Wolfgang Bauer – Die Magie des Fliegenpilzes

Ein Überblick

Der Fliegenpilz ist ein treuer Begleiter des Menschen, und sein Einfluss auf die Kulturgeschichte ist unermesslich. Bereits Schamanen und Priester schätzten die bewusstseinserweiternde Wirkung des Pilzes und sahen in ihm einen Weg, sich mit der geistigen Sphäre zu verbinden und mit ihren Wesenheiten zu kommunizieren. Doch auch als Heilmittel, als Paraphernalium bei magischen Experimenten und Unternehmungen, als versteckter Akteur in fantastischen Märchen und Sagen bis hinein in die moderne Literatur übt der Fliegenpilz seit jeher Einfluss auf das irdische Geschehen aus.

In paradoxer Weise steht der Fliegenpilz als Giftpilz einerseits als Symbol für die Gefährlichkeit und Abgründigkeit der Natur, andererseits gilt er als Symbol des Glücks. Er schmückt Kinderzimmer, Wohnungen und Gärten und begleitet Feste im Jahreslauf, erfreut Jubilare und wird gern in der Kunst wie auch in der Werbung als unwiderstehlicher Augenfänger eingesetzt. Auch in der fantastischen Literatur, in Kriminalromanen, Comics und in Filmen hat er eindrückliche Auftritte. In alten Zeiten benutzten Schamanen und Priester den Pilz bei ihren Seelenreisen zu Geistern und Göttern. Das Geheimnis um seine rituelle Verwendung wurde in archaischen Kulturen streng gehütet. Spuren des Gebrauchs finden sich in Legenden, Göttermythen, Sagen und Zaubermärchen und in alchemistischen Werken, in denen über geheimnisvolle Wundermittel wie den heiligen Gral oder den Stein der Weisen spekuliert wurde. Bis heute leistet der Fliegenpilz als Heilmittel Menschen und Tieren gute Dienste. 

Die Familie Amanita

Der rote Fliegenpilz (amanita muscaria) gehört zur Familie der Wulstblätterpilze. Nächste Verwandte sind der braune Fliegenpilz (amanita regalis), auch bekannt als Königsfliegenpilz, und der rötlichbraune Pantherpilz (amanita pantherina). Von Pilzsammlern verwechselt werden kann der Fliegenpilz mit dem roten Kaiserling (amanita caesarea), einem Speisepilz der Sonderklasse. Für Leckermäuler ist der Kaiserling der »Kaiser in der Küche«. Verwechslungen gibt es immer wieder zwischen dem Pantherpilz und dem fleischfarbenbraunen Perlpilz (amanita rubescens), einem mäßig guten Speisepilz. 

Beim Verzehr, sei er absichtlich oder unabsichtlich, entfaltet der Fliegenpilz eine psychoaktive Wirkung. Es kommt bei den Konsumenten zu Trugwahrnehmungen, auch in Bezug auf Veränderungen des Zeit- und Raumempfindens. Ein älterer Mann, der versehentlich Fliegenpilze als Speisepilze zu sich genommen hatte, fühlte sich unmittelbar an den Blocksberg versetzt. Hexen tanzten dort nach dem Rhythmus von Flötentönen. Später tummelten sich in den Abendwolken vor seinem Fenster Walküren. Der Allvater erschien ihm und zeigte ihm das Weltall. Er musste mit ihm das Weltrad treten. Schließlich glaubte er, er sei selbst Gott und müsse den neuen Menschen erschaffen. Er durchlebte die verschiedensten Zeitalter, wo er viele Abenteuer zu bestehen hatte und nur knapp dem Tod durch Vergiften oder Erschießen entging. 

Der Fliegenpilz im Märchen

Illustratoren von Zaubermärchen zeigen in ihren Zeichnungen oft den Fliegenpilz, so als sähen sie in ihm den Verursacher/Auslöser für all die zauberischen Vorgänge im Handlungsstrang. Beispielsweise sind die Blumen, die Rotkäppchen abseits vom Weg pflückt, rot leuchtende Fliegenpilze. Der Wolf schaut nicht mit Gier auf das Rotkäppchen, sondern auf die Fliegenpilze neben ihr. Fliegenpilze wachsen vor und um das Haus der Hexe und geben einen Hinweis darauf, was für »Lebkuchen« die Hexe tatsächlich an die Wände ihres Häuschens zum Trocknen gehängt hat. Anstatt eine Quelle zu malen, zeigt der Maler im Märchen »Brüderchen und Schwesterchen« neben dem Brüderchen einen Fliegenpilz. Ist Fliegenpilzsaft die Quelle, die das Brüderchen in ein Tier verwandelt hat? Neben dem Sarg, in dem Schneewittchen nach dem Konsum eines »giftigen Apfels« im Koma liegt, wachsen ebenso Fliegenpilze wie neben dem Zwerg, der im Märchen »Wasser des Lebens« dem Königssohn den Weg zu dem alles heilenden Zaubertrank weist. Der Märchen- und Mythenforscher Sergius Golowin (1930–2006) ging in seinem 1973 erschienenen Buch »Magie der verbotenen Märchen: Von Hexendrogen und Feenkräutern« ausführlich auf Zusammenhänge zwischen psychoaktiven Pflanzen und Pilzen und dem wundersamen Geschehen in den Zaubermärchen ein. Er schreibt psychoaktiven Pilzen, Kräutern und Wurzeln die Fähigkeit zu, Menschen, die sich auf sie einlassen, »mit Siebenmeilenstiefeln in unvorstellbare Märchenreiche zu entführen«.

In seinem Buch »Die historischen Wurzeln des Zaubermärchens« (München 1987, Erstausgabe Leningrad 1946) zeigte der Folklorist und Philologe Vladimir Propp (1895–1970) auf, dass die Entstehung der russischen Zaubermärchen möglicherweise auf Berichten von Initiationserlebnissen, die mündlich, mehr oder minder verzerrt, über die Jahrhunderte weitergegeben wurden, beruhen könnte. Den Initianten alter Stammesgesellschaften waren, so Propp, bei ihrer Reifeweihe narkotische, berauschende, behexend wirkende Drogen, z. B. auch Fliegenpilze, gegeben worden, die sie zu einer turbulenten märchenhaft-magischen Reise in die Anderswelt geführt haben.

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Hänsel und Gretel haben das Haus der Hexe gefunden. Eine schlaue Schlange ahnt, dass es hier etwas Besonderes zu knabbern gibt. Herman Vogel, der Illustrator, malte 1894 passend die Fliegenpilze dazu.

Auch wird das Erscheinen von mächtigen Naturgeistern vorsätzlich in einen Zusammenhang mit der Abbildung von psychoaktiven Pilzen gestellt, so als läge in ihnen für die Illustratoren der Ursprung des jeweiligen Geistes begründet. Der Maler Moritz von Schwind (1804–1871) ließ 1859 in seiner Darstellung des Gestaltenwandlers Rübezahl den Gebieter der Gnomen und den Herrn der magischen roten Rüben über eine Ansammlung von Fliegenpilzen schreiten. Die zaubermächtige Waldgöttin Baba Yaga, die das Wasser des Lebens und das Wasser des Todes ihr Eigen nennt und die den Eingang zur Anderswelt bewacht, wird in einer Zeichnung von 1906 von dem russischen Buchillustrator Iwan Bilibin (1876–1942) in einem Zuber dargestellt. Sie fliegt darin über einen Teppich von Fliegenpilzen, die an den Füßen von Birken stehen. Und der Grafiker Hans Baluschek (1870–1935) ließ 1915 in einer Illustration zu dem Kindermärchen »Peterchens Mondfahrt« zwei überraschten Maikäferherren die Nachtfee über einem Pantherpilz stehend erscheinen. 

Heilmittel Fliegenpilz

In alten deutschen Kräuterbüchern werden Pilze genannt, die in der Volksmedizin Verwendung fanden. Der Fliegenpilz galt als Heilmittel bei Nervenleiden und bei bösartigen Geschwüren. Der Pilz hat besonders starke Angriffspunkte am vegetativen Nervensystem, an der Muskulatur und an der Blase. Homöopathisch oder in der Form als Urtinktur wird er z. B. bei Krämpfen am Auge, epileptiformen Zuständen, depressiven Verstimmungen, Blasenlähmung, Parkinson und nervöser Übererregbarkeit mit Erfolg eingesetzt.

Auch in Russland wird der Fliegenpilz in der Volksmedizin genutzt. Er wird in verschiedenen Zubereitungsformen (Saft, Salbe, Pulver, Brei) bei Lähmungen, rheumatischen Schmerzen und Nervenkrankheiten verwendet. 

Dazu ein Heilungsbericht aus dem 19. Jahrhundert. Jósef Kopeæ, ein nach Sibirien verbannter polnischer Brigadier, lag schwer fieberkrank darnieder. Ihm kam zu Bewusstsein, dass die Stunde seines Todes nicht mehr allzu fern sei. Ein mit den Gebräuchen der Sibirier vertrauter Priester verabreichte ihm Fliegenpilze als Heilmittel. Wie seinem 1863 in Berlin gedruckten Tagebuch zu entnehmen ist, schenkte ihm ein halber Pilzhut den lange entbehrten, heilsamen Schlaf. In einem Traum fühlte er sich in einen paradiesischen Garten versetzt. »Dort war eine Gruppe der schönsten Frauen, die, mit weißen Kleidern angetan, spazieren gingen. Sie schienen sich in diesem irdischen Paradies der Gastfreundschaft anzunehmen: Als ob sie sich über meine Ankunft freuten, boten sie mir verschiedene Früchte, Beeren und Blumen an. Diese Wonnen dauerten während meines gesamten Schlafes an.«

Der kultische Gebrauch des Fliegenpilzes in Sibirien

Seit den Berichten von Reisenden und Forschern des 17. Jahrhunderts, die sich in Sibirien aufgehalten haben, ist bekannt, dass der Fliegenpilz rituell als Mittel zur Ekstase-Induktion benutzt wurde. Im Zustand der Ekstase löst sich die Seele des Schamanen vom Körper. Während der Körper in der Alltagsrealität zurückbleibt, reist die Seele zu den Geistern und Göttern der drei Welten, der unterirdischen, der mittleren (irdischen) und der oberen Welt. Im Zwiegespräch mit den mythischen Wesen dieser raum- und zeitlosen Sphären verschafft er sich magisches Wissen, um einen Kranken zu heilen, eine Seele ins Jenseits begleiten zu können, wahrzusagen oder um Jagdglück zu ermöglichen.

»Durch seine besonderen Fähigkeiten, die spirituelle Welt beeinflussen zu können, besitzt er große Macht: Er hat sozusagen ein Monopol auf die Erklärung der Welt.«

Die Ethnologin Alexandra Rosenbohm schreibt in ihrer Arbeit über halluzinogene Drogen im Schamanismus über den Gebrauch des Fliegenpilzes: »Zur Erlangung der Ekstase diente der Fliegenpilz bei Schamanen chantischer (ostjakischer) Gruppen an den Flüssen Tremjugan, Wasjugan, Irtysch und stellenweise im Gebiet der Wogulen. Für die Gruppe, in welcher der Schamane lebt, fungiert er als eine religiöse Institution, die das Gemeinschaftsleben ordnet. Er ist Mystiker, Magier, Priester, Arzt, Mythologe, Dichter und Tänzer zugleich. Als ›Künstler‹ übersetzt er Ungewohntes in die traditionelle Symbolik und Vorstellungswelt seiner Gesellschaft. Durch seine besonderen Fähigkeiten, die spirituelle Welt beeinflussen zu können, besitzt er große Macht: Er hat sozusagen ein Monopol auf die Erklärung der Welt.

Die eine Seite wird dich größer machen, die andere kleiner

1865 erschien im Verlag Macmillan in London die Geschichte von der kleinen Alice, die durch ein Kaninchenloch in das Wunderland fällt. Verfasser des Buches »Alices Adventures in Wonderland« war Lewis Carroll (eigentlich Charles L. Dodgson, ein Dozent für Mathematik aus Oxford, 1832–1898). Das Buch gehört zu den Klassikern der Weltliteratur. Unter den vielen eigenartigen Wesen, denen Alice im Wunderland begegnet, befindet sich auch eine blaue Raupe. Sie sitzt auf einem Pilz und raucht an einer Wasserpfeife. Diese gibt Alice den Rat, von dem Pilz, auf dem sie sitzt, zu essen, wenn sie sich verändern will. 

Wolfgang Bauer
Der Waldarzt versorgt seine Patienten mit der heilenden Essenz des Fliegenpilzes. Cover eines Bilderbuchs von Fritz Baumgarten.

Genau siebenmal erlebt Alice bei ihrer Reise durch das Wunderland, dass sie, nachdem sie etwas Magisches gegessen oder getrunken hatte, größer oder kleiner wird. Zuerst handelt es sich um ein geheimnisvolles Fläschchen, das ein Schild um den Hals trug, auf dem »Trink mich« geschrieben steht, dann findet Alice ein weiteres Wunderfläschchen (»magic bottle«). Eine erneute Verwandlung erzielt Alice durch den Verzehr eines magischen Kuchens, und schließlich sind es Stücke vom Zauberpilz, die es ihr ermöglichen, sich beliebig zu vergrößern oder zu verkleinern, um sich an die verwirrenden Ereignisse in der Welt des Wunderlandes besser anzupassen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass Carroll die Wirkungen des Fliegenpilzes wie beim Cannabis auch aus eigener Erfahrung kannte. Sehr viel spricht dafür, dass dem vielbelesenen Carroll ein Buch des Botanikers und Mykologen Mordecai Cubitt Cooke (1825–1914) in die Hände gefallen war. Es trug den Titel »The Seven Sisters of Sleep. A Popular History of the Seven Prevailing Narcotics of the World«. Erschienen ist es 1860 in London im Verlag James Blackwood.[i] Hierin finden sich Angaben zu Täuschungen der Größenverhältnisse, sowohl bei den Konsumenten des Fliegenpilzes als auch bei den Konsumenten von Cannabisprodukten.

Suche nach der Königin der Wonnen

John Uri Lloyd (1849–1936) gilt als Pionier in der Erforschung und Anwendung medizinisch wirksamer Pflanzen, darunter auch solcher mit psychoaktiven Wirkstoffen. Er ist (zusammen mit seinem Bruder Curtis Gates Lloyd) der Verfasser eines dreibändigen Standardwerks über nordamerikanische Arzneimittel. Lloyds Roman »Etidorpha or the End of the Earth: The strange History of a strange Being and the Account of a Remarkable Journey« (Cincinnati 1895) ist eine Mischung alchemistischer, philosophischer und metaphysischer Spekulationen, wobei die intensive berufliche Beschäftigung des Autors mit psychoaktiven Pflanzen und Pilzen die Texte kräftig belebt. Der Ich-Erzähler des Buchs kommt im Verlauf seiner erlebnisreichen Reise auch durch einen Wald mit gigantischen Pilzen, die ihn an Krötenstuhlschwämme in ungeheurer Vergrößerung erinnern. Der Held wird in Versuchung geführt, von einem Lebenselixier zu trinken, das aus dem Extrakt dieser Pilze hergestellt wurde. Schließlich findet er »Etidorpha« (= Aphrodite rückwärts geschrieben), die »Königin unsterblicher Wonnen«.

Sich am Leben wie an einem ewigen Nektar laben

In seiner 1896 erschienenen Erzählung »The Purple Pileus« berichtet der englische Schriftsteller H. G. Wells (1866–1946) die Geschichte von Mr. Coombes, eines geplagten Geschäfts- und Ehemannes, den die Allüren seiner Frau und ihres Freundeskreises zur Verzweiflung und schließlich in den Wald treiben. Um seinem missglückten Leben ein Ende zu setzen, isst er vermeintlich tödlich giftige, purpurrote Pilze. Mit dem Konsum der Pilze setzen erstaunliche Veränderungen ein. Mr. Coombes‘ bisheriges Leben kommt zum Ende, aber anders als er es sich gedacht hat. Eine Berserkerwut ergreift ihn. Als Mr. Coombes aus dem Wald zurückkommt, ist er ein anderer, bereit und willig, mit seinen Widersachern abzurechnen und sich anschließend an den Freuden des Lebens wie an einem ewigen Nektar zu laben.

Die Jagd nach der Pflanze mit der roten Krone

In den 50er-Jahren, im Umfeld des allgemeinen Interesses an Phänomenen wie der außersinnlichen Wahrnehmung (Telepathie, Hellsehen, Präkognition) und der außerkörperlichen Erfahrung, unternahm ein amerikanischer Neurophysiologe, der Arzt Andrija Puharich (1918–1995), den Versuch, ein Mittel zu finden, das es dem Geist ermöglicht, sich zeitweilig vom Körper zu trennen, um dann, so die Hoffnung, beliebig in der Welt und auf dem Strom der Zeit umherzureisen. Seine Absicht: Mit einem solchen Mittel könnte die übersinnliche Wahrnehmung von sensitiven Menschen deutlich verstärkt werden. Rat zu seinen Forschungen holte er sich bei dem Medium Eileen Garrett, bei dem Universalgelehrten Aldous Huxley und bei dem Ethnomykologen R. Gordon Wasson. In seinem Round Table Labor in Maine, mithilfe von Tieftrancen bei Sensitiven und unter Einbezug von Träumen und Visionen von Menschen in seiner Umgebung, verdichteten sich die Hinweise, dass der Fliegenpilz, die »Pflanze mit der roten Krone«, das gesuchte Mittel sein könne. Als sein Medium Harry Stone in Anwesenheit von Aldous Huxley bei einem Versuch im August 1955 in eine tiefe Trance glitt, machte er mithilfe der Zeichensprache deutlich, dass er erneut mit einer Wesenheit aus dem alten Ägypten, einem Hohepriester und Pharaosohn aus der Stadt Heliopolis namens Ra Ho Tep, in Kontakt stehe. Dieser verlangte dringend den von Puharich Tage vorher im Wald gefundenen goldenen Fliegenpilz (amanita muscaria var. formosa) zu sehen. Als der Pilz vor dem Medium platziert wurde, legte sich Harry den Weisungen des Priesters folgend ein kleines Stück des Pilzes auf die Zunge und ein weiteres auf den Kopf. 

»Ich war an einem weit entfernten Ort von unbeschreiblicher Schönheit. Die Farben, die Formen sind unbeschreiblich.« 

Plötzlich konnte er durch die Wand sehen und genau die Dinge beschreiben, die sich auf der anderen Seite befanden. In einem sofort vorgenommenen Psi-Test (MAT: Matching Abacus Test) schnitt Harry sensationell gut ab, was nicht mehr durch den Zufall zu erklären war. Im Oktober 1956 ließ Puharich ein zweites Medium, den Niederländer Peter Hurkos, vom goldenen Pilz kosten. Der sonst so zappelige Peter fiel in eine drei Stunden anhaltende Trance. Über sein Erleben sagte er später, er habe Dinge gesehen, von denen er glaube, dass er sie nicht einmal in einer Million Jahren beschreiben könne: »Ich war an einem weit entfernten Ort von unbeschreiblicher Schönheit. Die Farben, die Formen sind unbeschreiblich.« 

Nach Angaben der Ra Ho Tep-Persönlichkeit soll es bei den Ägyptern ein ausgefeiltes rituelles Fliegenpilzritual, die HEB-SED-Zeremonie, gegeben haben. Durch den Pilzkonsum ins Koma versetzt, bot der Pharao den Priestern seiner Umgebung das Schauspiel eines effektvoll inszenierten Initiationstodes. Mit seinem vom Körper losgelösten Geist unternahm er eine gefährliche Reise in die Unterwelt. Mit geheimem, magischem Wissen versehen kehrte er zu seinem Körper und zu den Lebenden zurück und stellte damit seine übernatürlichen Kräfte eindrücklich unter Beweis. 

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Alice besucht im Wunderland eine sprechende Raupe, die auf einem Pilz mit magischen Eigenschaften sitzt. Zeichnung von Lewis Carroll im ursprünglichen, handgeschriebenen Manuskript aus dem Jahre 1864. Daneben: Dieselbe Szene gezeichnet von John Tenniel, dem Illustrator der Buchausgabe von 1865, ©Lewis Carroll, John Tenniel

Die Ra Ho Tep-Persönlichkeit gab zu verstehen, dass ein Ritual mit dem heiligen Pilz auch im Prozess der Mumifizierung des Pharaos notwendig gewesen sei. In der Brustgegend von Mumien fanden Archäologen tatsächlich Reste von Pilzen. Darunter, wie eine Sporenanalyse zeigte, auch Vertreter der Spezies Amanita. Die Pilze stammten vermutlich aus den Wäldern des Libanon, wo bis heute Pinien und Kiefern als mögliche Wirtsbäume vorkommen. In den Annaleninschriften 1999a bis 1999h/IV 667 heißt es: »Die Bereitstellung für den Aufenthalt nach der Reise (von einem Leben in das andere) verlangt am Ende (der Mumifizierung) vor dem Verschließen (des zur Mumifizierung geöffneten Körpers) das frische Fleisch des Rufs des weißen Flügelpaares (d. h. Pilze) hinter den obersten Rippen.« Der Paramykologe Hartmut Geerken erklärt dazu: »Die Pilze waren sozusagen Relais und übersetzten die Sprache der Lebenden in die Sprache der Toten. Sie hatten Vermittlerfunktion zwischen den Welten. Zwischen der Welt, die wir real zu nennen gewohnt sind, und der Welt, die wir jenseitig nennen und die von Toten und Göttern bewohnt wird.« 

Zu Andrija Puharichs Erlebnissen gibt es ein von ihm inspiriert geschriebenes Buch »Der Heilige Pilz. Schlüssel zur Pforte der Ewigkeit« (Roßdorf 2019. Amerikanische Erstausgabe 1959).

Zugang zur göttlichen Sphäre herstellen

R Gordon Wasson (1898–1986), der Begründer der Ethnomykologie, beschäftigte sich lange damit, herauszufinden, welches Mittel dem Soma, dem mythischen Rauschtrank der indogermanischen Veden, im 2. Jahrtausend vor Christus zugrunde gelegen haben könnte. Das Soma der Ur-Arier verhalf den Priestern zu Erkenntnis und Zugang zur göttlichen Sphäre, zu Glück und Siegeskraft. Überlieferte Schilderungen lassen darauf schließen, dass ein psychoaktives Gewächs den zentralen Inhaltsstoff für das Soma (wörtlich: Presssaft) lieferte. Aus botanischer, ethnologischer und etymologischer Sicht könnte es sich nach der Darstellung von Wasson um den Fliegenpilz gehandelt haben. In den Jahren 1963 bis 1966 versuchte er, seine These zu belegen, und betrieb eine intensive Forschungsarbeit. Zu diesem Zweck hielt er sich in Ländern des pazifischen Raums auf. In Japan führte er sogar einen Selbstversuch durch. In dem mit der Vedistin Wendy Doniger O’Flaherty 1969 veröffentlichten Buch »Soma: Divine Mushroom of Immortality« gelang ihm eine detektivische Meisterleistung. Die vielen poetischen Metaphern und bildhaften Umschreibungen für das Soma in den Versen wie »die Zunge des Weges«, der »Nabel der Erde«, die »Quelle der Beredsamkeit«, das »einzelne Auge« oder das »Süße spendende Euter« führte er auf ihre jeweiligen botanischen Gegebenheiten am Pilzkörper zurück. Er kam nach Abwägung aller Gegebenheiten zum Schluss, mit dem Soma des Rigvedas sei der Fliegenpilz gemeint. Wasson: »Wenn ich richtig liege, dann ist es mir gelungen, den [sic!] Soma in den Kult um einen Baum (Birke, WB) und einen Pilz zu integrieren, der sich von dem Ende Eurasiens bis zum anderen erstreckt und der bis in die Steinzeit zurückreicht.«

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Der Held in John Uri Lloyds Roman probiert an einem Zauberpilz. Zeichnung von J. Augustus Knapp, 1895

Nach Wassons Tod diskutierte sein Schüler, der Ethnobotaniker Jonathan Ott, die Befunde seines Lehrers in einem Artikel[ii] 1998 noch einmal ganz ausführlich. Seine Fragestellung: Passen andere in Indien heimische, psychoaktive Pflanzen als der Fliegenpilz in die Beschreibungen, die im Rigveda gegeben werden? Für Ott kommen nach sorgfältiger Abwägung aller Argumente weder Zubereitungen aus dem Samen der Steppenraute (peganum harmala), noch mit Psilocybin-Pilzen wie dem Psilocybe cubensis, noch mit Haschisch (cannabis sativa), noch durch Auslösungen von Mutterkornpilzen (claviceps purpurea), noch mit einem Getränk aus Meerträubelblättern (Ephedra vulgaris) infrage. Ott stellte fest: »Wir können der Schlussfolgerung nicht entkommen, dass Wassons ursprüngliche Theorie den Test durch die Zeit bestanden hat und dass sie besser begründet bleibt als jede andere Alternative, die bisher vorgeschlagen wurde.«

»Gefühlsmäßig lebten sie  in der ewigen Gegenwart. Sie waren in der Unsterblichkeit angekommen. Die Ewigkeit gehörte ihnen.«

Die das (mit Fliegenpilz versetzte) Kultgetränk genießenden altindischen Opferpriester spürten auf ihrem Trip bald das Eingebundensein in den alltäglichen Zeitablauf nicht mehr. Vergangenheit und Zukunft waren aufgehoben. Sie waren der Zeit für den Moment nicht mehr unterworfen. Gefühlsmäßig lebten sie (natürlich nur solange die Wirkung der Droge anhielt) in der ewigen Gegenwart. Sie waren in der Unsterblichkeit angekommen. Die Ewigkeit gehörte ihnen.[iii] Sie fühlten sich den Göttern gleich. Mit Genugtuung stellten sie in ihren Lobpreisungen in dem Rigveda (VIII 48, 3) fest: »Wir haben das Soma getrunken: Wir sind unsterblich geworden, wir haben das Licht gesehen, wir haben die Götter gefunden.«

Der christliche Kult: ein wichtiges Ingrediens fehlt

In seinem 1970 erschienenen Buch »The Sacred mushroom and the Cross: A study of the nature of Christianity« legte der englische Linguist und bibelkundige Experte John Marco Allegro (1923–1988) dar, dass es sich beim Christentum in seinem Ursprung um einen 3000 Jahre alten orientalischen Fruchtbarkeitskult handeln könne: Die Evangelien stellten, so seine These, ein doppeldeutiges Schriftzeugnis dar, das (in verschlüsselter Form, um Unbefugte fernzuhalten) die Geheimlehren über den heiligen Pilz enthält. Das Wort »Jesu« bezeichnet keinen wirklichen Menschen. Es ist eines von vielen Schlüsselworten für den Fliegenpilz. Bei der Übernahme des Kultes um Jesus Christus seien die Christen genasführt worden. Sie hätten den kryptischen Code-Charakter übersehen und stattdessen die Chiffre für bare Münze genommen. Denn der Kult entbehrte seines hauptsächlichen Ingrediens, des Rauschpilzes, der allein die ersehnte Vereinigung mit Christus herbeizuführen vermochte. Stattdessen kauten die Anhänger Brotstücke oder Waffeln und nippten an wässrigem Wein, während ihre Priester ihnen einzureden versuchten, sie äßen Gottes Leib und tränken sein Blut. Als junger Wissenschaftler, der an der University of Manchester semitische Sprachen und in Oxford hebräische Dialekte studiert hatte, wurde Allegro 1953 als eines von neun Mitgliedern in das internationale Wissenschaftler-Team zur Auswertung des Schriftenfundes vom Toten Meer berufen. Auf Neuland stieß er, als er bei seinen Studien entdeckte, dass die Götter- und Pflanzennamen im Griechischen, Lateinischen und auch im Semitischen auf einen gemeinsamen Ursprung im Sumerischen, der allerersten Schriftsprache überhaupt, zurückgeführt werden konnten. Allegro: »Die besondere Drogenpflanze, die ich mit meinen sprachwissenschaftlichen Untersuchungen aus den Namen und Legenden der Bibel isolierte, war der Pilz mit rotem Hut.« Auf diesem Hintergrund fragte er provokativ uns und die Theologen: »Kann der mystische Ritus der Eucharistie, in dem vom Zelebranten der Leib Christi gekaut und das Blut Christi geschlürft wird, jemals wieder die spirituelle Potenz erlangen, wenn jetzt bekannt ist, dass es sich um einen blassen Ersatz für die Teilhabe am Heiligen Pilz handelt, dessen Rauschwirkung die Wahrnehmungsfähigkeit des Ichs auf Höhen jenseits normaler Fassungskraft anzuheben vermochte?«

Himmlisches Rabenbrot 

Der Privatgelehrte Edzard Klapp bot in seinem 1982 in der Zeitschrift »curare« erschienenen, vielfach und auch auf Englisch nachgedruckten Artikel »Rabenbrot« den Lesern ein Feuerwerk an Ideen an. Es sei an der Zeit, antike Kulte, alte Mythen und Legenden einmal auf ihre Bezüglichkeit zu psychoaktiven Gewächsen wie dem Fliegenpilz zu untersuchen. Als beispielhaft nennt er das vom Kirchenvater Hieronymus (304–420) in einer überaus fantasievoll geschriebenen Vita geschilderte Zusammentreffen des Paulus von Theben mit Antonius, dem Einsiedler, in der Wüste. 

»Es sei an der Zeit, antike Kulte, alte Mythen und Legenden einmal auf ihre Bezüglichkeit zu psychoaktiven Gewächsen wie dem Fliegenpilz zu untersuchen.«

Im Auftrag Gottes spendiert ein Rabe den beiden nach Erkenntnissen hungernden Eremiten eine Doppelportion an himmlischem Brot. Paulus erlebt danach eine veritable Himmelfahrt mit allem Gepränge. Und Antonius bekommt überraschend Besuch von zwei friedfertigen Löwen, die dem heiligen Mann ihre Dienste bei seinen Verrichtungen anbieten. Der Autor weist auch auf die Kulte um den Gott Mithras, den Göttersohn Attis und um den Gott der Ekstase, Dionysos, als bedeutsame Untersuchungsobjekte hin. Ihre Kulte rankten sich, wie eine tiefer gehende Inhaltsanalyse des jeweiligen Narrativs zeigen kann, um die rituelle Anwendung des Fliegenpilzes. Im mithräischen Kultbild vom Mahl zwischen Mithras und Sol in Ladenburg interpretiert Klapp den angeblichen Sonnenbaum, vor dem Sol sein Trinkhorn bedeutsam hochhält, als die Unterseite eines Fliegenpilzes. Klapp zeigte auch auf, dass die Mithras-Ikonografie, die Bilderwelt des Kultes, zahlreiche pilzbezügliche Aspekte enthält.

Besuch bei den Unsterblichen

Fliegenpilze als heiliger Trank könnten in Mysterienkulten, die wie der Mithraskult aus Asien kamen und bei den Römern des 1. Jahrhunderts n. Chr. schnell Anhänger fanden, eine wichtige Rolle gespielt haben. In unter der Erde angelegten Heiligtümern, die Höhlen/Grotten symbolisieren sollten, trafen sich die Mysten, um in die Geheimnisse des Kultes um den schon in Persien verehrten Lichtgott Mithras eingeweiht zu werden. Sie trugen bei ihren Zusammenkünften dieselbe rote persische Kappe, wie wir sie nicht nur als Kopfbedeckung des Mithras, des Rauschgottes Bacchus und der Alchemisten des Mittelalters finden, sondern auch heute noch auf den Köpfen unserer Gartenzwerge.

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Ein Hexenring aus Fliegenpilzen. Hier sollen nach dem Volksglauben in Vollmondnächten die Feen und Elfen tanzen. Foto: Ines Welsch

Dem Mysten wurde die »Unsterblichmachung« versprochen, vermutlich nicht nur im symbolischen Sinne, sondern mithilfe eines Rauschtranks auch subjektiv nacherlebbar. Der einzig erhaltenen mithräischen Liturgie aus dem 3. Jahrhundert zufolge hoffte der Anwärter auf den Rang des Sonnenläufers (Heliodromus) darauf, »dass ich nach der Bedrängnis, nach scharf und mich läuternd bedrängenden Nöten (= Übelkeit, Todesangst, W.B.) zum Schauen des ewigen Urstandes gelange. Denn ich will heute erschauen den dem Tode entrückten Zeitenführer, den Herrn der Himmelsfeuerkreise. Doch da es nicht möglich ist, hinaufzusteigen mit der ganzen dem Tod verfallenen Natur (= dem Körper, W.B.), da nur eine goldene Fackel, mein Seelenwesen, sich erheben darf, so falle in Erstarrung, du Leibeshülle (= Koma, Initiationstod, W.B.), die vergehen soll, und lasse mich ungestört schwingen.« Später, nach dem Genuss des Rauschtrankes und nachdem er die Prüfungen durch die Hüter der Schwelle bestanden hatte, wies man den Mysten an: »Öffne dein Seelenauge, und du wirst die Türen offen schauen und die Welt der Götter hinter ihnen, so dass dein Geist vor Wonne des Schauens und vor Entzücken hinaufgerissen wird und emporsteigt.« Nach der geglückten Einweihung nahm der Pater, der Myste mit dem höchsten Weihegrad, dem frisch gebackenen Sonnenläufer die rote Kappe ab und krönte ihn mit einem goldenen Strahlenkranz. 

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Gartenzwerge? Nein, Gott Mithras mit seinen zipfelmützigen Begleitern

Albrecht Diederich gibt in seinem Buch »Eine Mithrasliturgie« (Leipzig 1903, S. 86) eine Vorstellung davon, wie es bei der Weihe eines Mysten zugegangen sein könnte: »Unerwartete Lichtspiele, geschickt geleitet, überraschten ihm Augen und Geist. Die religiöse Erregung, von der er ergriffen war, verlieh den eigentlich kindlichen Schauspielen den Anschein der Furchtbarkeit. Die eitlen Blendwerke, die man ihm gegenüberstellte, erschienen ihm als ernste Gefahren, über die sein Mut triumphierte. Der gärende Trank, den er einnahm, überreizte seine Sinne und verwirrte seine Vernunft. Er murmelte wirksame Formeln, und sie riefen vor seiner erregten Phantasie himmlische Erscheinungen hervor. In seiner Ekstase glaubte er sich über die Grenzen der Welt herausgehoben.«

Feuer für unsere Seelen

Nur am Fuß von Fichten, Kiefern, Birken und Pinien wächst im Herbst der Visionen und Allwissen schenkende purpurrote Fliegenpilz. Die Birke ist die Wirtspflanze sowohl des Zunderschwammes, eines Klammerpilzes, der am Stamm wächst, als auch des Fliegenpilzes, der mit den Wurzeln der Birke in mykorrhizaler Verbindung lebt. R. Gordon Wasson sagt, der Zunderschwamm gab den Menschen Feuer für ihre Körper und der Fliegenpilz Feuer für ihre Seelen.

»Nur am Fuß von Fichten, Kiefern, Birken und Pinien wächst im Herbst der Visionen und Allwissen schenkende purpurrote Fliegenpilz.«

Für die Menschen in der Taiga ist die Birke ein wirklicher Baum des Lebens und der Fliegenpilz an ihrem Fuß ein wirklicher, Lebenswasser spendender »Brunnen«. (Ist es Zufall, fragt Edzard Klapp, dass alte Taufbrunnen in Kirchen und Brunnen auf Plätzen oft wie ein Pilz gestaltet sind? Drücken sich hier Erinnerungen an ein verlorenes Wissen aus?)

Der Somatrunk wird in den alten Schriften als metähnlicher Saft geschildert. Die Soziologin Katja Redemann hat in einem Oktober frische, in den Birkenwäldern des Hunsrücks gesammelte Fliegenpilze mithilfe eines Leinentuchs ausgepresst. Der reichlich entstandene Saft war goldgelb und metähnlich. Was dieses Aurum potabile, das wundertätige Trinkgold der Alchemisten, bewirkt? Berichte von Personen, die das Wasser des Lebens gekostet haben, erzählen von Fahrten in andere Welten. Plötzlich bekam man »Märchenaugen«, habe sich eins mit allem um sich gefühlt, habe Einblick in Himmel und Hölle, Vergangenheit und Zukunft gewonnen, habe mit Geistern, Zwergen, Elfen, Wasserfrauen und Aliens geredet und sich in ein Tier verwandeln können. 

Wolfgang Bauer
Aus frischen Fliegenpilzen aus dem Wald ... lässt sich mithilfe eines Leinentuchs goldener Fliegenpilzsaft herstellen. Foto: Wolfgang Bauer

Katja Redemann nahm auch an Versuchen teil, um die Wirkungen des Konsums zu erforschen. Eine Stunde nach dem Verzehr zweier frischer Fliegenpilzhüte, angemacht als Salat, katapultierten die Pilze sie beim Spazierengehen im Wald in eine Welt überraschender und in ihrer Intensität kaum aushaltbarer Gerüche, sei es vom frisch geschlagenen Holz oder vom humosen, extrem erdig riechenden Waldboden. Später, zu Hause, offenbarte sich ein schlichter Camembert von seiner lukullischsten Seite. Der dazu gereichte, einfache Weißwein entfaltete die beerigsten und fruchtigsten Aromen wie nie jemals zuvor. Und ein einfaches Mineralwasser verwandelte der Fliegenpilz glatt in prickelnden Champagner.

Der Fliegenpilz hält das Wasser des Lebens für Suchende aber auf eine ganz natürliche Weise bereit. Wenn der Pilz in seiner Entwicklung alle Gestalten eingenommen hat, vom weißen zum roten Ei, vom Kappenstadium zum Tisch-Pilz, entwickelt er sich zuletzt zur Schale, zum Pokal, zum »Gralsgefäß«. Wenn es regnet, enthält diese »rotgoldene Schale«, diese »rote Kanne« Wasser, das sich innerhalb einer Nacht zu einem kraftvollen Zwergen- und Elfenwein (als natürlich entstandenen Fliegenpilz-Kaltauszug) verwandelt.

Für Anregungen und Hinweise danke ich dem Botaniker und Künstler Herman de Vries (Eschenau), dem Privatgelehrten Edzard Klapp (Steinenbronn) und der Antiquarin für Altes Wissen Adelheid Mühlan (Landau-Wollmesheim).

Fußnoten:

[i] Carroll nahm auf Anraten seines Arztes viele Jahre lang einen cannabishaltigen Sirup zu sich und schätzte die psychoaktive Wirkung dieser magic bottle sehr. Wahrscheinlich kannte Carroll auch Cookes 1861 in London erschienenen Pilzführer »A Plain and Easy Guide to British Fungi with descriptions of the esculent and poisonous species«, in dem Cooke ebenfalls über spezielle psychoaktive Eigenschaften des Fliegenpilzes berichtete.

[ii] Jonathan Ott, »The Post-Wasson History of the Soma Plant«, in: Eleusis: Journal of Psychoactive Plants and Compounds, No. 1, 1998, S. 9–37.

[iii] Für den Philosophen Rüdiger Safranski sind Vorstellungen wie »Ewigkeit« und »Unsterblichkeit« alte Sehnsuchts- und Wunschbilder der Menschen, nach denen sie zu allen Zeiten trachteten. »Ewigkeit« ereignet sich für Safranski, wenn eine permanente Gegenwart, ohne Früher und Später, ohne Vergangenheit und Zukunft, gegeben ist.

Wolfgang Bauer

Wolfgang Bauer, Studium der Psychologie und begleitend der Volkskunde. Tätigkeit als Psychologischer Psychotherapeut in Frankfurt am Main. Herausgeber und (Mit-)Autor vieler Bücher zu den Themen Symbolkunde, Altes Wissen und Volksbotanik, u. a. auch des ins Russische übersetzten »Lexikon der Symbole« (Wiesbaden 1980/2004). Letzte Veröffentlichungen zusammen mit Clemens Zerling: »Das ganz andere im Stein: Was sakrale Steine, Felsen und Berge vor uns verbergen«, Synergia Verlag, Darmstadt 2012; »Raben in Mythologie und Kulturgeschichte«; Synergia Verlag Roßdorf 2020. Zusammen mit Herman de Vries und Katja Redemann: »Rauschpilze: Märchen – Mythen – Erfahrungen, Nachtschattenverlag, Solothurn 2015. Mit Edzard Klapp: Herausgeber des Buchs von Andrija Puharich: »Der heilige Pilz: Schlüssel zur Pforte der Ewigkeit«, Synergia Verlag Roßdorf 2019. Kurator mehrerer Ausstellungen zur Kulturgeschichte des Fliegenpilzes und Mitarbeiter des virtuellen Fliegenpilzmuseums (www.fliegenpilz-museum.de). Referent bei Tagungen zu den Themenbereichen Traum – Trance – Vision, Heilige Pflanzen und Zauberpilze, Geisterkunde und Schwarze Märchen. YouTube-Interview: »Im Gespräch mit Wolfgang Bauer«. Webseite: www.amanita-wolfgang-bauer.de

 

2 Kommentare zu „Wolfgang Bauer – Die Magie des Fliegenpilzes“

  1. es ist kein paradox, den Fliegenpilz als giftig (dies ist die herrschende Interpretation, die verhindern will, dass bewusstseinserweiternde drogen genommen werden – alkholol als dämpfende, aggressivierende droge ist deshalb logischerweise erlaubt) und als Glückssymbol darstellt. Fliegenpilz eingenommen kann einen zustand des Wohlstandes, des Glücks hervorbringen, so berichten Quellen und Selbstversuche.

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