen gefällt und umgesetzt werden, die den Lauf der Dinge wandeln können. Der bekannte Moderator und Dalai-Lama-Freund Dr. Franz Alt plädiert eindringlich für eine ökosoziale Wende, in der jeder und jede in der Pflicht ist, für sich und sein Handeln Verantwortung zu übernehmen. 

Alle Regierungen dieser Welt setzen auf materielles Wachstum, das es in einer endlichen Welt jedoch niemals geben kann. Wir können spirituell, geistig, kulturell oder auch religiös immer weiter reifen, aber niemals materiell unendlich wachsen. 

»Unsere materiellen Ressourcen sind begrenzt, aber die Ideen unseres Geistes sind es nicht.«

Unsere materiellen Ressourcen sind begrenzt, aber die Ideen unseres Geistes sind es nicht. Ideen können sich vermehren, als hätten sie Sex. So entstehen Fortschritt und Wohlstand. Das einzige materielle Wesen, das unendlich wächst, ist der Krebs. Mit der Philosophie des ewigen Wachstums propagieren wir ganz offiziell eine Krebswirtschaft. Und das weltweit. Doch diese kann tödlich sein.

Wie können wir aber in den Zeiten der Klimaerhitzung und der Umweltzerstörung geistig so wachsen, dass wir diese Herausforderungen – vielleicht – noch bestehen? Wie können wir reifen statt wachsen? Das ist wohl die Frage aller heutigen Fragen.

Dr. Franz Alt

Die größte Lüge der Politik heißt: »Wir tun doch schon so viel.« In meiner ARD-Fernsehsendung »Zeitsprung« zeigte ich im Januar 1993, dass die gesamte Menschheit damals um die 22 Milliarden Tonnen Treibhausgase pro Jahr in die Atmosphäre blies, heute sind wir bei etwa 40 Milliarden Tonnen pro Jahr angekommen – und das nach über 20 Weltklimakonferenzen mit jeweils Zehntausenden Teilnehmenden und nach mehr als 27 Jahren. 

Pro Tag emittieren wir heute global etwa 180 Millionen Tonnen CO2, wir rotten jeden Tag um die 150 Tier- und Pflanzenarten aus, verlieren täglich 50.000 Tonnen fruchtbaren Boden und vergrößern jeden Tag die Wüsten um etwa 80.000 Hektar. Unsere Gier nach Fleisch zerstört die Regenwälder. In Afrika erlebten 2019 Hunderte Millionen Menschen die fürchterlichste Dürre seit Menschengedenken und fürchten sich vor der nächsten Hungerkatastrophe. Ein ganzer Subkontinent schreit nach Wasser: Angola, Botswana, Kongo, Lesotho, Malawi, Mosambik, Namibia, Ruanda, Sambia, Simbabwe, Südafrika. Sind wir noch zu retten?

Mit der Natur wirtschaften, nicht gegen sie

Wir erleben ökologisch nicht nur Stillstand, sondern rasenden Rückschritt. Wir rasen auf den Abgrund zu und die Politik feuert uns noch an: »Beschleunigt das Tempo. Das ist unsere einzige Rettung. Also: Wachstum, Wachstum, Wachstum.« Das ist total pervers. Wie also kriegen wir noch die Kurve, bevor alles kippt und wir vollends in den Abgrund rasen?

»Wir erleben ökologisch nicht nur Stillstand, sondern rasenden Rückschritt.«

Wir zerstören unsere Erde, weil wir gegenwartsversessen und zukunftsvergessen sind. In unserem westlichen Kulturmodell gilt noch immer die Devise, dass immer größer auch immer besser bedeute. Das zeigt sich am Beispiel der immer größer werdenden und immer häufiger gekauften SUVs in Deutschland. In unseren Städten fahren immer mehr dieser 2,5 Tonnen schweren, 5,2 Meter langen und 2 Meter breiten Kampfwagen gegen das Weltklima, obwohl der Platz dort immer begrenzter wird. Besitzern und Fahrerinnen geht es eher um die Vergrößerung ihres Egos als um Mobilität.

Dr. Franz Alt

Die Zukunft ist uns mehrheitlich ziemlich schnuppe. Ich hatte nach einem Vortrag über die Energiewende dieses Erlebnis: Ein älterer Mann kam an den Büchertisch und meinte: »Ach, Herr Alt, das ist ja alles recht und gut mit ihrer Solar- und Windenergie, aber wissen Sie: Ich bin jetzt 75, für mich reicht‘s noch.« Ich fragte ihn zurück: »Haben Sie Kinder?« Dann senkte er den Kopf, schwieg und ging.

»»Nach uns die Sintflut« scheint für viele das Lebensmotto.«

»Nach uns die Sintflut« scheint für viele das Lebensmotto. Wir sind vielleicht die erste Generation, die ihren Kindern nicht mehr guten Gewissens sagen kann: »Wir lieben euch.« Viele Kinder müssten ihren Eltern antworten: »Das glauben wir nicht. Das ist geheuchelt. Ihr tut ja nur so. Wenn ihr uns wirklich lieben würdet, dann würdet ihr nicht unsere Zukunft verbrennen.«

Viele Kinder und Jugendliche beginnen, uns zu durchschauen und sich gegen den Verbrennungswahn, gegen unsere Pyromanie, zu wehren. Die rasche solare Energiewende ist zur Überlebensfrage der Menschheit geworden. Zum Glück stellen sich bereits 28.000 Klimaforscher »Scientists for Future« hinter die »Fridays for Future«-Bewegung, aber auch »Parents for Future«, ja sogar »Grandparents for Future«, »Farmers for Future«, »Doctors for Future«, »Entrepreneurs for Future«, aber auch die ersten »Journalists for Future« und »Churches for Future«, ja sogar »Climbers for Future«. Das ist ganz im Sinn des Dalai Lama. Er hat Greta Thunberg einen Brief geschrieben und sie wissen lassen, dass ihre »Fridays for Future«-Bewegung zwei ganz starke Argumente auf ihrer Seite habe: ihre Jugend und die Wahrheit. Die Welt braucht jetzt die Bewegung »Citizens for Future«. Die Kinder allein können uns nicht retten. Sie brauchen unsere Solidarität und Unterstützung. Wir dürfen sie nicht in der Hitze lassen.

Dr. Franz Alt

Die nun alles entscheidende Frage heißt: Wie bekommen wir den wirklichen Wandel? Nicht mit Angst, sondern mit positiv besetzten Emotionen wie Mitgefühl und Achtsamkeit. Die Technik allein wird uns nicht retten. Wir brauchen dazu eine Öko-Spiritualität. Diese finden wir zum Beispiel in der Bergpredigt Jesu oder im Achtfachen Pfad des Buddhismus. Die gesamte Botschaft Jesu ist voll ökologischer Bilder. Bilder von der Sonne (»Die Sonne des Vaters scheint für alle«) und vom Wind (Wind ist bei Jesus immer identisch mit Geist), Bilder vom Sämann und vom Acker, von den Vögeln des Himmels und den Lilien des Feldes, Bilder von Samen, Sand und Senfkorn, vom Dorf und von den Dornen, von Reben, Regen und Reifen, von Ochsen und von Ottern, von Sternen und vom Sterben, von Seele und Segnen, von Verstehen und Vergeben, vom Trinken und von Trauben, vom Wachsen und vom Wandern, vom Waschen und von Wasser, von Wein und von den Weiden, von Weisheit und Weizen, von Wundern und Wölfen, vom Wohnen und vom Wohltun, vom Wurm, von der Wurzel und von der Wüste. Meine Frage an die Kirchen: Und dieser Jesus, der in diesen Bildern sprach, soll kein Ökologe gewesen sein? 

Der Dalai Lama sagte mir einmal: »Buddha war ein Grüner und ich bin ein Grüner. Ich würde heute, wenn ich in Europa wohnen würde, die Grünen wählen. Ihre Umweltphilosophie ist der Naturverbundenheit des Buddhismus sehr nahe.« Der Gott Jesu ist geistige Energie. Wenn ich heute vor Theologen über dieses Thema spreche und sage »Gott ist Energie – die Sonne hinter der Sonne«, widerspricht niemand mehr.

Ohne Energie kann es in den heute noch armen Ländern keine ökonomische Entwicklung geben. Ohne Energie bleibt in den Entwicklungsländern nur die Flucht in die ökonomisch reichen Länder. Was würden wir denn tun, wenn wir in den armen Ländern leben würden und keine Perspektive für unsere Kinder sähen? 

Die UNO prognostiziert bis zum Ende unseres Jahrhunderts mehr als 400 Millionen Klimaflüchtlinge. Sie fliehen natürlich dorthin, wo sie auch ökonomische Perspektiven sehen. Wir ernten jetzt, was wir gesät haben. Wir in den Industrieländern haben den Klimawandel verursacht, nicht die armen Länder. Die Armen sind die Opfer unseres Handelns. Und deshalb werden sie zu uns kommen, wenn wir die Klimaerhitzung nicht stoppen. Ein Mensch in Bangladesch oder in Schwarzafrika verbraucht vielleicht ein Zwanzigstel der Energie, die ein deutscher Mensch verbraucht. Wir sind die Fluchtursache, nicht die Afrikaner, die zu uns kommen wollen oder müssen. Wohin sollten sie denn sonst, wenn nicht nach Europa? Hier sitzen die Täter.

Der Weltkrieg gegen die Natur

Der durchschnittliche US-Bürger emittiert pro Jahr 18 Tonnen Kohlendioxid, ein Deutscher 9 Tonnen, ein Schwede 4,5 und ein Mensch in Bangladesch oder Zentralafrika 0,5 Tonnen.

Bisher kamen meist Kriegsflüchtlinge zu uns. 2015 zum Beispiel aus Syrien oder aus Afghanistan. Sie gehen meist nach den Kriegen wieder zurück, um ihre zerstörte Heimat aufzubauen wie auch die Jugoslawien-Flüchtlinge nach den dortigen Kriegen in den Neunzigern. Wohin aber sollen die künftigen Klimaflüchtlinge zurück? 

Die Klimaerhitzung betrifft die ganze Welt. Ein Problem, das wir wieder einmal verdrängen. Aber alles, was wir verdrängen, holt uns irgendwann ein. Millionen Klimaflüchtlinge werden künftig auch nach Deutschland drängen, wenn wir die Ursache der Flucht, die Klimaerhitzung, nicht endlich und wirklich und rasch stoppen.

Die Klimaerhitzung ist ein Weltkrieg gegen die Natur und betrifft alle Länder. Wir werden unterscheiden lernen müssen zwischen Kriegs-Flüchtlingen und Flüchtlingen, die durch den Klimawandel von uns zur Flucht gezwungen wurden. Danach gibt es kein Zurück. Die gesamte Menschheitsgeschichte ist eine Flüchtlingsgeschichte. In jedem und jeder von uns steckt ein Flüchtling. Das begann schon vor circa 200.000 Jahren, als der Homo sapiens von Ostafrika aufbrach und sich über die ganze Welt ausbreitete.

Dr. Franz Alt

Ich schreibe diese Zeilen im ICE kurz nach dem 250. Geburtstag des deutschen Universalgelehrten Alexander von Humboldt. Seine Forschungs- und Entdeckungsreise nach Lateinamerika 1799 bis 1804 brachte unendlich viele neue Erkenntnisse über Naturgesetze und über den Reichtum der Natur. Nie zuvor hatten Berichte über die Tropen so viel weltweite Aufmerksamkeit erregt. Viele deutsche Zeitungen nennen Alexander von Humboldt den »ersten Umweltschützer der Welt«. Tatsächlich schwärmte er geradezu von den »Wundern der üppigen Urwälder« und deren Artenvielfalt. Er sei darüber »von Sinnen«, schrieb Humboldt begeistert. Dieser großartige, stets neugierige und weltberühmte Naturwissenschaftler wäre heute ebenfalls »von Sinnen«, wenn er die unfassbare und widerliche Brutalität erleben müsste, mit der in unserer Zeit diese »Wunder der Natur« vernichtet werden – aus Gier und Dummheit.

Der universalistische Naturforscher hat die Welt als Ganzes betrachtet. Jetzt, in den Zeiten, in denen die Ergebnisse von ganzheitlich denkenden und forschenden Wissenschaftlern dreist geleugnet werden (zum Beispiel von der AfD oder von Donald Trump), kann Humboldt als vorbildlich gelten. Was für ihn ganzheitlich war, nennt der Dalai Lama die Interdependenz allen Lebens. 

Humboldts Begeisterung für Blumen und Blätter, für die Flüsse und Fliegen der tropischen Regenwälder, gepaart mit wissenschaftlicher Akribie, ist das Gegenteil dessen, wohin uns der Geist maximaler Ausbeutung, ewigen Wachstums und brutaler Gier geführt hat. Dieser Ungeist lässt heute Amazonien lodern. Im Herbst 2019 brannte auf Sumatra so viel Wald, dass ganz Städte zu ersticken drohten, Tausende Schulen mussten schließen, die Brände setzten in fünf Wochen 360 Millionen Tonnen Kohlendioxid frei. Das Gletschereis schmilzt auf Grönland und in Alaska, in der Arktis und Antarktis, in den Alpen und im Himalaya. Die Permafrostböden in Sibirien tauen auf. Die Hälfte der Regenwälder, welche die Lunge unseres Planeten sind, haben wir in den letzten Jahrzehnten bereits vernichtet. Unsere Erde lebt nur noch mit einem Lungenflügel.

Mit den Urwäldern stirbt nicht nur die Idee einer beseelten Natur, in der alles mit allem zusammenhängt, sondern wir zerstören sogar unsere eigenen Lebensgrundlagen. Der heutige Präsident in den USA so wie in Deutschland eine ganze Partei, die AfD, leugnen die Erderhitzung, obwohl Fachleute widersprechen. Alexander von Humboldt hat nie getrennt zwischen Wissen und Empfinden, zwischen Gefühl und Verstand, zwischen Mensch und Natur, zwischen Ökonomie und Ökologie. Er wusste, dass der Mensch vom Klima abhängig ist. Humboldts vernetztes Wissen war immer gepaart mit Verantwortungsbewusstsein für das Weltganze. Alexander von Humboldt verkörpert, schreibt Kia Vahland in der Süddeutschen Zeitung, einen »tatkräftigen, wissensgetränkten Universalismus«, von dem wir heute lernen können und lernen müssen.

Dr. Franz Alt

Die Klimaerhitzung und die möglich gewordene globale Klimakatastrophe ist im gesamten 21. Jahrhundert und wahrscheinlich weit darüber hinaus die größte und wichtigste Baustelle auf unserem Planeten. Die Klimaerhitzung betrifft alle Menschen in allen Ländern. Vielleicht erstmals in der Menschheitsgeschichte haben wir alle einen gemeinsamen Feind. Diese Herausforderung könnte, ja muss uns vereinen im Kampf gegen den größten und gemeinsamen Feind, die Klimaerhitzung.

Es ist nicht pathetisch, sondern einfach wahr: Das Ende der menschlichen Zivilisation ist möglich geworden. Nur deshalb haben sich im Herbst 2019, zum Weltstreik-Tag fürs Klima am 20. September, erstmals 200 internationale Medien zusammengeschlossen, um gemeinsam über diese globale Gefahr aufzuklären. Jetzt kann keiner mehr sagen, er habe nichts gewusst.

Der Dalai Lama schrieb am 20. September 2019: »Es ist gut, dass junge Menschen auf der ganzen Welt heute für ein gutes Klima demonstrieren. Sie zeigen damit einen realistischen Blick auf ihre eigene Zukunft. Wir Erwachsene sollten die jungen Menschen unterstützen.« Gretas Gegner werfen ihr Sentimentalität und Irrationalität vor. Dabei hat sie – im Gegensatz zu ihren Kritikern – die Wissenschaft, die Ratio, auf ihrer Seite. Das Thema Klimaerhitzung ist natürlich stark emotional. Bei ihrer UNO-Rede hat Frau Thunberg auch Tränen, Wut und Verzweiflung eingesetzt. Freilich werden sich diese Mittel auf Dauer abnutzen. Aber Gretas Kritiker argumentieren weit weniger rational.

Taten sind der Wahrheitsbeweis

Transformation ist möglich – es gibt immer Alternativen. Was wir tun, können wir auch lassen.

»Ich kann ja doch nichts ändern« ist die fatalste und fatalistischste Ausrede, die Menschen je eingefallen ist. Zugleich ist diese Ausrede die weltweit am meisten gebrauchte. 

Jeder Mensch ist von Natur aus zur Transformation fähig. Das ist der Sinn unseres Hierseins. Alle Probleme, die von Menschen verursacht wurden, können auch von Menschen gelöst werden. 

  • Frieden ist möglich, 
  • Liebe ist möglich, 
  • Gerechtigkeit ist möglich,
  • Mitgefühl ist möglich, 
  • Klimaschutz ist möglich, 
  • nachhaltiges Wirtschaften ist möglich,
  • eine bessere Welt ist möglich.

Schönen Worten müssen freilich entsprechende Taten folgen. Nur Taten sind der Wahrheitsbeweis unserer Worte. Dann werden aus Utopien konkrete und realisierbare Visionen.

»Nur Taten sind der Wahrheitsbeweis unserer Worte.«

Die Gier nach Geld entsteht aus Nichtwissen, sagen Buddha und Jesus. Diese Gier ist folglich irrational. Keine Geldsumme, kein Aktienkurs, kein Sozialprodukt, kein Vermögen ist jemals hoch genug, um unsere Gier zu befriedigen und dieses irrationale Bestreben zu beenden. Die Menschen der reichen Industriestaaten, deren Einkommen sich nach 1945 alle 20 Jahre etwa verdoppelte, sind nicht glücklicher als vor 1945. 

Das einzige Gegengift zu Geld und Gier ist das Mitgefühl, lehrt uns der Buddhismus, aber auch das ursprüngliche Christentum lehrte dasselbe, solange es noch ein Jesus-tum war. Beiden Religionen ist im Ursprung der Dogmatismus fremd, sie sind dem Pragmatismus und der Wissenschaft verpflichtet. Wenn die Wissenschaft beweist, dass sich die Schriften irren, muss man die Schriften ändern, auch die sogenannten Heiligen Schriften, sie vor allem. In seiner Muttersprache Aramäisch spricht Jesus achtmal von »Wiedergeburt«. Die Theologen und Bischöfe haben diese Hinweise in späteren Jahrhunderten leider gestrichen. In dem Buch »Rettet die Umwelt – Der Klimaappell des Dalai Lama an die Welt«, das ich zusammen mit dem Dalai Lama geschrieben habe und dieses Jahr erschienen ist, sagt der Papst des Ostens: »Wer wie wir Buddhisten an Wiedergeburt glaubt, ist schon aus egoistischen Gründen an der Bewahrung des Planeten interessiert. Er oder sie weiß ja, dass sie wiederkommt und dann einen schönen und keinen kaputten Planeten will.«

Menschen können sich ändern

Die besten Dramen der Weltliteratur, übrigens auch die Märchen, sind durchdrungen von der Idee der Wandlungsfähigkeit des Menschen: »Die Göttliche Komödie« von Dante, Goethes »Faust«, die Odyssee, das Gilgamesch-Epos, Parzival, Jesu Bergpredigt, Platons Höhlengleichnis oder auch Mozarts »Zauberflöte«.

Die moderne Psychologie des 20. Jahrhunderts mit Sigmund Freud und Carl Gustav Jung hat uns ebenso wie die noch jungen Neurowissenschaften des 21. Jahrhunderts – Neuropsychologie, Neurophilosophie und Neurobiologie – erkennen lassen, dass Menschen grundsätzlich in der Lage sind, sich zu ändern und zu wandeln. Unser Gehirn kann lernen, wie wir einmal Radfahren oder Schwimmen gelernt haben. Prozesse der Wandlung nennt der Schweizer Tiefenpsychologe C. G. Jung »Individuation« oder »Selbstwerdung«. Ein Individuationsprozess bedeutet nach Jung die »Anima-Integration« des Mannes, der seine weiblichen Seelenanteile zu integrieren versucht, und die »Animus-Integration« der Frau, die ihre männlichen Seelenanteile integriert. Das »Selbst« oder die »Selbstwerdung« steht bei Jung für die »Einheit und Ganzheit der Gesamtpersönlichkeit«. Wandlung – oder religiös gesprochen »Umkehr« – ist immer und grundsätzlich möglich. Menschen können lernen, wenn sie es nur wollen. Unser Wille ist zwar oft blind, aber blöd ist er nicht. Wir können unseren Willen trainieren wie einen Muskel. Nur deshalb ist im Laufe der Geschichte scheinbar Unmögliches immer wieder möglich geworden: die Abschaffung der Sklaverei und der Kinderarbeit, die Emanzipation der Frau und die Trennung von Staat und Kirche, die Menschenrechte und die Demokratie und 1989 die deutsche Wiedervereinigung. 

Zehn Gebote für das Klima

  1. Bis 2035 spätestens müssen die Treibhausgas-Emissionen auf null zurückgefahren werden. Die effektivste Art, das Klima zu schützen, ist der rasche Ausstieg aus der Kohlekraft. Die Slowakei will bis 2030 aus der Kohle aussteigen, Griechenland bis 2028 und das klassische Kohleland England bereits 2025. Warum Deutschland erst 2038?
  2. Alles, was neu gebaut wird, muss emissionsfrei sein. Zum Beispiel durch mehr Holzbauten. Aluminium als Baustoff ist 128-mal so klimabelastend wie Holz. Immer mehr Europäer bauen schon heute mit Holz.
  3. Ab sofort darf der Bau von Kraftwerken nur dann zugelassen werden, wenn diese erneuerbare Energien nutzen. Die heutigen Milliarden-Subventionen für Treibhaus-Dreckschleudern streichen.
  4. Ab 2025 dürfen nur noch E-Autos neu zugelassen werden oder Autos mit anderen CO2-freien Motoren. Dass das geht, hat Kalifornien schon in den Neunzigern bewiesen, indem es Quoten für E-Autos einführte. China, der größte Automarkt der Welt, führte solche Quoten ab 2019 ein. Jetzt müssen alle anderen folgen.
  5. Wir müssen den öffentlichen Verkehr stark ausbauen. Mehr Skype-Konferenzen statt persönlicher Treffen. Und wir dürfen weniger Fläche für Häuser, Straßen und Industrie zubauen, sondern wir müssen höher bauen und intelligenter verdichten. Ökologisch bauen heißt, nicht neu bauen, sondern primär sanieren und renovieren. Neue Industrieanlagen sollten ab 2025 frei von CO2-Emissionen sein. Ein Zeitplan, ab wann nur noch emissionsfreie Technologien verkauft werden dürfen, wird global die notwendigen Innovationen antreiben.
  6. Etwa 25 % der jährlichen Treibhausgas-Emissionen sind auf die Produktion von Lebensmitteln zurückzuführen – besonders auf Fleischprodukte. Haben Sie bisher bedacht, dass die Produktion einer Rindfleischsuppe zehnmal so viele Treibhausgase erzeugt wie die einer Gemüsesuppe? Schmeckt die Fleischsuppe wirklich zehnmal so gut wie eine Gemüsesuppe? Deshalb sollten alle die Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) beachten. Diese schlägt vor, den Fleischkonsum zunächst zu halbieren und dann zu dritteln. Dies hilft, Übergewicht und Bluthochdruck vorzubeugen, verlangsamt den Klimawandel und senkt die Stickstoffbelastung des Grundwassers. Der Klimawandel muss auch als medizinischer Notfall verstanden werden. Der Zusammenhang zwischen der Klimakrise und unserer Gesundheit ist bisher viel zu wenig beachtet worden. Die Klimaerhitzung ist die größte Bedrohung unserer Gesundheit im 21. Jahrhundert, sagt der Weltärztebund. Und Feinstäube erhöhen das Risiko für Asthma, Herzinfarkt, Schlaganfall und Diabetes. Klimaerhitzung ist tödlich. Oder umgekehrt: Klimaschutz fördert die Gesundheit. Wenn wir mehr Rad fahren oder zu Fuß gehen, schonen wir nicht nur die Umwelt, sondern gleichzeitig gehen die Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes und Übergewicht zurück. Wenn wir weniger Kohle verfeuern, gibt es weniger Feinstaub und weniger Lungenkranke. Im Gegensatz zu anderen Religionen kommt im Buddhismus uns Menschen kein höheres Lebensrecht zu als anderen Lebewesen. Ein buddhistischer Mönch würde nie wie der christliche Mönch Thomas von Aquin im Mittelalter sagen: »Tiere haben keine Seele.« Auch Jesus hätte so etwas nie gesagt. Er warb für Mitgefühl für alle Geschöpfe. In seinen Gleichnissen im Neuen Testament habe ich 16 Tierarten gefunden.
  7. Wir müssen weltweit aufforsten und die Wüsten begrünen, wie es die Kinder- und Jugendorganisation »Plant for the Planet« seit vielen Jahren vorbildlich tut. Sie hat bereits 14 Milliarden Bäume gepflanzt. Ihr Ziel sind 1.000 Milliarden Bäume. Junge Bäumchen helfen nicht von heute auf morgen. Aber wenigstens keimt etwas. Das arme Pakistan hat angekündigt, bis 2030 zehn Milliarden Bäume zu pflanzen. Warum kündigt das deutsche Landwirtschaftsministerium an, nur 100 Millionen Bäume pflanzen zu wollen? Das bettelarme Äthiopien hält den Weltrekord beim Bäumepflanzen: im Sommer 2019 über 350 Millionen junge Bäume an einem einzigen Tag!
  8. Wir dürfen nur noch Politiker wählen, die auch wirklich unsere Interessen vertreten und nicht die Interessen der alten fossil-atomaren Energiewirtschaft oder der fossilen Autowirtschaft. Demo-kratie statt Auto-kratie und: Sonne statt Atom und Kohle.
  9. Solare Entwicklung in armen Ländern ist die beste Vorsorge gegen ungebremstes Bevölkerungswachstum.
  10. Wir alle können weniger kaufen und wegwerfen, mehr Fahrrad fahren und laufen, grüner feiern, zu Ökostrom wechseln, Geld grün und fair anlegen. Wir sollten endlich tun, was wir für richtig halten. Einfacher leben, damit andere einfach überleben. Mehr denken und Widerstand leisten gegen Dummheit und Kurzsichtigkeit. Wir können uns selbst vom Überfluss befreien.

Was tun?

Diese Gebote zu realisieren, erfordert eine große Anstrengung. Aber am Ende haben wir eine lebenswertere und bessere Welt für alle. Die Frucht von Klimagerechtigkeit ist der Frieden.

Die notwendige Überwindung eines materialistischen Weltbildes braucht eine positive Vision, die attraktiver ist als unser altes Weltbild. Die Weltrevolution des Mitgefühls, die der Dalai Lama in unserem gemeinsamen Buch vorschlägt, kann dabei eine große, vielleicht sogar die entscheidende, Hilfe sein. Die Zeit scheint gerade jetzt dafür reif zu sein. Große Teile der jungen Generation, aber auch zunehmend die Älteren scheinen dafür offen zu sein.

Dalai Lama: Wir brauchen eine Revolution des Mitgefühls

Ein Einzelner oder eine Einzelne kann nichts tun? Wenn jede und jeder vor seiner eigenen Haustür kehrt, wird die ganze Welt sauber. »Unsere Zukunft hängt davon ab, was wir heute tun.« (Mahatma Gandhi) Wer hindert uns daran, wenn nicht wir selbst? Eine bessere Welt beginnt beim einzelnen Menschen. 

Wenn wir nicht lernen, dass die Gesundheit des Waldes unsere eigene Gesundheit ist, droht die Gefahr, dass wir verschwinden. Vielleicht brauchen wir Menschen ein Baum-Bewusstsein. Der Romanautor Richard Powers meint, wir müssen sehr rasch unsere Blindheit gegenüber unserer angeblichen »Sonderstellung als Mensch« ablegen. Helfen könnte uns ein »Pflanzenbewusstsein«. Diese Begriffe kommen dem buddhistisch ganzheitlichen Denken des Dalai Lama und seiner Botschaft einer »Revolution des Mitgefühls« oder auch der Ethik Albert Schweitzers von der »Ehrfurcht vor allem Leben« recht nahe. Wer seine Augen aufhält, kann die drohende Katastrophe nicht länger leugnen. Wie viel sind wir bereit zu tun, um die Apokalypse aufzuhalten? Wer für ein Problem verantwortlich ist, so die wohl wichtigste These dieses Buches, kann auch Abhilfe schaffen. Als Menschheitsfamilie haben wir ein gemeinsames Schicksal. Sorgen wir also dafür, dass es nicht zu heiß wird.

Wir entscheiden, ob wir ressourcenschonend bauen oder ressourcenvernichtend, ob w i r uns umweltbewusst fortbewegen oder klimazerstörend, ob w i r uns ressourcenvernichtend ernähren oder aus biologischer Landwirtschaft, ob w i r Öko-Energie nutzen oder fossil-atomar erzeugte. Der Wandel, den w i r für eine gute Zukunft für alle brauchen, hat bei Millionen Vorbildern bereits stattgefunden. Dieser Wandel ist kein Wunschtraum, sondern schon oft Realität. 

Ökoprozesse sind Liebesprozesse

Alles Leben ist beseelt und das Leben ist keine Maschine. Natur ist ein Raum der Verwandlung und Begegnung, ein Seelenraum. Wir teilen den Atem des Lebens mit allen Tieren und allen Pflanzen und allen Bäumen und mit allen Menschen aller Zeiten, auch mit Jesus und Buddha, mit Albert Schweitzer und mit Mahatma Gandhi, mit Nelson Mandela und mit Martin Luther King.

»Alles Leben ist beseelt und das Leben ist keine Maschine. Natur ist ein Raum der Verwandlung und Begegnung, ein Seelenraum.«

Grundvoraussetzung für ein freiheitlich-kreatives Leben ist, dass Menschenrechte geachtet werden, aber auch eine intakte Natur. Die wirtschaftliche Freiheit in einer ökosozialen Marktwirtschaft hängt immer mit allen anderen Freiheiten zusammen.

Der Nobelpreisträger und Banker der Armen aus Bangladesch, Muhammad Yunus, fasst diese Idee so zusammen: »Ich glaube, dass es keine bestimmte Gruppe von Menschen gibt, die man Unternehmer nennen sollte. Jeder Mensch ist ein potenzieller Unternehmer, und allen jungen Menschen sollte dieser Weg offenstehen. Wir alle können Unternehmer sein, und als Unternehmer bringen wir die Welt und die Wirtschaft zum Erblühen.« Sozial orientierte Unternehmen (Social Business) können die größten Probleme unserer Zeit entscheidend lösen helfen: die Armut beseitigen, die Arbeitslosigkeit abschaffen und eine nachhaltige Wirtschaft fördern. Kreative Entfaltung und Entwicklung ist nur in einem Klima der Freiheit möglich, niemals in einem Klima der Angst.

Machtkonzentration und Geldkonzentration verhindern freilich die Kreativität und Entwicklung aller. Für die Vision einer besseren Welt sind noch viele tiefgreifende Veränderungen notwendig. Allerdings: Auf der ganzen Welt arbeiten Millionen Menschen bereits an der Verwirklichung dieser Veränderungen. Jede und jeder von uns hat die Möglichkeit, die Welt zu verbessern. Der erste Schritt dazu ist wohl der schwerste: unser Denken aus alten Strukturen zu befreien und zu transformieren. Jeder ist ein Siebenmilliardstel Teil des Problems. Die Frage aller Fragen heißt: Wie werden wir Teil der Lösung? Wir benötigen ein Wirtschaftssystem, das den Bedürfnissen aller Menschen dient und nicht nur der Kapitalvermehrung von wenigen Milliardären. Denn wir haben neben der ökologischen und sozioökonomischen Krise auch eine Gerechtigkeitskrise, eine spirituelle und eine philosophische Krise: Wir orientieren uns an einer Form von Freiheit, die primär »die Freiheit der Starken und die Unfreiheit der Schwachen« (Ernst Ulrich von Weizsäcker) ist. Das ist weder gerecht noch enkelverträglich. Es besteht die Gefahr, dass wir ohne mutige Veränderungen in den nächsten Jahrzehnten global total scheitern. Ein Schlüsselwort zur Rettung ist das kleine Wort »möglich«. Nicht zufällig ist dieses Zauberwort im Titel mehrerer meiner Bücher: »Frieden ist möglich«, »Liebe ist möglich«, »Eine bessere Welt ist möglich«, »Die Energiewende ist möglich« – oft werde ich gefragt, ob ich, was unsere Zukunft angeht, ein Optimist oder ein Pessimist sei: Ich bin ein »Possibilist«. Alles ist möglich – das hängt meist von uns selbst ab. Das griechische Wort »Krise«, krisis, bedeutet so viel wie Entscheidung. Um Entscheidungen kommen wir in diesen Krisenzeiten nicht herum. 

Wir können und sollten die doch recht erfolgreiche soziale Marktwirtschaft in Deutschland zu einer ökosozialen Marktwirtschaft weiterentwickeln. »Ökosozial statt marktradikal« könnte die Devise heißen. Die weibliche Stimme der indischen Autorin Arundhati Roi: »Eine andere Welt ist nicht nur möglich. Sie ist im Entstehen. An einem stillen Tag höre ich sie atmen«. Im Schoß einer alten Gesellschaft wächst immer eine neue heran. Ökoprozesse sind Liebesprozesse.

 

Bücher von Franz Alt und dem Dalai Lama zum Thema:

  • Lust auf Zukunft – Wie unsere Gesellschaft die Wende schaffen wird, Gütersloher Verlagshaus 2018
  • Die ALT-ernative – Plädoyer für eine sonnige Zukunft, edition Chrismon 2019
  • Der ökologische Jesus – Vertrauen in die Schöpfung, Goldmann 2003
  • Unsere einzige Erde – Eine Liebeserklärung an die Zukunft, Patmos-Verlag 2019 (zusammen mit dem Fotografen Helfried Weyer)
  • Rettet die Umwelt – Der Klimaappell des Dalai Lama an die Welt (Dalai Lama und Franz Alt), Benevento-Verlag 2020
  • Ethik ist wichtiger als Religion – Der Appell des Dalai Lama an die Welt (Dalai Lama und Franz Alt), Benevento-Verlag 2015
Dr. Franz Alt

Dr. Franz Alt, geboren 1938, Journalist und Buchautor, seit 1968 beim SWR, wo er 20 Jahre das Politmagazin Report Baden-Baden moderierte. Seit 1992 Leitung der Sendereihe »Zeitsprung« im SWF und seit 1997 des Magazins »Querdenker« in 3SAT. Franz Alt ist der am meisten ausgezeichnete deutsche Fernsehjournalist: Goldene Kamera, Bambi, Adolf-Grimme-Preis, Siebenpfeiffer-Preis, Ludwig-Thoma-Medaille, Deutscher und europäischer Solarpreis, Welt-Windpreis, Menschenrechtspreise, Goldenes Löwenherz, Umweltpreis der Deutschen Wirtschaft, außergewöhnlichster Redner des Jahres u. v. a. Mehr Infos zu Franz Alt: www.sonnenseite.com

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