Was die Wildkräuter uns an Nahrung für Körper, Geist und Seele geben können
Die Autorin gibt uns einen praktischen Leitfaden an die Hand, mit dem wir essbare Wildkräuter in unserer Umgebung erkunden, erkennen und auch probieren können. Viele dieser Wildkräuter enthalten nicht nur ungemein viele Nährstoffe, die unser Körper braucht, um fit und gesund zu sein, sondern sie stärken auch unsere Verbundenheit mit der uns umgebenden Natur und schenken uns ein wenig von ihrer Wildheit und Widerstandskraft.
Ich beginne diesen Artikel Anfang Februar zu schreiben, wenige Tage nach Imbolc, dem Tag, der im keltischen Jahreskreis der Göttin Brigid geweiht ist und auf den 2. Februar datiert wird.
Brigid, so lautet der Mythos, fegt mit ihrem Feuer über das Land, lässt den Schnee schmelzen und die Bäche und Flüsse anschwellen. Mit Brigid beginnt auch der Vorfrühling. Die Tage sind bereits viel länger, wir sind schon sechs Wochen nach der Wintersonnenwende und bewegen uns deutlich auf das Licht und längere Tage zu.
Und tatsächlich, in diesem Jahr verhält sich die Natur, die sich nur bedingt an gleichmäßige Rhythmen hält, akkurat nach unserer Agenda. Hier im Kanton Aargau in der Mitte der Schweiz hatten wir in diesem Jahr außerordentlich viel Schnee, wie seit Jahren oder Jahrzehnten nicht mehr. Doch mit Brigid ist er innert Kürze weggeschmolzen, und als hätten sie sich bereits unter der Schneedecke vorbereitet (und das haben sie auch), haben wir von einem auf den anderen Tag Löwenzahn, Wiesenknopf, Scharbockskraut, Spitzwegerich und Co. Zu den ersten Pflanzen, die unter dem Schnee schon bereit waren, gehört auch das behaarte Schaumkraut und sogar der erste Bärlauch sticht durch das Blätterlaub am Boden hervor. So können wir unser Wildkräuterjahr starten.
Wenn man der alten Tradition der Kelten folgt oder auch dem eigenen inneren Gefühl, hat man wahrscheinlich von November bis Februar eine Pause gemacht und in der Zeit keine Wildkräuter gesammelt. Wir haben unseren Tee genossen, getrocknete Brennnesselblätter in die Suppe getan und in der modernen Zeit auch eingefrorene Wildkräuter verwendet und sogar, neu entdeckt, auch fermentierte Wildkräuter genossen. Wir haben eine Pause mit unseren Sammelstreifzügen in der Natur gemacht und stattdessen in uns die Vorfreude auf das neue Kräuterjahr wachsen lassen.
Doch jetzt geht es los, noch ganz klein sind die Pflänzchen und damit ihre Blätter noch zarter und weniger bitter als in ihrem späteren Wachstumsverlauf. Wir fangen also »niederschwellig« an und gewöhnen uns wieder an unsere grünen Freunde. Auf die so wichtigen Bitterstoffe, die die meisten von ihnen in unterschiedlicher Konzentration enthalten, kommen wir später zu sprechen.
Was sind die Wildkräuter eigentlich? Unkräuter werden sie von vielen genannt, dabei sind es eigentlich unsere Urkräuter. Es sind die Ahn*innen der Kulturgemüse und Züchtungen, die für gewöhnlich den Weg auf unsere Teller finden.
So ist der Kompass-Lattich (Lactuca serriola) die Urpflanze unserer Kopfsalate, der Wildkohl (Brassica oleracea) die Urpflanze aller unserer Kohlarten von Grünkohl über Rosenkohl, Kohlrabi bis zum Blumenkohl und die Wilde Möhre (Urtica Dioica) die Stammpflanze der Karotte.
Doch zum Glück leben auch die wilden Formen weiter auf unseren Wiesen, Weg- und Waldrändern.
Auch in unseren Gärten und landwirtschaftlichen Zonen führen sie ein Leben neben dem »kulturellen Mainstream« und werden je nachdem freundlich in Schach gehalten oder zornig vernichtet.
»Ich möchte euch ermutigen und inspirieren, den Wildkräutern in eurem Leben einen Platz zu geben.«
Ich möchte euch ermutigen und inspirieren, den Wildkräutern in eurem Leben einen Platz zu geben. Sie geben uns so viel: Sie sind eine tolle Ergänzung zu unserer Nahrung und erweitern unser Spektrum an Geschmacks- und Nährstoffen. Sie verhelfen unseren Landschaften zu Biodiversität an Pflanzen und Tieren. Sie inspirieren unseren Geist. Sie sind Heiler für Leib und Seele. Auf all diese Aspekte möchte ich in diesem Artikel eingehen.
Wildpflanzen auf dem Esstisch – eine bereichernde Erweiterung an Geschmackserlebnissen
Wie auch in anderen Bereichen des Lebens richten wir uns kulinarisch sehr gerne in einer Komfortzone ein. Wir tendieren dazu, das zu essen, was wir kennen und was unsere vordergründigen Bedürfnisse befriedigt. Das Lebensmittelangebot hat sich darauf eingestellt.
Du kannst ja mal für dich zählen, wie viele Gemüsesorten und wie viele Obstarten du in der Regel wöchentlich isst. Wahrscheinlich kannst du sie an zwei Händen abzählen. Wildkräuter helfen uns, die Vielfalt auf unserem Speiseplan zu erhöhen, neue Geschmacksrichtungen zu entdecken und neuen Spaß in unsere Küche zu bringen. Dabei kommen wir noch an die frische Luft und erhalten die Köstlichkeiten, ohne dafür mit Geld zu bezahlen. Wer einmal gelernt hat, die Wildkräuter zu sehen, wird sie überall finden, auch ganz in der Nähe vom eigenen Zuhause.
»Wer einmal gelernt hat, die Wildkräuter zu sehen, wird sie überall finden, auch ganz in der Nähe vom eigenen Zuhause.«
Wir können die meisten essbaren Wildkräuter wie grünes Blattgemüse zubereiten, also ähnlich wie Spinat verwenden. Das eröffnet uns viele Möglichkeiten: blanchiertes Gemüse pur gedünstet mit Zwiebeln und Knoblauch, kombiniert mit anderen Gemüsen, auf Quiches und Tartes, in Füllungen und Eierspeisen. Andere Wildkräuter verwenden wir eher als Gewürzkräuter.
Ich möchte euch exemplarisch zwei Wildgemüse und ein wildes Würzkraut vorstellen.
Wilde Blattgemüse:
Zu den wilden Blattgemüsen gehört beispielsweise der Giersch, im Volksmund auch Geißfuß oder Baumtropf genannt (Aegopodium podagraria).
Für viele ist der Giersch ein unbeliebtes Gartenunkraut. Wird er mit der Hacke bekämpft, fördert dies seine vegetative Vermehrung, und man hat nachher noch viel mehr von dem ungebetenen Gast. Ein kleiner Schalk der Natur. Eine Alternative ist, den Giersch zu ernten und einfach aufzuessen.
Seine Geschmacksrichtung liegt zwischen Liebstöckel und Petersilie. Der Geruch entwickelt sich bereits deutlich beim Zerreiben der Blätter zwischen den Fingern. Wenn nicht im Garten, wächst der Giersch am Wegrand, im Wald, an Bachböschungen und an halbschattigen, etwas feuchten Stellen.
Der Giersch, eine Pflanze aus der Familie der Doldenblütler, schmeckt, noch jung und zart, ganz toll in einem Salat. Im Verlauf des Jahres, wenn die Blätter fester und zäher werden, können sie, fein geschnitten und etwas länger mitgekocht, immer noch Suppen, Saucen und Eierspeisen ergänzen. Eines der Haupterkennungsmerkmale des Gierschs ist das Dreierprinzip seines Blattaufbaus und eine Kerbe im Stängel.
Jede/r kennt die Brennnessel. Die große Brennnessel (Urtica Dioica) ist seit Jahrtausenden eine Begleiterin der Menschen, denn sie wächst gerne auf stickstoffreichen Böden, also überall da, wo Mist anfällt.
Ich empfehle dir, die Brennnessel ungefähr einmal pro Woche auf den Tisch zu bringen. Du erntest einfach mit der Schere die Spitzen mit den oberen vier bis sechs Blättern. Der Geschmack der Brennnessel ist einzigartig und sehr angenehm aromatisch. Sie ist eindeutig ein Gemüse und kann wie alle anderen grünen Blattgemüse zubereitet werden. Durch das Dämpfen und Kochen werden ihre berühmt-berüchtigten Brennhaare »entwaffnet«.
Ihre Blätter können auch getrocknet und so auch noch im Winter einer Suppe beigefügt werden. Ihre getrockneten Blätter können aber auch pulverisiert und als »Grünmehl« und natürliche Nahrungsergänzung allen möglichen Speisen, vom Müsli bis zum Brotteig, beigefügt werden. Wer seine Gäste einmal mit einer besonderen Vorspeise überraschen will, frittiert einzelne, große Brennnesselblätter in einem stabilen Fett (z. B. Kokosfett) und serviert sie leicht gesalzen. Eine gesunde Köstlichkeit.
Die Früchte und Samen der Brennnessel sind eine hoch potente Delikatesse. Sie sind, wie alle Samen, proteinreich und gelten als Aphrodisiakum. Sie können, noch grün, roh gegessen werden. Dazu quetsche ich die Fruchtstände zwischen den Fingern, sodass die Brennhaare geknickt werden und ihre Wirkung verlieren.
Die Liste der grünen wilden Blattgemüse ist lang. Hier ein paar weitere Vertreter*innen: Löwenzahn, Weißer Gänsefuß, Franzosenkraut, Labkraut, Gänsedistel, Bärenklau, Nachtkerze, Engelwurz, Meisterwurz, Vogelmiere, Kohldistel, Wiesenbocksbart, Spitzwegerich, Ährige Teufelskralle, Japanischer Knöterich und viele mehr. Die einen sind häufig, die anderen sind mittlerweile rar geworden und bedürfen unseres Schutzes und unserer Förderung.

Wilde Gewürzpflanzen:
Eine zweite interessante Kategorie in der Wildkräuterküche sind die Gewürzpflanzen.
Auch hier möchte ich exemplarisch eine in unseren Breitengraden häufig vorkommende Pflanze vorstellen: die Gundelrebe, auch Gundermann genannt (Glechoma Hederacea). Diese am Boden kriechende Pflanze mit den hübschen violetten Lippenblüten, wie wir sie auch von anderen Vertreter*innen dieser Familie, zum Beispiel dem Rosmarin oder der Pfefferminze, kennen, überrascht unseren Gaumen mit einem Aroma, das uns eher an Ziegenkäse als an eine Pflanze denken lässt.
Aus der Gundelrebe, im Volksmund auch Erdefeu genannt, lässt sich eine wunderbare Kräuterbutter oder ein Kräuterquark zubereiten. Sie kann aber als Würzkraut auch zu anderen Wildpflanzenmischungen dazugegeben werden. Die Gundelrebe wächst in unseren Gärten gerne unter Bäumen und bevorzugt vorwiegend feuchte, schwere und fruchtbare Böden. Sie lässt sich leicht im Garten ansiedeln.
Von anderen Wildkräutern eignen sich die Samen als Gewürze. Zu ihnen gehören beispielsweise Giersch, Bärenklau, Engelwurz und die Wilde Möhre.
Wildkräuter als Gesundheitsbooster
Jeden Tag essen wir. Jeden Tag entscheiden wir, was wir essen. Schön wäre es doch, wenn wir uns das einverleiben, was uns ganzheitlich dient. Es schmeckt uns, es nährt uns und es hält uns gesund. Hippokrates, ein griechischer Lehrer und Arzt des Altertums, empfahl dies bereits vor fast 2.500 Jahren.
»Lasst eure Nahrung eure Medizin und eure Medizin die Nahrung sein!«
»Die Wildkräuter zählen für mich zu den Helden der Ernährung. Sie sind wahre archaische Superfoods.«
Die Wildkräuter zählen für mich zu den Helden der Ernährung. Sie sind wahre archaische Superfoods. Wildpflanzen verfügen von Natur aus über ein Vielfaches an Vitaminen und Mineralien gegenüber Kulturpflanzen. Dies lässt sich in der nebenstehenden Tabelle sehr gut ablesen.

Jede Wildpflanze enthält ihren eigenen Nährstoffcocktail an gesunden Inhaltsstoffen. Als Newcomer kann man sich schnell überfordert fühlen, wenn man versucht, einen Durchblick zu bekommen. Also fangen wir ganz einfach an. Was alle grünen Pflanzen gemeinsam haben, ist: Sie enthalten Chlorophyll. Sonst wären sie nicht grün, denn Chlorophyll ist der grüne Blattfarbstoff.
Biochemisch betrachtet ist das Chlorophyll unserem roten Blutfarbstoff so ähnlich, dass es vom menschlichen Körper aufgenommen und sehr schnell zu Hämoglobin, unserem roten Blutfarbstoff, umgebaut werden kann. Dies erklärt seine blutbildende Eigenschaft. Es hilft außerdem bei der Entgiftung, der Wundheilung und unterstützt ganz allgemein unseren Stoffwechsel. Die einfache Formel für Anfänger lautet also: grün + essbar = gesund.
Eine weitere Stoffgruppe, die in den meisten Wildkräutern vorkommt, sind die Bitterstoffe.
In der »modernen« Küche sind wir Bitterstoffe nur noch wenig gewöhnt und reagieren oft ablehnend darauf. Dabei brauchen wir eine gewisse Menge an Bitterstoffen, um unsere Verdauung anzukurbeln. Sie kurbeln die Produktion von Magensaft und Bauchspeicheldrüsensekret an und unterstützen die Arbeit unserer Leber, indem sie den Gallenfluss anregen. Zudem sind Bitterstoffe, schlau kombiniert, zum Beispiel mit ausgleichender Süße von Früchten, mit guten Ölen oder Eiern, Kohlenhydraten oder Hülsenfürchten auch für den anspruchsvollen Gaumen eine wunderbare Geschmackserfahrung. Wenn wir langsam beginnen, Bitterstoffe in unsere Ernährung einzuführen, gewöhnt sich der Körper daran und es kann sich sogar eine Liebe von und ein Verlangen nach Bitterstoffen entwickeln.
»Mehr als 80 Prozent unserer europäischen Pflanzen sind essbar.«
Wer Wildkräuter in die Küche integrieren möchte, beginnt einmal mit dem, was er/sie kennt. Schlau ist es auch, einfach mal einen Wildkräuterkochkurs oder zumindest eine Pflanzenexkursion zu besuchen. Vielleicht gibt es auch im Familien- oder Bekanntenkreis zu bergendes Kräuterwissen. Meist lassen sich schon nach einer kurzen Einweisung einige Pflanzen dauerhaft in den eigenen Speiseplan integrieren. Bücher und Apps ergänzen oder bestätigen das vorhandene Wissen. Als alleinige Leitplanken würde ich sie nicht empfehlen, denn es gibt auch ein paar giftige Vertreter*innen in unserer Pflanzenwelt. Doch die essbaren Pflanzen überwiegen bei Weitem. Mehr als 80 Prozent unserer europäischen Pflanzen sind essbar. Das sollten wir uns wirklich nicht entgehen lassen. Ein großes Wissen und ein großer Schatz, den es achtsam und respektvoll zu bergen gilt.
Pflanzen als Heiler für Leib und Seele
Pflanzen geben Düfte von sich. Sie schmecken lieblich, können aber auch stinken. Ihre Blüten leuchten in bunten Farben und zeigen sich in den außergewöhnlichsten Formen. Ihre Pflanzenteile schmecken »grasig«, bitter, scharf, mild, sauer. Ihre Blätter stechen, brennen, haben einen Flaum oder eine ölige Blattoberfläche.
Warum machen Pflanzen das? Wieso zeigen sie sich von einer derart sinnlichen Seite? Wir können das auf eine ganz einfache Art und Weise beantworten: Es ist ihre Art zu kommunizieren.
Die Farbe Gelb beispielsweise finden nicht nur wir Menschen schön und aufhellend fürs Gemüt, sondern sie gefällt auch vielen Insekten. Oder anders gesagt: Da die Blüten so schön
leuchten, können die schlecht sehenden Insekten sie finden und sich an ihnen laben. So hat die Pflanze mit dem gelben Anziehungseffekt ihre Fortpflanzung gesichert. Andere erledigen dies, indem sie einen spezifischen Duft verbreiten, der die zu ihnen passenden Insekten anzieht.
Ein bitterer Geschmack hingegen wirkt als Fraßschutz. Wie wir Menschen haben auch Tiere bitter nur bis zu einem gewissen Maß gern. Wird es zu viel, nehmen sie Abstand und verschonen die Pflanze bei ihrem Mittagsmahl.
All diese Stoffe, die für die Farben, Geschmäcke und Düfte verantwortlich sind, werden »sekundäre Pflanzenstoffe« genannt. Die Pflanze braucht sie nicht unbedingt für ihr Überleben, aber sie verschaffen ihr einen Überlebens- und Fortpflanzungsvorteil.
Interessanterweise sind die sekundären Pflanzenstoffe zugleich die Inhaltsstoffe, die im menschlichen Organismus schützend und heilend wirken können. So sind für das Gelb der Blüten Flavonoide zuständig. Der Pflanze helfen sie, Insekten anzuziehen; dem Menschen dienen Flavonoide als Radikalfänger und sie setzen dadurch das Risiko, an Krebs zu erkranken, deutlich herab.
Ätherische Öle, die die Pflanze als Duft verströmt, sind grundsätzlich antibakteriell und wirken auf uns Menschen, je nach Art des Öls, beruhigend, ausgleichend, anregend, sinnlich oder anders. Ich vermute, alle Leser*innen haben bereits Erfahrungen mit ätherischen Ölen gemacht und wissen, wovon ich spreche.
Gerbstoffe, eine weitere Gruppe der sekundären Pflanzenstoffe, produziert die Pflanze ebenfalls vor allem als Fraßschutz. Bei uns Menschen unterstützen Gerbstoffe mit ihrer zusammenziehenden Wirkung die Wundheilung.
Bitterstoffe unterstützen die Arbeit der Leber. Schleimstoffe legen sich lindernd und schützend über unsere Schleimhäute und fördern so ihre Heilung und schützen vor Infektionen. Sie kommen in den Malvengewächsen vor, zu denen auch die Lindenbäume gehören. Coffein, ein Alkaloid, wirkt, wie wir wissen, bereits in einer Kleinstmenge anregend.
Und dies ist nur ein kleiner Auszug aus der Vielfalt der sekundären Pflanzenstoffe. Die Forschung steckt, was die sekundären Pflanzenstoffe betrifft, noch in den Kinderschuhen, doch bestätigt die Wissenschaft immer mehr, was wir schon längst aus unserer Erfahrung wissen.
Ein Beispiel ist die heilende Wirkung der Bäume. In jüngster Zeit hat uns die Forschung mit Erkenntnissen verblüfft, wie auch Bäume untereinander zum Beispiel durch Terpene, eine Untergruppe der ätherischen Öle, kommunizieren. Gleichzeitig kommunizieren dieselben Terpene mit dem menschlichen Immunsystem und lassen uns vermehrt Killerzellen produzieren. Mithilfe von Killerzellen (dies ist tatsächlich ihr offizieller Name) lassen sich krankhaft veränderte Körperzellen schneller vom menschlichen Organismus entsorgen. Wunder über Wunder wie die einzelnen Teile unseres Ökosystems ineinandergreifen.
Ich habe weiter oben behauptet, dass die Pflanzen sekundäre Pflanzenstoffe entwickeln, um sich Überlebensvorteile zu verschaffen. Dies ist die gängige und anerkannte Lehre. Doch wir können auch einen anderen Blickwinkel einnehmen. Was, wenn die Pflanze diese Stoffe explizit produziert, um uns Menschen zu helfen? Was, wenn nicht nur wir erkennen, dass wir in einer Lebensgemeinschaft mit den Pflanzen leben, sondern auch die Pflanzen dies längst erkannt haben und sie Stoffe produzieren, um uns Menschen bei Gesundheit zu halten? Wolf-Dieter Storl, der bekannte Pflanzenkundige und Anthropologe, hat dies in einem Interview in den Raum gestellt. Ich mag diesen Perspektivwechsel. Und ich bin mir sicher, dass die Wahrheit multidimensional ist. Also wieso nicht sowohl als auch?
Es ist an der Zeit, dass wir die Verbundenheit aller Wesen auf dem Planeten ins Zentrum rücken und nicht einfach uns Menschen als die überlegene Spezies betrachten. Lasst uns mehr in Betracht ziehen, dass sich die Spezies untereinander absichtsvoll und liebevoll helfen. Aus der Quantenphysik wissen wir, dass das, was wir mit unserem Bewusstsein beleuchten, an Stärke und Existenzkraft gewinnt.
Wir wollen uns jetzt zwei Helfer- und Heilpflanzen genauer anschauen:
Frauenmantel (Alchemilla vulgaris). Wie im Namen festgehalten, wird diese Pflanze traditionell bei typischen Frauenthemen verwendet. Sie kommt sowohl bei Zyklusbeschwerden als auch bei Wechseljahrsymptomen zum Einsatz und wirkt mit ihren Phytohormonen in alle Richtungen ausgleichend und harmonisierend.
Von den bisher erforschten sekundären Pflanzenstoffen sind die Gerbstoffe dominierend. Sie wirken adstringierend, sprich zusammenziehend. So wirkt der Frauenmantel als Tee oder auch Tinktur bei Magen-Darm-Problemen. Die enthaltenen Gerbstoffe beruhigen und stabilisieren die Darmschleimhaut. Und das übrigens auch bei Männern. (smile)
Wenn wir Pflanzen zu uns nehmen, egal ob als Tee, Tinktur oder im Essen, nehmen wir nie nur einen Pflanzenstoff auf, sondern verschiedene Stoffgruppen, die einander ergänzen und ausgleichen. Vieles ist dabei noch wenig erforscht. Deshalb wird die in der Volksmedizin bestätigte Wirkung auch immer wieder infrage gestellt, obwohl sie auf über Jahrhunderte gesammelten Erfahrungen beruht.
Für die Wirkung der Alchemilla bei Frauenthemen gibt es keine wissenschaftliche Bestätigung, aber viele Tausende bestätigende Erfahrungsberichte. Eine Schülerin der Empowerment for Life Wildkräuterschule, die ich im Jahr 2018 gegründet habe, hat eine Studie mit 20 Probandinnen durchgeführt. Eine Mehrzahl der Frauen hat eine Verbesserung ihres PMS-Syndroms nach der Einnahme von Frauenmantel bestätigt. Am besten hat die Kombination von Tee und Tinktur gewirkt. Die Schülerin, welche die Arbeit schrieb, hat selbst eine drastische Erleichterung ihrer vorherigen Menstruationsschmerzen erfahren.
Diese Pflanze ist ein schönes Beispiel dafür, wie wir Eigenkompetenz in Bezug auf unsere Gesundheit dank der Wildkräuter zurückgewinnen können. Frauenmantel lässt sich ganz leicht im Garten ansiedeln. Oft wird dies auch bereits gemacht, aber noch wenige trauen sich zu, ihn auch zu nutzen. Ich möchte euch dazu ermutigen, selbst Erfahrungen zu machen. Ihr könnt Frauenmantel zum Beispiel in einer Wildstaudengärtnerei bestellen und selbst in eurem Garten ansiedeln.
Aus den meisten wilden Heilpflanzen könnt ihr selbst Tee oder eine Tinktur herstellen. Ihre Einnahme ist in der Regel ungefährlich. Zu beachten ist, dass zum Beispiel eine Teekur eine gewisse Zeit braucht, um zu wirken. Grundregel: drei bis vier Wochen dreimal täglich eine Tasse Tee und danach eine Pause von ca. zwei Wochen. Pflanzen wirken meistens mild, und unser Körper braucht einen wiederholenden Impuls. Zugleich wollen wir keinen Gewöhnungseffekt. Deshalb ist es wichtig, eine Heilpflanzenkur zeitlich zu begrenzen oder zumindest zu unterbrechen.
Eine andere Tausendsassa-Pflanze der Heilkunde ist die (gemeine) Schafgarbe (Achillea millefolium). Von Sebastian Kneipp stammt das Zitat: »Schafgarb im Leib tut wohl jedem Weib.« Dies weist wieder auf die regulierende Wirkung innerhalb des weiblichen Zyklus hin. Doch die Schafgarbe dient auch den Männern; sie ist grundsätzlich krampflösend und trägt auch den Beinamen »Soldatenkraut«, weil ihr Wasserauszug bei Wunden und Kriegsverletzungen half. Auch die Schafgarbe ist ein Kraut, das sich in Naturgärten wohlfühlt. Dabei bevorzugt sie nähstoffarme Böden.
Pflanzen sind beseelte Wesen. Sie wirken nicht nur über ihre Inhaltsstoffe. Roger und Hildegard Kalbermatten, die Gründer*innen der Firma Ceres, haben dies in ihrem Buch »Pflanzliche Urtinkturen, Wesen und Anwendung« wunderbar niedergeschrieben. Wenn wir eine Pflanze sammeln und wenn wir unsere Pflanzenmedizin bewusst einnehmen, verbinden wir uns auch mit ihrem Wesen. Die Wirkung von physischer und psychischer Ebene kann sich verbinden.

Wildpflanzen verhelfen unseren Landschaften zu Biodiversität
Wildpflanzen sind enorm wichtig für das Gleichgewicht auf unserem Planeten. Sie bilden Synergien mit Insekten, Vögeln und Säugetieren. Wir alle wissen von der Abhängigkeit unserer Obstbäume von der Bestäubung durch Bienen. Doch dies ist nur ein winziger Ausschnitt aus dem natürlichen Miteinander von Pflanzen und Insekten. Wir brauchen auch die anderen: Wildbienen, Schwebfliegen, Wespen, Schmetterlinge, Nachtfalter, Ameisen, Käfer, Spinnen, Wanzen und wie sie alle heißen. Sie befruchten, sie bearbeiten, sie sind Nahrung für Vögel und Tiere. Es ist wichtig, dass wir die Kreisläufe wieder erkennen. Pflanzen und Insekten sind in vielen Fällen wie Schlüssel und Schloss aufeinander eingespielt.
Die dicken Unterlippen der Lippenblütler (zum Beispiel Wiesensalbei, Ysop, Gundelrebe, kriechender Günsel) sind prima Landeplätze für Honig- und Wildbienen und Hummeln. Manche Wildbienen sind auf Glockenblumen spezialisiert, in die sie komplett hineinkriechen. Käfer sind auf gut zugänglichen, offenen, pollenreichen Blüten zu finden wie von Rosen, Apfelbäumen oder von Doldenblütlern wie Engelwurz und Wilder Möhre. Wanzen haben einen kurzen, ausklappbaren Rüssel und fliegen vor allem gut zugängliche Blüten an. Knöterich- und Ampfersorten gehören zu ihren Vorlieben. Nachtfalter lieben die nachts hellgelb leuchtenden Nachtkerzen (Nachtkerzenknospen sind übrigens auch in der Wildkräuterküche eine Delikatesse).
Brennnesseln sind die Futterpflanzen für viele heimische Schmetterlinge. Der Admiral ist für die Ablage seiner Eier auf die Brennnessel angewiesen, und die Brennhaare der Nessel sind nicht nur für die Pflanze, sondern auch für die Raupen ein Fraßschutz. Auch der gewöhnliche Dost, die Wildform unseres Oregano, ist eine gute Raupenfutterpflanze. Pflanzen, Insekten, Vögel, Tiere und Menschen, wir alle brauchen einander. Dabei stehen wir Menschen nicht außerhalb der Natur. Auch wir sind Natur.

Wir können mit der Entwicklung unseres Bewusstseins einen wundervollen Beitrag zu dem »großen Ganzen« leisten. Wir haben die Fähigkeit, die Zusammenhänge zu erkennen. Wenn wir uns wieder als Natur begreifen und uns als Teil in die Kreisläufe des Lebens einfügen, haben wir eine Chance auf eine schöne gemeinsame Zukunft auf diesem Planeten. Doch dafür müssen wir innehalten. Schauen. Wahrnehmen mit allen Sinnen. Plötzlich fangen wir wieder an zu sehen. Zum Beispiel die Insekten. Sie verbringen die meiste Zeit jenseits unseres Bewusstseins. Wir nehmen sie nicht wahr und wir tun so, als gäbe es sie entweder nicht oder ganz selbstverständlich. Doch es ist nicht selbstverständlich.
In der Zeit, in der wir woanders hingeschaut haben, Böden versiegelt und überdüngt haben, Pflanzen mit Pestiziden behandelt haben, die Nacht mit künstlichen Lichtquellen zum Tag gemacht haben und den Verkehr vermehrt haben, hat sich im Laufe der letzten 30 Jahre die Insektenvielfalt um 40 bis 75 Prozent (je nach Studie) reduziert.
Mich macht das betroffen.
Wir wissen so wenig über diese kleinen Mitwesen. Erst kürzlich habe ich gelernt, wie wichtig es ist, dass wir die Stängel von trockenen Wildpflanzen über den Winter bis ins Frühjahr stehen lassen. Sie sind ein wichtiges natürliches Wildbienen- und Insektenhotel. Erst im Frühjahr, nach dem Schlüpfen der Brut, dürfen wir schneiden. Mit der wärmenden Sonne schlüpfen die Insekten, und wir dürfen das »benutzte Bett« getrost entsorgen, wenn uns das wichtig ist.
»Schön wäre es, wenn wir dabei unsere Augen und Sinne und unser Herz wieder öffnen für die Gemeinschaft mit allen Wesen.«
Doch wir wollen so gerne aktiv sein, die Sonne lockt uns heraus, wir räumen den Garten auf und entsorgen damit in unserer Unwissenheit gleich ganze Mikroökosysteme. Es gehört zu uns Menschen, kreativ zu sein, zu gestalten und etwas zu erschaffen. Das soll auch so sein. Schön wäre es, wenn wir dabei unsere Augen und Sinne und unser Herz wieder öffnen für die Gemeinschaft mit allen Wesen.
Die Pflanzenwelt ist uns gegenüber sehr großzügig. Sie wendet sich uns zu und streckt sich uns entgegen. Wir dürfen von ihr nehmen, sie ernten und gebrauchen. Wenn wir dies mit Dankbarkeit und mit der entsprechenden Achtung tun, dann wird daraus ein liebevoller Prozess, der gewinnbringend für alle ist.
Wildkräuter inspirieren unseren Geist und unsere Seele
Unterdessen ist es Juni. Imbolc ist schon lange vorbei, und wir bewegen uns auf Beltane, die Sommersonnenwende zu. Wie bei den anderen Jahreskreisfesten ist auch rund um diese Tage der Schleier zur Anderswelt etwas gelüftet. Es fällt uns leichter, an Naturgeister und Pflanzenwesen zu glauben und ihre Botschaften zu empfangen.
Für mich sind die Wildkräuter das ganze Jahr über meine Lehrer. Sie sind meine Begleiter und bereichern mein Leben auf vielen Ebenen. Ich möchte diese Reise in die Welt der Wildkräuter mit ein paar Inspirationen abschließen.
Wildkräuter versuchen, es niemandem recht zu machen. Sie sind, was sie sind. Das Wetter nehmen sie, wie es kommt, und sie gehen mit den Bedingungen. Sie sind resilient. Sie können warten, aber wenn die Umstände passend sind, dann wachsen sie, »was das Zeug hält«. Sie schöpfen ihr Potenzial voll aus. Sie verströmen ihren Duft in der Sonne, sie blühen voll auf. Sie sind hingabefähig. Sie lassen sich ernten und aufessen. Sie sind großzügig. Sie machen bunte Farben und betörende Düfte. Sie sind lebensfroh. Sie warten nicht darauf, dass sie jemand bittet, zu wachsen, oder ihnen ein Beet bereitet. Sie wachsen einfach. Sie sind darin selbstermächtigt.
Wenn wir uns mit Wildkräutern beschäftigen, sie sehen, sie essen, nutzen und fördern, dann wird etwas von ihrer Wildheit auch auf uns übergehen. Wir werden wieder mehr, was wir in Wirklichkeit sind.

Stefanie Gross-blau. Förstertochter, in ihrem »ersten Leben« Bühnenschauspielerin; später Mitgründerin des Gemeinschaftsprojektes Schloss Glarisegg, Ort für Begegnung und Bewusstsein, wo sie über zehn Jahre lebte. Weitere Ausbildungen in Kräuterpädagogik und Atemtherapie. Seit 2018 Leiterin der Empowerment for Life Wildkräuterschule. www.wildkraeuterschule.ch
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