Prof. Dr. Stefan Schmidt

Prof. Dr. Stefan Schmidt – Experimentelle Parapsychologie

Erklärungsversuche für wissenschaftliche Anomalien

Erlebnisse, die sich mit den uns bekannten Erklärungsmodellen nicht belegen lassen, gibt es immer wieder. Sind diese Ereignisse dem Zufall geschuldet oder lassen sich Gesetzmäßigkeiten dafür finden? Wie man dies untersuchen kann, verrät Stefan Schmidt und stellt dazu eine Reihe von Forschungsmethoden vor, die bei parapsychologischen Phänomenen angewendet werden.

Fast jeder Mensch kennt es: Außergewöhnliche Erfahrungen, die sich mit unserem gängigen Weltbild nicht erklären lassen. Ein konkreter Traum ereignet sich ein paar Tage später genau so wie geträumt, eine plötzliche Eingebung lässt uns wissen, wer gleich anruft, und so geschieht es; man spürt Blicke im Rücken, dreht sich um und stellt in der Tat fest, dass man beobachtet wird, oder man spürt plötzlich eine enge und vielleicht auch eine emotionale Verbindung zu einer weit entfernten Person, wobei man später erfährt, dass diese Person in genau diesem Moment ein sehr bedeutsames Erlebnis hatte. Wer dies nicht selbst erlebt hat, kennt sicher jemanden in seiner Umgebung, der oder die Ähnliches erlebt hat. Und immer stellt sich dann die Frage: Ist es ein verblüffender Zufall oder gibt es Psi, eine unsichtbare und unbekannte Kraft oder Verbindung, die für diese Erlebnisse verantwortlich ist? Sicherlich ist vielen Menschen dann diese Idee gekommen: Das müsste man einmal experimentell untersuchen.

Die Experimentelle Parapsychologie macht genau dies. Ihre Wurzeln reichen zurück bis ins Jahr 1882, als die ersten britischen Forscher damit begannen, Berichte von außergewöhnlichen Erfahrungen zu sammeln und systematisch auszuwerten. Die Geschichte der größeren und längeren Experimente in Laboren begann 1927 an der renommierten Duke University im amerikanischen Durham (North Carolina). Dort führte J. B. Rhine mit Würfelmaschinen und Spielkarten Psi-Experimente mit vielen hunderten Versuchspersonen durch. Seither gibt es auf Psi-Experimente spezialisierte Forschungsabteilungen an verschiedenen Universitäten und Einrichtungen in der ganzen Welt. Diese werden dort mal mehr und mal weniger geduldet, aber nichtsdestotrotz hat eine kleine, aber aktive Community von Forschenden mittlerweile eine beeindruckende Menge von Daten zu dieser Frage gesammelt.

»Ist es ein verblüffender Zufall oder gibt es Psi, eine unsichtbare und unbekannte Kraft oder Verbindung, die für diese Erlebnisse verantwortlich ist?«

Existieren Psi-Effekte?

Die akademische Psi-Forschung ist dabei auch immer in ein kritisches Umfeld eingebunden. Kritische Kolleginnen und Kollegen begutachten die Forschungsergebnisse und versuchen, alternative Erklärungen zu finden. Manchmal finden Kooperationen mit sogenannten SkeptikerInnen statt, welche die Existenz solcher Phänomene vorab bestreiten. Daraufhin werden gemeinsam Labore begutachtet, oder es wird in Zusammenarbeit dasselbe Experiment durchgeführt. Neben einem solchen konstruktiven kritischen Dialog erfährt diese Art der Forschung auch offene Ablehnung und Ausgrenzung. Experimentelle Arbeiten mit positiven Befunden werden von Zeitschriften oft abgelehnt, die Forschenden als naiv und unwissenschaftlich dargestellt. Das Argument lautet meist, dass diese keine echte Forschung sei, sondern eine Pseudowissenschaft. Das Gegenteil ist aber der Fall. Denn Wissenschaftlichkeit definiert sich durch ein systematisches, methodisches Vorgehen, nicht durch das Thema der Forschung. Eine Arbeit jedoch abzuwerten, weil das Thema nicht der eigenen Weltsicht entspricht, ist dagegen keine wissenschaftliche Haltung. Als ich einmal eine Arbeit mit signifikanten Befunden zur Telefontelepathie (man weiß, wer einen anruft) bei einer Zeitschrift einreichte, schrieb der Herausgeber zurück, er müsse die Arbeit leider ablehnen, denn sie sei offensichtlich fehlerhaft, da es dieses Phänomen nicht gäbe. Wenn ich es aber trotzdem in meinen Daten finden würde, müsste ich einen Fehler gemacht haben. Man sieht bei solchen nicht etablierten Fragestellungen, dass der Wissenschaftsbetrieb oft weit mehr weltanschaulich und weniger wissenschaftlich geprägt ist, als man gemeinhin vermutet.

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Jetzt stellt sich natürlich die Frage, welche die Ergebnisse dieser experimentellen Forschung sind? Hundert Jahre Laborforschung sollten mit Leichtigkeit ausreichen, um die Frage, ob es Psi gibt oder nicht, zu beantworten. Das ist überraschenderweise nicht der Fall, die Frage ist immer noch nicht eindeutig entschieden und lässt sich am ehesten mit einem eindeutigen Jein beantworten. Warum ist das so? Die experimentelle Laborforschung hat umfangreiche Nachweise erbracht, dass in verschiedenen Experimenten kleine, aber deutliche Abweichungen vom Zufall zu finden sind. Die Daten verhalten sich einerseits definitiv nicht so, wie sie es müssten, wenn es keinerlei parapsychologische Effekte geben würde. Man kann also davon ausgehen, dass es irgendeinen Einfluss gibt. Auf der anderen Seite ist es aber auch nicht so, dass die Psi-Forschenden solche Effekte durch die Konstellation bestimmter Bedingungen gesichert herbeiführen können. Es ist bei jedem Experiment wieder neu und komplett offen, ob sich dieses Mal Psi-Befunde zeigen oder nicht. Würde man die bisherigen Befunde gut verstehen, müsste dies möglich sein, aber dem ist nicht so. Das ist das bekannte Replikationsproblem der Parapsychologie. Vielleicht lässt sich die momentane Lage am besten so zusammenfassen: Wir machen Experimente, um Belege für die Existenz von Psi zu finden, und stoßen stattdessen auf eine Menge Anomalien in den Daten, die wir nicht recht zu deuten wissen.

Als ich vor 30 Jahren damit begann, parapsychologische Experimente durchzuführen, hatte ich ein klares Ziel vor Augen. Ich werde ein Experiment aufbauen, dass Daten für Psi-Effekte liefert und damit nachweist, dass das bestehende physikalische Weltbild unvollständig ist. Sobald entsprechende empirische Daten vorliegen – so meine naive Idee – wird sich dadurch der Diskurs in der Wissenschaft zu diesem Themenbereich maßgeblich verändern. Es hat einige Jahre und viele experimentelle Arbeit benötigt, bis ich etwas sehr Wichtiges verstanden hatte: Daten allein reichen nicht! Die Idee, dass aufgrund von experimentellen Daten die Modelle angepasst werden, wie ich das in der Wissenschaftstheorie gelernt hatte, stimmt so nicht. Es braucht nicht nur Daten, sondern auch alternative Modelle und Theorien, die diese erklären können und sich bestenfalls sogar in das bestehende Theoriekonzept der Mainstreamforschung integrieren. Daher ist die Arbeit an theoretischen Modellen zur Erklärung der empirischen Daten ebenso wichtig wie die experimentellen Arbeiten selbst. Ich selbst orientiere mich dabei am Modell der Generalized Entanglement Theory (GET), das ich für einen vielversprechenden Kandidaten halte.

»Eine Arbeit jedoch abzuwerten, weil das Thema nicht der eigenen Weltsicht entspricht, ist dagegen keine wissenschaftliche Haltung.«

Wie sehen nun die gängigen Experimente in der Parapsychologie aus? Hier hat sich im Verlauf der Jahre gezeigt, dass es nicht einfach ist, ein gutes Experiment zu konstruieren. Der Schlüssel zu einem gelungenen Experimentalaufbau liegt darin, dass alle Möglichkeiten einer konventionellen Informationsübertragung ausgeschlossen werden können – erst dann rückt die Psi-Hypothese in den Fokus. Daher ist es eine der Hauptaufgaben, die Experimentalidee und den entsprechenden Experimentalaufbau absolut wasserdicht zu machen. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Wir wollen untersuchen, ob Gedanken per Telepathie von einer Person zu einer anderen übertragen werden können. Wir zeigen der Person A ein bestimmtes Bild und bitten dann Person B, zu beschreiben (oder auch zu zeichnen), was ihr »übertragen« wurde. Wenn das Ergebnis stimmt, muss man sich sorgfältig überlegen, wie dieser Befund auf konventionellen Kommunikationskanälen zustande gekommen sein könnte. Haben die beiden sich eventuell abgesprochen? Gab es Kommunikation per Smartphone? Oder auch per Klopfzeichen innerhalb des Gebäudes? Haben die beiden vorab mögliche Bilder und Ideen ausgetauscht? Oder kennt Person B eventuell Person A so gut, dass ihr von vornherein klar ist, an was sie als Erstes denken wird? Sind eventuell generische Symbole und Bilder benutzt worden, die häufig genannt werden? Bei Farbe Rot, bei Musikinstrument Geige, bei Werkzeug Hammer? Wenn Person A anwesend ist, während Person B zeichnet oder antwortet, kann Person A zum Beispiel bewusst oder unbewusst signalisieren, ob Person B auf dem richtigen Weg ist und so weiter. Letztendlich müssen alle möglichen Betrugsversuche und alle möglichen Tricks ausgeschlossen werden. Wer öfters einer Mentalistin oder einem Zauberer zuschaut, bekommt eine erste Idee von der Vielzahl der Möglichkeiten, die es zu berücksichtigen gilt. Es gab daher bereits Kooperationen von ParapsychologInnen mit professionellen Zauberern, bei denen gemeinsam der entsprechende Laboraufbau auf Manipulationsmöglichkeiten überprüft und dann entsprechend angepasst wurde.

Es gibt allerdings eine experimentelle Ausnahme, bei der die Kontrollen vergleichsweise einfach sind. Das sind Präkognitionsexperimente, bei denen das zu erratende Ziel (zum Beispiel die Zahl auf einem Würfel) erst nach der Abgabe der Vorhersage ermittelt wird. Also die Versuchsperson sagt voraus, dass der Würfel zum Beispiel auf eine Fünf fällt, und erst im Anschluss wird gewürfelt. Auch hier gibt es vereinzelte Manipulationsmöglichkeiten, aber diese sind weit geringer und weniger aufwändig zu unterbinden als bei Experimenten, die nicht auf Präkognition zurückgreifen.

Parapsychologische Standardexperimente

Aufgrund dieser Schwierigkeiten, ein gutes Experiment an den Start zu bringen, haben sich in der parapsychologischen Forschung seit den 1970er Jahren einige Standardexperimente entwickelt, die seither mit mehr oder weniger derselben Methode immer wieder genutzt werden. Einige der am häufigsten durchgeführten sollen hier kurz benannt werden:

So wird Psychokinese (PK), also die Frage, ob man kraft mentaler Anstrengungen oder Intentionen Veränderungen in der materiellen Welt bewegen kann, meist über die Beeinflussung von Zufallsgeneratoren untersucht, die einen quantenmechanischen und damit echten Zufallsprozess abbilden. Den Versuchspersonen wird dabei meist eine Zufallsfolge aus einem solchen Zufallsgenerator visuell oder akustisch dargeboten. Zum Beispiel geht die Tonhöhe bei einer »1« nach oben und bei einer »0« nach unten. Die Versuchsperson bekommt nun die Aufgabe, den Ton nach oben oder unten »abzulenken«, also den Zufallsgenerator so zu beeinflussen, dass er überzufällig mehr Einsen oder überzufällig mehr Nullen produziert.

Telepathie wird häufig über das sogenannte Ganzfeld-Experiment untersucht. Hier kommen zwei Versuchspersonen in das Labor. Die eine Person (»EmpfängerIn«) wird dabei in einen speziellen Bewusstseinszustand versetzt, das sogenannte Ganzfeld. Sie hört über Kopfhörer ein Rauschen und bekommt auf die Augen via einer Spezialbrille (oft werden auch halbierte Tischtennisbälle verwendet) ein homogenes farbiges (meist rotes) Lichtsignal, in dem keinerlei Strukturen zu erkennen sind. Diese spezielle Art der Stimulation, durch die man zwar etwas sieht und hört, man aber keinerlei Geräusche oder Objekte erkennen kann, führt dazu, dass die Versuchspersonen Bilder und Geräusche aus ihrer Innenwelt wahrnehmen. Die Annahme ist, dass in diesem Material eventuell auch telepathische Informationen vorhanden sind, die ansonsten von stärkeren Signalen aus der Umwelt überdeckt werden. Während sich nun die eine Person in dieser Ganzfeldstimulation befindet, sieht die zweite Person (»SenderIn«) über einen gewissen Zeitraum ein Bild oder Video, oftmals mit einem starken emotionalen Gehalt. Sie hat dabei die Aufgabe, diese Information gedanklich an die EmpfängerIn zu schicken. Nach Abschluss dieser Phase werden der EmpfängerIn vier Bilder oder Videos gezeigt, eines ist das Zielbild (target), das die SenderIn gesehen hat, die drei anderen nicht. Die EmpfängerIn muss nun das korrekte Bild bestimmen. Die Zufallswahrscheinlichkeit liegt hierfür bei 25 % (eine aus vier).

Für Fragestellungen zu Fernbeeinflussung oder Fernheilung hat sich das sogenannte DMILS-Paradigma etabliert. Diese Abkürzung steht für Direct Mental Interaction in Living System. Auch bei einem DMILS-Experiment kommen zwei Versuchspersonen in das Labor und werden getrennt. Bei der einen Person wird kontinuierlich eine physiologische Variable gemessen, zum Beispiel die Elektrodermale Hautleitfähigkeit (EDA). Dieses Signal wird der anderen Person auf einem Monitor gezeigt, gepaart mit der Aufforderung diese Person nun aus der Entfernung entweder zu aktivieren (mehr EDA-Aktivität) oder zu beruhigen (weniger EDA-Aktivität). Zur Auswertung werden dann die EDA-Daten aus den Abschnitten, bei denen aus der Ferne aktiviert wurde, mit denjenigen verglichen, bei denen aus der Ferne beruhigt wurde. Findet sich hier ein bedeutsamer Unterschied, dann weist dies – gute Kontrollen vorausgesetzt – auf eine außergewöhnliche und nicht erklärbare Kommunikation zwischen den beiden Personen hin.

Zwei weitere interessante Paradigmen untersuchen, ob es Versuchspersonen gelingt, über Informationen zu zukünftigen Ereignissen zu verfügen. Das eine Paradigma untersucht dies auf einer unbewussten und physiologischen Ebene, das andere in einem bewussten kognitiven Modell. Bei den sogenannten Presentiment-Studien werden Versuchspersonen verschiedene Bilder gezeigt. Parallel wird die elektrodermale Aktivität gemessen. Diese stellt einen Indikator des sympathischen Nervensystems dar und kann sogenannte Orientierungsreaktionen bei gefährlichen oder bedrohlichen Stimuli abbilden. Werden den Versuchspersonen harmlose und schöne Bilder gezeigt, findet keine solche Orientierungsreaktion in der EDA statt, sind die Bilder dagegen bedrohlich oder erregend, dann folgt kurz nach der Präsentation des Bildes ein deutlicher Ausschlag in der EDA-Kurve. So weit so normal. Im Presentiment-Experiment wird nun untersucht, ob sich eventuell schon ganz kurz vor der Präsentation eines bedrohlichen oder erregenden Bildes ein Ausschlag in der EDA findet. Also gibt es so etwas wie eine Vorahnung, dass gleich etwas passiert, und bildet sich eine solche Vorahnung eventuell in einem physiologischen Signal ab? Aus evolutionärer Perspektive wäre eine solche Eigenschaft sinnvoll.

Das zweite Experiment zur Präkognition stammt von dem amerikanischen Sozialpsychologen Daryl Bem, der spannende Experimente konstruierte, indem er in der Experimentalpsychologie gut eingeführte Experimente zeitlich umdrehte. Anstatt zum Beispiel einen kurzen Reiz zu präsentieren und die Versuchspersonen daraufhin danach zu fragen, wird bei dieser Umkehrung ein Experiment durchgeführt, bei dem man zuerst die Versuchsperson nach dem Reiz fragt und diesen erst danach zeigt. In einem dieser Experimente, das mittlerweile sehr oft repliziert wurde, sitzen die Versuchspersonen vor einem Monitor und müssen erraten, ob ein Foto, das ihnen gleich gezeigt wird, wohl auf der rechten oder der linken Seite des Monitors erscheinen wird. Erst nach der entsprechenden Angabe der Versuchsperson wird der Erscheinungsort per Zufallsgenerator ermittelt und das Bild dort gezeigt. Der Knackpunkt bei diesem Experiment ist, dass den Versuchspersonen einmal neutrale, manchmal aber erotische Bilder gezeigt wurden. Bems Befunde zeigten, dass die Versuchspersonen bei den erotischen Bildern überzufällig oft die richtige Seite erraten konnten.

Dies ist nur eine Auswahl der häufigsten wiederholten Experimente, und natürlich gibt es zahlreiche weitere. Zum Beispiel zur Traumtelepathie (Kann man die Trauminhalte einer träumenden Person von außen beeinflussen?) oder zum sogenannten Remote Viewing, also der Frage, ob es Personen gelingen kann, Informationen über fremde Orte zu erlangen, ohne dort zu sein, oder verschwundene Personen oder Gegenstände zu lokalisieren (abgestürzte Flugzeuge, archäologische Stätten, vermisste Personen etc.).

»Wir machen Experimente, um Belege für die Existenz von Psi zu finden, und stoßen stattdessen auf eine Menge Anomalien in den Daten, die wir nicht recht zu deuten wissen.«

Die verschiedenen Ebenen der Ergebnisse

Nun werden sie sicherlich neugierig fragen, was bei diesen Experimenten herausgekommen ist. Um diese Frage zu beantworten, muss man verschiedene Ebenen unterscheiden. Zum einen gibt es die Ebene des einzelnen Versuchsdurchgangs. Die Versuchsperson rät einmal, ob das Bild rechts oder links erscheinen wird, und hat dann entweder einen Treffer oder nicht. Da hier die Zufallswahrscheinlichkeit bei 50 % liegt, kann keine sinnvolle Aussage auf dieser Ebene getroffen werden. Wenn sie korrekt tippen, dass eine Münze bei einem Wurf auf Zahl fällt, haben sie keinen Nachweis für parapsychologische Fähigkeiten oder Umstände. Etwas anderes ist es aber, wenn das wiederholt gelingt. Wenn die Versuchsperson in 20 Durchgängen 13 oder sogar mehr Ereignisse richtig errät, liegt die Zufallswahrscheinlichkeit bei 13 %, bei 14 Treffern sind es 6 % und bei 15 nur noch 2 %. Bei solchen Versuchen werden natürlich mehrere unterschiedliche Versuchspersonen eingesetzt (es sei denn, man will gezielt eine bestimmte Person auf ihre Psi-Fähigkeiten untersuchen). Die Gesamtaussage des durchgeführten Experiments ist dann die Wahrscheinlichkeit für das Resultat aller Versuchspersonen bei allen Durchgängen. Wenn zum Beispiel 60 Versuchspersonen jeweils 20 Durchgänge durchführen, dann entspricht das dem Werfen von 1.200 Münzen. Bei großen Zahlen wird die Statistik schnell sensitiver und kann auch kleinere Effekte identifizieren. Ein Beispiel: Bei 1.200 Durchgängen und zwei Ergebnisoptionen (Münzwurf) werden unter der Annahme des Zufalls ungefähr 600 Treffer und 600 falsche Vorhersagen erwartet. Erreichen die Versuchspersonen stattdessen 660 Treffer (es wären dann immer noch 540 falsche Vorhersagen dabei), dann liegt die Wahrscheinlichkeit, dass dies durch Zufall zustande gekommen ist, bei 0,03 %.

Man sieht also, dass auf der Ebene des einzelnen Durchganges so gut wie keine Aussage möglich ist, auf der Ebene der einzelnen Versuchsperson ist dies nur begrenzt möglich und auch dann nur, wenn das Experiment dazu geeignet ist, oft wiederholt zu werden. Das geht zum Beispiel beim Bem’schen Präkognitionsexperiment gut, aber nicht beim aufwändigen Ganzfeld-Experiment. Auf der Ebene der Studie mit mehreren Versuchspersonen sind meist schon bessere Aussagen möglich. Dabei hängt es von zwei Faktoren ab, wie belastbar die Aussage der Studie ist. Zum einen davon, wie viele Durchgänge durchgeführt wurden, zum anderen, wie groß der zu untersuchende Effekt ist. Bei einem sehr kleinen Effekt benötigt man entsprechend größere Studien, um in den Bereich der statistischen Signifikanz zu gelangen.

»Die Daten verhalten sich nicht so, wie man es bei der Abwesenheit von Psi-Effekten erwarten würde, sondern weisen einen Trefferüberhang und somit eine Anomalie auf.«

Nun gibt es aber – bedingt durch die Einführung und Wiederholung von Standardexperimenten – eine weitere Ebene. Das ist die sogenannte Metaanalyse. Bei diesem statistischen Verfahren werden die Ergebnisse mehrerer Studien mathematisch zusammengefasst. Nehmen wir hierfür das Beispiel des Ganzfeld-Experimentes. Von 1974 bis 2020 wurden insgesamt 78 Ganzfeld-Studien durchgeführt, insgesamt gab es 1.537 einzelne Durchgänge, bei denen 463 Treffer erzielt wurden. Das ist eine Trefferrate von 30,1 %. Da man beim Ganzfeld-Experiment meist aus vier Bildern auswählt, liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Zufallstreffer bei 25 %. Die hier erzielten 30,1 % sind deutlich erhöht und statistisch signifikant. Die Daten verhalten sich nicht so, wie man es bei der Abwesenheit von Psi-Effekten erwarten würde, sondern weisen einen Trefferüberhang und somit eine Anomalie auf. Wichtig zu verstehen ist an dieser Stelle, dass der Effekt nicht sehr groß ist. Um einen Effekt dieser Größe in einer einzelnen Ganzfeld-Studie zuverlässig nachzuweisen, benötigt man ca. 1000 Versuchsdurchgänge (und somit 2.000 Versuchspersonen!) – ein kaum zu bewältigender Aufwand.

Dieser Befund steht exemplarisch auch für die anderen Paradigmen. Auch bei den DMILS-Experimenten findet sich in der Metaanalyse ein Effekt, dieser fällt allerdings noch kleiner aus. Auch bei den Presentiment-Studien ist die Lage ähnlich. In der Mikro-PK Analyse ist es umstritten, ob sich hier überhaupt ein Effekt findet, obwohl die Zahl der Studien und Versuchsdurchgänge riesig ist. Beim Bem-Experiment findet sich in einer älteren Metaanalyse ein sehr kleiner Effekt, aber eine neuere große Repliktionsstudie in mehreren Laboren konnte den Effekt nicht finden. Zusammenfassend sieht man also, dass sich hier nicht-erklärbare Anomalien finden, aber auch, dass die gefundenen Effekte so klein sind, dass man damit paranormale Erlebnisse im Alltag nur schwer erklären kann.

Erklärungen und Deutungen der Psi-Effekte

Wie könnte man diese Befunde nun sinnvoll deuten? Aus den vielen möglichen Erklärungen und Ideen will ich an dieser Stelle zwei herausgreifen und exemplarisch vertiefen. Die erste wäre, dass es sich bei Psi um einen normalen Effekt handelt, wie wir ihn sonst auch in der Wissenschaft sehen, der sich mit einem geeigneten Experiment nachweisen lässt. Faktisch ist der Effekt jedoch sehr klein. Dies führt dazu, dass er erst auf der Ebene der Metaanalyse ausreichend statistisch nachweisbar ist. Einzelne Experimente im gängigen Format sind nicht ausreichend groß, um die Effekte zuverlässig nachzuweisen. Diese finden sich zwar hin und wieder, sind jedoch nicht regelhaft. Daher spricht die parapsychologische Forschungsgemeinschaft oft vom Replikationsproblem der Parapsychologie. Ein Experiment ist erfolgreich, man wiederholt es nahezu mit der gleichen Methodik, aber dieses Mal zeigt sich der Effekt nicht. Doch genauso würde es die Statistik für kleine Effekte in kleinen Studien auch vorhersagen. Erst die Durchführung einer großen Studie würde einen aus diesem Dilemma befreien.

»Daher spricht die parapsychologische Forschungsgemeinschaft oft vom Replikationsproblem der Parapsychologie.«

Bei dem zweiten Erklärungsweg werden ungewöhnlichere Erklärungsmodelle herangezogen. Das ist durchaus sinnhaft, denn die vorliegenden Befunde, die zum Teil auf Präkognition oder Telepathie hinweisen, sind alles andere als gewöhnlich und passen nicht zu unseren etablierten wissenschaftlichen Konzeptionen zum Beispiel in der Psychologie oder der Physik. Die Idee hier ist, dass der Psi-Effekt nicht immer gleich beschaffen ist und sich auch nicht immer gleich verhält. ParapsychologInnen haben oft den Eindruck, dass sich bei einem neuen innovativen Experiment relativ einfach Psi-Effekte zeigen lassen. Wenn man diese daraufhin öfters und sorgfältig versucht zu replizieren, werden die Effekte immer kleiner, verschwinden ganz, drehen sich sogar in die umgekehrte Richtung oder tauchen plötzlich an einer anderen, unerwarteten Stelle auf. Es verhält sich ein wenig so, als ob man von den Psi-Effekten ausgetrickst wird, beziehungsweise man bekommt den Eindruck, dass sich diese einem wissenschaftlichen Nachweis entziehen wollen. In der Parapsychologie wird in diesem Kontext oft von einem Decline-Effekt (von engl. decline »abfallen, kleiner werden«) oder einem Trickster-Effekt (von engl. trickster »Trickbetrüger«) gesprochen.

Es ist natürlich verwegen, dem Effekt Eigenschaften, die man in den Experimenten identifiziert hat, als ureigene Natur zuzuschreiben. Das allein wäre zu einfach und würde das Problem nicht lösen. Hierfür benötigt es einen theoretischen Rahmen, der geeignet ist, dieses Verhalten zu erklären und bestenfalls vorherzusagen. In der Tat gibt es eine ganze Gruppe von WissenschaftlerInnen, die an solchen Modellen arbeiten. Da ist zum einen die schon erwähnte Generalized Entanglement Theory (GET; Theorie der Generalisierten Verschränkung), die argumentiert, dass Verschränkungen und nicht-lokale Korrelationen, wie sie in der Quantenphysik vorkommen und experimentell nachgewiesen sind, auch in makroskopischen Systemen möglich sind. Ähnlich argumentiert Walter von Lucadou mit seinem Modell der Pragmatischen Information. Die Idee dieser Ansätze ist, dass Psi-Effekte auf nicht-lokale Korrelationen zurückgehen. Das Verhalten zweier Elemente in einem System ist miteinander verbunden, auch wenn diese weit auseinanderliegen. Der springende Punkt ist dabei, dass solche Korrelationen keine kausalen Effekte darstellen, die man durch die Herstellung bestimmter Bedingungen erzwingen kann. Es ist eher so, dass gewisse Systemvoraussetzungen erfüllt sein müssen, damit sich die Elemente des Systems korreliert, also ähnlich, verhalten. Beim Versuch diese Korrelation in eine Kausalität zu überführen, kann es aber dazu kommen, dass sich das System durch die experimentelle Manipulation auflöst oder verändert. Der Effekt verschwindet dann oder organisiert sich an einer anderen Stelle in einem veränderten System.

Dies sind spannende Ansätze, die sich in der Entwicklung befinden und von denen noch einiges zu erwarten ist. Der springende Punkt bei diesen Überlegungen ist folgender: Parapsychologische Effekte – so es sie gibt – besagen, dass man Zugang zu Informationen aus der Zukunft oder von weit entfernten Personen oder Situationen erhalten kann. Wenn dies stimmt, dann ergeben die Experimentalaufbauten eines klassischen Paradigmas, die von Lokalität und einem linearen Zeitbegriff geprägt sind, keinen Sinn mehr. Denn die Theorien, die man hier überprüft, widersprechen den Grundannahmen des Experimentalaufbaus. Aus diesem Dilemma gibt es für die experimentelle Parapsychologie kein Entkommen. Trotzdem kann es sinnvoll sein, die Frage nach Psi innerhalb eines klassischen experimentellen Paradigmas zu untersuchen. Man kann dort immer wieder eine Menge lernen und momentan ist es so, dass wir zu wenig über die potenziellen Psi-Effekte wissen, um ein passenderes Experimentalparadigma zu entwerfen.

Prof. Dr. Stefan Schmidt

Zum Autor

Prof. Dr. Stefan Schmidt studierte Psychologie und promovierte 2002 über ein parapsychologisches Experiment. Seit 2018 ist er Professor für Systemische Familientherapie an der Uniklinik Freiburg, vorher hatte er Professuren in Utrecht und Frankfurt (Oder). Seine Forschungsschwerpunkte sind Achtsamkeit und Meditationsforschung, Parapsychologie, Placeboforschung sowie Systemische Therapie.

prof-stefan-schmidt.info

Stefan Schmidt

Experimentelle Parapsychologie: Eine Einführung

159 Seiten
ISBN-10 : ‎ 3956500792
Preis: 24,00€
Ergon Verlag, 2014

Bildnachweis: © Adobe Stock

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